02.07.2020

Beseitigungsanordnung bei reiner Nutzungsänderung?

Zur neuen Regelung des § 82 BauO NRW

Beseitigungsanordnung bei reiner Nutzungsänderung?

Zur neuen Regelung des § 82 BauO NRW

Die neue LBauO lehnt sich an die Musterbauordnung an. | © Natalia - stock.adobe.com
Die neue LBauO lehnt sich an die Musterbauordnung an. | © Natalia - stock.adobe.com

Zum 1.1.2019 trat in NRW die neue LBauO in Kraft. Neu ist auch § 82 BauO NRW, der sich mit der Beseitigung von Anlagen befasst. Aus dem Wortlaut der Norm resultiert die Frage, ob eine Beseitigungsanordnung auch in den Fällen zulässig ist, in denen lediglich eine Nutzungsänderung vorliegt.

Der neue § 82 BauO NRW

Die neue, zum 1.1.2019 in Kraft getretene LBauO lehnt sich an die Musterbauordnung an und enthält im Gegensatz zur Vorgängerregelung spezielle Ermächtigungsgrundlagen für bauordnungsrechtliche Maßnahmen. Mit einer besonderen Problematik dieser Neufassung soll sich der folgende Aufsatz näher befassen und eine Möglichkeit zur Handhabung dieser Konstellation liefern.

Zu den neuen Regelungen der BauO NRW gehört § 82 BauO NRW, der dem Wortlaut des § 80 MBauO entspricht und sich laut amtlicher Überschrift mit der „Beseitigung von Anlagen, Nutzungsuntersagung“ befasst. Nach § 82 S. 1 BauO NRW kann die Bauaufsichtsbehörde die teilweise oder vollständige Beseitigung von Anlagen anordnen, die im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert wurden, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Gemäß S. 2 kann die Nutzung von Anlagen untersagt werden, die im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften genutzt werden.


Nach § 82 S. 1 BauO NRW kann demnach eine Beseitigung von Anlagen im Falle der rechtswidrigen Errichtung oder Änderung angeordnet werden. Errichtung meint dabei das Herstellen baulicher Anlagen auf dem Grundstück.[1] Ändern umschreibt die nicht nur unerhebliche Umgestaltung der baulichen Anlage unabhängig vom Umfang.[2] Der Begriff Änderung ist dabei nicht zu verwechseln mit der Änderung der Nutzung.[3] Der Unterschied liegt darin, dass bei der Änderung die bauliche Substanz der Anlage verändert wird, während die Nutzungsänderung diese unberührt lässt. Diese Differenzierung der Begriffe nimmt auch § 82 BauO NRW vor, der sich in S. 1 mit der Errichtung und Änderung einer Anlage und in S. 2 mit ihrer Nutzungsänderung befasst.

Aus dem Wortlaut der Norm resultiert somit die Frage, ob eine Beseitigungsanordnung auch in den Fällen zulässig ist, in denen lediglich eine Nutzungsänderung vorliegt.

Kein Rückgriff auf die Generalklausel

Die Gesetzesbegründung ist zu dieser Frage unergiebig. Sie enthält lediglich den Wortlaut der Norm.[4]

Nach der alten Fassung der LBauO NRW und der dortigen bauordnungsrechtlichen Generalklausel des § 61 Abs. 1 S. 2 BauO NRW a. F. war eine Abrissverfügung in den Fällen möglich, in denen die bauliche Anlage formell und materiell illegal war.[5] Es war somit erforderlich, dass die Anlage keine Baugenehmigung besaß und auch nicht genehmigungsfähig war. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass auch eine einmal erteilte Baugenehmigung nicht für eine formelle Legalität sorgt, sofern diese keine Bestandskraft mehr vermittelt. Das ist beispielsweise der Fall, wenn die Anlage längere Zeit nicht mehr i.S.d. Baugenehmigung benutzt wurde.[6] § 61 Abs. 1 S. 2 BauO NRW a. F. unterschied nicht zwischen baulicher Maßnahme und Nutzungsänderung. Eine Abrissverfügung war demnach auch bei einer bloßen Nutzungsänderung möglich, sofern eine Baugenehmigung entweder nicht vorhanden war oder keinen Bestandsschutz mehr vermittelte.

§ 61 Abs. 1 S. 2 BauO NRW a. F. ist in § 58 Abs. 2 S. 2 BauO NRW n. F. übernommen worden. Die bauordnungsrechtliche Generalklausel findet sich somit auch in der aktuellen Fassung der BauO NRW. Ein Rückgriff auf diese Generalklausel verbietet sich jedoch im Anwendungsbereich einer Spezialermächtigung, zu der auch § 82 BauO NRW gehört.[7] Die Lösung der Frage, ob eine Beseitigungsverfügung auch bei einer Nutzungsänderung zulässig ist, muss somit in § 82 BauO NRW gesucht werden.

Wortgleiche Vorschrift in der BayBO

Vom Wortlaut her ist eine solche Maßnahmen nicht möglich. Das VG München hat die Möglichkeit einer Beseitigungsanordnung bei einer Nutzungsänderung für die wortgleiche Vorschrift des Art. 76 BayBO wie folgt begründet:

„Zwar fehlt bei Art. 76 Satz 2 BayBO anders als bei Art. 76 Satz 1 BayBO der Zusatz „wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können“; dennoch kann einer (bloßen) Nutzungsuntersagung die innere Rechtfertigung fehlen, wenn weder eine Genehmigung in Betracht kommt noch durch sie der Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften – wegen der im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften stehenden Existenz des zu nutzenden Gebäudes – nicht aufgelöst werden kann.

Trotz der unterschiedlichen Tatbestandsvoraussetzungen stehen Art. 76 Satz 1 und Satz 2 BayBO in einem systematischen Zusammenhang zueinander, der sich über die Einordnung von Legalität bzw. Legalisierung baulicher Anlagen und ihrer Nutzung durch die Bayerische Bauordnung ergibt. Nach Art. 55 Abs. 1 sind „die Errichtung“, die „Änderung“ oder die “Nutzungsänderung“ von Anlagen genehmigungspflichtig. Die „Nutzungsaufnahme“ wird in Art. 55 Abs. 1 nicht als eigenständiger Tatbestand erwähnt, weil die Errichtung einer baulichen Anlage und ihre Nutzung als Einheit erfasst und behandelt werden. Die Baugenehmigung für die Errichtung oder bauliche Änderung schließt eine – ganz bestimmte – Nutzung ein. Gegenstand der bauaufsichtlichen Prüfung und Genehmigung ist die bauliche Anlage in ihrer durch die Nutzung bestimmten Funktion als Einheit (BVerwG, B.v. 11.5.1989, Az.: 4 C 1.88, B.v. 27.2.1993 – 4 B 5/93 und vom 9.9.2002 – 4 B 52/02 – beide juris).

Wegen der Miterfassung der Nutzung bei „Errichtung“ und „Änderung“ besteht aufgrund der verfassungsrechtlichen Bindung der Exekutive an das Gesetz kein freies Auswahlermessen zwischen Beseitigungsanordnung und Nutzungsuntersagung. Eine vermeintliche Härte oder ein Verstoß gegen das Übermaßverbot geht damit nicht einher. Vielmehr begründet sich darin der Auftrag an die Exekutive, dasjenige Eingriffsmittel anzuwenden, das die Herstellung rechtmäßiger Zustände auf Dauer unter Beachtung der Funktionseinheit von Bauwerk und dessen Nutzung bewirkt. Der Erlass einer bloßen Nutzungsuntersagung nach Art. 76 Satz 2 BayBO ist für die Herstellung (dauerhafter) rechtmäßiger Zustände ungeeignet, wenn die Ursache der Rechtswidrigkeit nicht die Nutzung an sich, sondern das Bauwerk selbst ist.“[8]

Weitere Entscheidungen, die sich mit diesem Problem befassen, sind derzeit nicht ersichtlich.

Beseitigungsverfügung als ultima ratio

Der Hinweis in dem Urteil des VG München, dass der Zusatz, „wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können“, in S. 2 nicht enthalten ist, verfängt nicht. Dieser Zusatz ist lediglich ein Hinweis auf die erforderliche Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme und hier insbesondere auf die Erforderlichkeit. Eine Maßnahme ist dann nicht erforderlich, wenn ein milderes gleich effektives Mittel vorhanden ist. Eine Beseitigungsverfügung ist die tiefgreifendste bauordnungsrechtliche Maßnahme. Sie ist mit der Beseitigung der baulichen Substanz verbunden und muss demnach als ultima ratio angesehen werden. Demnach muss es als milderes Mittel möglich sein, statt einer Beseitigungsanordnung eine Nutzungsuntersagung zu verhängen, wenn hierdurch rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Andersrum ist eine Nutzungsuntersagung bereits das mildeste Eingriffsmittel, da diese nicht in die bauliche Substanz eingreift. Der lediglich deklaratorische Zusatz des § 82 S. 1 BauO NRW ist in S. 2 somit aus mehreren Gründen nicht erforderlich und muss deswegen dort auch nicht hineingelesen werden.

Dass von einer Baugenehmigung die Art der Nutzung mit genehmigt wird, ist zutreffend[9], ändert jedoch nichts daran, dass eine Nutzungsänderung etwas anderes ist als eine Nutzungsaufnahme. Eine solche Auslegung widerspricht auch der klaren Trennung der Begriffe sowohl in § 82 BauO NRW (bzw. Art. 76 BayBO) wie auch der gesamten BauO, die zwischen diesen Begriffen eindeutig differenziert.[10] So wird auch zum entsprechenden Art. 76 BayBO vertreten, dass reine Nutzungsänderungen ohne Änderungen der baulichen Substanz nicht unter S. 1, sondern unter S. 2 fallen.[11]

Der eindeutige Wortlaut des § 82 BauO

Bei einer reinen Nutzungsänderung gibt es in der Regel schon einen vormals genehmigten rechtmäßigen Bestand. Sollte dieser Bestand nie rechtmäßig gewesen sein, so ist bezüglich der Beseitigungsanordnung nicht auf die Nutzungsänderung, sondern auf die ursprünglich rechtswidrige Errichtung/Änderung abzustellen. Dafür müsste allerdings zunächst eine etwaig erteilte Baugenehmigung zurückgenommen werden (§ 48 VwVfG NRW). Im Anschluss daran könnte dann die Beseitigung verfügt werden. Hierdurch wird der Anknüpfungspunkt der Maßnahme verschoben. Es wird nicht mehr an die Nutzungsänderung, sondern an die ursprüngliche Errichtung/Änderung angeknüpft. Dies führt dazu, dass der Wortlaut der Normen eingehalten werden kann. Sollte die Beseitigungsanordnung dann aus anderen Gründen nicht möglich sein, beispielsweise, weil eine bestandskräftige Baugenehmigung vorhanden ist, die wegen Fristablaufs (§ 48 Abs. 4 VwVfG NRW) nicht mehr zurückgenommen werden kann, so muss die Behörde dieses Ergebnis hinnehmen. Auf diese Art und Weise werden keine Fristen umgangen und der Wortlaut des § 82 BauO NRW wird nicht unzulässig überdehnt. Sollte eine Beseitigungsanordnung dann nicht möglich sein, eine vormalige Baugenehmigung aber wegen Nutzungsänderung keinen Bestandsschutz mehr vermitteln, so kann dies zu dem Ergebnis führen, dass eine bauliche Anlage nicht genutzt werden darf, aber von der Behörde keine Beseitigung verfügt werden kann. Dies ist auf Grund des eindeutigen Wortlautes des § 82 BauO NRW hinzunehmen und kann verhindert werden, wenn rechtzeitig gegen die illegale Errichtung baulicher Anlagen bzw. deren illegale Nutzung vorgegangen wird.

Eine analoge Anwendung des § 82 S. 1 BauO NRW auf Fälle der Nutzungsänderung scheidet aufgrund des klaren Wortlauts der Norm aus. Eine Regelungslücke ist nicht vorhanden. Es ist möglich, den Anknüpfungspunkt der Maßnahme zu verschieben. Sollte die Beseitigungsverfügung dann aus anderen Gründen – beispielsweise des Fristablaufs des § 48 Abs. 4 VwVfG NRW im Zuge der Rücknahme der Baugenehmigung – nicht möglich sein, so begründet dies gerade keine Regelungslücke. Das Ergebnis würde der Regelungssystematik im Zusammenhang mit Genehmigungen entsprechen. Darüber hinaus ist auch für eine Planwidrigkeit nichts ersichtlich, da diese Regelung bereits in der MBauO seit 1997 enthalten war und seitdem hätte geändert bzw. anders übernommen werden können.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass es nicht möglich ist, eine Beseitigungsverfügung bei einer reinen Nutzungsänderung zu verfügen. Dies gilt zumindest für die Fälle, in denen an die Nutzungsänderung angeknüpft wird. Ein solches Vorgehen widerspricht eindeutig dem Wortlaut des § 82 BauO NRW. Eine Beseitigungsanordnung ist lediglich dann möglich, wenn der Anknüpfungspunkt für diese Maßnahme verschoben und bereits an die ursprüngliche Errichtung bzw. Änderung der Anlage angeknüpft wird.

[1] Gädtke/Johlen, BauO NRW, 13. Auflage 2019, §3 Rn. 24.

[2] Gädtke/Johlen, BauO NRW, 13. Auflage 2019, §3 Rn. 27.

[3] Gädtke/Johlen, BauO NRW, 13. Auflage 2019, §3 Rn. 27.

[4] S. NRW LT-Drs. 17/2166.

[5] Dietlein/Burgi/Hellermann, Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen, 5. Auflage 2014, §4 Rn. 294.

[6] BVerwG, Beschluss vom 21. Juni 1994 – 4 B 108/94 –, Rn. 4, juris.

[7] Vgl. BeckOK BauordnungsR NRW/Keller, 3. Ed. 1.12.2019, BauO NRW 2018 § 82, Einl.

[8] VG München, Urteil vom 28. Juli 2014 – M 8 K 13.5757 –, Rn. 33-36, juris.

[9] BVerwG, Beschl. v. 21.06.1994 – 4 B 108/94 -, juris; Beschl. v. 09.09.2002 – 4 B 52/02 –, juris.

[10] So beispielsweise auch in §60 BauO NRW.

[11] BeckOK BauordnungsR Bayern/Manssen, 14. Ed. 1.3.2020, BayBO Art. 76 Rn. 12.

 

Julian Rahe

Doktorand an der Universität Bielefeld, Rechtsreferendar am LG Bielefeld
 

Max Weber

Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Prof. Dr. Kotulla, Universität Bielefeld, Rechtsreferendar am LG Bielefeld
n/a