15.01.2015

10 H – Der Bayerische Weg

Relative Privilegierung von Windenergieanlagen

10 H – Der Bayerische Weg

Relative Privilegierung von Windenergieanlagen

Die bayerische 10 H-Regelung: Wie wird sich das Investitionsklima für Erneuerbare Energien in Bayern entwickeln? | © chungking - Fotolia
Die bayerische 10 H-Regelung: Wie wird sich das Investitionsklima für Erneuerbare Energien in Bayern entwickeln? | © chungking - Fotolia

Wesentlicher Inhalt der Neuregelung zur Windenergie in Bayern

Am 01. 08. 2014 ist die Länderöffnungsklausel für Windenergieanlagen in § 249 Abs. 3 BauGB in Kraft getreten, wonach die Bundesländer durch Landesgesetz bestimmen dürfen, ab welchem Abstand zur Bebauung die gesetzliche Privilegierung von Windenergieanlagen gem. § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB greift. Der bayerische Landesgesetzgeber hat von dieser Länderöffnungsklausel Gebrauch gemacht. Mit Gesetz vom 17. 11. 2014, in Kraft getreten am 21. 11. 2014, wurde eine entsprechende Ausführungsbestimmung in Art. 82 BayBO aufgenommen (BayGVBl S. 478).

Nach dieser Regelung greift die gesetzliche Privilegierung für Windenergieanlagen gem. § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB nur noch ab einem Abstand zur Wohnbebauung vom Zehnfachen der jeweiligen Anlagenhöhe. Dieser Abstand wird von der zulässigen Bebauung gemessen (Art. 82 Abs. 2 Satz 2 BayBO). Es kommt mithin nicht darauf an, dass die Gebäude bereits tatsächlich errichtet sind. Die Bebauung muss in einem Plangebiet nach § 30 BauGB oder in einem Innenbereich nach § 34 BauGB oder im Bereich einer Außenbereichssatzung nach § 35 Abs. 6 gelegen sein. Gebiete, in denen Wohnbebauung nur ausnahmsweise zulässig ist, wie z. B. Betriebsleiterwohnungen von Gewerbegebieten, unterfallen nicht der 10 H-Regelung, so dass von der diesbezüglichen Bebauung kein entsprechender Abstand eingehalten werden muss.

Rechtliche Konsequenz der Neuregelung: Entstehung von Privilegierungskorridoren

Nach der neuen Regelung in Art. 82 BayBO gilt für Windenergieanlagen in Bayern nur noch eine relative Privilegierung abhängig von der jeweiligen Anlagenhöhe und abhängig vom zur Wohnbebauung einzuhaltenden Abstand. In der Innenzone, also dort, wo der Abstand vom Zehnfachen der Anlagenhöhe zur Wohnbebauung nicht eingehalten wird, findet die gesetzliche Privilegierung nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 keine Anwendung mehr. Dies bedeutet, dass Windenergieanlagen dort nur noch dann genehmigt werden können, wenn eine Zulässigkeit nach § 35 Abs. 2 und 3 BauGB anzunehmen ist oder wenn die Fläche als Sondergebiet für Windenergieanlagen in einem Bebauungsplan nach § 30 BauGB ausgewiesen wurde.


Im erstgenannten Fall einer Beurteilung der Zulässigkeit von Windenergieanlagen am Maßstab des § 35 Abs. 2 und 3 BauGB wird die Genehmigung im Regelfall abgelehnt werden, weil öffentliche Belange des § 35 Abs. 3 BauGB nahezu immer beeinträchtigt werden. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die Beeinträchtigungsschwelle für öffentliche Belange nach § 35 Abs. 3 BauGB niedrig anzusetzen ist. In der Regel werden zumindest die öffentlichen Belange des Schutzes des Landschaftsbildes vor Verunstaltung beeinträchtigt. Zudem lösen derartige Anlagen nicht selten einen planerischen Koordinationsbedarf als ungeschriebenen Belang i. S. d. § 35 Abs. 3 BauGB aus.

Hat die Gemeinde hingegen in einem Bebauungsplan ein Sondergebiet für Windenergieanlagen ausgewiesen, wurde die notwendige planerische Abwägung bereits von der Gemeinde im Rahmen der Bauleitplanung vorgenommen. Ist der Bebauungsplan wirksam, so ist die Genehmigung zur Errichtung einer Windenergieanlage im Sondergebiet für Windenergie gem. § 30 BauGB zu erteilen. Auf die Privilegierung nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB kommt es dann nicht mehr an, so dass die „10 H-Regelung” dann nicht greift.

In der Außenzone, also dort, wo der Abstand vom Zehnfachen der Anlagenhöhe eingehalten wird, greift hingegen auch in Bayern weiterhin die gesetzliche Privilegierung. Dies bedeutet, dass Genehmigungen im Regelfall zu erteilen sind, wenn nicht standortspezifisch besondere Gründe der Genehmigungserteilung widersprechen. Möchten Gemeinden in dieser Außenzone Windenergieanlagen verhindern, sind sie weiterhin auf das Instrument der Konzentrationszonenplanungen gem. § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB angewiesen.

Die Abhängigkeit des gesetzlichen Abstandes zur Anlagenhöhe führt dazu, dass sich unterschiedliche Privilegierungskorridore je nach Anlagenhöhe ergeben. Im Bereich eines Abstands von beispielsweise 1.600 m bis 1.800 m sind künftig nur noch Anlagen mit einer Gesamthöhe von unter 180 m privilegiert zulässig. Ab einem Abstand von 1.800 m zur Wohnbebauung bis 2.000 m sind nur noch Anlagen mit einer Gesamthöhe von unter 200 m privilegiert. Anlagen ab einer Gesamthöhe von 200 m sind nur noch in einem Abstand von mindestens 2.000 m zur Wohnbebauung privilegiert zulässig.

Handlungsempfehlungen für Gemeinden

Für die Frage, ob für eine Gemeinde Handlungsbedarf zur Aufstellung einer Konzentrationszonenplanung weiterhin besteht, sollte folgende dreistufige Prüfung durchgeführt werden:

1. Stufe:

Prüfung, ob es im Gemeindegebiet Flächen gibt, die mindestens 1.600 m von der Wohnbebauung entfernt liegen.

2. Stufe:

Prüfung anhand des Windatlas Bayern 2.0, ob die Errichtung von Windenergieanlagen in diesem Bereich denkbar ist (Windgeschwindigkeit von mindestens 5,0 m/s auf 130 m Nabenhöhe).

3. Stufe:

Prüfung der Schutzwürdigkeit der ermittelten Flächen, auf denen die Privilegierung weiterhin gilt.

Kommt die Gemeinde zu dem Ergebnis, dass Handlungsbedarf nach den vorgenannten Prüfungsstufen besteht, weil alle drei Stufen zu bejahen sind, sollte ein Steuerungskonzept ausgearbeitet werden. Die Gemeinde kann zwar bei Eingang eines Antrages auf Errichtung einer Windenergieanlage eine einjährige Zurückstellung beantragen, die unter Umständen um ein weiteres Jahr verlängert werden kann (§ 15 Abs. 3 BauGB). Die wirksame Zurückstellung setzt jedoch voraus, dass die Gemeinde bereits konkrete Steuerungsvorstellungen entwickelt hat. Den Gemeinden wird deshalb empfohlen, bei Handlungsbedarf nach den vorgenannten Stufen ein Steuerungskonzept vorzubereiten. Die förmliche Planung und der Beginn des Flächennutzungsplanverfahrens kann dann aufgeschoben werden, bis ein entsprechender Antrag eingereicht wird. Hat die Gemeinde ein entsprechendes Steuerungskonzept vorbereitet, kann sie auch kurzfristig eine Zurückstellung gem. § 15 Abs. 3 BauGB beantragen.

Übergangsregelung für bestehende Flächennutzungspläne

Bei den Gemeinden in Bayern, die bereits Konzentrationszonenplanungen nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB bis zum 21. 5. 2014 in Kraft gesetzt haben, findet die Sonderregelung des Art. 82 Abs. 4 BayBO Anwendung. Demnach gilt in diesen Gemeinden grundsätzlich nicht die 10 H-Regelung, sondern die jeweilige Konzentrationsflächenplanung. Die Geltung der Konzentrationsflächenplanung kann jedoch dadurch außer Kraft gesetzt werden, dass die jeweilige Gemeinde nach Art. 82 Abs. 4 Nr. 2 BayBO der Fortgeltung der Konzentrationszonenplanung durch ortsüblich bekannt zu machenden Beschluss widerspricht. Die Fortgeltung der Konzentrationszonenplanung kann auch dadurch verhindert werden, dass eine Nachbargemeinde widerspricht, in deren Gemeindegebiet Wohngebäude in Gebieten i. S. d. Art. 82 Abs. 1 BayBO in einem geringeren Abstand als dem Zehnfachen der Anlagenhöhe stehen oder zulässig sind. Auch dieser Widerspruch der Nachbargemeinde muss bis spätestens zum 21. 05. 2015 durch ortsüblich bekannt zu machenden Beschluss erfolgen.

Fazit: Regelungsvorbild für andere Bundesländer?

Durch die neue landesgesetzliche Regelung zur Privilegierung von Windenergieanlagen wird die Planungshoheit der Kommunen gestärkt. Die Kommunen können innerhalb des Abstandes vom Zehnfachen der Anlagenhöhe durch Sondergebietsausweisungen Windenergieanlagen ermöglichen. Außerhalb dieses Abstandes sind weiterhin Konzentrationszonenplanungen möglich. Die bereits aufgestellten Konzen-trationszonenplanungen gelten fort, sofern diese zum Stichtag 21. 05. 2014 bereits in Kraft getreten sind. Die Gemeinden können jedoch durch ihr Widerspruchsrecht gem. Art. 82 Abs. 4 BauGB trotz ihrer bisherigen Konzentrationszonenflächenplanung zur Anwendung der „10 H-Regelung” optieren.

Aus dem Blickwinkel der Projektierung von Windenergieanlagen dürfte es deshalb in Zukunft noch wichtiger werden, auf die Gemeinden zuzugehen und Projekte unter kommunaler Beteiligung zu initiieren. Letztlich werden auch in Zukunft nur diejenigen Windenergieprojekte erfolgreich sein können, bei deren Projektierung auf eine ausreichende Einbindung der Bevölkerung geachtet wurde. Modelle zur kommunalen Beteiligung an der Wertschöpfung können hierzu einen wesentlichen Beitrag leisten (siehe hierzu Reicherzer in DStGB – Dokumentation Nr. 120, Windenergieanlagen – Strategien zur kommunalen Steuerung und Wertschöpfung, S. 11 ff.).

Eine ähnliche Regelung könnte auch in anderen Bundesländern die Planungshoheit der Kommunen stärken. Auf der anderen Seite muss kritisch angemerkt werden, dass die politische Diskussion im Vorfeld der „10 H-Regelung” zu einem positiven Investitionsklima für Erneuerbare Energien in Bayern nicht beigetragen hat.

Hinweis der Redaktion: Zu den Abstandflächen für
Windkraftanlagen siehe auch die Beiträge von Gleich, in: PUBLICUS 2014.5 S. 7 und Böckh, in: PUBLICUS 2014.8 S. 14.

 
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