15.01.2015

Gelungene Konzepte und Praxiseinsätze

Nachhaltiges Hochwassermanagement in einer Metropolregion

Gelungene Konzepte und Praxiseinsätze

Nachhaltiges Hochwassermanagement in einer Metropolregion

Im Emscher- und Lippegebiet werden rund 200 km Deichstrecken mit beträchtlichen Höhen bewirtschaftet.|©
Im Emscher- und Lippegebiet werden rund 200 km Deichstrecken mit beträchtlichen Höhen bewirtschaftet.|©

Emschergenossenschaft und Lippeverband sind als regionaler Träger der Wasserwirtschaft für ein 4.100 km² großes Gebiet mit 3,7 Mio. Einwohnern zuständig. Nach ihren Verbandsgesetzen sind sie für die Regelung des Wasserabflusses einschließlich Ausgleich der Wasserführung und Sicherung des Hochwasserabflusses verantwortlich. Die Verbindung von Planung, Bau und Betrieb ganzer Flussgebiete oder -abschnitte führt zu mannigfaltigen Synergien sowie zu einem integrierten Hochwassermanagementkonzept. Die Aufgaben des Hochwassermanagements haben bereits historisch bedingt einen hohen Stellenwert, der durch die aktuellen Aspekte des Klimawandels an Bedeutung gewinnt.

Im Rahmen einer Hochwasserstrategie werden von Emschergenossenschaft und Lippeverband neben dem sicheren Betrieb der technischen Anlagen auch klassische Nachhaltigkeitsziele der Ökonomie und Ökologie verfolgt. Die Kernziele der Bewirtschaftung sind eingeordnet in eine soziale Verantwortung für die Region und die Schonung von Umwelt- und Naturressourcen. Dies kann am besten auf der Grundlage einer Risikoanalyse und -bewertung umgesetzt werden. Sie orientieren sich beim Hochwassermanagement an den im gesellschaftlichen Konsens entwickelten Hochwasserschutzzielen. Neben der Beachtung betriebswirtschaftlicher Grundsätze für eine effiziente und kostenoptimierte Instandhaltung hat die Sicherheit des Anlagenbetriebes höchste Priorität.

Im Emscher- und Lippegebiet werden rund 200 km Deichstrecken mit beträchtlichen Höhen von bis zu 17 m bewirtschaftet. Fortschreitend mit den bergbaulichen Aktivitäten kamen neue Deichabschnitte hinzu. Alte Deiche wurden erneuert, aufgehöht und erweitert. Für einen Deich, der z. B. vor 60 Jahren errichtet wurde, existiert eine andere Datenlage als bei Deichneubauten der jungen Vergangenheit. So haben z. B. die Standsicherheitsnachweise heutzutage ein gänzlich anderes Anforderungsprofil. Aus diesem Grund haben die Verbände ein Deichertüchtigungsprogramm auf den Weg gebracht, um insbesondere für die älteren Deichabschnitte alle Wissenslücken über Deichgeometrie, die verwendeten Baumaterialien und die hydraulischen Belastungen zu schließen. Es soll an dieser Stelle noch einmal verdeutlicht werden, dass schon heute ein hervorragender Hochwasserschutz in der Emscher-Lippe-Region geleistet wird. Es werden mit der dargestellten Vorgehensweise noch zusätzlich wichtige Erkenntnisse gewonnen, die ggf. zukünftig zu einer Ertüchtigung von einzelnen Deichabschnitten führen können. Dadurch wird gewährleistet, den Hochwasserschutz dauerhaft auf einem hohen Niveau zu halten.


Beide Verbände haben seit 2003 Hochwassermanagementkonzepte erstellt, die ständig weiterentwickelt und neuen Aspekten und Gesichtspunkten angepasst werden. Vor allem im Zuge der fortschreitenden ökologischen Umgestaltung der vom Bergbau geprägten Gewässer werden laufend Kontrollen über Gültigkeit und Wirksamkeit einzelner Strategien durchgeführt. Auch im Hinblick auf eventuelle Auswirkungen durch den Klimawandel müssen die Hochwassermanagementkonzepte dynamisch gestaltet sein. Um aus der Palette der Möglichkeiten, mit Hochwasser umzugehen, passende Lösungen für die einzelnen Gewässer auszuwählen, wird differenziert abgewogen.

Gerade die regional voraussichtlich zunehmenden Starkregenereignisse als Folge der klimarelevanten Veränderung der Niederschlagsverteilung stehen in einem besonderen Fokus der Aufgaben der Verbände. Angesichts der Unsicherheiten in den Klimaprojektionen wird auf nachhaltig wirkende Maßnahmen, die langfristig wirken und kosteneffizient angepasst werden können, gesetzt. Dazu zählt ganz wesentlich die Schaffung und Bewahrung kleiner Retentionsräume und Gewässerentwicklungsmaßnahmen, um mindernd auf die Abflussentstehung und verlangsamend auf die Abflusstranslation zu wirken. Im Rahmen des Forschungsprojekts „Future Cities” wurden z. B. vom Lippeverband in Kooperation mit zwölf Partnern aus europäischen Nachbarländern Anpassungsstrategien auf diesen Hinblick untersucht. Im Pilotgebiet Unna wurde das Projekt Umgang mit Sturzfluten aus Starkregen durchgeführt (www.stark-gegen-starkregen.de).

Im Einzugsgebiet der Emscher wird die Zukunftsinitiative „Wasser in der Stadt von morgen” umgesetzt. Sie beinhaltet dezentrale Maßnahmen, wie Regenwasserversickerung im städtischen Raum und Schaffung von vielen kleinen Retentionsräumen zur Verlangsamung der Abflussbildung. Grundsätzlich dient die Reduzierung der Abflussbereitschaft in der Fläche nicht nur dem Hochwasserschutz, sondern sie entlastet das Kanalnetz und stärkt auch die Niedrigwassersituation. Eine „Wasserwirtschaft aus einer Hand”, wie sie in den betrachteten Flussgebieten durch die Emschergenossenschaft zum Tragen kommt, hat selbstverständlich auch die Wechselwirkungen von Regenwasser- und Grundwasserbewirtschaftung im Fokus. Mit dieser Vereinbarung bekennt sich die Emscher-Region in einzigartiger Weise zu dem regionalen Konsens, in den nächsten 15 Jahren 15 % des Regenwasserabflusses von der Kanalisation abzukoppeln.

Darüberhinaus werden von Emschergenossenschaft und Lippeverband im Rahmen ihrer Hochwassermanagement-Konzepte Pumpwerksrisikostudien für ihre betrieblichen Belange durchgeführt. Die Ereignisse wie das Starkregen- ereignis vom 26. Juli 2008 in Dortmund oder in Hamm am 28. 07. 2014 in Verbindung mit einem Pumpwerksausfall zeigten, wie verwundbar vor allem Anlagen sind, die von der Stromversorgung abhängen. Dabei wird untersucht, welche potenziellen Überschwemmungsgebiete und Schäden sich ergeben, wenn die Pumpwerke durch fehlende Stromversorgung ausfallen. Zur systematischen Risikoabschätzung solcher Ereignisse sind vielfältige raumbezogene Informationen und Vorleistungen erforderlich. Es werden Kanalnetzdaten, digitale Geländemodelle und Pumpwerksinformationen zur Analyse benötigt. Mit den Pumpwerksrisikostudien wird ein Maßnahmenbündel realisiert, das die Hochwasservorhersage, die Erhöhung der Versorgungssicherheit, die Notfallkommunikation, die Ein-/Überstausicherheit von Pumpwerken, die Rufbereitschaft und den Inselbetrieb von Kläranlagen beinhaltet. Die ermittelten Überflutungsflächen sind auch in den Gefahrenkarten der europäischen Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie dargestellt.

Für ein nachhaltiges Hochwassermanagement sollte auch die Sicherung von Überschwemmungsflächen wie aber auch die Nutzung von Bewirtschaftungspotenzialen vorhandener wasserwirtschaftlicher Infrastrukturen angegangen werden. Mit der Rückverlegung der Lippedeiche zwischen Lippramsdorf, Marl und Haltern wird der Hochwasserschutz für die Region wesentlich verbessert und die Hochwassergefahr auch für die Unterlieger wie Dorsten gemindert. Auch der neue Phoenixsee in Dortmund wird als Retentionsraum genutzt und schützt die unterliegenden dicht besiedelten Städte.

Wesentlicher Bestandteil der Hochwassermanagementkonzepte bei Emschergenossenschaft und Lippeverband ist die automatisierte im Online-Modus betriebene Hochwasservorhersage, so dass eine dauernde Kontrolle der Hochwassergefahr erfolgen kann. Als Modelleingangsdaten für die Hochwasservorhersagemodelle „Emscher” und „Lippe” werden sowohl verbandseigene terrestrische Niederschlagsmessungen als auch Radardaten des DWD verwendet. Zusätzlich werden Niederschlagsvorhersagen des DWD für die Abflussvorhersage genutzt. Die Hochwasservorhersage ist in einem umfassenden Hochwasserinformationssystem integriert, das kontinuierlich weiterentwickelt wird. In diesem System sind hochwasserrelevante Informationen zusammengefasst und eine Visualisierung der Informationen und Berechnungsergebnisse enthalten, so dass im Ereignisfall ein schneller Zugriff möglich ist. Durch die Intranet basierte Darstellung wird sichergestellt, dass alle hochwasserschutzrelevanten Betriebsbereiche in Verbandsgebieten ständig informiert sind und ein optimaler Einsatz der Betriebsmannschaft möglich ist.

Hochwassermanagement ist eine Gemeinschaftsaufgabe der Ressorts Wasserwirtschaft, Raumplanung, Umwelt usw., in der integrative Maßnahmen einen nachhaltigen Lösungsweg darstellen. Wenn die Umsetzung solcher Maßnahmen als Managementaufgabe begriffen wird, gilt es, die Schnittstellen zwischen Wasserverband und Kommunen kompetent zu bearbeiten. Ganz deutlich wird hierbei, dass nur in einem aktiven Dialog mit allen beteiligten Akteuren tragfähige Ergebnisse und Lösungsansätze, mit denen die Vulnerabilität verringert werden kann, erzielt werden können. Dabei ist die Eigenvorsorge der Bürger zum Objektschutz ein wichtiger Baustein im Hochwasserschutz. Diesen Dialog weiter zu fördern und aktiv entsprechende Maßnahmen umzusetzen, sind wesentliche Ziele des Hochwassermanagements von Emschergenossenschaft und Lippeverband.

Hinweis der Redaktion: Der Autor war Referent bei der Fachveranstaltung acqua alta, die am 18. und 19. November erstmals in der Messe Essen zu neuen Lösungsansätzen für den innovativen Hochwasserschutz und das Katastrophenmanagement stattfand (siehe PUBLICUS 2014.10, S. 35, und Veranstaltungsbericht in dieser Ausgabe auf S. 38).

 
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