22.10.2018

Wie weiter?

Die Kostentragung für Straßen(aus)bau in Gemeinden – Teil 2

Wie weiter?

Die Kostentragung für Straßen(aus)bau in Gemeinden – Teil 2

Über die Frage der Finanzierung von Straßenbaumaßnahmen wird nach wie vor heftig gestritten. | © Thomas Söllner - stock.adobe.co
Über die Frage der Finanzierung von Straßenbaumaßnahmen wird nach wie vor heftig gestritten. | © Thomas Söllner - stock.adobe.co

Teil 1 des Beitrags setzte sich mit dem Mitte des Jahres vom Bayerischen Landtag beschlossenen Verzicht auf Beiträge für „Straßenausbaubeitragsmaßnahmen“ bzw. mit der Reichweite der Neuregelung auseinander. Teil 2 befasst sich mit den politischen und rechtlichen Argumenten gegen grundstücksbezogene Straßenbaubeiträge.

Grenzüberschreitende Verkehrsbewegungen

Die formal-systematische Verknüpfung von öffentlichen Gemeindestraßen und (sonstigen) kommunalen öffentlichen Einrichtungen (Art. 21 BayGO, §§ 19 f. HGO) führt dazu, dass die reale Einbindung lokaler Verkehrswege in das größere, überörtliche, regionale und bundesweite Straßennetz im Hinblick auf die (Re-)Finanzierung nicht angemessen erfasst wird, denn eine örtliche Abgrenzung von Vorteilen (Nutzen) und Begünstigten ist zwar angesichts der bestehenden gegeneinander abgegrenzten Gebietshoheiten unumgänglich, bleibt aber immer relativ; Verkehrsbewegungen erfolgen oft mehrfach grenzüberschreitend. Zudem dürfte der mit einer Abgabenerhebung von Verkehrsteilnehmern einhergehende Aufwand letztlich nur im Rahmen einer Verbundverwaltung überschau- und handhabbar sein. Bereits nach geltendem Recht wird dieser funktionale Zusammenhang in Art. 5 Abs. 3 BayGO, § 11 Abs. 4 HKAG aufgegriffen und werden Zweck bzw. letztlich tatsächliche Nutzung von Straßen für anderen als Anliegerverkehr als (am Ende durch sonstige Einnahmen zu deckende) Abzugsposten einbezogen.

Typisierung und Standardisierung bei Massenvorgängen wie der Abgabenerhebung (auch bei Gebühren oder Beiträgen) sind nicht per se eine Verletzung der Belastungsgleichheit und damit bei einer relevante Unterschiede angemessen berücksichtigenden Ausgestaltung mit Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 118 Abs. 1 BayVerf. vereinbar. Jedoch gilt das nur dann, wenn die aktuellen Möglichkeiten und (rechtlichen) Grenzen im Hinblick auf verbesserte (technische) Datenerhebung und -zuordnung hinreichend in Betracht gezogen werden. Eine verursachergerechte Gestaltung der Straßenbaurefinanzierung sollte daher auch auf lokaler Ebene zumindest als ernsthafte alternative Regelung zu grundstücksbezogenen Abgaben-/Beitragslasten erwogen werden.


Konzeptionelle Mängel

Denn das noch in der Mehrzahl der Bundesländer geltende Recht der Straßenbaubeiträge leidet an einem grundlegenden konzeptionellen Mangel, der ohnehin eine generelle Revision der einschlägigen Bestimmungen erfordert, zumal damit ein Verstoß gegen Grundrechte von zur Abgabe herangezogenen Personen, nämlich gegen Gleichheitsgrundsatz und Handlungsfreiheit verbunden ist. Sowohl bei einmaligen als letztlich auch bei wiederkehrenden Straßenbaubeiträgen soll eine „qualifizierte Inanspruchnahmemöglichkeit“ des angrenzenden Verkehrswegs die Grundlage und sachliche Rechtfertigung einer daran anknüpfenden Beitragspflicht bilden, indem nur Anliegergrundstücke bzw. deren Eigentümer oder Erbbauberechtigte damit belastet werden, § 11 Abs. 1 S. 4, Abs. 7 HKAG; bei wiederkehrenden Beiträgen ändert bzw. erweitert sich allein der davon erfasste, aber ebenfalls wieder durch Grundstücksbezug abgegrenzte Teil der Einwohner in Abrechnungsgebieten, § 11a Abs. 2 – 2b HKAG. Diese Perspektive ist einseitig bzw. verkürzt, denn dabei bleiben unberücksichtigt die mit der jeweiligen örtlichen Lage (an einer Straße) notwendig einhergehenden und durch die von der Abgabe betroffenen Personen nicht vermeidbaren Nachteile, die für die jeweiligen Grundstücke wegen ihrer Nähe durch Verkehrsimmissionen entstehen, so dass auch das in der Folge erforderliche Abstellen auf einen Saldo des Straßen-„Nutzens“ als einer Bilanz von durch die jeweilige „Lage“ hervorgerufenen Vor- und Nachteilen nicht erfolgt.

Dieses Manko lässt sich weder durch das generelle Schonungsgebot in § 10 S. 2 HGO vermeiden oder verringern noch wird ihm konzeptionell durch den Abzug nach § 11 Abs. 4 HKAG Rechnung getragen, da dort der Immissionsaspekt ebenfalls nicht einbezogen wird. Schließlich bildet auch das in § 11 Abs. 5 S. 1 HKAG normierte – und durch § 11 Abs. 5 S. 2, 3 wieder relativierte – Differenzierungsgebot bei „Vorteilen“ für einzelne Beitragspflichtige keine Lösung, weil es erst auf der Ebene der Verteilung zwischen den Beitragspflichtigen ansetzt, jedoch nicht schon die „Nachteile“ als solche erfasst.

Zu der schon im Ansatz verfehlten herkömmlichen Konzeption kommt hinzu, dass es der (Landes-)Gesetzgeber bisher versäumt hat, die im Hinblick auf den Parlamentsvorbehalt für Grundrechtseingriffe notwendige (allgemeine) Regelung zur Ermittlung eines bezogen auf durch einen (Ausbau-)Beitrag abschöpfbaren „Gebrauchswerts“ zu treffen, d.h. den durch die „qualifizierte Inanspruchnahmemöglichkeit“ erwachsenden Nutzen genauer zu bestimmen – falls eine solche Größe überhaupt existiert. Es fehlt an Vorschriften zu Verfahren und Vorgang der Bewertung (und zudem der Abgrenzung gegenüber anderen gesetzlich z.B. im BauGB oder BewG definierten „Werten“). In der Praxis bzw. von Gerichten verwendete herkömmliche Maßstäbe für den Wert(zuwachs) haben keine explizite oder konkrete normative Verankerung und beruhen allenfalls auf Wahrscheinlichkeit oder Erfahrungswerten. Die „Verteilungsmaßstäbe“ (§ 11 Abs. 6 HKAG) setzen derzeit letztlich darauf auf, dass zuvor eine Bemessung der Begünstigung im Rahmen einer exakten und transparenten „Kalkulation“ (s. § 11 Abs. 9) erfolgt ist; die „Kalkulations“-Basis selbst bleibt normativ im Dunkeln. Damit ist auch offen, ob und wie weit die im Gesetz genannten Kriterien den „Nutzen“ (als Basis und Grenze der Beitragspflicht wie des Kreises der Beitragspflichtigen) hinreichend (differenzierend) abbilden.

Klare Kompetenzverteilung

Der Vorbehalt landesgesetzgeberischer Vorgaben für (Straßenbau-)Beiträge beinhaltet auch, dass eine hinreichend klare Kompetenzverteilung für Abgaben-, speziell Beitragsregelungen im Verhältnis landesgesetzlicher (Rahmen-) und kommunaler (Konkretisierungs-/Ausführungs-)Vorschriften, also Abgaben-Satzungen, getroffen wird, vor allem im Hinblick auf die notwendige Berücksichtigung von Ortsnähe und lokalen Besonderheiten durch die örtlichen Organe, etwa wann ein Aus-, Um- oder Neubau ansteht, was dabei angemessen und technisch möglich ist, wie örtlich passend abgegrenzt und zugeordnet wird. Hingegen ist die definitorische Konkretisierung von Erweiterung/Erneuerung im Unterschied zur Unterhaltung/Instandsetzung keine lokale Angelegenheit, sondern allgemein grundrechtsrelevant und damit Sache des jeweiligen Landesparlaments.

Verfassungsrecht oder Rechtspolitik ?

Das BVerwG hat in einer neuen Entscheidung (Urt. v. 21.6.2018, 9 C 2.17) – Bezug nehmend auf das BVerfG-Urteil von 2014 – die zuvor angesprochenen Probleme leider nicht aufgegriffen, sondern sieht sie wohl als „rechtspolitische Frage“. Straßenbaubeiträge dienten der Abgeltung eines Sondervorteils des Grundstückseigentümers, der „in der Gewährung und Erhaltung der Möglichkeit, vom Grundstück aus auf eine – weiterhin funktionstüchtige – öffentliche Verkehrsanlage gehen oder fahren zu können“, bestehe, was sich „positiv auf den Gebrauchswert des Grundstücks“ auswirke. Die im konkreten Fall relevante grundlegende Sanierung einer überwiegend dem innerörtlichen Durchgangsverkehr dienenden Straße nach knapp 50-jähriger Nutzungsdauer mag in Bezug auf die Einordnung ein „hard case“ sein; „bad law“ (bzw. kritikwürdige Judikatur) hätte sich aber vermeiden lassen, wenn der angebliche grundstücksbezogene Vorteil eingehender analysiert worden wäre, anstatt mit vom Gesetzgeber nicht definierten Größen zu hantieren. Zudem können Beitragsermäßigungen oder -befreiungen in atypischen Einzelfällen nicht die im Regelfall geltende Systemstruktur heilen oder „retten“; kuriert werden damit nur die Symptome; das Grundübel besteht weiter.

 

 

Dr. Ludwig Gramlich, Univ.-Prof. i.R.

früher Technische Universität Chemnitz,
Fakultät für Wirtschaftswissenschaften

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