18.10.2018

„Zur Kita her kommet …“

Der Rechtsanspruch auf frühkindliche Förderung – keine einfache Aufgabe für die Kommunen

„Zur Kita her kommet …“

Der Rechtsanspruch auf frühkindliche Förderung – keine einfache Aufgabe für die Kommunen

Ein Kind hat bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres Anspruch auf frühkindliche Förderung. | © oksix - stock.adobe.com
Ein Kind hat bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres Anspruch auf frühkindliche Förderung. | © oksix - stock.adobe.com

Die legendäre Weisheit Konrad Adenauers, ausgesprochen während der Rentendiskussion 1957, „Kinder kriegen die Leute immer“, stimmte nicht zu allen Zeiten in dem gewünschten Ausmaß, trifft aber in den letzten Jahren wieder vermehrt zu. Seit fünf Jahren steigt die Geburtenrate in Deutschland, zuletzt um sieben Prozent. 2016 wurden in Deutschland 792.131 Babys geboren, 1,57 Kinder pro Frau.  So erfreulich dies ist, für die Kommunen, vor allem für die größeren Städte, stellt diese wachsende Kinderschar eine enorme Herausforderung dar.

Viele Eltern wollen verständlicherweise oder sind sogar darauf angewiesen, möglichst schnell nach der Geburt ihres Kindes bzw. nach der Elternzeit ganz oder teilweise in ihre Berufe zurückzukehren. Wenn die entsprechenden angemessenen Voraussetzungen für eine gerechte Kompatibilität von Familie und Beruf gegeben sind, wird dieses Modell erst so richtig attraktiv.

Obgleich Bund, Länder, Kommunen und Träger in den letzten 10 Jahren mehr als 400.000 Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren geschaffen haben, hinken die zuständigen Kommunen trotz vieler Anstrengungen mit dem Bau neuer Kindertagesstätten bzw. der Einrichtung von anderweitigen Betreuungsplätzen immer noch hinterher. So richtig hat man in der Vergangenheit auf einen Babyboom trotz Adenauers Optimismus dann wohl doch nicht vertraut.


Normativer Anker für frühkindliche Förderung

Seit dem 1.8.2013 hat der Staat bewusst einen Anspruch auf frühkindliche Förderung gesetzlich verankert. Nach § 24 Abs. 2 Sozialgesetzbuch – Achtes Buch – Kinder- und Jugendhilfe – (SGB VIII) hat ein Kind mit Vollendung des ersten bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege. Der Umfang der täglichen Förderung richtet sich nach dem individuellen Bedarf, § 24 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII. Die Vorschrift verleiht damit ein subjektives Recht auf frühkindliche Förderung (BT-Drs. 16/9299).

Wie so oft im Recht liest sich das Gesetz auf den ersten Blick klar und einfach, entfacht aber in der realen Anwendung seine Tücken und Untiefen. Zudem fehlt der Regelung zum Rechtsanspruch der Blick auf die andere Seite, nämlich auf die Seite der kommunalen Träger der öffentlichen Jugendhilfe als Verpflichtete. Das lässt Fragen offen: Was müssen diese tun, um ihre Pflicht zu erfüllen? Gilt der Anspruch immer und ohne Vorbehalte? Wie ist der individuelle Bedarf zu bestimmen?

Neue Entscheidung weckt trügerische Hoffnungen

Nicht verwunderlich, dass die Vorschrift die Rechtsprechung schon länger und bis heute unvermindert heftig beschäftigt. Im Frühjahr sorgte eine Entscheidung des OVG Berlin-Brandenburg erneut für Unruhe (OVG-Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 22.03.2018, 6 S 2/18). Die Presse adelte die  Entscheidung als bahnbrechend für den „Rechtsanspruch trotz Kitamangel“. Berlins Eltern könnten aufatmen: Ihr Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz bestehe unabhängig von vorhandenen personellen oder räumlichen Kitakapazitäten (Tagesspiegel v. 22.03.2018).

Doch hier war wohl mal wieder der Wunsch der Vater bzw. die Mutter des Gedankens. Diese sehr optimistischen Schlussfolgerungen trägt der Eilbeschluss des OVG auf näheren Blick jedoch nicht. Bei einem Eilverfahrens bei dem im Rahmen dessen nur eine summarische Überprüfung erfolgt, gehen die Ausführungen bekanntlich nicht so in die Tiefe wie bei einem Klageverfahren.

Zunächst hat das OVG das juristische Rad nicht neu erfunden. Das Bundesverwaltungsgericht und auch das Bundesverfassungsgericht haben sich bereits im Jahr 2017 umfassend mit den grundsätzlichen Auslegungsproblemen des § 24 Abs. 2 SGB VIII beschäftigt und die Leitlinien gesetzt.

Gerichtlicher Streit um ausreichende Kapazitäten

Nach der Rechtsprechung des BVerwG, der sich das OVG anschließt, unterliegt der Rechtsanspruch auf frühkindliche Förderung keinem Kapazitätsvorbehalt. Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe müsse aktiv bedarfsgerechte Kitaplätze nachweisen und sei verpflichtet, zu gewährleisten, dass ein dem Bedarf in qualitativer und quantitativer Hinsicht gerecht werdendes Angebot an Fördermöglichkeiten in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege vorgehalten wird. Er habe ggf. die vorhandenen Kapazitäten so zu erweitern, dass sämtlichen anspruchsberechtigten Kindern ein ihrem Bedarf entsprechender Betreuungsplatz nachgewiesen werden könne (BVerwG, Urt. 26.10.2017, 5 C 19/16). Damit unterliegt der Anspruch auf frühkindliche Förderung nicht dem Einwand der Kapazitätserschöpfung.  Er ist somit erfüllt, wenn dem anspruchsberechtigten Kind ein Betreuungsplatz nachgewiesen wird.

Einem Kapazitätsvorbehalt unterworfen ist – anders als die Reaktionen auf den o.g. OVG-Beschluss manchen hoffen ließen – hingegen das Recht zur Wahl der Betreuungsform bzw. das Recht zwischen dem Anbieter der frühkindlichen Förderung, einem öffentlich-rechtlichen Träger oder einem freien Träger der Jugendhilfe zu wählen (BVerwG, Urt. 26.10.2017, 5 C 19/16). Entsprechend räumt auch das OVG in seinem Eilbeschluss ein, dass die Kommune seine Verpflichtung aus § 24 Abs. 2 SGB VIII sowohl durch den Nachweis des bedarfsgerechten Betreuungsplatzes in einer Tageseinrichtung als auch in der Kindertagespflege erfüllen kann.

Das Gericht folgt auch insoweit der Rechtsprechung des BVerwG, demzufolge kein Wahlrecht zwischen einer Betreuung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege besteht.  Somit haben die Leistungsberechtigten das Recht, zwischen Betreuungsangeboten in öffentlich-rechtlich betriebenen Tageseinrichtungen und solchen in privatrechtlich organisierten Tageseinrichtungen bzw. Tagespflege zu wählen, nur im Rahmen der jeweils vorhandenen Kapazitäten. Fehlt es an diesen, so muss sich der Anspruchsberechtigte auch auf die Förderung in anderer Form verweisen lassen (BVerwG, Urt. 27.10.2017, 5 C 19/16).

Der Nachweis eines Angebots zur frühkindlichen Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege genügt den Anforderungen des § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VII nur, wenn es dem konkret-individuellen Bedarf des anspruchsberechtigten Kindes und seiner Eltern in zeitlicher und räumlicher Hinsicht entspricht; insoweit bedarf es auch der Mitwirkung der Eltern, den individuellen Bedarf festzulegen (BVerwG, Urt. 27.10.20175 C 19/16).

Pflicht nur im Rahmen der vorhandenen Kapazitäten

Aus alledem folgt, dass die Pflicht, einen Betreuungsplatz zur Verfügung zu stellen, nicht nur im Rahmen der vorhandenen Kapazität besteht. Den Jugendhilfeträger trifft vielmehr eine unbedingte Pflicht, eine ausreichende Zahl von Betreuungsplätzen selbst zu schaffen oder durch geeignete Dritte – freie Träger der Jugendhilfe, Kommunen oder Tagespflegepersonen – bereitzustellen (BVerfG, Urt. vom 21.11.2017, 2 BvR 2177/16). Insbesondere entbinden Fachkräftemangel und andere Schwierigkeiten nicht von der gesetzlichen Pflicht, Kindern, die eine frühkindliche Betreuung in Anspruch nehmen möchten, einen dem individuellen Bedarf gerecht werdenden Betreuungsplatz anzubieten.

Trotz der Möglichkeit, wahlweise Kitaplätze oder Kindertagespflege und auch unabhängig von staatlicher oder freier Trägerschaft, anzubieten, hat die oberste Rechtsprechung den kommunalen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe ein schweres Päckchen geschnürt; da der naheliegende Einwand der „Kapazitätserschöpfung“ dem Rechtsanspruch auf frühkindliche Förderung letztlich nicht entgegengehalten werden kann. Besonders in Großstädten ist es schwer: Es finden sich kaum noch geeignete Grundstücke für den Bau von Kitas. Private Träger suchen verzweifelt bezahlbare Räume.

Wenn die Kommune trotz aller Anstrengungen keinen geeigneten Betreuungsplatz anbieten kann, kommt oft noch eine weitere Folge des Rechtsanspruches des § 24 Abs. 2 SGB VIII zum Tragen. Denn hieraus erwächst für den Jugendhilfeträger zugleich nach der Rechtsprechung des BGH eine entsprechende Amtspflicht, die dann verletzt wird (Schlick, Die Rechtsprechung des BGH zu öffentlich-rechtlichen Ersatzleistungen, NJW, 2018, S. 2513). Damit sehen sich Kommunen nicht selten mit klageweise geltend gemachten Schadensersatzansprüchen konfrontiert. Schnell kommen Klagesummen von 10.000 Euro wegen Lohnausfällen etc. zusammen.

Neues Gute-Kita-Gesetz als „Stern der Hoffnung“

Angesichts der neuen Kinderschar und der damit verbundenen Herausforderungen, was die Kinderbetreuung anbetrifft, sollten die Kommunen diese Herausforderungen schnellstmöglich aufgreifen durch Schaffung neuer Kitas, weiterer Kindertagespflegeplätze, insbesondere Großtagespflegen, sowie Förderung privater Einrichtungen, um dem aktuellen Engpass an Betreuungsplätzen Rechnung zu tragen. Betreuungsvielfalt und Engagement sind gefragt.

Der Bund beabsichtigt aktuell mit einem Gesetz zur Weiterentwicklung der Qualität in der Kindertagesbetreuung (prägnanter „Gute-Kita-Gesetz“) bundesweit die Förderung der Kinderbetreuung zu unterstützen.  Mit dem Gute-Kita-Gesetz will der Bund 5,5 Mrd. Euro in den kommenden vier Jahren bis 2022 investieren. Ziel ist nach dem vorliegenden Referentenentwurf, die Qualität frühkindlicher Bildung, Erziehung und Betreuung in der Kinder-Tagesbetreuung bundesweit weiterzuentwickeln.

Dies begründet die Hoffnung, dass die Kommunen (wenn dort der Geldsegen auch ankommt!) in Zukunft noch besser in der Lage sein werden, eine qualitativ hochwertige frühkindliche Förderung zu gewährleisten. Denn es trifft heute noch mehr zu als damals vor über 30 Jahren, was  Grönemeyer in seinem Lied „Kinder an die Macht“ dichtete: „Die Welt gehört in Kinderhände, dem Trübsinn ein Ende.“

 

Franz Dillmann

Leiter des Bürgeramtes Köln-Rodenkirchen

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