11.10.2018

Im Fokus: Hochschulsicherheit

Professionelle Vorbereitung auf Krisen

Im Fokus: Hochschulsicherheit

Professionelle Vorbereitung auf Krisen

AMOK-Taten psychisch kranker Studenten führen zum Nachdenken. | © OFC Pictures - stock.adobe.com
AMOK-Taten psychisch kranker Studenten führen zum Nachdenken. | © OFC Pictures - stock.adobe.com

Die Gewährleistung der Sicherheit an Hochschulen rückt immer mehr in den Fokus. Auch der Ort der Wissenschaftsfreiheit bleibt nicht verschont vor kriminellen Handlungen oder krisenhaften Ereignissen. Handelt es sich hierbei um Einzelfälle, die keiner besonderen Beachtung bedürfen, oder ist die Implementierung eines Krisenmanagements erforderlich? Deutschlandweit haben Ereignisse zum Nachdenken geführt. Psychisch kranke Studierende, die AMOK-Taten androhen, sexuelle Übergriffe auf Studentinnen, bewaffnete Lehrkräfte und Suizide zeigen deutlich, dass sich die Hochschulen technisch, organisatorisch und personell vorbereiten sollten.

Insbesondere Hochschulen mit internationalen Aktivitäten müssen zunehmend gegenüber ihren Partnerhochschulen im Ausland darlegen, wie sie die Sicherheit der Incomings (Studierende aus dem Ausland in Deutschland) gewährleisten. Die Mobilität der deutschen Studierenden steigt aber auch stetig. Damit verbunden ist das Erfordernis auch für die Sicherheit der Studierenden im Ausland (Outgoings) Sorge zu tragen. Eine Herausforderung für alle Hochschulen.

Problemstellung und Herausforderung

Im Bereich der Schulen gab es, ausgelöst von dem AMOK-Lauf in Erfurt, in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von Aktivitäten. Bundesweit wurden Notfallordner erarbeitet, Schulungen durchgeführt und die Polizeien erstellten Objektakten für diese Einrichtungen, um in Notfällen zielgerichtet agieren zu können. Eine Übertragbarkeit auf Hochschulen der bislang vorliegenden Ergebnisse ist jedoch aus vielen Gründen nicht möglich. Zu unterschiedlich sind Struktur, Organisation und Abläufe.


Während Schulen klare Strukturen mit Alarmierungssystemen, Anwesenheitspflicht, Klassenlehrern und Sekretariat an einem überschaubaren Standort aufweisen, so ist dies bei Hochschulen wesentlich anders.

Hochschulen sind in mehrere autonome Verwaltungseinheiten wie Fakultäten oder Fachbereiche strukturiert. Meist werden mehrere Standorte genutzt und die Vorlesungsräume liegen in der Zuständigkeit der jeweiligen Verwaltungseinheiten. Es kann dazu führen, dass in einem Objekt mehrere divergierende Verantwortlichkeiten gegeben sein können. Sprachalarmierungsanlagen stellen eher eine Seltenheiten dar. In erster Linie können ausschließlich Brandalarmierungssignale ausgesendet werden. Bedingt durch eine fehlende Anwesenheitspflicht kann im Fall einer Evakuierung nicht die Anzahl der im Objekt befindlichen Personen und deren erfolgreiches Verbringen aus dem Objekt festgestellt werden. Auch unterscheidet sich sehr stark die soziale Bindung zu den Studierenden und dem Lehrpersonal. Während in Schulen eine enge Bindung besteht und persönliche Veränderung erkennbar und mit den Eltern zu erörtern sind, kann dies bei Studierenden nicht erfolgen. Aufgrund dessen, dass diese in der Regel erwachsen sind und nicht zwingend an den Vorlesungen teilnehmen müssen, ist ein Kontakt mit den Eltern und das Feststellen von Verhaltensänderungen nur bedingt möglich oder sogar rechtlich unzulässig. Außerdem führt die Größe der Fakultäten oder Fachbereiche dazu, dass das persönliche Verhältnis zwischen Studierenden und Lehrenden stark eingeschränkt ist. Insofern können Probleme oder verhaltensauffällige Studierende nur sehr schwer rechtzeitig erkannt werden.

Auch wenn diese Aussagen nicht pauschal für alle Hochschulen gelten können, so ist der Umgang mit krisenhaften Ereignissen dem Zufall überlassen. Sachverhalte, die ein Handeln erfordern, werden in erster Linie zufällig festgestellt, da es an einem einheitlichen Melde- und Berichtssystem mangelt. Dies gilt auch für das Abarbeiten dieser Ereignisse. Vielfach ist es von dem Engagement einzelner Hochschulangehöriger abhängig. Es fehlt an strukturierten Handlungsabläufen und Rechtssicherheit. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehen sich Problemen gegenübergestellt, die sie nicht verlässlich und fachgerecht lösen können.

Gefahren und Risiken

Die Gefahren und Risiken, die für Hochschulen zutreffend sein können, sind unterschiedlichster Natur und auch nicht einzigartig für derartige Einrichtungen. Hierbei kann es sich zum Beispiel um Brände, technische Störungen, Unfälle, Todesfälle, Naturkatastrophen, aber auch bewaffnete Gewalttäter handeln. Da die Fallzahlen bezogen auf jede einzelne Hochschule als sehr gering einzustufen sind, stellt sich die Frage nach dem Erfordernis. Treten solche Situation jedoch ein, so sollte jede Hochschule darauf vorbereitet sein, da die Hochschulleitung die Verantwortung für ihre Angehörigen trägt.

In diesem Zusammenhang sollte sich jede Hochschule folgende Grundfragen stellen:

  • Ist die Hochschule auf derartige außergewöhnliche Ereignisse vorbereitet?
  • Hat die Hochschule bestimmte Szenarien durchdacht und somit die Handlungsabläufe und Kommunikationsstrukturen festgelegt?
  • Wie schätzt die Hochschule den eigenen Vorbereitungsgrad ein?
  • Welche Möglichkeiten der Vorbereitung gibt es und wurden diese genutzt?

Sachstand an deutschen Hochschulen

Einige Hochschulen in Deutschland haben dieses Problem erkannt und erste Aktivitäten gezeigt. So haben zum Beispiel die Duale Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) Lörrach und die Pädagogische Hochschule Heidelberg jeweils ein Krisenmanagementteam installiert, die Universität Tübingen eine Kommission „Gewaltprävention Tübingen“ gegründet und die Universität Rostock ein Sachgebiet „Logistik und Krisenmanagement“ eingerichtet. An der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin) hat ein Vizepräsident die Ressortszuständigkeit für Hochschulsicherheit übertragen bekommen und ein Krisenmanagementhandbuch entwickelt, welches es in naher Zukunft zu implementieren gilt. Darüber hinaus existiert in Berlin eine AG Krisenmanagement der Hochschulen, die einen Notfallordner erarbeitet hat und sich regelmäßig über deren Implementierung austauscht. Auch der Bundesverband für Hochschulkommunikation (BVHKom) geht der Frage nach, wie in krisenhaften Situationen angemessen zu handeln und zu kommunizieren ist.

Rechtlicher Rahmen

Eine eindeutige gesetzliche Regelung, die Hochschulen zu präventiven Maßnahmen verpflichtet, ist nicht gegeben. Allerdings könnte ein Organisationsverschulden vorliegen, wenn die Hochschule allgemeine organisatorische Anforderungen versäumt. Dieser Unterfall des § 823 BGB könnte zum Schadensersatz führen. Das Organisationsverschulden unterscheidet drei Formen:

  • Selektionsverschulden,
  • Überwachungsverschulden und
  • Anweisungsverschulden.

Fehlende Handlungs- und Arbeitsanweisungen zum Krisenmanagement, obwohl es in der Vergangenheit zu kritischen Ereignissen kam, könnte ein Anweisungsverschulden begründen. Dies gilt auch dann, wenn die vorhandenen Regelungen fehler- oder lückenhaft sind.

KATWARN

KATWARN ist ein einheitliches und deutschlandweites Warn- und Informationssystem. Dieses informiert Personen in einem betroffenen Gebiet über bestimmte Gefahren wie Naturkatastrophen, Brände, Stromausfälle etc.). Die Warnungen erfolgen orts- oder themenbezogen. Es ist sichergestellt, dass die Inhalte nur von offiziellen und autorisierten Stellen erfolgt. Die Nutzung ist kostenlos und kann auf alle Endgeräte heruntergeladen werden. Die Entwicklung des Systems erfolgte durch das Frauenhofer-Institut im Auftrag durch den Verband der öffentlichen Versicherungen. Das System stellt eine Grundlage für die Information von Hochschulangehörigen dar. Die Technik ist auch erweiterbar und sieht die Möglichkeit vor, dass Mitglieder der Hochschule individuell über Ereignisse im In- und Ausland informiert werden können.

Incomings und Outgoings

Nach Angaben des DAAD wurde durch diesen im Jahr 2016 131.229 Personen aus allen Weltregionen gefördert. Die Förderung erreichte 55.754 Ausländer und 75.475 Deutsche. Die Förderprogramme des DAAD richten sich in erster Linie an Studierende, aber auch an Hochschullehrer und Verwaltungspersonal. Diese Angaben sind nur ein Indiz für die hohe Mobilität, da eine Vielzahl von Möglichkeiten des Austauschs bestehen.

Die Planung und Unterstützung der Mobilitäten erfolgt meist über das International Office. Dieses bereitet die deutschen Studierenden auf ihren Auslandsaufenthalt vor und gibt auch Verhaltenshinweise für das Verhalten im Ausland. Der Kontakt während des Auslandsaufenthalts erfolgt ebenfalls über das International Office.

Ereignisse wie zum Beispiel die Reaktorkatastrophe in Fukushima haben jedoch gezeigt, dass bei derartigen Naturkatastrophen eine Kontaktaufnahme nur schwer möglich ist. Der Verbleib und der Gesundheitszustand sind nicht immer sofort feststellbar. Individuelle Reisen von Lehrenden mit Studierenden werden oftmals nicht zentral erfasst, wenn diese nicht gefördert werden. Im Fall eines Ereignisses muss sehr aufwendig recherchiert werden, welche Hochschulangehörigen sich derzeit im Ausland befinden.

Es fehlt der zentrale Überblick über alle Reiseaktivitäten, so dass die Handlungsmöglichkeiten der Hochschulen sehr eingeschränkt sind.

Ausländische Studierende, die an deutschen Hochschulen studieren, sollten ebenfalls betreut werden. Viele ausländische Hochschulen verlangen sogar Sicherheitskonzepte oder fragen zumindest nach den Sicherheitsmaßnahmen, die getroffen wurden. Incomings sollten auf das sicherheitsgerechte Verhalten in Deutschland hingewiesen werden und die Möglichkeit haben, sich bei Problemen an die Hochschule wenden zu können. Ereignisse wie der Terroranschlag am Breitscheidplatz in Berlin haben gezeigt, dass auch hier ein Informationsbedürfnis der ausländischen Hochschulen und der Eltern besteht, ob Studierende Opfer des Anschlags waren. Aber auch andere Probleme, die in einem fremden Land auftreten können, müssen begleitet werden.

Einige Hochschulen haben hierfür Informationsblätter entwickelt. Diese geben Verhaltenshinweise und umfassen die wichtigsten Rufnummern, die es zu wissen gilt (zum Beispiel Feuerwehr, Polizei, International Office, psychologische Beratung).

Notfall-Hotline durch einen Notruf- und Serviceleitstellen

Aufgrund der Struktur von Hochschulen sind die Kommunikations- und Meldewege oftmals nicht eindeutig festgelegt. Für die Hochschulangehörigen sollte der Ansprechpartner für Erstmeldung bei außergewöhnlichen Ereignissen bekannt sein. Ausländische Studierende wenden sich oftmals mit ihren Problemen an das International Office. Allerdings ist eine 24-stündige Erreichbarkeit weder zu erwarten, noch zu leisten. Aus diesem Grund kann das Einrichten einer Notfall-Hotline wesentlich unterstützen, um zeitgerecht zu informieren und Maßnahmen einzuleiten.

Verschiedene Sicherheitsdienstleister bieten mit ihren Notruf- und Serviceleitstellen einen solchen Service an, der auch englischsprachig ist. Vor der Einrichtung sind mit dem Anbieter denkbare Szenarien zu erarbeiten und die Handlungsabläufe sowie Kommunikationswege festzulegen. Die Hochschulangehörigen wenden sich mit allen sicherheitsrelevanten Fragen an diese Hotline. Der Mitarbeiter der Hotline prüft das Anliegen und entscheidet dann über die weitere Verfahrensweise. In Notfällen wird die Feuerwehr oder Polizei alarmiert oder auf diese verwiesen. In allen anderen Fällen leitet der Mitarbeiter die erforderlichen Maßnahmen ein und informiert gegebenenfalls die Hochschulleitung oder das Verwaltungspersonal.

Im Ergebnis ist damit sichergestellt, dass alle Ereignisse zentral erfasst werden, die Hochschulleitung Kenntnis erlangt und zeitgerecht gehandelt wird.

Pressearbeit

Aus dem Bildungsauftrag der Hochschulen heraus und aufgrund der Wissenschaftsfreiheit ist die grundsätzliche Pressearbeit von einer positiven und erfolgreichen Medienberichterstattung geprägt. In Bezug auf Sicherheitsvorfälle und krisenhafte Situationen an Hochschulen ist ein Umdenken unabdingbar. Die Hochschulen müssen sich auch mit diesem Themenbereich auseinandersetzen und Vorbereitungen für den Krisenfall treffen. Im Ereignisfall ist gegebenenfalls eine Hotline einzurichten und zu besetzen.

Notfallordner und Krisenmanagementhandbuch für Hochschulen

Notfallordner für Schulen sind sicherlich ein probates Mittel, um in bestimmten Situationen reagieren zu können. Für einen begrenzten Personenkreis sind diese einsetzbar und führen zur Problemlösung. An Hochschulen ist deren Einsatz jedoch aufgrund der eingangs beschriebenen Strukturen hinsichtlich der Praxistauglichkeit zu hinterfragen. Viele Hochschulen arbeiten mit mehr als 40 % Lehrbeauftragten, die nicht fest in die Organisation eingebunden sind. Notfallordner sind nur dann sinnvoll, wenn deren Inhalt allen betroffenen Personen hinlänglich bekannt sind.

Aus den dargelegten Gründen sollte eine Kombination zwischen der Beschreibung von Szenarien und Handlungsabläufen sowie der Implementierung eines Krisenmanagements erfolgen. Der Vorteil hierbei ist, dass das Krisenmanagement die konzeptionellen, organisatorischen und verfahrensmäßigen Voraussetzungen zur Ereignisbewältigung schafft, ohne hierbei den Einzelfall zu regeln.

Waren die Hochschulen in der Vergangenheit eher passiv und abwartend, so nehmen sie sich zunehmend dieses Themenfeldes an, setzen sich mit den Inhalten auseinander und bereiten sich auf außergewöhnliche Ereignisse vor. Sie schaffen immer mehr die erforderlichen Strukturen, um in einer sogenannten „Besonderen Aufbauorganisation“ die Krise bewältigen zu können.

Krisenmanagementhandbuch

Eine mögliche Lösung ist die Erarbeitung eines Krisenmanagementshandbuchs, das alle wesentliche technischen, organisatorischen und personellen Voraussetzungen regelt.

Inhaltlich umfasst das Krisenmanagementhandbuch folgende Regelungen:

  • Zielsetzung, Begriffsbestimmungen, rechtliche Betrachtung,
  • krisenvorbereitende Maßnahmen wie zum Beispiel Organisation des Krisenstabes,
  • krisenbegleitende Maßnahmen mit Beschreibung des Auslösungsprozesses einer Krise, Alarmierung des Krisenstabes, Zusammensetzung und Aufgaben,
  • Beschreibung von Notfallprozessen,
  • Krisennachbereitung sowie
  • Hinweis auf mitgeltende Dokumente.

Praxistipps

  • Die Sicherheit an Hochschulen ist ein ernst zu nehmendes Thema, welches das Sicherheitsgefühl der Hochschulangehörigen stärkt und zu einem Wettbewerbsvorteil führt.
  • Die Bewältigung von krisenhaften Ereignissen darf nicht dem Zufall überlassen bleiben. Daher sind Verantwortlichkeiten, rechtliche Rahmenbedingungen, Handlungsabläufe und Kommunikationsstrukturen zu klären und verbindlich festzulegen.
  • Ein professionelles Krisenmanagementsystem stellt eine ausreichende Basis für das Handeln im Ernstfall dar. Hierzu zählt auch eine angemessene und entsprechende Pressearbeit.
  • Mit der örtlich zuständigen Polizei ist zu kooperieren. Eine zeitgerechte Zusammenarbeit kann für die Hochschule eine wesentliche Entlastung in Sicherheitsfragen darstellen.
 

Prof. Marcel Kuhlmey

Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR), Berlin

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