Wie transparent soll es sein?
Die Reform der Regeln für den Zugang zu EU-Dokumenten
Wie transparent soll es sein?
Die Reform der Regeln für den Zugang zu EU-Dokumenten
Der Zugang zu Dokumenten der Europäischen Union (EU) ist in der Praxis sehr wichtig. Fast immer wenn ein Unternehmen oder die öffentliche Hand mit der EU zu tun hat, stellt sich die Frage, ob und in welchem Umfang Einsicht in Dokumente genommen werden kann. Dokumente, die einer EU-Institution zur Verfügung gestellt werden, können eventuell auch von Dritten eingesehen werden. Deshalb ist oft zu klären, wie sensible Informationen vor Einsichtnahme durch Dritte geschützt werden können. Die zentrale Rechtsgrundlage für den Zugang zu Dokumenten der EU ist die Verordnung (VO) (EG) Nr. 1049/2001, die sog. „Transparenz-Verordnung“ (Transparenz-VO).
Praktische Bedeutung und Reformbedarf
Es besteht Konsens darüber, dass die Transparenz-VO reformiert werden muss. Die Rechtsprechung der Unionsgerichte zu den Zugangsregeln ist sehr umfangreich und bisweilen widersprüchlich, was zu Rechtsunsicherheit geführt hat. Umstritten ist, in welche Richtung die Reform gehen soll, d.h. ob es einer Einschränkung (Effizienz der Verwaltung, Schutz sensibler Daten) oder einer Erweiterung des Zugangsrechts (mehr Transparenz, demokratische Kontrolle der EU-Institutionen) bedarf.
Aktuelle Entwicklungen in der Reformdebatte sollen Anlass sein, sich der Grundzüge des Zugangs zu Dokumenten nach der Transparenz-VO zu vergegenwärtigen und einige praktische Probleme aufzuzeigen, die in einer neuen Verordnung gelöst werden sollten.
Der Zugang nach der Transparenz-VO – Rechtliche Rahmenbedingungen
Das Recht auf Zugang zu Dokumenten der EU ist in Art. 15 Abs. 3 AEUV und in der EU-Grundrechtecharta verbürgt (Art. 42). Die VO 1049/2001 hat diese Vorgaben umzusetzen.
Die Transparenz-VO gibt jeder natürlichen oder juristischen Person mit Wohnsitz oder Sitz in der EU ein Recht auf Zugang zu den Dokumenten der EU-Institutionen. Gem. Art. 15 Abs. 3 AEUV gilt dieses Zugangsrecht gegenüber allen Organen und Einrichtungen der EU (Einschränkungen gelten u.a. für die Europäische Zentralbank und die Unionsgerichte).
Die Transparenz-VO sieht Ausnahmen vor, bei deren Vorliegen der Zugang zu Dokumenten verweigert werden kann. Man kann zwischen absoluten (Art. 4 Abs. 1) und relativen (Art. 4 Abs. 2) Ausnahmen unterscheiden. Absolute Ausnahmen sind der Schutz des öffentlichen Interesses (z.B. Sicherheit und Verteidigung, Finanzpolitik) sowie der Schutz der Privatsphäre und Integrität des Einzelnen (insb. Datenschutz). Bei Vorliegen einer absoluten Ausnahme hat die Kommission ein Zugangsersuchen abzulehnen, muss aber trotzdem genau begründen, wie der Zugang das jeweilige Schutzinteresse beeinträchtigen würde.
Die EU-Institution kann den Zugang zu einem Dokument auch dann verweigern, wenn die Einsichtnahme durch Dritte dazu führen würde, dass die geschäftlichen Interessen einer Person, Gerichtsverfahren und Rechtsberatung sowie Inspektions-, Untersuchungs- und Audit-Tätigkeiten beeinträchtigt würden (relative Ausnahmen, Art. 4 Abs. 2). Allerdings ist Zugang zu gewähren, wenn ein überwiegendes öffentliches Interesse (und nicht nur ein privates Interesse) an der Verbreitung der Dokumente besteht. Die zuständige Institution hat für jedes Dokument konkret und individuell abzuwägen, ob Zugang gewährt wird.
Die Ausnahmen sind eng auszulegen. Grundsätzlich bedarf es einer Einzelprüfung, pauschale Hinweise auf die Schutzbedürftigkeit von Dokumenten reichen nicht (selbst wenn dies großen Arbeitsaufwand verursacht). Die EU-Institution trägt die Beweislast für das Vorliegen der Ausnahmen. Dokumente müssen zumindest teilweise zugänglich gemacht werden, wenn eine Abtrennbarkeit des vertraulichen Teils möglich ist.
Die Transparenz-VO betrifft nur den Zugang zu Dokumenten der EU. Allerdings kann über die VO 1049/2001 auch der Zugang zu Dokumenten von Mitgliedstaaten oder Dritten (z.B. Unternehmen) erreicht werden, die in den Besitz der EU gelangt sind. Falls das Zugangsersuchen Dokumente betrifft, die von einem Mitgliedstaat erstellt wurden, kann der jeweilige Mitgliedstaat ein Veto einlegen. Soweit Dokumente Dritter betroffen sind, muss die EU-Institution den Dritten konsultieren, um zu prüfen, ob Ausnahmen vorliegen. Nach der Konsultation muss die EU-Institution aber alleine entscheiden. Falls ein Dokument mit sensiblen Informationen freigegeben werden soll, bleibt dem Dritten lediglich die Möglichkeit, gerichtlich gegen diese Entscheidung vorzugehen.
Verfahren und Rechtsbehelfe
Die VO 1049/2001 sieht ein zweistufiges Verfahren für den Zugang zu Dokumenten vor. Der Antragsteller hat einen schriftlichen Antrag an die EU-Institution zu richten, zu deren Dokumenten er Zugang begehrt.
Der Antrag muss keine Gründe enthalten. Die Kommission muss dem Antragsteller innerhalb von 15 Arbeitstagen antworten. Soweit der Zugang ganz oder teilweise verwehrt wird, muss die EU-Institution die Ablehnung auch begründen. Falls die EU-Institution bei ihrer ablehnenden Entscheidung bleibt, kann der Antragsteller eine Nichtigkeitsklage beim EuG erheben und gegebenenfalls bis vor den EuGH ziehen.
Der Antragsteller kann auch eine Beschwerde beim Europäischen Bürgerbeauftragten einreichen (Art. 8). Entscheidungen des Bürgerbeauftragten sind rechtlich nicht verbindlich, werden aber meist von den EU-Institutionen berücksichtigt.
Problemfelder in der Praxis
Nicht abschließend geklärt ist das Verhältnis der VO 1049/2001 zu den praktisch relevanten speziellen Zugangsvorschriften in Kartellverfahren, in der EU-Fusionskontrolle und in EU-Beihilfeverfahren.
Die Anwendung der Ausnahmen der Transparenz-VO ist für die Wirksamkeit der speziellen Zugangsregelungen wichtig, da die Gefahr besteht, dass die auf das jeweilige Sachgebiet zugeschnittenen Regelungen durch die allgemeinen Zugangsregeln ausgehebelt werden können, so z.B. in Situationen, in denen eine Partei in einem Kartellverfahren Zugang zu Dokumenten beantragt hat, dies abgelehnt wird und sie deshalb Zugang nach der Transparenz-VO beantragt.
In 2010 befand das EuG in der Rs. Éditions Jacob (T-237/05), dass einem Dritten, der gegen die Freigabe eines Unternehmenserwerbs Klage erhoben hatte, Zugang zu Dokumenten zu gewähren war, die die Parteien der Kommission im Zusammenhang mit der Vorbereitung der Anmeldung übersandt hatten.
Im TGI-Urteil (C-139/07) hat der EuGH hingegen entschieden, dass die Transparenz-VO einschränkend angewendet werden müsse, um dadurch die speziellen Zugangsregeln des Beihilferechts nicht leerlaufen zu lassen.
Spannungsverhältnis zwischen Transparenz und Datenschutz
Schwierig ist das Verhältnis des Zugangs zu Dokumenten mit dem Datenschutz. Die Transparenz-VO und die Datenschutz-Verordnung (VO [EG] 45/2001) sind grundsätzlich nebeneinander anwendbar. Der Zugang zu einem Dokument, das persönliche Daten enthält, könnte deshalb immer dann verweigert werden, wenn Datenschutzinteressen von Individuen beeinträchtigt werden. Dies würde aber dem Zugangsrecht jegliche Wirksamkeit nehmen. Die Ziele der beiden Verordnungen müssen deshalb in einen Ausgleich gebracht werden. Das EuG entschied in der Rechtssache Bavarian Lager (T-194/04), dass persönliche Daten von EU-Beamten offengelegt werden müssen, wenn der Zugang nicht tatsächlich und spezifisch die Datenschutzinteressen und Integrität dieser Personen beeinträchtigen würde. Der EuGH hat diese Entscheidung aber aufgehoben.
Auslegung der Ausnahmen – insbesondere Schutz geschäftlicher Geheimnisse
Ein weiteres wichtiges Problemfeld ist die einheitliche Auslegung der Ausnahmen des Art. 4, da es in der Vergangenheit zu widersprüchlichen Entscheidungen der Unionsgerichte gekommen ist. Besonders wichtig ist der Schutz geschäftlicher Interessen. In der Rs. Éditions Jacob (T-237/05) wurde entschieden, dass Korrespondenz zwischen der Kommission und den Parteien nicht stets als geschäftliche Interessen geschützt wird. So müssten die Parteien eines Unternehmenszusammenschlusses davon ausgehen, dass alle Dokumente, die nicht privilegiert sind, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden könnten. Allerdings hat der EuGH im TGI-Urteil (C-139/07) festgestellt, dass der Zugang zu einer Gruppe von Dokumenten verweigert werden kann, wenn die Zugangsregeln aus dem Beihilferecht den Zugang ausschlössen. Dies könnte den Schutz geschäftlicher Geheimnisse stärken.
Aktuelle Entwicklungen
Die Gretchenfrage lautet, wie weitgehend das Zugangsrecht ausgestaltet sein soll und wie viel Transparenz sich mit dem Schutz sensibler Daten und der Effizienz der EU-Verwaltung vereinbaren lässt. Die Kommission hat bereits 2008 Reformvorschläge vorgelegt, die im Europäischen Parlament auf großen Widerstand gestoßen sind. Nach intensiver Diskussion hat der zuständige Parlamentsausschuss im November 2011 einen umstrittenen Verordnungs-Entwurf (Cashman-Report) verabschiedet, der zu einer Ausweitung des Zugangsrechts führen soll. Das Parlament hat dem Entwurf im Dezember 2011 mehrheitlich zugestimmt. Die Kommission hat allerdings verlauten lassen, dass sie den Änderungen nicht zustimmen wird. Auch auf Seiten der Mitgliedstaaten gibt es Widerstand, allerdings stehen einige Mitgliedstaaten einer Erweiterung des Zugangsrechts auch offen gegenüber.
Die dänische Ratspräsidentschaft hat im Mai 2012 einen neuen Vorstoß unternommen, der einen Kompromiss ermöglichen könnte. Eine neue Verordnung wird aber nicht alle Probleme lösen können. Die Beobachtung der Praxis der Unionsgerichte und des Bürgerbeauftragten wird weiter wichtig sein, um das Recht auf Zugang zu Dokumenten der EU-Institutionen durchzusetzen und sensible Dokumente – so weit wie möglich – vor der Einsichtnahme durch Dritte zu schützen.