15.07.2012

Exekutive Grenzüberschreitungen?

Rein natürlich entstandenes Kulturgut im Bundesanzeiger

Exekutive Grenzüberschreitungen?

Rein natürlich entstandenes Kulturgut im Bundesanzeiger

Artefakt, Biofakt, Petrefakt? | © demarfa - Fotolia
Artefakt, Biofakt, Petrefakt? | © demarfa - Fotolia

Am realen Beispiel eines Urvogel-Fossils lässt sich relativ emotionsarm über die Grenzen juristischer Begriffsdehnung diskutieren. Dennoch ist leicht zu erahnen, welche rechtsstaatlichen Risiken das Überschreiten der Wortlautgrenze von Gesetzen durch die Exekutive birgt.

Neue Pferderasse?

Angenommen, ein „Deutsches Rassepferde-Gesetz“ würde in § 1 anordnen: „Anerkannte Pferderassen werden durch die Landwirtschaftsminister der Bundesländer in eine amtliche Liste eingetragen.“ Und weiter angenommen, der Landwirtschaftsminister des Musterbundeslandes trüge in seine Landesliste geschützter Pferderassen ein: „1) Trakehner, 2) Haflinger, 3) Schäferhund“. Vermutlich würde man argumentieren, dass ein Schäferhund durch die Aufnahme in eine Liste von Pferderassen nicht durch einen Federstrich des Gesetzgebers von den Canidae zu den Equidae überlaufen könne.

Kult-Urvogel?

Eine ähnliche Konstellation könnte aber unbeanstandet im elektronischen Bundesanzeiger AT vom 04.06.2012 B3 publiziert worden sein. § 1 Absatz 1 des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung lautet:


„Kunstwerke und anderes Kulturgut – einschließlich Bibliotheksgut –, deren Abwanderung aus dem Geltungsbereich dieses Gesetzes einen wesentlichen Verlust für den deutschen Kulturbesitz bedeuten würde, werden in dem Land, in dem sie sich bei Inkrafttreten dieses Gesetzes befinden, in ein ‚Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes‘ eingetragen. Das Verzeichnis wird nach Bedarf ergänzt.“

Für den Freistaat Bayern ließ das Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst gemäß § 1 Absatz 1 dieses Gesetzes in das Verzeichnis Folgendes eintragen: „11. Skelettexemplar des Urvogels Archaeopteryx aus den oberjurassischen Plattenkalken des Altmühltales in Bayern, fossile Tierknochen und Federreste.“

Artefakt, Biofakt, Petrefakt?

Zwar gibt es viele ernstzunehmende Kulturbegriffe, aber wenn es sich um Kulturgüter handelt, liegt es nahe, bei der elementaren Abgrenzung „Kultur/Natur“ zu bleiben. Kultur handelt von menschlichen Leistungen, die über die natürlichen Gegebenheiten hinausgehen. Kulturgegenstände sind durch menschliche Bearbeitung entstandene sogenannte Artefakte. Die Natur und das Leben schaffen Biofakte, die nach dem Tod durch Versteinerung zu Petrefakten werden können, alles ohne menschliche Bearbeitungsschritte. Entsprechend weit hergeholt scheint es daher, einen fossilen Archaeopteryx gegen Abwanderung aus „seinem“ nationalen deutschen Kulturkreis zu schützen, nicht nur weil er älter als Deutschland ist und weil ein „abwandernder“ toter Vogel skurril wirkt. Genügt es denn, ein Fossil aus einem Stein zu präparieren, um einen deutschen Kulturgegenstand zu schaffen? Und soll man, wenn ein Archaeopteryx durch Präparation zum nationalen Kulturgut werden kann, im Gegenschluss legalerweise Steinklumpen mit noch unpräparierten Fossilienfunden exportieren dürfen? Wo liegt der erkennbare Schutzzweck der Norm?

Helvetischer Interpretationsansatz?

Das Schweizerische Bundesamt für Kultur hat sich seitens der Eidgenossenschaft um eine eigene normative Definition gekümmert und mit Stand Februar 2011 eine Checkliste ‚Kulturgut‘ veröffentlicht, die sich auch nach dem Unesco- Übereinkommen über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut vom 14.11.1970 richtet. Danach gehören auch seltene Sammlungen und Exemplare der Zoologie, Botanik, Mineralogie, Anatomie sowie Gegenstände von paläontologischem Interesse zum Begriff des Kulturgutes im Sinne des Übereinkommens. Das schweizerische Kulturgütertransfergesetz verweist zur normativen Ausfüllung des Kulturbegriffs ausdrücklich auf diese Enumeration im Unesco-Abkommen (http://www.admin.ch/ch/d/sr/i4/0.444.1.de.pdf). Die deutsche Parallelnorm enthält aber gerade keine solche explizite Verweisung. Damit wird es schwierig, auch in Deutschland rhetorisch sauber über die Natur-/ Kultur-Abgrenzungshürde zu gelangen. Und wünschenswert im Sinne der rechtsstaatlichen Normenklarheit erschiene es eher, diesseits jener Hürde zu bleiben.

Der nächste Schritt?

Bayern ging in der Bundesrats-Drucksache 457/2008 allerdings noch einen Schritt weiter und beantragte, dass in § 1 des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung folgende zusätzliche Regelung aufgenommen werden sollte: „Die Länder können durch Gesetz bestimmen, dass Objekte, die einer in dem Gesetz näher bezeichneten paläontologischen Gattung angehören, mit ihrer Entdeckung als in das Verzeichnis nach Satz 1 eingetragen gelten (…)“ Also: natürliche Fossilien, die schon vor ihrer Entdeckung als eingetragene Kulturgüter gelten, das wäre eine waschechte Fiktion! – Andererseits, Fiktionen von Kultur sind ja ein bekanntes Phänomen, dem man bisweilen auch auf ausgewählten Vernissagen, Modeschauen und Filmbiennalen begegnet.

 

Dr. Alexander Konzelmann

Leiter der Boorberg Rechtsdatenbanken RDB, Stuttgart
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