15.07.2012

Licht und Schatten

Die EU-Vorschläge zum Vergaberecht aus kommunaler Sicht – Teil I

Licht und Schatten

Die EU-Vorschläge zum Vergaberecht aus kommunaler Sicht – Teil I

Umstritten und begrüßt: Die Richtlinienvorschläge der EU-Kommission zum Vergaberecht. | © mik ivan - Fotolia
Umstritten und begrüßt: Die Richtlinienvorschläge der EU-Kommission zum Vergaberecht. | © mik ivan - Fotolia

Am 20.12.2011 hat die EU-Kommission ihre Richtlinienvorschläge zur Reform des EU-Vergaberechts vorgelegt. Vorangegangen war ein umfangreiches Konsultationsverfahren interessierter Kreise, insbesondere von Vertretern öffentlicher Auftraggeber und von Auftragnehmern. Basis der Konsultationen war das Anfang 2011 von der Kommission veröffentlichte „Grünbuch über die Modernisierung der europäischen Politik im Bereich des öffentlichen Auftragswesens“. Der nachfolgende Beitrag gibt eine Bewertung der geplanten Reform aus kommunaler Sicht.

Grundsätzliche Ziele und kommunale Erwartungen

Das EU-Grünbuch hat ebenso wie die jetzigen Reformvorschläge als ambitionierte Leitlinie vorgegeben, „die Effizienz des Einsatzes öffentlicher Gelder zu erhöhen“ sowie vor dem Hintergrund der Strategie „Europa 2020“ zu einer „Vereinfachung und Flexibilisierung der Vergabeverfahren“ beizutragen. Die Mitgliedstaaten sollen die Richtlinienvorschläge bis zum 30.06.2014 in das nationale Recht umsetzen.

Städte, Gemeinden und Landkreise stellen gemeinsam mit den kommunalen Unternehmen in Deutschland bei einem jährlichen bundesweiten Auftragsvolumen von ca. 250 bis 300 Mrd. Euro im Vergleich zu Bund und Ländern die größten öffentlichen Auftraggeber dar.


Gerade die Kommunen unterstützen daher das Ziel der EU-Kommission, das Vergaberecht zu vereinfachen und zu flexibilisieren, nachdrücklich.

Auch wenn die EU-Reformvorschläge grundsätzlich nur für Aufträge oberhalb der EU-Schwellenwerte (Baubereich: 5 Millionen Euro; Liefer- und Dienstleistungsbereich: 200 000 Euro) gelten, werden sie wegen ihrer „Vorreiterfunktion“ maßgebliche Auswirkungen auch auf Vergaben unterhalb der EU-Schwellenwerte haben. Die kommunalen Erwartungen an die EU-Vergaberechtsreform beinhalteten insbesondere eine stärkere Ausrichtung des Vergaberechts nach folgenden Grundsätzen:

– Kosten-Nutzen-Prinzip („best value for taxpayers money“)
– Effizientere und wirtschaftlichere Vergabe
– Mittelstands- und investitionsfreundliche Vergabe
– Verschlankung und Abbau der (formalen) Vergaberechtsregeln
– Stärkung und Erweiterung der Handlungsspielräume für Auftraggeber und Unternehmen.

Vor diesem Hintergrund beinhalten die EU-Reformvorschläge zu den hier bewerteten EU-Papieren „über die öffentliche Auftragsvergabe“ und über die „Konzessionsvergabe“ sowohl Licht als auch Schatten:

Das Gesamtpaket

Die EU-Kommission hat erstmalig eine Aufteilung des EU-Reformpakets in drei Richtlinienvorschläge und damit auf einen Vorschlag mehr („Konzessionen“) als bisher vorgenommen. Im Einzelnen handelt es sich jeweils um eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates

– über die (allgemeine) Auftragsvergabe, Kom(2011) 896/2 (258 Seiten)
– über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste, Kom(2011) 895 endgültig (182 Seiten) und
– über die Konzessionsvergabe, Kom(2011) 897 endgültig (98 Seiten).

Diese drei Richtlinienvorschläge haben einerseits eine Vereinfachung zum Ziel: Erleichterung für subzentrale Auftraggeber, Fristenstraffung, schlankere Eignungsprüfung, geringere Anforderungen insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen, Einführung von Gütezeichen und eines EU-Passes für die Eignung, Förderung der Verwaltungszusammenarbeit etc.

Andererseits sind die Vorschläge sowohl vom Umfang als auch vom Inhalt her sehr komplex und als solche wegen des Normenzuwachses zunächst kein Beitrag zur Entbürokratisierung. Zum Teil ergeben sich die „Neuerungen“ zudem aus der Kodifizierung der EuGH-Rechtsprechung. Hinzu kommen zusätzliche Regelungen, insbesondere im Bereich der interkommunalen Kooperationen sowie der (Dienstleistungs-)Konzessionen.

Insbesondere der neue EU-Vorschlag einer (Dienstleistungs-)Konzessionsrichtlinie geht durch die Dichte der Detailregelungen weit über eine Rahmenregelung hinaus.

Einbeziehung von sozialen und anderen Dienstleistungen

Nach dem EU-Richtlinienvorschlag sollen künftig vom Vergaberecht auch die bisher nur rudimentär erfassten Rechtsanwaltsleistungen sowie andere freiberufliche Leistungen von Unternehmensberatern etc. erfasst werden. Für soziale oder andere besondere Dienstleistungen, worunter z. B. Dienstleistungen im Gesundheits- und Sozialwesen sowie Dienstleistungen im Bildungs-, Gesundheits- und kulturellen Bereich fallen, sollen besondere Regelungen eingeführt werden (Art. 74 ff.).

Diese Dienstleistungen fallen nach dem aktuellen Recht unter die sog. „B-Dienstleistungen“. Der Unterschied zwischen den geltenden „A“- und den sog. „B-Dienstleistungen“ besteht darin, dass für die „B-Dienstleistungen“ lediglich die Verpflichtung zur nachträglichen europaweiten Bekanntmachung der Aufträge besteht. Der Unterscheidung in vor- und nachrangige („A“- und „B“-)Dienstleistungen liegt die Erwägung zugrunde, dass nur diejenigen Dienstleistungsbereiche vollständig dem strengen Vergaberegime unterliegen sollen, bei denen sich im Binnenmarkt bereits grenzüberschreitende Anbieterstrukturen entwickelt haben, die im Rahmen europaweiter Vergaben effizienzsteigernd genutzt werden können.

Der Kommissionsvorschlag sieht vor, die Vergabe dieser Leistungen ab einem Schwellenwert von 500 000 Euro (Art. 4 Buchst. d) künftig auch vorab europaweit bekannt zu machen. Auch wenn daher für soziale Dienstleistungen etc. nach wie vor spezielle Regeln (breiterer Ermessenspielraum, Einhaltung lediglich der Grundprinzipien der Transparenz und Gleichbehandlung) möglich sein sollen, gehen die Vorschläge über die geltende Rechtslage hinaus.

Die geplante grundsätzliche Aufhebung der Unterscheidung zwischen den sog. „A“- und „B“-Dienstleistungen wird den Realitäten in den Mitgliedstaaten nicht gerecht. Die von der EU-Kommission immer wieder ausdrücklich hervorgehobenen „administrativen, organisatorischen und kulturellen Rahmenbedingungen“, die von „einem Mitgliedstaat zum anderen höchst unterschiedlich ausfallen“, werden hierdurch gerade nicht berücksichtigt.

Die Einführung eines eigenen Vergaberegimes in diesem Bereich birgt vielmehr die Gefahr einer zu starken „Preisorientierung“ und einer Aushöhlung des Systems bei der Erbringung der notwendigen qualitativ-sozialen Dienstleistungen sowie der anderen Dienstleistungen (Gesundheit, Bildung etc.) in den Mitgliedstaaten.

Die Beibehaltung der Schwellenwerte

Die grundsätzliche Beibehaltung der EU-Schwellenwerte (s. Art. 4) für öffentliche Auftragsvergaben in Anknüpfung an das WTO-Abkommen ist in der Sache zu hinterfragen. Denn der Anteil einer grenzüberschreitenden Auftragsvergabe an ein Unternehmen in einem anderen EU-Mitgliedstaat liegt bei lediglich 1,5 %, wie die Kommission selbst festgestellt hat.

Eine mittelfristige Heraufsetzung der EU-Schwellenwerte in Abstimmung mit dem WTO-Abkommen, insbesondere für Liefer- und Dienstleistungen, würde berücksichtigen, dass die Beschaffungsmärkte im Wesentlichen regional bestimmt sind.

Auch würde durch eine künftige Erhöhung der Schwellenwerte einer in den letzten zehn Jahren stattgefundenen Wert- und Kaufpreisentwicklung bei den Bau-, Liefer- und Dienstleistungen Rechnung getragen.

Im Grundsatz gut: das „Toolbox“-Konzept

Das sog. „Toolbox“-Konzept (s. Art. 24 ff.) sieht zwei grundlegende Verfahrensformen vor: Offenes und Nichtoffenes Verfahren auf der einen sowie Verhandlungsverfahren, Wettbewerblicher Dialog und Innovationspartnerschaft auf der anderen Seite. Es stellt dabei sechs spezifische Vergabemethoden zur Verfügung. Dieser „Instrumentenkasten“ ist grundsätzlich zu begrüßen.

Allerdings wird die Anwendung des Verhandlungsverfahrens und des Wettbewerblichen Dialogs nach Art. 24 und insbesondere Art. 27 der Richtlinie nicht in ein erweitertes Ermessen des Auftraggebers gestellt, sondern an sehr einengende Voraussetzungen geknüpft. Allenfalls der Buchstabe e (spezifische Umstände, Wesensart oder Komplexität der Beschaffung, Risiken) beinhaltet trotz seiner auslegungsbedürftigen und unbestimmten Rechtsbegriffe eine Ausweitung der aktuellen Anwendungsfälle des Verhandlungsverfahrens und des Wettbewerblichen Dialogs und ist daher zu begrüßen.

Abzulehnen ist die in Art. 24 angesprochene Option für die Mitgliedstaaten, das Verhandlungsverfahren, den Wettbewerblichen Dialog und die Innovationspartnerschaften nicht in ihr einzelstaatliches Recht umzusetzen. Damit wird die Gefahr einer Einengung von Handlungsspielräumen für Auftraggeber und Unternehmen geschaffen.

Die Lockerung der Regelungen für subzentrale Vergabebehörden

Die Lockerung der Regelungen für subzentrale Vergabebehörden (s. etwa Art. 26 Nr. 4) bringt mehr Freiheiten insbesondere für kommunale Beschaffungen und ist daher grundsätzlich zu unterstützen.

Wenn eine lokale Behörde als Aufruf zum Wettbewerb konkrete Vorinformationen veröffentlicht hat, bedarf es nach dem EU-Vorschlag vor Einleitung des Vergabeverfahrens künftig keiner separaten Auftragsbekanntmachung mehr (s. Nr. 5 der Begründung zum Vorschlag). Dies erweitert im Sinne einer größeren Flexibilität und eines größeren Handlungsermessens gerade kommunale Spielräume.

Auch die vorgeschlagene größere Flexibilität bei der Festlegung bestimmter Fristen findet die Unterstützung der Kommunen. Allerdings ist es wenig praxisgerecht, künftig zwei Arten von klassischen Auftraggebern, die „subzentralen“ und die „zentralen“ Auftraggeber (Bundesministerien) zu schaffen.

Die Modernisierung der Verfahren

Eine Flexibilisierung bei der Überprüfung der Auswahl der Bieter einerseits und der Erteilung des Zuschlags andererseits (Auswahl- und Zuschlagskriterien) ist richtig (s. Art. 54 Nr. 3). Jedoch sind hier weitere Erleichterungen sinnvoll: Insbesondere das grundsätzliche Verbot, Auswahl- und Zuschlagskriterien zu vermengen, hat oftmals zu einer unwirtschaftlichen Vergabe geführt. Zudem ist eine messerscharfe Unterscheidung zwischen Auswahl- und Zuschlagskriterien (z. B. Reaktionszeit im Störungsfall) nicht immer strikt durchzuhalten.

Nach dem Vorschlag der Kommission sollen die Vergabebehörden nunmehr die Möglichkeit haben, selbst zu entscheiden, welche Prüfungsreihenfolge bei den Auswahl- und Zuschlagskriterien am sinnvollsten ist. Mit dieser Regelung würden im Sinne einer Flexibilisierung Fehlerquellen vermieden und die Rechtssicherheit von Vergabeverfahren erhöht.

Ziel sollte jedoch insgesamt ein noch flexiblerer Umgang mit der Prüfung von Auswahl- und Zuschlagskriterien und eine mögliche Vermeidung der strengen Rechtsfolge (fehlerhaftes Vergabeverfahren) bei einer Vermengung dieser Kriterien sein.

Lebenszykluskosten, Produktionsprozess, Gütezeichen

Mit Blick auf die strategischen Ziele der Agenda „Europa 2020“, insbesondere umwelt- und soziale Aspekte verstärkt in das Vergaberecht einzubeziehen, können zukünftig vermehrt Lebenszykluskosten berücksichtigt werden (s. Art. 67). Zudem können Auftraggeber spezielle Gütezeichen bei ihren Beschaffungen verlangen (s. Art. 41).

Gerade die Forderung von qualifizierten und aussagekräftigen Gütezeichen erleichtert Auftraggebern die rechtliche und tatsächliche Umsetzung einer umweltfreundlichen Vergabe über konkrete Vorgaben im Leistungsverzeichnis. Der dahin gehende Ansatz ist daher richtig.

Die Einbeziehung von Lebenszykluskosten könnte in der Praxis aber auf Schwierigkeiten stoßen. Zum einen ist hiermit eine Ausweitung des grundsätzlich für Beschaffungen vorausgesetzten Auftragsbezuges – insbesondere durch die mögliche Berücksichtigung von externen Faktoren – verbunden; zum anderen ist den Auftraggebern die Einbeziehung etwa von Entstehungskosten eines Produkts oder dessen Entsorgungskosten, also von Kosten, die über die tatsächliche Nutzung eines Produkts weit hinausgehen, kaum möglich. Hier müssen unabhängige (EU-)Institute bzw. die Bieterseite konkrete Hilfestellungen zur Berechnung der Lebenszykluskosten liefern. Der Auftraggeber ist hiermit jedenfalls überfordert, so dass der ?Lebenszyklusansatz? oftmals ins Leere laufen dürfte.

Zu begrüßen ist jedenfalls, dass die EU-Vorschläge die Einbeziehung von umwelt- und sozialen Aspekten den Auftraggebern nur optional einräumen, diese aber nicht verpflichtend vorgeben. Auch muss der vorgeschlagene Auftragsbezug für die Einbeziehung von Umwelt- und Sozialkriterien in die Auftragsvergabe zwingend beibehalten werden.

Hinweis der Redaktion: Der Beitrag wird in der kommenden Ausgabe 2012.8 fortgesetzt.

 

Norbert Portz

Deutscher Städte- und Gemeindebund, Bonn
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