15.11.2011

Wie man Äpfel mit Birnen vergleicht

Energieversorger unter Finanzmarktaufsicht

Wie man Äpfel mit Birnen vergleicht

Energieversorger unter Finanzmarktaufsicht

Regulierung und Überwachung – werden Energiehandelsversorger zu aufsichtspflichtigen Finanzdienstleistern? | © Werner Schwehm - Fotolia
Regulierung und Überwachung – werden Energiehandelsversorger zu aufsichtspflichtigen Finanzdienstleistern? | © Werner Schwehm - Fotolia

Eines der wichtigsten Elemente der Europäischen Union (EU) ist der Europäische Binnenmarkt – ein Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gewährleistet wird. Zur Umsetzung hat die EU unterschiedliche Maßnahmen ergriffen. Stand ursprünglich der Abbau von Schranken im Mittelpunkt, sollen heute Märkte geschaffen werden, die in sich stabil sind und als Wachstumsmotor für die gesamteuropäische Wirtschaft dienen sollen.

Der Energiemarkt befindet sich irgendwo dazwischen. Auf der einen Seite steht die klassische Infrastrukturregulierung, auf der anderen Seite die Welt der Finanzmärkte, die zumindest auf den Energiegroßhandelsmarkt Einfluss hat. Die Herausforderung der Energiehändler der vergangenen Jahre bestand oft darin, sich zwischen beiden – nicht wirklich passenden – Welten zurechtzufinden. Nach den Erfahrungen mit der internationalen Finanzkrise ist zudem der Wunsch gewachsen, die Aufsichtsqualität zu erhöhen sowie vermutete und tatsächliche Aufsichtslücken zu schließen. Ausdruck dessen sind auch die aktuellen Ideen zur Überarbeitung der Finanzmarktrichtlinie Markets in Financial Instrument Directive (MiFID), die jeder kennen sollte, der sich mit Energie und/oder CO2-Zertifikaten beschäftigt.

Die Ziele der MiFID

Die MiFID hat drei Ziele – den Schutz der Märkte, den Schutz der Anleger und die europäische Harmonisierung. Aus der Sicht der Energieversorger bislang wesentlich war, dass sie – selbst wenn sie sich in die Nähe des finanziellen Energiehandels wagten (und die rein physische Ebene der Belieferung verließen) oder aber sich aktiv dazu bekannten – fast immer über verschiedene Ausnahmen von der Finanzaufsicht ausgenommen waren. Sie wurden weder als märkte- noch als anlegergefährdend eingestuft.


Die Richtigkeit dieser Überlegung sollte regelmäßig überprüft werden. So auch im aktuellen Kommissionsentwurf, der zwei zentrale Stellschrauben der Aufsichtspflicht nachjustieren will, den Begriff des Finanzinstruments und die schon erwähnten Ausnahmen.

Finanzinstrumente

Die Finanzmarktaufsicht dreht sich um Finanzinstrumente; nur wer mit ihnen umgeht, kann der MiFID unterfallen. Eine abschließende Auflistung findet sich in Annex I Section C.

Neben Aktien, Schuldverschreibungen oder Commodity-Futures finden sich dort künftig auch Emissionszertifikate. Indem man aus letzteren Finanzinstrumente macht, werden automatisch alle etablierten Aufsichtsinstrumente, wie sie für die Finanzmärkte existieren, auf die Emissionszertifikate anwendbar. Das enthebt die Kommission der Aufgabe, eine eigene – passende – Regelwelt zu kreieren. Die sinnvollere Lösung, sich an die entwickelnden Regeln der Energiemarktaufsicht (durch die Regulation on Energy Market Integrity and Transparency – REMIT) anzuhängen, hat man verpasst. Diese Entscheidung kann in der Praxis zum Teil dramatische Auswirkungen haben. Die Marktteilnehmer würden nicht nur einer Missbrauchsaufsicht unterworfen, sondern auch einer Eigenkapitalunterlegungspflicht. Sie wäre kaum zu stemmen, insbesondere für kleine Händler.

Die zweite Änderung ist versteckter und diffiziler zu greifen. Ein Termingeschäft (z. B. Strom für das nächste Jahr) ist u. a. dann als Finanzinstrument zu qualifizieren, wenn das Geschäft über eine Börse oder eine sog. Multilaterale Handelsplattform (MTF) läuft. So wird ein aufsichtsfreier Strom-Forward zu einem grundsätzlich aufsichtspflichtigen Strom-Future, wenn er über die Energiebörse EEX gehandelt wird. Doch neben Börsen und MTFs soll es künftig eine weitere Kategorie von beaufsichtigten Märkten geben: organisierte Handelsplätze (OTFs). Die Kommission will damit die Brokerplattformen in das MiFID-Regime ziehen. Alle Termingeschäfte, die über ein OTF gehandelt werden, werden zu Finanzinstrumenten. Viele EVU (Energieversorgungsunternehmen), die ihre Beschaffung professionalisiert haben, nutzen aber solche Brokerplattformen, um (physisch!) Strom und Gas für ihre Endkunden zu besorgen.

Ausnahmen von der Erlaubnispflicht

Schon bislang war es so, dass Energieunternehmen auch Tätigkeiten ausüben, die eigentlich Bankgeschäfte oder Finanzdienstleistungen darstellen, ohne Erlaubnis dafür einholen zu müssen. Von diesen Ausnahmen profitierten (auch künftig) die EVU. Dennoch kommt es zu Einschnitten. Sind jetzt noch Unternehmen, die als Haupttätigkeit mit Waren und Warenderivaten auf eigene Rechnung handeln („Eigenhandel“), privilegiert, so soll diese generelle Ausnahme (Art. 2 Abs. 1 lit. (k) MiFID) ersatzlos gestrichen werden. Gem. Art. 2 Abs. 1 lit. (d) MiFID neu dürfen Unternehmen Eigenhandel betreiben, es sei denn, dass sie

– (a) Market Maker,
– (b) Mitglied oder Teilnehmer an einer Börse oder MTF sind oder
– (c) Eigenhandel durch das Ausführen von Kundenaufträgen betreiben.

Letzteres ist Standard. Dies war in Deutschland schon immer eine Finanzdienstleistung; insofern handelt es sich – je nach Lesart – um eine Klarstellung oder eine Anpassung an die deutsche Interpretation. Buchstabe (b) bedeutet aber faktisch, dass jedes Stadtwerk, das sich am EEX-Terminmarkt angemeldet hat, als Eigenhändler gilt.

Übrig bleibt allein die sog. Nebentätigkeitsausnahme, die bis heute viele Aktivitäten von EVU aus der Aufsicht heraushält. Danach dürfen Unternehmen erlaubnisfrei Eigenhandel (aber nicht zur Ausführung von Kundenorders!) betreiben und Finanzdienstleistungen in Bezug auf Commodity-Derivate (und künftig Emissionszertifikate) erbringen, wenn dies eine Nebentätigkeit zu ihrer Haupttätigkeit darstellt und sie nicht zu einem Bankkonzern gehören. Vereinfacht gesagt: Ein EVU, das einen Kunden mit physischer Energie beliefert, darf auch über einen EEX-Future (ein Finanzinstrument) beraten, solange es insgesamt und in Bezug auf den Kunden nur eine Nebentätigkeit ist. Diese Ausnahme (Art. 2 Abs. 1 lit. (i) MiFID) wird erhalten bleiben, soll jedoch eingeschränkt werden. Einiges wird allerdings die Kommission erst im Wege eines delegierten Rechtsaktes festlegen. So auch die Definition, wann eine Nebentätigkeit vorliegt. Dabei sind zwei Vorgaben zu berücksichtigen: das Ausmaß, durch das Risiken aus dem Zusammenhang mit nicht finanziellen Aktivitäten gesenkt werden können, und das eingesetzte Kapital.

Wichtig aber bleibt: Durch die Erweiterung des Finanzinstruments sind deutlich mehr Großhandelsmarktprodukte per se Finanzinstrumente. Die Bedeutung der Ausnahmen steigt. Wird die Kommission ernsthaft davon ausgehen, dass ein EVU, das Mengen auf dem Großmarkt für seine Endkunden beschafft, aufsichtspflichtiges Bankgeschäft betreibt? Aus den Verlautbarungen wird ersichtlich, dass man das nicht wünscht. Es wäre begrüßenswert, wenn es auch so kommt.

Neue Herausforderungen

Vieles ist weiterhin unklar. Die MiFID sieht mehr nachfolgende Rechtsakte durch die Kommission vor als je zuvor. Parallel zu ihr wird auch die Marktmissbrauchsrichtlinie überarbeitet. Die Europäische Marktinfrastrukturverordnung (EMIR) ist weiterhin nicht verabschiedet, was bedeutet, dass zentrale, vielleicht sogar vitale Entscheidungen auf später verschoben werden. Gleichzeitig wird die Eigenkapitalrichtlinie (CRD) überarbeitet, die festlegt, wie viel Eigenmittel eine Bank bzw. ein Finanzdienstleister vorhalten muss.

Im Ergebnis steht der Energiehandel deshalb vor neuen Herausforderungen: Soweit er bislang „Erleichterungen“ von Seiten der Finanzmarktaufsicht erhielt, werden diese auf dem Prüfstand stehen. So sehr man bereit ist, finanzfernen Akteuren Zugeständnisse zu machen, so wenig hat man ein Interesse daran, aufsichtsfreie Rückzugsräume für klassische Finanzmarktteilnehmer zu schaffen. Auch wollen die für die Energiewirtschaft und den Klimaschutz zuständigen Generaldirektionen der Europäischen Kommission eine stärkere Aufsicht für die ihnen unterstellten Marktbereiche (also den physischen Energiehandel bzw. den Handel mit Emissionszertifikaten) erreichen. Die Rolle Europas im Energiehandel nimmt zu – und mit ihr die Gefahr einer Regulierung, die nicht aus einem Guss ist.

 

Dr. Christian Dessau

Rechtsanwalt, Partner Counsel, Becker Büttner Held, Berlin
 

Dr. Ines Zenke

Rechtsanwältin, Fachanwältin für Verwaltungsrecht, Partner Becker Büttner Held, Berlin
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