15.11.2011

Markenbildung contra Haushaltsklemme

"Münster bekennt Farbe" – Grünflächenmarketing für Münster

Markenbildung contra Haushaltsklemme

"Münster bekennt Farbe" – Grünflächenmarketing für Münster

Es grünt so grün – Münster hat das „Green Branding“ entdeckt. | © Stadt Münster
Es grünt so grün – Münster hat das „Green Branding“ entdeckt. | © Stadt Münster

Das Leben in Münster muss paradiesisch sein. Seit Jahren räumt die Stadt bei nationalen und internationalen Wettbewerben eine Auszeichnung nach der anderen ab – immer dann, wenn es um Lebensqualität geht, um Zukunftsfähigkeit, Umweltfreundlichkeit oder Grün in der Stadt. Zufall? Mitnichten.

Dahinter steckt eine wohlkalkulierte Strategie zur Sicherung einer nachhaltigen Entwicklung. Wichtiger Teil dieser Strategie ist die Kampagne „Münster bekennt Farbe“. Die Idee: Aus dem häufig unbeachteten Thema „Grünflächenunterhaltung“ über den Weg der Markenbildung ein Top-Thema zu machen.

Kampagne startet jährlich im Frühjahr

Jedes Jahr im Frühjahr lädt der Oberbürgermeister zum Kampagnenstart und zahlreiche Münsteranerinnen und Münsteraner sind dabei: Sie pflanzen Blumen vor Hauseingänge, harken und bepflanzen Baumscheiben, verschönern Kita-Gärten und Schulbeete oder wässern Straßenbäume, um ihre Stadt zu verschönern. Nachbarschaften und Vereine engagieren sich. Ortsansässige Unternehmen nutzen „Münster bekennt Farbe“ zur Imagepflege, gestalten öffentliche Kreisverkehre, richten Grünflächen wieder her oder treten als Sponsoren für Spielplätze auf. Kurzum: Im Laufe des Jahres investieren junge und ältere Münsteraner unzählige Stunden und viele, viele Euros ins öffentliche Grün. Sie sorgen so dafür, dass Münster zu einer wirklichen Stadt für alle Sinne wird.


„Münster bekennt Farbe“ ist mittlerweile zur Dachmarke für verschiedenste Aktivitäten rund um das städtische Grün geworden. Alle wollen mitmachen, sind stolz und engagiert, wenn sie ihren Teil beitragen können. Es ist beeindruckend zu sehen, was die Bürgerinnen und Bürger für ihre Stadt zu tun bereit sind und mit wie viel Begeisterung und Einfallsreichtum sie das tun. Schließlich geht es auch um ihre Lebensumgebung.

Aus der Not eine Tugend gemacht: Green Branding

Das Amt für Grünflächen und Umweltschutz hat sich bei „Münster bekennt Farbe“ bewusst das „Green Branding“ zunutze gemacht. Es geht darum, bürgerliches Engagement für die Stadt und die Grünflächen zu gewinnen und so einen spürbaren Mehrwert für die Stadt und die Stadtgesellschaft zu erzielen. Die Menschen sollen sich verantwortlich fühlen für ihr Lebensumfeld, sie sollen stolz sein auf das, was sie mit vereinten Kräften dort erschaffen. Aber in Wahrheit wird hier aus der Not eine Tugend gemacht.

Noch vor rund zehn Jahren stellte sich die Situation ungleich trister dar: Gleich von zwei Seiten stand das Thema Grünflächenunterhaltung unter Druck. Auf der einen Seite die – durchaus anspruchsvollen – münsterschen Bürger, die sich über mangelhaften Bürgerservice, unzureichende Pflege und Reinigung von öffentlichen Grünflächen beklagten und mehr blühende Pflanzen im Stadtbild forderten. Auf der anderen Seite die lokale Politik, welche die Effizienz und Kosten der Grünflächenverwaltung zum Thema machte und den Etat im Rahmen der allgemeinen Haushaltskonsolidierung reduzierte.

Das zuständige Amt für Grünflächen und Umweltschutz reagierte zunächst mit organisatorischen Verbesserungen und Kostensenkungen: Eine grundlegende interne Reorganisation, Standardsenkungen, wo immer dies möglich war, und ein professionelles Grünflächenmanagement wurden eingeführt. Mittlerweile wird das Amt für Grünflächen und Umweltschutz wie ein mittelständischer Betrieb geführt. Doch die Kritik wurde nicht leiser. Wie also die Ansprüche unter einen Hut bringen?

Der Ausweg war so genial wie einfach: Ein Perspektivwechsel musste her. Die Herausforderung bestand darin, die Bürgerinnen und Bürger für das Thema Grünflächenunterhaltung zu gewinnen, an ihren Sinn für Verantwortung zu appellieren und die Grünflächenunterhaltung zur Herzensangelegenheit der Menschen zu machen. Positiver Nebeneffekt: Was Bürgern wichtig ist, bekommt auch in der Politik höhere Priorität.

Ein öffentliches Gut wird zur Marke

Der Schritt, mit der Grünflächenunterhaltung ein öffentliches Gut – also eines, bei dem die Marktkräfte zumindest partiell versagen – zur Marke zu erheben, brachte den Durchbruch: Statt als Opfer teils überzogener Ansprüche in der Defensive zu verharren, signalisiert der Markengedanke Aufbruch, Dynamik und Managerqualitäten. Es ist wie beim „Türstehersyndrom“: Wird Exklusivität suggeriert, wollen plötzlich alle dabei sein. Sie wollen ein bisschen des guten Gefühls, das die Marke transportiert, für sich haben.

Einen Impuls setzen, den Prozess in Gang bringen und Unterstützung liefern – das war in diesem Fall die münstersche Herangehensweise. Mit dem vergleichsweise kleinen Budget und der Manpower von nur einem Projektleiter lassen sich in aller Regel keine großen Sprünge machen. Es sei denn, der Projektleiter ist ein exzellenter Netzwerker und nahezu einhundert Prozent des Budgets fließen in gutes Marketing. So geschehen bei „Münster bekennt Farbe“.

Seit dem Start von „Münster bekennt Farbe“ im Frühjahr 2006 also rollt die Welle – angeschoben mit offensiver Öffentlichkeitsarbeit. Wer Kreisverkehre bepflanzt oder Bäume spendet, bekommt auch städtische Schützenhilfe beim Pressetermin. Das finanzielle städtische Investment beträgt etwa 20.000 Euro pro Jahr, mehr nicht. Um „Münster bekennt Farbe“ beim Start zu größerem Nachhall zu verhelfen, sattelte die Stadt auf den Wettbewerb „Entente Florale“ auf. Der Wettbewerbsgedanke zog, und auch die Aufmerksamkeit der Medien war gewährleistet. Die Masse der „Farbe-Bekenner“ übertraf jede Erwartung, der Einfallsreichtum reichte von der bepflanzten Baumscheibe bis zur Pflanzung von tausenden Quadratmetern von Rosenbeeten.

„Münster bekennt Farbe“ hat als Marketingtool gleich mehrere Vorzüge: Der Zugang ist niedrigschwellig. Absolut jede Bürgerin und jeder Bürger kann mitmachen, unabhängig von sozialem und finanziellem Hintergrund. Der wirksamste Hebel jedoch ist natürlich der Weg über die lokale Wirtschaft. Indem die Unternehmen vor Ort sich mit der positiv aufgeladenen Marke schmücken, wächst der Anreiz, sich ebenfalls zu beteiligen und bei der eigenen Klientel zu punkten. Deshalb wurde daraus ein eigenes Projekt mit dem Titel „Mit wachsender Begeisterung“ generiert. Rund dreißig Grünflächen, die nur noch unter dem Aspekt der Verkehrssicherheit unterhalten werden konnten, wurden beim Start im Jahre 2007 Firmen in der Nähe angeboten. Sie konnten die Flächen in Abstimmung mit den städtischen Fachleuten nach eigenen Vorstellungen neu gestalten. Voraussetzung: Sie verpflichten sich vertraglich, die Unterhaltung für mindestens zwei und maximal zehn Jahre zu übernehmen. Nach Ablauf der Vereinbarung fällt die Fläche dann zurück an die Stadt. Ihr ist freigestellt, die Neugestaltung zurückzubauen, um Unterhaltungsaufwendungen zu senken. Trotz dieser eher restriktiven vertraglichen Bedingungen wurde das Projekt „Mit wachsender Begeisterung“ ein voller Erfolg. In den vergangenen fünf Jahren wurden insgesamt mehr als fünfzig Flächen an Sponsoren übergeben.

Die Bürger übernehmen Verantwortung für eine lebenswerte Stadt

Der Low-Budget-Ansatz erreicht dank des Markenhebels ein mehrfach positives Ergebnis: „Münster bekennt Farbe“ zeigt nicht nur einen Ausweg aus der Haushaltsklemme. Die Bewegung, zu der sich die Kampagne mittlerweile ausgewachsen hat, erzeugt eine gute Stimmung in der Stadt. Die Münsteraner haben die Verantwortung für das Erscheinungsbild ihrer Stadt, so scheint es, vollends und gerne akzeptiert. Ihr wollt Blumen? Dann pflanzt welche, findet Sponsoren, kümmert euch. Die Botschaft ist angekommen. Und weil die Wirtschaft mit im Boot sitzt, wirkt der Hebel gewaltig: Dahinter stehen zum Teil langfristige, auf zehn Jahre angelegte Pflegeverträge für Parks, Spielplätze oder Kreisverkehre.

„Münster bekennt Farbe“ reiht sich ein in gute münstersche Tradition. Als eine der ersten Städte hatte Münster im breiten bürgerschaftlichen Konsens 2002 den „Integrierten Stadtentwicklungs- und Marketingprozess“ (ISM) initiiert, mit dem Ziel, das Profil der Stadt im Wettbewerb der Kommunen um gute Köpfe und attraktive Unternehmen zu schärfen. „Wissenschaft und Lebensart“ ist seitdem das Motto für das Stadtmarketing, nach dem sich alle Aktivitäten auszurichten haben. Für den Bereich Umweltschutz wurde die Leitlinie formuliert: „Wir werden Münster zu einer Stadt mit höchster Lebens- und Erlebnisqualität weiterentwickeln.“ „Farbe bekennen“, dieses Kampagnenmotto greift den Bürgersinn, die Komponente der Identitätsbildung, wieder auf. Die Kampagne hilft mit, Münster lebenswert zu machen.

Fazit

Trotz der Konsolidierungszwänge ist das öffentliche Grün in den direkten Fokus der Münsteraner gerückt. Das neue Verständnis von bürgerschaftlichem Engagement trägt. Es gibt einen Sponsorenpool, der sich langfristig um Grünpflege kümmert. Und die Stadt selbst glänzt als Vorzeigeobjekt für nachhaltige und grüne Stadtentwicklung. Das Leben in Münster könnte also paradiesisch sein.

Doch allen Erfolgen zum Trotz: Die Nachwirkungen der Banken- und Wirtschaftkrise sind im städtischen Haushalt deutlich spürbar. Die Konsolidierungsbemühungen der Stadt Münster müssen weitergehen. Aber mit der Aktion „Münster bekennt Farbe“ hat die Stadt Münster einen völlig neuen, auf modernen Marketinginstrumenten beruhenden Ansatz zur Bewältigung der Misere gefunden.

Anmerkung des Autors: Der Beitrag fasst die Bewerbung der Stadt Münster zum Wettbewerb „European Public Sector Award 2011“ zusammen, den Dr. Wiebke Borgers vom Presseamt sowie Heiner Bruns und Wolfram Goldbeck vom Amt für Grünflächen und Umweltschutz der Stadt Münster erarbeitet haben.

 

Markus Lewe

Oberbürgermeister der Stadt Münster
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