15.11.2011

Mittelstandsschutz im Vergaberecht

Die Mittelstandsklausel und Gestaltungsmöglichkeiten in der Praxis

Mittelstandsschutz im Vergaberecht

Die Mittelstandsklausel und Gestaltungsmöglichkeiten in der Praxis

Die Pflicht zur losweisen Aufteilung der Leistung verbessert den Mittelstandsschutz. | © Janina Dierks - Fotolia
Die Pflicht zur losweisen Aufteilung der Leistung verbessert den Mittelstandsschutz. | © Janina Dierks - Fotolia

Die durch das Vergaberechts-modernisierungsgesetz 2009 erfolgte Neufassung des § 97 Abs. 3 GWB verpflichtet öffentliche Auftraggeber, mittelständische Interessen „vornehmlich“ zu berücksichtigen. Nach der Vorgängerfassung sollte dies durch Teilung der Aufträge in Fach- und Teillose noch „angemessen“ erfolgen. Das Mittel der Losaufteilung ist nunmehr allgemein in § 97 Abs. 3 S. 2 GWB festgelegt. Eine Gesamtvergabe mehrerer Teil- oder Fachlose ist nach Satz 3 nur möglich, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern. Der Schutz mittelständischer Interessen gilt keineswegs allein für Vergaben oberhalb der Schwellenwerte, sondern ist auch in den Vergabe- und Vertragsordnungen für nationale Vergabeverfahren enthalten. Größere Aufträge sollen gemäß § 5 Abs. 2 VOB/A und § 2 Abs. 2 VOL/A in Lose aufgeteilt werden. Außerdem haben bis auf eines alle Bundesländer Landesgesetze erlassen, die eine Mittelstandsförderung vorsehen.

Sinn und Zweck der Neuregelung

Die Stärkung des Mittelstandsschutzes war eines der wesentlichen politischen Ziele der GWB-Novelle im Jahre 2009. § 97 Abs. 3 GWB stellt nicht nur klar, dass mittelständische Interessen „vornehmlich“ Berücksichtigung finden müssen. Vielmehr ist das Gebot der losweisen Vergabe nicht länger das primäre Instrument für eine mittelstandsfreundliche Vergabe, sondern selbst zum Grundsatz erhoben worden. Die zentrale Passage der Gesetzesbegründung fordert, der Bündelung von Nachfragemacht und Zusammenfassung teilbarer Leistungen entgegenzuwirken (vgl. BT-Drs. 16/10117, S. 15). Eine mittelstandsgerechte Auftragsvergabe hat demnach Nachteile zu minimieren, die sich aus strukturellen Unterschieden zwischen großen und kleineren Unternehmen ergeben, und hierdurch Chancengleichheit herzustellen.

Für öffentliche Auftraggeber hat sich die Ausgangssituation durch den Grundsatz der Losvergabe gleichsam umgekehrt: Unter der Ägide der Altfassung des § 97 Abs. 3 GWB war zu prüfen, ob ein Auftrag einer Losaufteilung zugänglich ist. Die neue Rechtslage erfordert demgegenüber eine Prüfung, ob mehrere Lose, aus denen ein Auftrag qua Definition besteht, ausnahmsweise zusammen vergeben werden dürfen.


Mittelständische Interessen

Die Mittelstandsklausel gehört zu den Vorschriften, auf deren Beachtung Bieter gemäß § 97 Abs. 7 GWB Anspruch haben. Es handelt sich somit nicht um einen bloßen Programmsatz, sondern um ein subjektives Recht. Geschützt sind allerdings nur mittelständische Unternehmen. Auch die Rechtsprechung hat bereits festgestellt, dass Großunternehmen nicht geltend machen können, ein Auftrag hätte in Lose aufgeteilt werden müssen. Problematisch ist insoweit, dass der Begriff „mittelständisch“ weder in § 97 Abs. 3 GWB noch im sonstigen Vergaberecht definiert ist.

Die Bezeichnung Mittelstand umfasst die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), für die es ebenfalls an einer einheitlichen Definition mangelt. Das Institut für Mittelstandsforschung in Bonn zieht die Grenze bei 499 Beschäftigten oder einem Jahresumsatz von unter 50 Mio. Euro. Die Europäische Kommission empfiehlt eine Grenze, die bei weniger als 250 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von höchstens 50 Mio. Euro liegt.

Da diesen Definitionen kein rechtsverbindlicher Charakter zukommt, stellen sie lediglich einen Anhaltspunkt dar. Öffentliche Auftraggeber sollten daher stets mit Blick auf den relevanten Markt die Grenzen der mittelständischen Interessen bestimmen.

Pflicht zur Losvergabe

An die Verpflichtung zur losweisen Vergabe knüpft sich stets die Frage nach dem Zuschnitt der einzelnen Lose. Die vergaberechtliche Rechtsprechung zu dieser Frage (vgl. zuletzt OLG Karlsruhe, Beschl. v. 06. 04. 2011 – 15 Verg 3/11) betont, dass es dem Beurteilungsspielraum des Auftraggebers unterliege, wie er den Auftragsgegenstand zuschneidet. Der Zuschnitt muss sachlich zu begründen sein; Zahl und Größe der Lose müssen eine Bewerbung mittelständischer Unternehmen um Teilaufträge zulassen.

Das OLG Karlsruhe hat aber auch ausgeführt, dass mittelständische Interessen und Wettbewerbsgrundsatz in einem Spannungsverhältnis stehen. Daher ist es etwa nicht erforderlich, dass alle potenziellen Bewerber die Möglichkeit haben müssen, sich an dem Wettbewerb zu beteiligen.

Umstritten ist, ob eine Loslimitierung, wonach nur eine bestimmte Zahl von Losen an einzelne Bieter vergeben wird, zur Mittelstandsförderung zulässig ist. Geklärt ist hingegen durch die Rechtsprechung, dass eine für den Mittelstand angemessene Losteilung durch ein Zulassen von Bietergemeinschaften und der Möglichkeit des Einsatzes von Nachunternehmen nicht ersetzt werden kann. Der Normzweck der Mittelstandsklausel gebietet, dass mittelständische Unternehmen in die Lage versetzt werden, sich eigenständig an der Ausschreibung zu beteiligen.

Die bislang noch nicht erwähnte Regelung des § 97 Abs. 3 S. 4 GWB statuiert eine Pflicht zur Losvergabe für Private, sofern solche mit der Wahrnehmung oder Durchführung einer öffentlichen Aufgabe betraut werden. In diesem Fall verpflichtet der Auftraggeber das Unternehmen, sofern es Aufträge an Nachunternehmen vergibt, nach den Sätzen 1 bis 3 zu verfahren. Damit soll nach der Gesetzesbegründung auch bei ÖPP-Projekten eine mittelstandsfreundliche Auftragsvergabe sichergestellt werden.

Zulässigkeit der Gesamtvergabe

Auch die Neufassung der Mittelstandklausel will verhindern, dass es zu einer wirtschaftlich und/oder technisch unsinnigen Zersplitterung öffentlicher Aufträge kommt. Da eine Gesamtvergabe aus wirtschaftlichen oder technischen Gründen „erforderlich“ sein muss, bleibt Auftraggebern bei der Ausfüllung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs ein Beurteilungsspielraum. Eine gesamthafte Vergabe ist zu begründen und in der Vergabeakte zu dokumentieren. In der Regel empfiehlt es sich, eine Grenze zu definieren, bis zu deren Erreichen wirtschaftliche oder technische Nachteile wegen der vornehmlichen Berücksichtigung mittelständischer Interessen hinzunehmen sind.

Die Rechtsprechung stellt für die Nachprüfung einer Gesamtvergabe nach wie vor auf eine sachorientierte Betrachtung ab. Auftraggeber müssen also wirtschaftlich und/oder funktional nachvollziehbare Interessen anführen. Für diese Rechtsentwicklung spricht, dass der Mittelstandsschutz mit dem Grundsatz einer wirtschaftlichen Beschaffungstätigkeit in Einklang zu bringen ist. Den Bietern steht folglich kein absoluter Anspruch auf eine Losaufteilung zu. Es besteht vielmehr ein Anspruch darauf, dass der Auftraggeber von dem ihm eingeräumten Beurteilungs- und Ermessenspielraum in ermessensfehlerfreier Weise unter Berücksichtigung der Grundsätze des § 97 GWB Gebrauch macht.

Weitere Ansätze zur Berücksichtigung mittelständischer Interessen

Wenngleich in der Praxis andere Aspekte des Mittelstandsschutzes neben der Losaufteilung eine nur geringe Rolle spielen, gibt es Gestaltungsmöglichkeiten, die mittelständische Interessen unmittelbar sowohl positiv als auch negativ beeinflussen können. Bei komplexen Auftragsvergaben sollten beispielsweise Verfahrensfristen ausreichend lang bemessen sein. Dann haben auch kleinere Unternehmen eine realistische Chance, den Aufwand der Angebotserstellung zu bewältigen. Hohe Anforderungen bei verfahrensleitenden Entscheidungen, etwa an Referenzen, an die Qualifikation des zur Auftragsausführung vorgesehenen Personals oder besondere Leistungsmodalitäten wirken dagegen grundsätzlich mittelstandsbeschränkend.

Fazit

Die Neufassung der Mittelstandsklausel hat die vergaberechtliche Praxis bislang weniger stark beeinflusst, als gemeinhin erwartet worden war. Die Rechtsprechung überprüft die vergaberechtliche Zulässigkeit einer Gesamtvergabe nach wie vor überwiegend anhand einer sachorientierten Betrachtungsweise. Öffentlichen Auftraggebern steht hierbei ebenso wie beim Zuschnitt einzelner Lose ein Beurteilungsspielraum zu, den die Rechtsprechung nur auf Ermessensfehler überprüfen kann. Soll eine Losaufteilung unterbleiben, ist diese Entscheidung sorgfältig und nachvollziehbar zu begründen, damit sie auch in einem etwaigen Nachprüfungsverfahren Bestand hat.

 

Dr. Martin Ott

Rechtsanwalt, Menold Bezler Rechtsanwälte Partnerschaft, Stuttgart
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