15.05.2014

Wer kontrolliert das ZDF?

Bundesverfassungsgericht ordnet die Aufsichtsgremien des ZDF neu

Wer kontrolliert das ZDF?

Bundesverfassungsgericht ordnet die Aufsichtsgremien des ZDF neu

Strategien im Machtspiel der Parteien: Schutz der Rundfunkfreiheit an der Grenze zur Rundfunkpolitik? | © XK - Fotolia
Strategien im Machtspiel der Parteien: Schutz der Rundfunkfreiheit an der Grenze zur Rundfunkpolitik? | © XK - Fotolia

Ende März hat das Bundesverfassungsgericht die Kontrolle und Steuerung des ZDF neu geordnet. Im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens hat es wichtige Teile des ZDF-Staatsvertrags für verfassungswidrig erklärt. Bis zum
30. Juni 2015 muss der Gesetzgeber eine neue, verfassungsgerechte Kontrollstruktur für das ZDF entwickeln. Aber das Gericht ist sogar noch weiter gegangen: Es hat den zuständigen Länderparlamenten detaillierte Vorgaben gemacht, wie sie die Kontrolle organisieren müssen.

Die Macht des Rundfunks – und ihre Kontrolle?

Rundfunkanstalten sind in der Massendemokratie überragend wichtig – und sehr mächtig. Ohne freien Rundfunk gibt es keine Demokratie. Wie sollte politische Kommunikation ohne Rundfunk in der modernen Demokratie funktionieren? Das Grundgesetz achtet die Medienfreiheit deshalb sehr und schützt sie stark. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ist eine Schlüsselnorm der Demokratie. Aber: Auch die Macht der Medien kann nicht unbegrenzt sein. Wie jede Macht in der Demokratie müssen auch die Rundfunkanstalten kontrolliert werden. Wer soll das tun?

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steckt in einem Dilemma, aus dem er grundsätzlich nicht herausfinden kann. Er muss – einerseits – natürlich staatsfern sein. Der Staat und seine Vertreter dürfen ihn nicht dominieren – weder direkt noch indirekt. Kurz: Staatsrundfunk widerspricht dem Grundgesetz und seinen Vorstellungen von politischer Kommunikation in der modernen Demokratie. Andererseits ist nur schwer vorstellbar, wie die Kontrolle des Rundfunks ohne den Staat stattfinden soll. Immerhin sind die Vertreter des Staates in demokratischen Verfahren gewählt, um die Interessen der Allgemeinheit zu vertreten. Und dazu gehört auch, einen pluralistischen und demokratischen Rundfunk zu gewährleisten.


Der ZDF-Fernsehrat

Aber wie soll der öffentlich-rechtliche Rundfunk den Staat kritisieren und kontrollieren, wenn er seinerseits von Staatsvertretern beaufsichtigt und gesteuert wird? Der ZDF-Staatsvertrag versucht diese Quadratur des Kreises zu schaffen – durch die Zusammensetzung des Fernsehrates.

Der Fernsehrat ist das wichtigste Gremium, in dem die grundlegenden Entscheidungen für das ZDF fallen – oder jedenfalls fallen sollen. Er entscheidet auch über die Programmrichtlinien und muss die inhaltliche Vielfalt des Rundfunkprogramms sichern. Er hat 77 Mitglieder, die möglichst repräsentativ aus allen relevanten Gruppen der deutschen Gesellschaft kommen sollen. Durch diese binnenpluralistische Zusammensetzung sollen nicht der Staat und die politischen Parteien allein, sondern auch die Zivilgesellschaft die Kontrolle über das ZDF ausüben.

In der Theorie klingt das auch plausibel. In der Praxis funktioniert das Konzept aber nicht wirklich. Nach § 21 ZDF-Staatsvertrag sind nur 34 Mitglieder – also weniger als die Hälfte – direkte Vertreter des Staates und seiner Organe. Das Problem ist aber: Viele Verbände, die eine gesellschaftliche Gruppe repräsentieren (sollen), schicken ehemalige Bundesminister und aktive Parteipolitiker. Einige Beispiele von vielen: Für das Rote Kreuz sitzt Rudolf Seiters im Fernsehrat, der ehemalige und langjährige Bundesinnenminister. Die Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach vertritt den Bund der Vertriebenen im Fernsehrat. Der Vertreter der Arbeiterwohlfahrt im Fernsehrat war lange Jahre Landtags-und Bundestagsabgeordneter der SPD. Mit anderen Worten: Der Einfluss von Politik und Staat im Fernsehrat ist größer, als die theoretische Zusammensetzung es vermuten lässt.

Freundeskreise – rot und schwarz

Wichtige Entscheidungen, die der Fernsehrat zu fällen hat, werden am Vorabend in politischen Machtzirkeln vorbesprochen und vorentschieden. Im „roten Freundeskreis“ treffen sich die SPD-nahen Fernsehräte, im „schwarzen Freundeskreis“ versammeln sich die Mitglieder dieses Gremium, die im Lager der CDU stehen. Solche Abstimmungen sind in der (partei)politischen Praxis vollkommen üblich und oft sinnvoll. Die Freundeskreise zeigen, wie stark die Willensbildung im ZDF-Fernsehrat von der (Partei-)Politik dominiert wird.

Das Veto aus Karlsruhe

Diese Praxis haben die Karlsruher Richter jetzt als verfassungswidrig eingestuft. Sie schlagen neue Pflöcke ein, um die Staatsferne des ZDF wiederherzustellen.

Die erste und wichtigste Festlegung durch das Gericht ist: Staatliche und staatsnahe Personen dürfen höchstens ein Drittel der Mitglieder des Fernseh- und des Verwaltungsrates ausmachen. Im Augenblick sind es deutlich mehr. Das Verfassungsgericht geht von 44 % aus.

Staatsvertreter sind leicht zu identifizieren. Das sind alle Personen, die ein staatliches Amt innehaben. In der Praxis des Fernsehrates sind das vor allem Minister, Staatssekretäre und Abgeordnete. Schwieriger ist es allerdings festzustellen, wer zu den staatsnahen Personen zählt. Das Bundesverfassungsgericht schreibt eine funktionale Betrachtungsweise vor. Staatsnah ist, wer staatlich-politische Entscheidungsmacht innehat oder im Wettbewerb um ein hierauf gerichtetes öffentliches Amt oder Mandat steht. Staatsnahe Personen können deshalb auch Wahlbeamte in Leitungsfunktionen oder Mitglieder politischer Parteien mit herausgehobener Verantwortung sein. Wichtige Parteipolitiker zählen deshalb auch dann zu diesem Personenkreis, wenn sie etwa von der Europa-Union oder vom Deutschen Städtetag in den ZDF-Fernsehrat entsandt worden sind. Nach der neuen Rechtsprechung sind sie nicht mehr zu den staatsfernen, sondern zu den staatsnahen Personen zu rechnen – und fallen damit unter die Begrenzung auf ein Drittel der Mitglieder.

Verfahrensfragen sind dabei keine unwichtigen Formalien. Wie ein Verfahren organisiert wird, beeinflusst auch das Ergebnis, das durch dieses Verfahren gewonnen wird. Völlig zu Recht befassen sich deshalb die Richter in Karlsruhe auch mit der Frage, wie die staatsfernen Mitglieder des Fernsehrats – also die Mehrheit – ausgewählt und bestellt werden. Die bisherige Regelung in § 21 Abs. 3 des ZDF-Staatsvertrages (ZDF-StV) hält das Bundesverfassungsgericht – zu Recht – für verfassungswidrig. Ob eine staatsferne Person in den Fernsehrat berufen wird, entscheiden bisher die Ministerpräsidenten. Die Verbände, die Mitglieder benennen dürfen, legen eine Liste mit mehreren Personalvorschlägen vor. Aus dieser Liste wählen die Ministerpräsidenten dann aus. Das ist nichts anderes als ein Letztentscheidungsrecht der staatlichen Exekutive auch über die staatsfernen Mitglieder des ZDF-Fernsehrats. Das wird vom Verfassungsgericht verworfen. In Zukunft sollen die Verbände die Vorschläge machen, die nur in Ausnahmefällen zurückgewiesen werden dürfen, wenn besondere rechtliche Gründe vorliegen.

Aus demselben Grund wird auch § 21 Abs. 4 ZDF-StV von den Karlsruher Richtern als verfassungswidrig eingestuft. Denn danach werden bisher 16 – an sich staatsferne – Vertreter aus künstlerischen, kulturellen, sozialen und wissenschaftlichen Bereichen der Gesellschaft möglichst einmütig von den Ministerpräsidenten – also hochrangigen Staatsvertretern – berufen.

Verfassungsrecht – oder schon Rundfunkpolitik?

Zum Teil ist das Urteil überzeugend. Die Rundfunkfreiheit in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG und der Demokratiegrundsatz fordern einen pluralistischen und weitgehend staatsfreien öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die Regelungen des Staatsvertrages, die das Gericht als verfassungswidrig verworfen hat, waren damit nicht vereinbar. Das Gericht leistet mit seinem Urteil einen wichtigen Beitrag dazu, die Rundfunkfreiheit insgesamt zu stärken.

Trotzdem ist das Urteil äußerst problematisch. Denn das Gericht in Karlsruhe überschreitet seine verfassungsrechtlichen Kompetenzen. Die Feststellung des Verfassungsgerichts, dass staatlicher Einfluss in den Aufsichtsgremien nicht dominieren darf, ist eine legitime Auslegung der Rundfunkfreiheit. Wenn das Gericht also § 21 Abs. 1 ZDF-StV als verfassungswidrig verwirft, erfüllt es seine Funktion als Verfassungsgericht. Wenn Karlsruhe aber postuliert, dass höchstens ein Drittel aller Mitglieder der Aufsichtsgremien Staatsvertreter und staatsnahe Personen sein dürfen, überschreitet es die Grenze zur Rundfunkpolitik. Denn diese konkrete Begrenzung lässt sich dem Grundgesetz nirgendwo entnehmen. Sie wird vom Gericht politisch festgesetzt. Genauso könnte man nämlich auch behaupten, höchstens ein Viertel oder 50 % der Gremienmitglieder dürften Staatsvertreter und staatsnahe Personen sein.

Die Richter betonen mehrfach, dass der Gesetzgeber einen weiten Wertungs-und Gestaltungsspielraum hat. Das bleibt aber ein Lippenbekenntnis. In Wirklichkeit betreibt das Verfassungsgericht mit diesem Urteil aktive Rundfunkpolitik. Das aber ist Aufgabe der Politik und der Parlamente, nicht der Gerichte.

Ressentiments gegenüber der Politik?

Im Urteil – und stärker noch in der abweichenden Meinung des Verfassungsrichters Paulus – schimmert zwischen den Zeilen ein generelles Misstrauen gegenüber der Politik und den Politikern durch. Besonders deutlich wird das, wenn das Gericht ganz apodiktisch postuliert: Als staatsferne Mitglieder dürften keine Personen berufen werden, die in herausgehobener Funktion Verantwortung für eine politische Partei tragen. Darüber kann man schon verfassungsrechtlich sehr streiten. Immerhin betont Art. 21 Abs. 1 GG die wichtige Funktion und die herausgehobene Stellung politischer Parteien für die Demokratie. Vor allem aber ist der pauschale Ausschluss von Parteipolitikern aus dem Kreis der staatsfernen Fernsehräte inhaltlich völlig verfehlt. Die Aufgabe des ZDF-Fernsehrates ist eine genuin politische. Es müssen konträre Interessen artikuliert und ausbalanciert werden. Kompromisse müssen erdacht und umgesetzt werden. Das setzt spezifische Fähigkeiten voraus, über die professionelle Politiker in der Regel verfügen.

Neben der Professionalität spricht für Politiker in den ZDF-Gremien auch ein demokratisches Argument. Politiker sind demokratisch legitimiert. Sie werden gewählt; sie können von Wählern beeinflusst und abgewählt werden. Dadurch ist auch ein Mindestmaß an Transparenz gegeben. Das ist bei Fernsehratsmitgliedern, die von Verbänden entsandt werden, zum Teil völlig anders. Sie können von Wählern nicht beeinflusst werden. Wie sie Mitglied des Fernsehrats geworden sind, ist oft kaum nachvollziehbar und wenig transparent.

Was bleibt als – ganz zwiespältiges – Fazit? Soweit die Richter als echtes Verfassungsgericht agieren, stärken Sie die Rundfunkfreiheit. Die Regelungen des ZDF-StV, die Sie als verfassungswidrig verwerfen, waren in der Tat kaum mit der Rundfunkfreiheit zu vereinbaren. Die inhaltlichen Vorgaben allerdings, die sie dem Gesetzgeber für die Neuregelung des ZDF-StV machen, sind verfehlt. Sie sind inhaltlich wenig überzeugend. Und was schlimmer ist: Die Richter in Karlsruhe überschreiten damit ihre Kompetenzen und machen (Rundfunk)Politik.

 

Prof. Dr. Dr. Volker Boehme-Neßler

Hochschule für Technik und Wirtschaft, Berlin
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