15.05.2014

Geht Länderöffnungsklausel zu weit?

Mindestabstand zu Windenergieanlagen für jede bauliche Nutzung geplant

Geht Länderöffnungsklausel zu weit?

Mindestabstand zu Windenergieanlagen für jede bauliche Nutzung geplant

Der Regierungsentwurf sieht einen Mindestabstand zu Windkraftanlagen nicht nur für Wohnnutzungen vor. | © Petair - Fotolia
Der Regierungsentwurf sieht einen Mindestabstand zu Windkraftanlagen nicht nur für Wohnnutzungen vor. | © Petair - Fotolia

Für Windenergieanlagen ist eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung nach § 4 BImSchG erforderlich (§ 1 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Nr. 1.6 Anlage 1 der 4. BImSchV). In diesem Genehmigungsverfahren wird unter anderem geprüft, ob dem Vorhaben sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften, wie etwa das Bauplanungsrecht, entgegenstehen (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG). Der bundesrechtliche § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB privilegiert bauplanungsrechtlich im Außenbereich Vorhaben, die der Nutzung der Windenergie dienen. Dies bedeutet, dass Windenergieanlagen bauplanungsrechtlich im Außenbereich errichtet werden dürfen, wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen.

Abstandsflächenrecht (bisherige Rechtslage)

Nicht zu den öffentlichen Belangen des Bauplanungsrechts zählen die Belange der Belichtung, Belüftung und Besonnung oder des Brandschutzes, denen mit höhenbezogenen Abstandsflächenregelungen Geltung verschafft werden soll. Abstandsflächenregelungen sind als klassischer Bereich des bauordnungsrechtlichen Sicherheitsrechts dem Landesgesetzgeber vorbehalten und werden auch im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren für eine Windkraftanlage geprüft (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG).

Hier wäre es bei der Prüfung der Genehmigungsvoraussetzungen denkbar, dass die bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften nicht eingehalten werden und die immissionsschutzrechtliche Genehmigung wegen eines Verstoßes gegen andere öffentlich-rechtliche Vorschriften (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG) nicht erteilt wird. Bei der Berechnung der Tiefe der landesrechtlichen Abstandsflächen ist von der Gesamthöhe der Windkraftanlage (Nabenhöhe und Umbauradius) auszugehen, wodurch der Abstand von der Windkraftanlage zur Grundstücksgrenze bestimmt wird (siehe hierzu etwa BayVGH, Urt. v. 28. 07. 2009, Az. 22 BV 08.3427, in: BayVBl. 2010, 47). Bei einer Höhe der Windkraftanlage von 200 Meter wäre folglich bauordnungsrechtlich ein Abstand zur Grundstücksgrenze von 200 Meter notwendig.


Von Nachbarn werden diese bauordnungsrechtlichen Grenzabstände vielfach als zu gering erachtet, insbesondere wenn es sich auf dem Nachbargrundstück um Wohnbebauung handelt. Daher liegt es auf der Hand, dass das Abstandsflächenrecht keinen ausreichenden Schutz gegen Lärmbeeinträchtigungen oder ästhetische Beeinträchtigungen bieten will und bieten kann.

Schädliche Umwelteinwirkungen (bisherige Rechtslage)

Die Belange der benachbarten Wohnbebauung können aber über die §§ 6 Abs. 1 Nr. 1 und 5 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BImSchG im Genehmigungsverfahren berücksichtigt werden. Diese Vorschriften ermöglichen die Ablehnung des immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsantrages, wenn durch die Anlage schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft hervorgerufen werden oder keine Vorsorge gegen derartige Einwirkungen getroffen wird. In diesem Sinne sind Nachbarn von Windenergieanlagen zwar nicht von der ästhetischen Wirkung betroffen, da diese nicht als schädliche Umwelteinwirkung zu werten ist. Die Beeinträchtigung der Nachbarn ergibt sich aber vielmehr durch mögliche Lärmimmissionen, die von der Anlage ausgehen.

Probleme bereitet hierbei allerdings – wie häufig in immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren – die Frage, bei welchen Abständen die Windkraftanlagen keine schädlichen Umwelteinwirkungen auf die Nachbarschaft hervorrufen. Hierzu sind die Grenzwerte der TA Lärm heranzuziehen. Nr. 6.1 der TA Lärm sieht hierbei tagsüber Grenzwerte von 50 dB(A) im reinen Wohngebiet, bis zu 60 dB(A) in Dorf- und Mischgebieten vor. Nachts sind in diesen Gebieten Grenzwerte zwischen 35 dB(A) und 45 dB(A) einzuhalten.

Unter Berücksichtigung der Grenzwerte der TA Lärm sind die Länder dazu übergegangen, Empfehlungen zu den Abständen von Windkraftanlagen zu erarbeiten. So wird beispielsweise in Bayern mit einer gemeinsamen Bekanntmachung mehrerer Ministerien vom 20. 12. 2011 für die Bauleitplanung empfohlen, einen Abstand von 800 m zu einem Allgemeinen Wohngebiet, 500 m zu einem Misch- oder Dorfgebiet bzw. einem Außenbereichsanwesen und 300 m zu einer Wohnnutzung im Gewerbegebiet einzuhalten. Dagegen wurde in Nordrhein-Westfalen mit dem gemeinsamen Erlass mehrerer Ministerien vom 11. 07. 2011 kein konkreter Abstand zur Wohnbebauung empfohlen.

Geplante Neuregelungen

Da Windkraftanlagen aufgrund ihrer Höhe in der Nachbarschaft als erdrückend empfunden werden, auch wenn die immissionsschutzrechtlichen Abstände eingehalten werden, brachten die Freistaaten Bayern und Sachsen am 02. 07. 2013 den „Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Baugesetzbuchs (BauGB)“ in den Bundesrat ein (BR-Dr. 569/13), wonach die Länder entscheiden dürfen, dass die Privilegierung der Windenergie nur möglich ist, wenn ein von den Ländern zu bestimmender angemessener höhenbezogener Mindestabstand zur Wohnbebauung eingehalten wird. Die Länder sollen demzufolge – je nach den topographischen Verhältnissen – entscheiden, welche Mindestabstände zur Wohnbebauung eingehalten werden müssen, damit Windkraftanlagen ihre Privilegierung im Außenbereich erhalten.

Nachdem der Gesetzesantrag der Freistaaten Bayern und Sachsen in der Sitzung des Bundesrats vom 05. 07. 2013 an den Ausschuss für Städtebau, Wohnungswesen und Raumordnung verwiesen wurde, griff der Koalitionsvertrag vom 16. 12. 2013 die Idee der Länderöffnungsklausel auf. Seit dem 08. 04. 2014 liegt ein Regierungsentwurf für ein „Gesetz zur Einführung einer Länderöffnungsklausel zur Vorgabe von Mindestabständen zwischen Windenergieanlagen und zulässigen Nutzungen“ vor. Dieser Regierungsentwurf plant § 249 BauGB um einen dritten Absatz zu ergänzen. Im Gegensatz zu der Gesetzesinitiative der Freistaaten Bayern und Sachsen vom 02. 07. 2013, in der von einem angemessenen höhenbezogenen Mindestabstand zur Wohnbebauung die Rede war, ermöglicht der Regierungsentwurf einen Mindestabstand zu allen baulichen Nutzungen. Zudem sollen die Länder auch bestimmen dürfen, welche Auswirkungen die von ihnen im Landesgesetz festgelegten Abstände auf Ausweisungen in bereits geltenden Flächennutzungsplänen und Raumordnungsplänen haben.

Bewertung der geplanten Länderöffnungsklausel

Grundsätzlich dürfte der Weg über die Koppelung der Privilegierung an die Einhaltung von länderspezifischen Abständen eine Möglichkeit sein, um größere Mindestabstände zu realisieren. Die immissionsschutzrechtlichen Abstände sind an den verursachten Lärm gekoppelt. Eine Regelung von größeren Abstandsflächen in den Landesbauordnungen scheidet aus, weil die Länder in den Landesbauordnungen die Abstandsflächen nur regeln können, soweit es um sicherheitsrechtliche Aspekte geht. Diese sind jedoch nicht ersichtlich, wenn man Abstandsflächen normiert, um eine erdrückende Wirkung zu lindern. Insoweit geht es dann vielmehr um die Normierung der Bodenordnung. Nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG handelt es sich im Falle der Bodenordnung, zu der der Regelungsbereich des BauGB zählt, um die konkurrierende Gesetzgebung, von der der Bund Gebrauch machen darf. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann der Bundesgesetzgeber den Ländern im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung auch Teilbereiche zur Regelung überlassen (so schon Beschluss vom 09. 05. 1973, Az. BvL 43/71, in: BayVBl. 1973, 462, 463), sodass gegen die geplante Länderöffnungsklausel formell keine Bedenken bestehen. Problematisch dürfte aber sein, dass der geplante § 249 Abs. 3 Satz 2 BauGB die Länder auch ermächtigt, die Auswirkungen der Mindestabstände auf bereits geltende Flächennutzungspläne und Regionalpläne zu regeln. Insoweit könnten die Länder mit einem Gesetz in eine vorhandene Bauleitplanung eingreifen, die bereits früher auf Basis des BauGB erlassen wurde. Diesbezüglich wird es Aufgabe der jeweiligen Landesgesetze sein, eine Lösung zu finden, um die verfassungsrechtlichen Probleme in Bezug auf die kommunale Selbstverwaltung und die Rückwirkung zu berücksichtigen.

Inhaltlich ist der Gesetzentwurf der Bundesregierung nun wesentlich weiter, als von den Freistaaten Bayern und Sachsen ursprünglich gefordert. Die beiden Länder waren bestrebt, die Befugnis zur Regelung des Mindestabstands zu einer Wohnnutzung zu bekommen. Wenn das geplante Gesetz vom Bundestag beschlossen wird, dürfen die Länder aber nicht nur einen Mindestabstand zu Wohnnutzungen vorsehen, sondern zu jeder Art von baulicher Nutzung einen Mindestabstand definieren. Dadurch kann die Privilegierung für Windenergieanlagen im Außenbereich möglicherweise leer laufen, weil bei sehr großen Mindestabständen gerade in dicht besiedelten Bundesländern kein Raum mehr für die Nutzung der Windenergie bleiben könnte. Damit hätten es die Länder möglicherweise selber in der Hand, den Privilegierungstatbestand des § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB faktisch abzuschaffen.

Aufgrund der erdrückenden Wirkung von sehr großen Windenergieanlagen sollten ursprünglich nur Wohnnutzungen von größeren Abständen zu Windenergieanlagen profitieren. Bei einer sonstigen baulichen Nutzung dürfte die erdrückende Wirkung von sehr großen Windenergieanlagen von untergeordneter Bedeutung sein. Deswegen sollten die im Zusammenhang bebauten Ortsteile oder die Bebauungsplangebiete, die z. B. ein allgemeines Wohngebiet festsetzen, im Vordergrund der Überlegungen stehen. Denn schon bei einer Wohnnutzung im Außenbereich oder in einem Gewerbegebiet ist die Frage erlaubt, ob der Nutzung der Windenergie Einschränkungen zugemutet werden können, obwohl sich die Eigentümer der benachbarten Außenbereichsgrundstücke bewusst für ein Wohnen im Außenbereich, der gerade privilegierten Nutzungen vorbehalten sein sollte, entschieden haben. Wenn es also schon überlegenswert ist, ob die Windenergie gegenüber den Wohnnutzungen im Außenbereich größere Mindestabstände einhalten muss, stellt sich umso mehr die Frage, warum Windenergieanlagen auch gegenüber einer sonstigen baulichen Nutzung einen großen Mindestabstand einhalten sollten. Diese Fragen müssen die Länder beantworten, wenn der Gesetzentwurf wie geplant am 01. 08. 2014 Gesetz werden sollte.

Hinweis der Redaktion: Siehe auch die jüngsten Veröffentlichungen zum Thema Windenergie in den PUBLICUS-Ausgaben 2014.3 S. 16 und 2014.4 S. 9.

 

Prof. Dr. Fritz Böckh

Meidert & Kollegen, Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Augsburg
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