15.05.2014

Streaming = illegaler Download?

Gerichte und Gesetzgeber uneins bei Urheberrecht und Abmahnungen

Streaming = illegaler Download?

Gerichte und Gesetzgeber uneins bei Urheberrecht und Abmahnungen

Streaming – das Abspielen von Filmen im Netz: komfortabel, aber rechtliches Neuland. | © vector_master
Streaming – das Abspielen von Filmen im Netz: komfortabel, aber rechtliches Neuland. | © vector_master

Ist das Streaming, das Betrachten eines Videostreams, eine Urheberrechtsverletzung? Den Eindruck vermittelte im Dezember 2013 eine Kanzlei, die im Auftrag der Firma The Archive AG massenhafte Abmahnungen an Nutzer des Videostreamportals redtube.com verschickte. Hiervon sollen nach Medienberichten über 10.000 Nutzer betroffen sein. Diese Abmahnwelle ist nicht klanglos verebbt, sondern hat ein Echo ausgelöst, nachdem das am 09. 10. 2013 in Kraft getretene Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken Massenabmahnungen verhindern sollte. Die Abgeordneten Wawzyniak u. a. und die Fraktion Die Linke haben am 17. 12. 2013 eine Kleine Anfrage („Konsequenzen aus der Abmahnwelle gegen Nutzerinnen und Nutzer des Videostream-Portals Redtube.com“, BT-Drs. 18/195) gestellt, die von der Bundesregierung durch Bundesjustizminister Heiko Maas am 30. 12. 2013 beantwortet wurde. Worum geht es?

Streaming – der Begriff

Unter Streaming wird die Datenübertragung verstanden durch auf einem Rechnernetz empfangene gleichzeitig wiedergegebene Audio- und Videodaten. Im Unterschied zum Download geht es nicht darum, eine dauerhafte Kopie der Medien anzulegen, sondern die Medien unmittelbar zu verwerfen. Als Beispiele sind Web-Radio und Portale wie youtube zu nennen. Anders als bei Tauschbörsen werden durch das Ansehen von Filmen via Stream die Inhalte nicht anderen Personen und nicht öffentlich zur Verfügung gestellt. Es handelt sich also nicht um einen Download.

Erste Stufe: Auskunftsansprüche

Im Fall von redtube hat die Firma IP-Adressen von Nutzern ermitteln lassen. Unter welchen Umständen diese gesammelt wurden, sei dahingestellt. Für die Zuordnung zu Anschlussinhabern wurden Auskunftsansprüche geltend gemacht. Es wurden Anträge gestellt, über Verkehrsdaten (§ 3 Nr. 30 TKG) Auskunft zu erteilen über die Nutzer. Medienberichten zufolge wurden 89 Auskunftsansprüche beim LG Köln gestellt. 62 Anträgen wurde stattgegeben; 27 wurden abgelehnt. In Rede stehen Auskunftsbegehren über Adressdaten von 1000 IP-Adressen pro Beschluss, weshalb der Begriff Abmahnwelle nicht übertrieben ist. Das LG hat divergierende Entscheidungen erlassen. Dazu kam es, weil verschiedene Kammern befasst waren und weil einzelne Richter die Anträge genauer geprüft haben. So hat das LG in zwei Beschlüssen vom 17. 10. 2013 (214 O 190/13) und vom 01. 12. 2013 (228 O 173/13) einen Auskunftsanspruch abgelehnt, weil dieser „an einen Download des geschützten Rechts und damit an einen Verstoß gegen das Vervielfältigungsrecht gemäß § 16 UrhG“ anknüpft, zur „Form des Downloads“ aber jedweder Vortrag fehle, „so dass nicht beurteilt werden kann, ob eine Speicherung auf der Festplatte erfolgt oder ein Fall des Cachings oder Streamings vorliegt, bei dem streitig ist, ob hierdurch urheberrechtliche Vervielfältigungsrechte verletzt werden.“


In anderen – stattgebenden – Beschlüssen (z. B. v. 12. 08. 2013, 226 O 86/13) hat das LG Köln die Voraussetzungen für eine Anordnung nach § 101 Abs. 9 UrhG dagegen als erfüllt angesehen, da durch „das unbefugte öffentliche Zugänglichmachen des geschützten Werks (…) über eine sog. Tauschbörse“ (…) eine Rechtsverletzung i.S.v. § 19a UrhG“ vorliege. Damit hat das Gericht den Weg für die Massenabmahnungen erst bereitet. Der Umstand, dass in dem Beschluss nicht von einem Videostreamportal, sondern von einer Tauschbörse die Rede ist, spricht dafür, dass die Richter die Anträge und die Rechtslage keiner hinreichenden Prüfung unterzogen haben.

Zweite Stufe: Abmahnung – Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung, Schadensersatz

Die wegen des Betrachtens bestimmter Werke ausgesprochenen Abmahnungen unterstellen eine Urheberrechtsverletzung. Es werden Schadensersatz, Aufwendungen, Anwaltsgebühren auf der Grundlage eines Streitwerts von über € 1.000 und die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung verlangt.

Nicht erörtert wird an dieser Stelle, ob es sich um rechtsmissbräuchliche Massenabmahnungen handelt, bei denen die Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs unzulässig ist (§ 8 Abs. 4 UWG), soweit sie dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen zu lassen (OLG Nürnberg, Urt. v. 03. 12. 2013, 3 U 348/13).

Urheberrechtlich relevante Vervielfältigung

Fraglich ist, ob das Streaming als urheberrechtlich illegale Handlung zu qualifizieren ist. Das Recht, ein Werk öffentlich zugänglich zu machen, ist dem Urheber vorbehalten (§ 19 UrhG). Dies hat auch der Anbieter eines Films zu beachten. Gegen eine Urheberrechtsverletzung durch den Nutzer spricht, dass ein Film nur abgespielt und nicht vollständig auf der Festplatte gespeichert wird. Für kurze Zeit werden aber im Browsercache, auf einem Teil der Festplatte, Bruchteile des Films temporär zwischengespeichert, um für ein aussetzungsfreies Abspielen einen Datenpuffer vorzuhalten. Es handelt sich nur um wenige Sekunden Vorlaufzeit. Diese ultrakurz auftretenden Minimalaufzeichnungen vermögen eine Urheberrechtsverletzung nicht zu begründen.

Zulässige Privatkopien

Soweit man auf eine Vervielfältigung abstellt, die beim Betrachten eines Streams entsteht, könnte diese nach § 53 Abs. 1 UrhG zulässig sein. So dürfen von Vorlagen, die nicht offensichtlich rechtswidrig zugänglich gemacht werden, Privatkopien hergestellt werden. Auf Portalen wie youtube ist jedoch nicht erkennbar, wie ein Film auf die Plattform gelangt ist. Für den Nutzer ist nicht ersichtlich, ob die Verbreitung eines Films nicht vom Urheber gestattet worden ist. Das Merkmal der offensichtlichen Rechtswidrigkeit bezieht sich nur auf das Urheberrecht, sodass es irrelevant ist, ob es sich um eine nach deutschem Recht illegale – nach amerikanischem Recht legale – Verbreitung pornographischer Schriften handelt oder nicht. Soweit die Voraussetzungen von § 53 Abs. 1 UrhG nicht vorliegen, könnte das Streaming als zulässige Form einer vorübergehenden Vervielfältigung angesehen werden.

Vorübergehende Vervielfältigung

Nach § 44a UrhG sind vorübergehende Vervielfältigungshandlungen zulässig, die flüchtig oder begleitend sind und einen integralen und wesentlichen Teil eines technischen Verfahrens darstellen und deren alleiniger Zweck es ist, eine Übertragung in einem Netz zwischen Dritten durch einen Vermittler oder eine rechtmäßige Nutzung eines Werkes oder sonstigen Schutzgegenstand zu ermöglichen, und die keine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung haben. Da sich die kurzzeitige Zwischenspeicherung im Cache als flüchtig und begleitend und nur als integraler Teil eines technischen Verfahrens darstellt, ist das Streaming als vorübergehende Vervielfältigungshandlung (§ 44a UrhG) zu bewerten, die vom Kopierverbot ausgenommen ist.

Stellungnahme des BMJ

In seiner Stellungnahme hat das BMJ ausgeführt, dass die Bundesregierung „das reine Betrachten eines Videostreams nicht für eine Urheberrechtsverletzung“ hält. Einschränkend hat das BMJ darauf hingewiesen, die Frage, ob „die Nutzung von Streaming-Angeboten eine Vervielfältigung darstellt, die Rechte von Urhebern oder Leistungsschutzberechtigten verletzt,“ sei „bislang noch nicht durch die höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt worden.“ Letztlich könne diese Frage nur vom EuGH entschieden werden.

Novellierungsbedarf

Dieser Verweis des BMJ auf eine nicht vorliegende EuGH-Entscheidung wird der Sache nicht gerecht. Der Bedarf, verbindlich zu regeln, dass das Betrachten eines Streams keine illegale Vervielfältigung darstellt, wird durch die Auslegungsstreitigkeiten und Massenabmahnungen belegt. Die Bundesregierung ist aufgerufen, durch Konkretisierung des UrhG klarzustellen, dass Streaming keine Rechtsverletzung und nicht strafbar ist.

Verteidigung gegen unberechtigte Abmahnungen

Zu Unrecht Abgemahnte haben nach dem in Kraft getretenen Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken mit § 97a Abs. 4 UrhG einen Gegenanspruch auf Ersatz der Kosten. Ferner kann gegenüber einem im Ausland ansässigen Abmahner mit negativer Feststellungsklage geklärt werden, ob die Abmahnung berechtigt ist. Zuständig wäre jedes Gericht, bei dem auch der Abmahner etwaige Unterlassungsansprüche auch in Deutschland geltend machen kann.

Fazit

Dass der BGH in einer Reihe von Entscheidungen („Morpheus“, „Sommer-unseres-Lebens“) die Störerhaftung für Inhaber von Internetanschlüssen nicht als Regel, sondern als Ausnahme bewertet, ist im Gemeinwohlinteresse der Verhinderung missbräuchlicher Massenabmahnungen zu begrüßen. Jüngst hat der BGH klargestellt, dass Eltern nicht für Urheberrechtsverletzungen volljähriger Familienangehöriger haften (Urteil v. 08. 01. 2014, I ZR 169/12, „BearShare“). Die Beseitigung von Rechtsunsicherheiten durch den Streit um die Auslegung des Streamings sollte der Gesetzgeber sicherstellen und nicht den Gerichten überlassen.

Hinweis der Redaktion: Siehe auch den Artikel zu diesem Thema in der April-Ausgabe unseres Jura-Magazins „Wirtschaftsführer für junge Juristen„, zu beziehen über den Verlag.

Dr. Thomas A. Degen

Dr. Thomas A. Degen

Fachanwalt für IT-Recht; Zertifizierter Datenschutzbeauftragter TÜV Süd (DSB-TÜV); Lehrbeauftragter an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Stuttgart (DHBW); Partner der Jordan & Wagner Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Stuttgart
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