19.08.2019

Wenn sich Obdachlose daneben benehmen

Warum sich die Kommunen auch um schwierige Fälle kümmern müssen

Wenn sich Obdachlose daneben benehmen

Warum sich die Kommunen auch um schwierige Fälle kümmern müssen

Wenn sich Obdachlose daneben benehmen
Warum sich die Kommunen auch um schwierige Fälle kümmern müssen

Sachverhalte wie diese sind der Schrecken jedes Sachbearbeiters, der dafür zuständig ist: Ein Mann, der in einer Obdachlosenunterkunft untergebracht war, störte regelmäßig die Nachtruhe. Eine ebenfalls in der Unterkunft wohnende Person beschwerte sich, er habe mit einem Messer nach ihr geworfen. Eines Nachts brach der Mann das Schloss seines Briefkastens heraus. Außerdem knackte er das Schloss der Haupteingangstür zur Unterkunft und schlug ein Loch in die Wand des Eingangsbereichs. Bei all dem spielte der Einfluss von Alkohol eine wesentliche Rolle.

Konsequentes Handeln der Kommune

Menschlich verständlich, dass aus der Sicht der Kommune nunmehr das Maß voll war. Sie verfügte seine „Ausweisung aus der Unterkunft“ und setzte ihm eine Frist von zwei Monaten, um die Unterkunft zu verlassen. Die Kommune war der Auffassung, wer sich so benehme, habe kein Recht mehr auf Hilfe. Wer den Sachverhalt vollständig nachlesen will, findet ihn im Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 6.8.2015 – B 1 K 12.468.

Alternative rechtliche Ansatzpunkte

In solchen Fällen stellt sich zunächst die Frage, welche Alternativen die Kommune gehabt und vielleicht versäumt hat. Abstrakt denkbar erscheinen zwei Ansatzpunkte:


  • Anregung einer Unterbringung nach Unterbringungsrecht

In allen Bundesländern bestehen, neuerdings meist unter der Bezeichnung „Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz“, gesetzliche Regelungen, die eine Unterbringung des Betroffenen in einer Einrichtung der psychiatrischen Versorgung auch gegen seinen Willen ermöglichen. Der Sache nach ist dafür entweder eine Eigengefährdung oder eine Fremdgefährdung erforderlich. Beispiel für eine solche Regelung ist Art. 5 Abs. 1 Satz 1 des Bayerischen Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes: „Wer auf Grund einer psychischen Störung, insbesondere Erkrankung, sich selbst, Rechtsgüter anderer oder das Allgemeinwohl erheblich gefährdet, kann ohne oder gegen seinen Willen untergebracht werden, es sei denn seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ist nicht erheblich beeinträchtigt.“

Die rechtliche Schwelle für eine entsprechende Anordnung ist höher als der Wortlaut auf den ersten Blick vermuten lässt. Immerhin handelt es sich um eine Freiheitsentziehung, so dass auch erhebliche Belästigungen anderer Personen in der Praxis oft nicht ausreichen, um eine Unterbringung zu erreichen. Insbesondere Gewalt gegen Sachen reicht nicht als Grund für eine Unterbringung aus. Und selbst bei Gewalt gegen Personen kommt es sehr auf die Umstände des Einzelfalls und auf die Häufigkeit solcher Verhaltensweisen an.

  • Anregung einer Betreuung

Die Anordnung einer Betreuung kann durchaus so ausgestaltet sein, dass der Betreuer gegen den Willen des Betreuten einen Aufenthalt beispielsweise in einer Behandlungseinrichtung erzwingen kann. Dazu muss der Betreuer für den Aufgabenkreis der Aufenthaltsbestimmung bestellt sein. Außerdem bedarf es zwingend einer Genehmigung des Betreuungsgerichts (zu Einzelheiten siehe § 1906 BGB). Betreuungsgericht ist dabei das zuständige Amtsgericht (siehe § 23 c Gerichtsverfassungsgesetz).

Sollte bereits ein Betreuer mit entsprechendem Aufgabenkreis vorhanden sein, sollte die Kommune ihn kontaktieren. Falls es noch keinen entsprechenden Betreuer gibt, wäre die Bestellung eines Betreuers anzuregen.

Der Zeitfaktor als Hauptproblem

Hauptproblem bei allen dargestellten Schritten ist aus der Sicht der Kommune in aller Regel der Zeitfaktor. Bis eine entsprechende Anordnung erfolgt, kann durchaus eine längere Zeit vergehen. Dabei arbeitet die Zeit gegen die Kommune. Denn der Weg, einfach nichts zu tun, ist ihr im Ergebnis versperrt.

Unterbringungsfähigkeit als Zumutbarkeitsgrenze?

Eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts München aus dem Jahr 2002 (Beschluss vom 25.10.2002-M 22 E02. 2459) schien den Kommunen für solche Fälle ganz unerwartete Möglichkeiten zu eröffnen. Dort waren folgende Grundsätze zu lesen:

  • Eine „Obdachlosigkeit im rechtlichen Sinne“ solle dann nicht vorliegen, wenn der Obdachlose beharrlich gegen die Ordnung der zugewiesenen Unterkunft verstoße und deshalb zur Aufrechterhaltung der Ordnung die Nutzung der Unterkunft beendet werden müsse.
  • Die Unterbringung eines Obdachlosen nach Obdachlosenrecht setze dessen „Unterbringungsfähigkeit“ und „Unterbringungswilligkeit“ voraus.
  • Falls diese Voraussetzungen nicht vorlegen, bestehe auch keine Pflicht zur Unterbringung.

Begeisterte Reaktionen der Fachliteratur

Diese Entscheidung machte in der einschlägigen Fachliteratur sofort Furore, schien sie doch eine Möglichkeit zu eröffnen, sich unbequeme Obdachlose ohne große Mühe „vom Hals schaffen“ zu können. Aus dem Blick geriet dabei freilich, dass das Gericht seine hehren Grundsätze im konkreten Fall weder anwenden musste noch konnte. Im Zuge des Verfahrens ergab sich nämlich, dass der Betroffene überhaupt nicht obdachlos war. Er war inzwischen bei Bekannten untergekommen. Schon dies hätte deutlich machen müssen, dass sich die Entscheidung allenfalls sehr begrenzt als Bezugsfall eignet.

Ignoranz gegenüber dem Grundgesetz

Generell hätte misstrauisch machen müssen, dass es wohl kaum richtig sein kann, einen solchen „unangenehmen Zeitgenossen“ hilflos auf der Straße liegen zu lassen. Dem stehen schon seine Grundrechte entgegen, insbesondere das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Gleichwohl gab es in der Praxis tatsächlich Kommunen, die in der Praxis entsprechend zu verfahren versuchten.

Klarstellungen durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof

Als sich ein Betroffener dagegen gerichtlich wehrte, kam es, wie es kommen musste. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof stellte ausdrücklich klar: Auch jemand, dessen Verhalten in der Vergangenheit unerträglich war, darf nicht mit der Begründung, er sei nicht unterbringungsfähig, bei winterlichen Witterungsverhältnissen auf die Straße gesetzt werden, wenn dies sein Leben gefährdet (Beschluss vom 9.1.2017 – 4C 16.2565). Mit anderen Worten: Die Kategorie des „unzumutbaren Zeitgenossen) dem wegen seines Verhaltens die Unterbringung als Obdachloser verwehrt werden darf, obwohl er obdachlos ist, gibt es nicht.

Zuweisung einfachster Unterkünfte als Reaktion

Völlig hilflos sind betroffene Kommunen gleichwohl auch in solchen Fällen nicht. Sie haben jedenfalls die Möglichkeit, in solchen Fällen eine sehr schlichte Unterkunft zuzuweisen, die der Situation angemessen ist. Konkret: In der eben erwähnten Entscheidung hat es der Bayerische Verwaltungsgerichtshof akzeptiert, dass dem Obdachlosen ein Bauwagen auf einer geteerten Fläche neben einer Kläranlage als Unterkunft zugewiesen wurde. Drastisch gesagt konnte er sich hier dann mit seinem unmöglichen Verhalten austoben, ohne andere Personen in unzumutbarer Weise zu belästigen.

Handlungspflicht zur Gefahrenabwehr

Zwar scheint es verständlich, wenn sich manche Kommunen durch eine solche Rechtsprechung eher allein gelassen fühlen. Den schließlich mutet sie Ihnen zu, auch solche Personen als Obdachloser unterzubringen, die sich nicht im Entferntesten an üblichen zwischenmenschlichen Verhaltensweisen orientieren. Gleichwohl ist diese Rechtsprechung zutreffend. Die Beseitigung von Obdachlosigkeit durch Zuweisung einer vorübergehenden einfachen Unterkunft geschieht auf der Basis des Sicherheitsrechts/Polizeirechts. Seine Aufgabe ist es, gerade dann einzugreifen, wenn eine Sicherheitsgefährdung besteht, die mit anderen Mitteln nicht beseitigt werden kann. Dabei liegt eine Sicherheitsgefährdung auch dann vor, wenn der Betroffene sich selbst in Gefahr bringt. Irgendwelche Zumutbarkeitsgrenzen spielen dabei keine Rolle. Entscheidend ist die Notwendigkeit der Gefahrenabwehr.

Anspruch auf ganztägig nutzbare Unterkunft

Sie wiederum besteht immer dann, wenn jemand gegen seinen Willen obdachlos ist. Auffassungen von der Art, eine Sicherheitsgefährdung bestehe lediglich, wenn dem Betroffenen durch die Obdachlosigkeit eine akute Gesundheitsgefahr drohe, sind überholt. Bundesländerübergreifend sind sich die Gerichte vielmehr darin einig, dass die Gefahr der Obdachlosigkeit erst beseitigt ist, wenn dem Betroffenen eine ganztägig nutzbare Unterkunft zur Verfügung steht. Jede Kommune sollte sich darauf einrichten. Hier gilt nämlich ganz schlicht: Gefahrenabwehr hat auch dann zu erfolgen, wenn dies keine Freude macht.

 

Hinweis der Redaktion: Der aktuelle Ratgeber »Obdachlosigkeit in Kommunen« von Regierungspräsident Dr. Eugen Ehmann enthält zahlreiche Muster und Beispiele aus der Praxis. Besonders wertvoll sind die konkreten Handlungsempfehlungen mit „Schritt-für-Schritt-Erklärungen“. Nähere Informationen finden Sie hier.

 

Dr. Eugen Ehmann

Regierungspräsident

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