08.08.2019

Online-Monitoring der Transformation von Gemeinschaftsrecht

Teil 2

Online-Monitoring der Transformation von Gemeinschaftsrecht

Teil 2

Transparente Umsetzung von EU-Richtlinien durch Monitoring-Seiten. | © artjazz - stock.adobe.com
Transparente Umsetzung von EU-Richtlinien durch Monitoring-Seiten. | © artjazz - stock.adobe.com

2.     Formen des Wirksamwerdens von EU-Vorschriften

2.1.     Formell zu dokumentierende Transformation von Richtlinien (und Rahmenbeschlüssen)

Das innerstaatliche Wirksamwerden von Richtlinien und Rahmenbeschlüssen hängt im Normalfall von formellen legislativen Umsetzungsakten ab.[13] Beispiele seien die oben unter „1.“ genannten Richtlinien 2005/36/EG, 2013/55/EU zur Anerkennung von Berufsqualifikationen, 2014/27/EU zur Verpackung von Gemischen und 91/477/EWG, 2017/853/EU zum Waffenbesitz. – Dass der Bundesregierung bewusst ist, dass Transformationsmaßnahmen aufgrund der letztgenannten Änderungsrichtlinie zur EU-Feuerwaffenrichtlinie erforderlich sind, zeigt ihre Stellungnahme auf Seite 15 der Bundestags-Drucksache 19/548.[14]

2.2.     Transformationen im Zuge der Überlagerung nationaler Vorschriften durch Verordnungsrecht

Als aktuelle Beispiele dienen die EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und die eIDAS-Verordnung.

2.3.     Stufenweise Durchsetzung mit Instrumenten im Vertragsverletzungsverfahren

Beispiele für solche Verfahrensabläufe können in den – parallel zum Verletzungsverfahren laufenden – Verhandlungen Deutschlands mit der Kommission über die Pkw-Autobahnmaut[15] sowie im laufenden Vertragsverletzungsverfahren zur Anerkennung von Berufsqualifikationen[16] gefunden werden. Die Rechtswirklichkeit wird hier entsprechend den Verfahrensfortschritten den Vorgaben des EU-Rechts angepasst.


2.4.     Publikation von Umsetzungsmängeln als politisches Druckmittel

Wenn die Kommission der Ansicht ist, dass öffentliche Diskussionen der Verwirklichung des Binnenmarktes nützlich sein könnten, kann sie auch informell mit Pressemitteilungen arbeiten. Als Beispiel dient das Memo http://europa.eu/rapid/press-release_MEMO-16-3125_de.htm für eine noch relativ allgemeine Information und für eine dezidierte Stellungnahme in Sachen Fernstraßenmaut die Mitteilung unter http://europa.eu/rapid/press-release_IP-16-3130_de.htm.

3.     Unterschiedliche Transparenzgrade und deren vermutliche Motive

Es bietet sich an, Vermutungen und Beispiele zur Interessenlage unterschiedlicher Informationsurheber aufzustellen: Ein grundsätzlich überwiegendes Integrationsinteresse kann man Europapolitikern und Richtern am EuGH unterstellen, ein stärkeres Interesse des Schutzes nationaler Wirtschaftsinteressen den nationalen Politikern und Beamten. Es ist daher nicht auszuschließen, dass manche Politiker bei laufenden Vertragsverletzungsverfahren innenpolitisch entweder betont stumm bleiben oder umgekehrt plakativ zeigen wollen, dass sie auf europäischer Ebene die nationale Flagge hochhalten. Ebenfalls kann es vorkommen, dass die Kommission aufgrund angeblicher europäischer „Zwänge“ nach ihrer Auffassung keine Alternativen zu einem bestimmten Umsetzungsakt sieht. Die jeweiligen Pressestellen unterscheiden zudem auch nach dem vermuteten professionellen Informationsbedarf ihrer Zielgruppen, je nachdem, ob sie Erklärungen für Wissenschaftler, für Politiker, für beratende Berufsträger oder für Journalisten abfassen. So könnten die unter „1.“ festgestellten Lücken und Zusammenfassungen zustande kommen.

Jede der untersuchten Quellen ist vermutlich aus unterschiedlichen Interessenlagen heraus geschaffen worden und hat demnach aus Sicht eines mit wissenschaftlicher Recherche befassten Juristen ihre spezifischen Schwächen. Aber im Zusammenspiel ergibt sich mehr Transparenz, als den politischen Instanzen vielleicht lieb ist. Daher sind alle Quellen zu Umsetzungsmängeln von EU-Recht kombinatorisch auszuwerten und hermeneutisch zu interpretieren.

4.     Reziproke Beziehung zwischen Transparenz (3) und Durchsetzungskraft (2)

Da Verordnungsrecht unmittelbar wirkt, kann es anderslautendes innerstaatliches Recht überlagern; eine Anpassung des nationalen Rechts ist dann „nur“ deklaratorisch. Dennoch bleibt die Rechtslage in der Zwischenphase für den Rechtsunterworfenen verwirrend. Bei Richtlinien ist mit der Umsetzungspflicht auch ein Zitiergebot und eine Meldepflicht für die Umsetzungsakte verknüpft. Die Anpassung der nationalen Rechtsordnungen ist im Fall der lediglich mittelbar wirkenden Richtlinien also leichter zu beobachten.

Transparenz der Umsetzung Wirkung auf das nationale Recht
EU-Richtlinie ++ +
EU-Verordnung O ++

5.     Relevanz der Untersuchung für das „Internet of Things“

Die Richtlinien und Verordnungen der Europäischen Legislativorgane können – und sollten – als eigenständige „Dinge“ betrachtet werden, weil sie nämlich als wahrnehmbare „Rechtsobjekte“ Raum fordern, und zwar nicht nur in der EU-Rechtsordnung, sondern auch in den nationalen Rechtsordnungen. Und sie sind auch „Dinge im Internet“, weil sie sich online zuerst und am deutlichsten manifestieren. Ein markantes Beispiel aus jüngerer Zeit ist die DSGVO, die sich bis in private Lebensbereiche hinein wahrnehmbar gemacht hat, aufgrund ihrer puren Existenz als Rechtsvorschrift und insbesondere aufgrund ihrer ständigen Präsenz im Internet. Online-Nachrichten, -Beratungsangebote, -Diskussionsforen etc. haben der DSGVO zu einer Ubiquität verholfen, die ihrer Durchsetzung sicher förderlicher ist als jedes abstrakte Vertragsverletzungsverfahren.

6.     Ausblick auf ein „Internet of Legal Things“

Aus diesem Blickwinkel heraus erscheint es wünschenswert, dass Vorschriften eine eigenen Stamm-ID (vergleichbar einer DOI-Kennung) erhalten, auf welche sich dann die nationalen Umsetzungsvorschriften, abhängige Rechtsakte, Diskussionsforen und Beratungsangebote in einer eindeutigen Weise beziehen können, z.B. als ID-Ref-Metadatum. Solange sich sowohl die Vorschriften als auch die Zusatzangebote im Internet auffinden lassen, bietet sich die Möglichkeit, ein „Internet of legal Things“ zu weben, in dem die EU-Vorschriften als Kristallisationspunkte dienen und im Idealfall sogar einen Zuwachs an „effet utile“ verzeichnen könnten. Untersuchungen zu Transformationsdefiziten können so erheblich vereinfacht und teilweise automatisiert werden.

6.1.     Sachgebietszuordnung im amtlichen Fundstellennachweis?

Einen Ansatz für einen persistenten und eindeutigen ID der EU-Vorschriften bietet die Sachgebietszuordnung im amtlichen Fundstellennachweis nach Gliederungsziffern. Allerdings mangelt es hierbei noch an der Eindeutigkeit, weil z.B. die DSGVO zwei Sachgebieten zugeordnet ist: Der Code im Fundstellennachweis für die DSGVO lautet zum einen: 15.20.20.00 und beschreibt den Pfad „Umwelt, Verbraucher und Gesundheitsschutz / Verbraucher / Unterrichtung, Aufklärung und Vertretung der Verbraucher“. Zum anderen lautet er aber auch 19.40.00.00 und zeigt auf die Stichwortfolge „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts / Aktionsprogramme“.

6.2.     ELI?

Einen weiteren Einstieg schlägt der European Legislation Identifier „ELI“ vor. Zum Beispiel lautet der ELI für die DSGVO: http://data.europa.eu/eli/reg/2016/679/oj. Dieser knüpft allerdings an der ersten Fundstelle an und bietet somit keinen eindeutigen Ansatzpunkt, um künftige Konsolidierungen einer Stammvorschrift aufzufangen. Außerdem ist er freiwillig und nur eine Initiative einiger Staaten, nicht der EU als solcher.[17]

6.3.     Dokument-ID des Amtes für amtliche Veröffentlichungen

Als nützlichster Anknüpfungspunkt sollte daher derzeit die für jede Vorschrift systematisch vergebene Dokument-ID des Amtes für amtliche Veröffentlichungen herangezogen werden, die die Textart, das Jahr, die Normqualität und die aufsteigende Nummer enthält und bei der DSGVO lautet: „32016R0679“. Diese ID ermöglicht insbesondere im online-Angebot von Eur-Lex das Auffinden vieler Suchtreffer und Links. Sie sollte als Metadatum allen europäischen und nationalen davon abhängigen Vorschriften zugeschrieben werden und könnte mithilfe einer Art „ID-Ref“ oder „rel“-Attribut dargestellt werden.

 

[13] Ausnahmen stellen seltene, als „self-executing“ ausformulierte Textabschnitte der Richtlinien nach Fristablauf dar (EuGH „Francovich“).

[14] http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/005/1900548.pdf

[15] Pressemitteilungen der Kommission http://europa.eu/rapid/press-release_IP-16-4221_en.htm und http://europa.eu/rapid/press-release_IP-16-3130_de.htm

[16] http://europa.eu/rapid/press-release_IP-17-4773_de.htm

[17] https://eur-lex.europa.eu/eli-register/about.html

 

Dr. Alexander Konzelmann

Leiter der Boorberg Rechtsdatenbanken RDB, Stuttgart

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