05.08.2019

Verfassungsschutzbericht 2018

Entwicklungen im Rechtsextremismus sowie im Islamismus geben Anlass zur Sorge

Verfassungsschutzbericht 2018

Entwicklungen im Rechtsextremismus sowie im Islamismus geben Anlass zur Sorge

Besorgniserregende Tendenzen in nahezu allen Bereichen des Extremismus. | © vegefox.com - stock.adobe.com
Besorgniserregende Tendenzen in nahezu allen Bereichen des Extremismus. | © vegefox.com - stock.adobe.com

Am 27. Juni 2019 wurde von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und dem Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) Thomas Haldenwang der Verfassungsschutzbericht für das Berichtsjahr 2018 vorgestellt. Die registrierten Entwicklungen im Rechtsextremismus sowie im Islamismus geben weiterhin Anlass zur Sorge. Die Verfassungsschützer sehen zudem einen wesentlichen Aspekt der Verbreitung extremistischer Ideologien in sozialen Netzwerken und Medien.

Erfassung Politisch Motivierter Kriminalität (PMK)

Die Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren des Bundes und der Länder (IMK) führte im Jahr 2001 den Terminus der „Politisch motivierten Kriminalität“ (PMK) ein. Für diesen wird nicht mehr wie bei den traditionellen Staatsschutzdelikten allein auf die Absicht der Überwindung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung abgestellt. Die Definition fasst eine registrierte Straftat dann als politisch motiviert auf, „wenn die Umstände der Tat oder die Einstellung des Täters darauf schließen lassen, dass sie sich gegen eine Person aufgrund ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft, sexuellen Orientierung, Behinderung oder ihres äußeren Erscheinungsbildes bzw. ihres gesellschaftlichen Status richtet.“ Die Täter fühlen sich bei der Begehung politisch motivierter Straftaten aufgrund ihrer Ideologie legitimiert, somit besitzen sie regelmäßig kein Unrechtsbewusstsein.

Im Bundesverfassungsschutzbericht werden die Straftaten folgenden Phänomenbereichen zugeordnet: Politisch motivierte Kriminalität – rechts, Politisch motivierte Kriminalität – links, Politisch motivierte Ausländerkriminalität und Sonstige politisch motivierte Straftaten mit extremistischem Hintergrund. Ferner registriert das BfV Spionagetätigkeiten gegen Deutschland und Fälle von Proliferation (Weitergabe von Atomwaffen oder Mitteln zu deren Herstellung). Der jährliche Verfassungsschutzbericht dient der Unterrichtung und Aufklärung über verfassungsfeindliche Bestrebungen in Deutschland. Er beruht auf den Erkenntnissen, die das BfV im Rahmen seines gesetzlichen Auftrags zusammen mit den Landesbehörden für Verfassungsschutz gewonnen hat. Damit stellt der Verfassungsschutz keine erschöpfende Übersicht dar, sondern eine Unterrichtung wesentlicher Erkenntnisse und maßgeblicher Entwicklungen verfassungsfeindlicher Tendenzen in Deutschland.


Besorgniserregende Tendenzen in nahezu allen Bereichen des Extremismus

Die Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes stand nicht zuletzt unter dem Eindruck der Ermordung des CDU-Politikers und Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, zu der sich ein Neonazi zunächst bekannt, sein Geständnis zwischenzeitig jedoch widerrufen hatte. Rechtsextremismus bleibt in Deutschland ein Problem. Das BfV zählt im Bundesgebiet etwa 24.100 Rechtsextremisten. Das sind rund 100 Personen mehr als im Vorjahr. Damit erreicht die Zahl der Anhänger einen neuen Höchststand. Rund 12.700 von ihnen werden vom Verfassungsschutz als „gewaltorientiert“ eingestuft. Zudem zeigen sich lokal sog. „Mischszenen“ sowohl im Ultras- und Hooligan-Milieu, als auch bei einigen Rockergruppen. Ebenso nimmt die Bedeutung von Kampfsportszenen nach Beobachtungen des BfV zu. Während Parteien wie die NPD an Bedeutung verlieren, gewinnen lokale Strukturen und Zellen, die zum Teil jedoch nicht nur bundesweit miteinander vernetzt sind. Damit setzt sich ein gefährlicher Trend zur Militanz im rechten Spektrum, der seit einigen Jahren beobachtet wird, fort.

Auch die registrierte Zahl sog. Reichsbürger und Selbstverwalter steigt an. Sie lag 2018 bei 19.000, von ihnen gelten 950 Personen als rechtsextrem. Reichsbürger und Selbstverwalter sind Subsumtionsbegriffe für völlig heterogene Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus ganz unterschiedlichen Motiven die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen. In ihren Begründungen berufen sie sich unter anderem auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder aber ein selbst definiertes Naturrecht, das über willkürlichen Landesgesetzen stehe. Sie sprechen den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation ab oder sehen sich in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend. Diese Sichtweise geht häufig mit Regelverstößen einher, die oftmals im Bereich von Ordnungswidrigkeit liegen oder lokale Ämter mit irritierenden Anliegen beschäftigen (wie beispielsweise die Beglaubigung von Fantasiedokumenten und ähnlichem). Besorgniserregend ist nach Auffassung des BfV eine auffällige Affinität zu Waffen, da Reichsbürger sich und ihre Rechte selbst verteidigen wollen.

Auch die Gefahr durch Islamismus in ganz unterschiedlichen Ausprägungen bleibt ungebrochen hoch. Das registrierte Personenpotential stieg im vergangenen Jahr bundesweit um knapp drei Prozent auf 26.560 an. Parallel dazu wuchs auch das Netzwerk der Salafisten, das als Nährboden für islamistischen Terrorismus gilt, um 500 Personen auf nunmehr 11.300 an. Die Gefährdung durch die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) ist mit dem Zerfall ihres ausgerufenen Kalifats im Nahen Osten nicht ungefährlicher für die Sicherheit in Deutschland geworden – eher im Gegenteil. Vielmehr haben die Anhänger ihre Strategie gewechselt. Es ist zu erwarten, dass der Aktionsraum in Europa ausgeweitet wird und dies wiederum bedeutet eine erhöhte Anschlagsgefahr. Besonders die Rückkehr ausgereister deutscher Islamisten beschäftigt den Verfassungsschutz. Von den ca. 1.030 IS-Kämpfern, die seit 2013 von Deutschland nach Syrien oder in den Irak ausgereist sind, ist rund ein Drittel wieder zurückgekehrt. Die Rückkehrer stellten nach Einschätzung der Verfassungsschützer ein hohes Sicherheitsrisiko dar. Zudem haben auch andere global vernetzte Terrororganisationen wie beispielswiese die al-Qaida Deutschland weiterhin im Visier.

Unterschiedliche Wahrnehmungen zeigen sich im Bereich des Linksextremismus: Nachdem im Berichtsjahr 2017 der G20-Gipfel In Hamburg für einen Anstieg der verzeichneten linksextremen Gewalt sorgte, sind die Zahlen im Berichtsjahr 2018 zurückgegangen. Gleichzeitig stieg das linksextremistische Personenpotenzial um 8,5 Prozent auf 32.000 Personen an und auch die Aktionsfelder nehmen nicht ab. 9.000 Personen gelten als gewaltbereit. Insbesondere Polizisten sind erklärte Ziele linksextremer Gewalt. Dieser Bereich des Extremismus darf angesichts der Zunahme rechtsextremer Straftaten nicht verharmlost oder gar als Chaotentum verniedlicht werden: Denn die Gewaltintensität und entsprechende Aufrufe, die das feindliche Gegenüber entmenschlichen, sind alarmierend und ernst zu nehmen. Zudem stehen links- und rechtsextreme Gewalttaten in Wechselwirkung zueinander.

Kritik an Registrierung antisemitischer Straftaten

Im Berichtsjahr 2018 wurden insgesamt 1.799 antisemitische Straftaten registriert. Dies sind fast 20 Prozent mehr als im Vorjahr. Nach dem Bundesverfassungsschutzbericht 2018 gilt Antisemitismus noch immer als „ein konstantes Agitationsfeld und ideologisches Identifikationsmerkmal von Rechtsextremisten“, denn antisemitische Straftaten werden dem BKA zufolge zu fast 90 Prozent dem Phänomenbereich „PMK -rechts-“ zugeordnet. So seien bei den registrierten antisemitischen Gewalttaten 49 rechts motiviert, drei links, zehn durch eine „ausländische Ideologie“ und vier religiös motiviert gewesen. Drei Straftaten ließen sich nicht zuordnen. Dem widersprechen verschiedene Studien und Organisationen, wie beispielsweise die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) oder das American Jewish Committee (AJC) mit Sitz in Berlin: Sie sehen die Zuordnung der Polizei als irreführend. So würden beispielsweise durch Rufe wie „Juden raus“ oder „Juden ins Gas“ oder auch die Symbolik des Hakenkreuzes im Kontext antisemitischer Straftaten als generell rechts gewertet, in der Realität jedoch häufig von Personen mit muslimischem oder gar islamistischem Hintergrund genutzt. Beobachtungen, wie während des al-Quds-Tag in Berlin oder auch an diversen Beispielen in sozialen Netzwerken, beispielsweise bei immer wiederkehrenden Unruhen im Nahen Osten zu beobachten sind, belegen diesen Einwand. Vor allem in Berlin würden Straf- und insbesondere Gewalttaten gegen Juden oder auch bekennende Anhänger Israels von Tätern mit Migrationshintergrund begangen. Zudem nehmen beide Organisationen wahr, dass viele Fälle nicht zur Anzeige kommen, weil sich die betroffenen Opfer wenig Hoffnung auf Aufklärung machen würden. Gleichzeitig treten die Organisationen ihrerseits nicht mit einheitlichen Erfassungskriterien auf, so dass auch an dieser Perspektive methodische Kritik geäußert werden kann. Um Antisemitismus jedoch wirkungsvoll zu bekämpfen, müssen die Tätergruppen genauer identifiziert werden, um gegensteuernde Aufklärung und Präventionsmaßnahmen zielgruppengerecht vornehmen zu können.

Fazit

Die Entwicklungen der letzten Jahre zeigen besorgniserregende Tendenzen in allen Bereichen des politischen und religiösen Extremismus auf. Allen extremistischen Interessen ist nach Einschätzung des BfV zudem gemein, dass sie ihre Ideologien, Propaganda und Verschwörungstheorien immer stärker mittels sozialer Netzwerke und Medien verbreiten.

Doch nicht nur die quantitative Zunahme registrierter Straftaten oder Personenpotentiale geben einen Anlass zur Sorge. Auch die wahrnehmbare Debattenkultur in Deutschland zeigt ernstzunehmende Anzeichen für eine Spaltung in der Gesellschaft auf. Beispielsweise Fragen zum Umgang mit Flüchtlingen oder auch sehr aktuell die Bewertung der Agitation der deutschen Sea-Watch-Kapitänin Carola Rackete werden kaum noch nüchtern diskutiert, sondern sind stets emotionsgeladene Äußerungen von Meinungen in einem „gut/böse“- bzw. „richtig/falsch“-Schema. Besonders in sozialen Netzwerken entladen sich konfrontative, polarisierende Ansichten, die von den Menschen übernommen werden. Nicht zuletzt auch durch das Kommunikationsverhalten sämtlicher Politiker via Twitter wird dieser Trend verstärkt. Eine ausgewogene, vermittelnde und distanzierte Betrachtung, die angesichts der komplexen Realität notwendig wäre, findet so nicht statt bzw. erhält weniger Beachtung. Der Wunsch nach einfachen Erklärungen und damit nach Komplexitätsreduktion und simplen Lösungen gesellschaftlicher Probleme macht extremistische Ideologien für scheinbar immer mehr Menschen attraktiv.

Insofern bleibt Extremismus in allen Facetten ein gesamtgesellschaftliches Problem, dessen Entwicklungen nicht nur mit Sorge registriert, sondern den mit mittel- und längerfristigen Ansätzen begegnet werden müssen.

Verwendete Quellen:

BMI (Hrsg.):Verfassungsschutzbericht 2018 (Stand 1. Juli 2019).

 

Prof. Dr. Dorothee Dienstbühl

Professorin an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (HSPV) Nordrhein Westfalen

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