01.08.2019

Die deutsche Pkw-Maut verstößt gegen Unionsrecht

Urteil des EuGH

Die deutsche Pkw-Maut verstößt gegen Unionsrecht

Urteil des EuGH

„Ein Dobrindt scheitert nicht“ | © MH STOCK - stock.adobe.com
„Ein Dobrindt scheitert nicht“ | © MH STOCK - stock.adobe.com

Ist die deutsche Pkw-Maut eine Mogelpackung? Der EuGH hat jetzt entschieden, dass die geplante Abgabe gegen Unionsrecht verstößt, weil nicht alle Straßennutzer im Umfang der tatsächlichen Nutzung zu einer Infrastrukturabgabe herangezogen werden. Die Klage Österreichs gegen die deutsche Pkw-Maut hatte damit Erfolg.

Wie es dazu kam

Manchmal ist es für einen Analysten ratsam, bei einem Donnerschlag von Entscheidung kurz innezuhalten und die sozialen Netzwerke zu beobachten, um Klarheit darüber zu gewinnen, wie die Analyse angelegt werden sollte: nachdenklich, tiefgründig, staatsmännisch…oder ganz anders.

Nun, die saloppe Überschrift des Artikels verrät die Stoßrichtung. Seriöserweise hätte man titeln können: ‚Die deutsche Vignette für die Benutzung von Bundesfernstraßen durch Personenkraftwagen verstößt gegen das Unionsrecht‘ und hätte sich damit ganz an die Diktion des urteilenden EuGHs gehalten.


Tatsächlich ist aber der klägliche Versuch der Einführung einer Infrastrukturabgabe und einer Nutzerfinanzierung eine über Jahre gepflegte Posse, die nach einer Glosse verlangt. ‚Ein Dobrindt scheitert nicht‘, hatte Horst Seehofer als CSU-Parteichef orakelt und daneben gegriffen. Der jetzige CSU-Verkehrsminister Scheuer brachte es grimmig in einer eilig anberaumten Pressekonferenz auf den Punkt: die Öffentlichkeit, die Parteien, das Parlament, der Bundesrat, der Bundespräsident und die EU-Kommission hätten unisono das Vorhaben als rechtmäßig und durchführbar beurteilt. Man musste den Eindruck erhalten, dass jeder Gerechtigkeitsliebende nach der Maut geradezu gelechzt habe. 20 andere EU-Staaten betrieben eine Mautpflicht. Nutzerfinanzierung sei das Gebot der Stunde.

Erst die Österreicher in kollusivem Zusammenwirken mit den Realitätsverweigerern des EuGHs hatten die Chuzpe gegen den deutschen Weg zur Gleichheit und Gerechtigkeit zu klagen und zu urteilen. Überhaupt die Österreicher: sie sind bekanntermaßen die Erfinder der Begriffe ‚Maut‘, ‚Infrastrukturabgabe‘ und ‚Mozartkugel‘. Kaum kopiert man sie, stoßen sie dem deutschen Nachbarn in Brutus-Manier den Dolch in den Rücken und feixen noch dazu.

Ach was – alle feixen. Jeder Kritiker hat es schon immer gewusst. ‚Juristischer und ökonomischer Unfug‘ sei die Maut, ist zu hören. Fast so dämlich wie die Mütterrente sei das Konzept, das mit monströsem Verwaltungsaufwand eine schmale Abgabe erhebe und deutsche Autofahrer geflissentlich durch einen buchhalterischen Trick über eine Senkung der Kfz-Steuer entlaste, so dass ‚die wirtschaftliche Last der Abgabe praktisch ausschließlich auf den Haltern und Fahrern von in anderen Mitgliedstaaten zugelassenen Fahrzeugen liegt‘, so der EuGH. Dies mache die deutsche Infrastrukturabgabe zu einer diskriminierenden und damit unrechtmäßigen Abgabe.

Die Kommentierungen kurz zusammengefasst klingen nach einem ‚typischen Fall von Denkste‘, nach dem vorübergehend hoffähigen ‚Bätschi‘ und nach dem kindergartenkompatiblen ‚Pustekuchen‘.

Was das ‚Desaster‘ vollständig macht, um ein Lieblingswort von Donald Trump zu gebrauchen, ist die Tatsache, dass die verwaltungsmäßige und technische Umsetzung des Projekts bereits in vollem Gang ist und großvolumige Verträge geschlossen wurden, die jetzt jeder Geschäftsgrundlage, aber nicht jeder Pikanterie entbehren.

Von Schadenersatzklagen gegen die Bundesrepublik will der Verkehrsminister allerdings nichts wissen, denn der EuGH hat schließlich nur über die Abgabe ‚in ihrer jetzigen Form‘ geurteilt. Jede andere – europarechtlich erlaubte – Form könnte eine Wiederkehr der Maut in anderen Gewändern bedeuten. Eine Task Force des Bundesverkehrsministeriums ist eingesetzt. Vielleicht gelingt in einem zweiten Anlauf das, was anderen EU-Nachbarn bereits im ersten Anlauf gelang.

Keine Niederlage also, keine Verschwendung von Steuergeldern. Nur eine Verzögerung, hervorgerufen durch unbotmäßige Österreicher und lebensfremde Richter.

Der Schlussantrag des Generalanwalts

Am 6. Februar 2019 war die deutsche Maut-Welt noch in Ordnung, als in der Rechtssache C-591/17 Generalanwalt Wahl sein Rechtsgutachten vorlegte. Er empfahl dem Gerichtshof, die Klage Österreichs gegen das Infrastrukturabgabengesetz vom 8. Juni 2015 abzuweisen.

Der Umstand, dass Haltern von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen eine Steuerentlastung bei der deutschen Kraftfahrzeugsteuer zugutekomme, die dem Betrag der Infrastrukturabgabe entspreche, stelle keine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit dar.

Österreich hatte in seiner Vertragsverletzungslage – unterstützt von den Niederlanden –  ausgeführt, dass Deutschland mit der Festlegung der Infrastrukturabgabe gegen mehrere Bestimmungen des Unionsrechts verstoße. Die Abgabe und die gleichzeitig erfolgende Steuerentlastung für Halter inländischer Fahrzeuge wirken sich nach Auffassung Österreichs dahingehend aus, dass in der Praxis nur die Fahrer von Fahrzeugen, die in anderen Mitgliedstaaten zugelassen sind, der Infrastrukturabgabe unterliegen, was zu einer mittelbaren Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit führt. Bislang war es nur zu acht derartigen Klagen eines Mitgliedstaates gegen einen anderen Mitgliedstaat gekommen.

Der Generalanwalt begründet seine Rechtssicht damit, dass Österreich in seiner Klage von einem falschen Verständnis des Begriffs ‚Diskriminierung‘ ausgehe. Den Klägern sei es nicht gelungen, ihren Standpunkt in Bezug auf zwei Diskriminierungsgrundsätze überzeugend darzulegen:

Zum einen befänden sich die beiden Gruppen von Personen, die Österreich miteinander vergleiche, in Bezug auf die Maßnahmen, die es beanstande, nicht in einer vergleichbaren Situation. Zum anderen habe Österreich keine weniger günstige Behandlung darlegen können, die die in Rede stehenden Maßnahmen für die Fahrer ausländischer Fahrzeuge bedeuten würden.

Selbst wenn die Steuerentlastung der deutschen Kraftfahrzeugsteuer in Höhe der Abgabe verringert werde, wäre die Abgabe als solche für ausländische und deutsche Nutzer gleich. Die steuerliche Situation sei hingegen eine rein deutsche Angelegenheit. Insgesamt führe die Einführung der Abgabe zu einer nutzergerechten Umsetzung des Benutzerprinzips und des Verursacherprinzips. Verletzungen des freien Warenverkehrs und des freien Dienstleistungsverkehrs seien nicht ersichtlich.

Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs

Nur in seltenen Fällen verlässt der EuGH den vom Gutachten des Generalanwalts vorgezeichneten Pfad. Am 18. Juni 2019 hat der EuGH genau dies getan und schon fast lakonisch sowohl die mittelbare Diskriminierung ausländischer Fahrzeughalter aus Gründen der Staatsangehörigkeit als auch Verstöße gegen die Grundsätze des freien Warenverkehrs und des freien Dienstleistungsverkehrs festgestellt. Die deutsche Pkw-Maut verstößt gegen Unionsrecht.

Zwar seien die Mitgliedstaaten frei darin, das System der Finanzierung ihrer Straßeninfrastruktur selbst zu bestimmen, so der EuGH. Dabei sei jedoch Unionsrecht, namentlich das Diskriminierungsverbot zu beachten. Die Vorgehensweise Deutschlands mit der Kfz-Steuerentlastung auf jährlicher Basis zeige deutlich, dass eben nicht auf ein allgemeines Infrastruktur-Finanzierungssystem nach dem Benutzer- und Verursacherprinzip für alle umgestellt werden solle, sondern dass für die Halter von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen weiterhin das Steuerfinanzierungsprinzip gelten solle. Ein Vignettenkauf für kürzere Benutzerzeiträume sei für deutsche Fahrzeughalter nie angedacht gewesen.

Mit diesem insgesamt diskriminierenden Ansatz werde auch der freie Warenverkehr behindert, da die Abgabe, der die im Ausland zugelassenen Fahrzeuge unterliegen, die diese Erzeugnisse befördern, geeignet ist, die Transportkosten zu erhöhen und die Wettbewerbsfähigkeit zu beeinträchtigen. Hinsichtlich des freien Dienstleistungsverkehrs kämen die gleichen Erwägungen zum Tragen.

Nicht zu beanstanden seien die Modalitäten der Ausgestaltung und des Vollzugs der Infrastrukturabgabe.

Die Moral von der Geschicht

Der EuGH hat der Bundesrepublik Deutschland in knappen Worten ins Stammbuch geschrieben, dass eine leicht als solche identifizierbare ‚Fake-Nutzerfinanzierung für alle‘ als Mogelpackung gegen Unionsrecht verstößt, weil eben gerade nicht alle Straßennutzer im Umfang der tatsächlichen Nutzung zu einer Infrastrukturabgabe herangezogen werden.

Ein diffuser Gerechtigkeitsgedanke und der Drang ‚dem Volk aufs Maul zu schauen‘ sind nicht hinreichend, um unausgegorene Gesetzesvorhaben zum rechtssicheren Bestand zu führen.

Aus den Reihen der besonders konsternierten CSU verlautet in einer ersten Reaktion, jetzt müssten alle Mauten in Europa auf dem Prüfstand stehen. Vielleicht wäre es der fruchtbarere Weg, zunächst einmal das EuGH-Urteil genau zu studieren und zu den richtigen Schlüssen zu kommen.

Ob es die Expertenkommission des Bundesverkehrsministeriums richten kann, bleibt dahingestellt. Mich erleichtert vor allem, dass auch in Zukunft in Sachen Maut die Österreicher auf uns aufpassen werden.

 

Professor Achim Albrecht

Westfälische Hochschule, Gelsenkirchen

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