19.11.2018

Vereinbarkeit von Beruf und Ehrenamt

Die Auswirkungen beim kommunalen Arbeitgeber

Vereinbarkeit von Beruf und Ehrenamt

Die Auswirkungen beim kommunalen Arbeitgeber

Das Ehrenamt soll ausdrücklich gefördert werden. In einigen Ländern ist es sogar Staatsziel. | © himself100 - Fotolia
Das Ehrenamt soll ausdrücklich gefördert werden. In einigen Ländern ist es sogar Staatsziel. | © himself100 - Fotolia

Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege, die Work-Life-Balance waren große Themen der letzten Jahre. Die kommunalen Arbeitgeber konnten diese Herausforderungen weitgehend geräuschlos meistern, jedenfalls in größeren Organisationseinheiten wie Landratsämtern und Verwaltungen großer Gemeinden. Neue Entwicklungen wie das betriebliche Eingliederungsmanagement, das Gesundheitsmanagement, neue Formen der Arbeitsorganisation, wie beispielweise die „bürofreie Arbeit“ erzwingen eine Weiterentwicklung der Mitarbeiterorientierung.

Neu ist, das Ehrenamt soll ausdrücklich gefördert werden – in Baden-Württemberg und Bayern wurde es zum Staatsziel erhoben. Daraus folgend ist die „Vereinbarkeit von Beruf und Ehrenamt“ zu gestalten. Modern aufgestellte Organisationen haben dies zumindest in ihren Leitbildern bereits aufgenommen[1]. Aus gutem Grund: Unsere Gesellschaft braucht eine funktionierende Verwaltung und auch ein funktionierendes öffentliches Ehrenamt. Insoweit sind staatsbürgerliche Überlegungen vorrangig vor Partikularinteressen einzelner öffentlicher Arbeitgeber zu stellen. Eine großzügige Freistellung und eine für alle Beteiligten tragfähige Regelung zur Arbeitszeitgutschrift unterstützt diese Zielrichtung und erfüllt den Geist der neuen verfassungsrechtlichen Regelungen mit Leben.

Management Summary

Überdurchschnittlich viele Beschäftigte bei kommunalen Arbeitgebern üben Ehrenämter aus. Zeitliche Kollisionen zwischen Ehrenamt und Dienst- oder Arbeitspflichten sind dabei nicht zu vermeiden. Einen generellen Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf bezahlte oder unbezahlte Freistellung von der Arbeit, um ein Ehrenamt ausüben zu können, gibt es nicht. In wenigen Sonderfällen gibt es einen Freistellungsanspruch. Zu diesen Sonderfällen gehören alle Tätigkeiten im öffentlichen Ehrenamt, denn grundsätzlich fehlt dem öffentlichen Ehrenamt die Freiwilligkeit. Daher sind Pflichten und Rechte auszugleichen. Der Freistellungsanspruch entsteht im Umfang der Erforderlichkeit, die sich aus Unaufschiebbarkeit und Terminhoheit zusammensetzt.


Folge der erforderlichen Freistellung ist Anrechenbarkeit der Zeitstunden im Rahmen des Benachteiligungsverbotes. Deren Umfang ist schwierig festzustellen bei gleitender Arbeitszeit, bei Vertrauensarbeitszeit oder bei bürofreier Arbeit. Jedenfalls ist zumindest die Arbeitszeit gutzuschreiben für die Zeit, die „regelmäßig an diesem Tage angefallen wäre“. Besser scheint eine Weiterentwicklung einer angenommenen feststehenden Arbeitszeit durch Individualisierung in eine „fiktive individuell feststehende Arbeitszeit“ („FIFAZ“). Vorherige Vereinbarungen, möglichst für ganze Kalenderjahre, geben Klarheit für alle Beteiligten, vereinfachen die Abwicklung und verhindern nachlaufende Diskussionen. Diese führen sogar bei bürofreier Arbeit und in vielen Ausnahmefällen zu befriedigenden Ergebnissen für alle Beteiligten.

Eine Neujustierung ist überfällig

Besondere Schwierigkeiten bereiten kommunalen Arbeitgebern seit Jahren der Umgang mit Ehrenämtern ihrer Beschäftigten. Zuletzt ist dabei weniger die Frage der Erforderlichkeit einer Freistellung, als deren Behandlung bei der Arbeitszeiterfassung in den Fokus gerückt. Letzteres ist geschuldet der Entwicklung von feststehender Arbeitszeit über eingeschränkte Kontaktzeiten bis zur Vertrauensarbeitszeit neben einer allzeit elektronischen Erreichbarkeit, bis hin zur bürofreien Arbeit.

Verschärft haben sich diese Schwierigkeiten in den letzten beiden Jahren durch neue gesetzliche Vorgaben, wie längere Ruhe- und Pausenzeiten im Arbeitszeitgesetz[2]. In Baden-Württemberg wurde zudem die „Förderung des Ehrenamtes“ als Staatsziel in die Landesverfassung aufgenommen[3]. Für die Vereinbarkeit von Beruf und Ehrenamt scheint also eine Neujustierung überfällig.

Ausgangspunkt und Basis der Betrachtungen sind die grundsätzlichen Überlegungen von Irmtraut Bock in der BWGZ[4], auch wenn diese sich einschränkend nur einer besonderen Art eines öffentlichen Ehrenamtes widmen[5]. Brisanz bekommt das Thema bei der Kandidatensuche jetzt unmittelbar vor den Kommunalwahlen in Baden-Württemberg, wenn bei der Freiwilligen Feuerwehr der Nachwuchs fehlt oder Gerichte ehrenamtliche Schöffen und Richter suchen.

Ehrenamt und öffentliches Ehrenamt

Ehrenamt ist jegliche Aktivität, die freiwillig und ohne Entgeltanspruch übernommen wird. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um gemeinnützige Zwecke oder deren Ziele handelt, ob es institutionalisiert ist oder ob es auf Zuruf erfolgt. Es ist auch unerheblich, inwieweit eine Art förmliche Bestellung erfolgt oder auch nicht. Zur Übernahme eines „normalen“ Ehrenamtes kann man nicht verpflichtet werden.

Beim öffentlichen Ehrenamt fehlt grundsätzlich die Freiwilligkeit.

Das klingt zunächst überraschend. Öffentliche Ehrenämter sind solche, bei denen Gesetze die Bestellung eines Mitbürgers oder einer Mitbürgerin ausdrücklich vorsehen, für Tätigkeiten zur Aufrechterhaltung der Demokratie oder zur Gefahrenabwehr. Die Wichtigkeit der Aufgabenerledigung erfordert das Fehlen einer Wahlmöglichkeit, einfach abzulehnen oder einfach die Ausübung selbstbestimmt zu beenden. Der Bedeutung entsprechend erfolgt dies durch ausdrückliche und förmliche Bestellung auf Zeit mittels Vereidigung durch den zuständigen Träger öffentlicher Gewalt.

Als Nachweis dafür diene beispielsweise das Landesfeuerwehrgesetz: Zwar ist für die Mitarbeit bei der Freiwilligen Feuerwehr einer Gemeinde grundsätzlich die freiwillige Meldung vorgesehen[6]. Aber wenn die Zahl der Freiwilligen nicht ausreicht, wird bestellt[7]. In vielen Gesetzen ist eine Bestellung zum öffentlichen Ehrenamt ohne Freiwilligkeit ausdrücklich geregelt[8]. Man kann sogar gegen seinen ausdrücklichen Willen zum ehrenamtlichen Ortsvorsteher gewählt werden[9].

Beispiele für öffentliche Ehrenämter sind: Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr, des Katastrophenschutzes, ehrenamtliche Richter oder Schöffen bei Gericht, Wahlhelfer, Wahlleiter, Mitglieder des Kreistags, Gemeinderates, Ortschaftsrates oder des Regionalparlaments, ehrenamtlicher Orts- oder Bezirksvorsteher, ehrenamtlicher Bürgermeister, ehrenamtlicher Stellvertreter des Landrats.

Ehrenämter, die der Gemeinschaft zwar wichtig sind, aber nur freiwillig ausgeübt werden, wie in der Jugendarbeit, beim Jugendaustausch in Schulen, usw. fallen nicht darunter, auch wenn es dafür teilweise Freistellungsansprüche gibt.

Freistellungsanspruch

Regelmäßig ist eine zeitliche Kollision zwischen Ehrenamt und Dienst- oder Arbeitspflichten nicht zu vermeiden. Einen generellen Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf bezahlte oder unbezahlte Freistellung von der Arbeit, um ein Ehrenamt ausüben zu können, gibt es nicht.

In bestimmten Sonderfällen gibt es jedoch diesen Freistellungsanspruch. Zu diesen Sonderfällen gehören alle Tätigkeiten im öffentlichen Ehrenamt. Hierzu ist, wie in vielen Gesetzen festgelegt, „die erforderliche freie Zeit“ zur Ausübung zu gewähren[10] [11]. Daher folgt beim öffentlichen Ehrenamt der Erforderlichkeit ein Anspruch auf Freistellung von allen arbeitsrechtlichen Pflichten.

Erforderlichkeit: Unaufschiebbarkeit und Terminhoheit

Die Frage der Erforderlichkeit beinhaltet einen großen Interpretationsspielraum. Als unbestimmter Rechtsbegriff ist dieser aber eingrenzbar in zwei Richtungen: Unaufschiebbarkeit und Terminhoheit. Beides zusammen führt zu einer Vereinfachung der Bewertung konkreter Lebenssachverhalte. Denn wenn Alarm ist, muss das Mitglied der freiwilligen Feuerwehr unverzüglich ausrücken, wenn eine Sondersitzung anberaumt wurde, darf das Gemeinderatsmitglied nicht fehlen, wenn die Gerichtsverhandlung bis 20:00 Uhr geht, kann ein Schöffe nicht vorzeitig die Verhandlung verlassen.

Auch Einzelfragen, wie die Erforderlichkeit der Fortbildung für Gemeinderatsmitglieder[12], lassen sich damit klären. Denn sofern das Gemeinderatsmitglied an einer allgemeinen politischen Fortbildung teilnimmt („Einführung in das Baurecht für kommunale Entscheidungsträger“) fehlt die Unaufschiebbarkeit und damit die Erforderlichkeit zur Teilnahme. Wenn aber der Baubürgermeister alle Gemeinderäte in einer Sonderveranstaltung „Baurecht“ innerhalb der Stadtverwaltung schult, ist die Unaufschiebbarkeit gegeben.

Ähnlich verhält es sich bei den derzeit aktuellen Problemen in vielen Gemeinderäten, die durch die Änderung der Gemeindeordnung neu entstanden sind. Eine Teilnahme an der „Einführung in das Ratsinformationssystem“ ist für Gemeinderatsmitglieder vor Ort sicher zwingend. Dazu gehört auch der Umgang mit dem „Handcomputer“, besser als Tablet bekannt, der zur Ausübung des Gemeinderatsmandats ausgehändigt wurde. Nicht erforderlich ist hingegen jede allgemeine Softwareschulung in Standardprogrammen wie Word, Excel, Windows.

Terminhoheit ist begrifflich die Möglichkeit, für eine Aktivität selbstbestimmt den Zeitpunkt bzw. Zeitraum festzulegen. Zum Jubilarbesuch am 90. Geburtstag als Vertreter des Oberbürgermeisters und mit Urkunde des Bundespräsidenten ist dies sicher der Fall. Jedoch kann auch hier manchmal die Terminhoheit fehlen, sei es aufgrund besonderer Umstände oder örtlicher Rahmenbedingungen. Beispielsweise bei einer Vorgabe, einem besonderen Festakt beizuwohnen bei Anwesenheit von Presse und TV und dort die Laudatio zu halten oder durch beschränkende Besuchszeiten im Pflegeheim. Letztere wollen regelmäßig keine Besucher nach 17 Uhr.

Die meisten Fragen werden bei ehrenamtlichen Orts- oder Bezirksvorstehern auftreten. Diese haben eine große Terminhoheit, die allerdings in der Praxis an Grenzen stößt. Besonders seien hier genannt die wöchentlichen „Bürgersprechstunden“, zu denen alle Ortsvorsteher im Regelfall durch die Hauptsatzung oder Geschäftsordnung der Gemeinde verpflichtet sind. Soweit diese auch außerhalb des Rathauses oder der Verwaltungsstelle stattfinden können, ist Terminhoheit gegeben – es mangelt also an der Erforderlichkeit. Sofern die Nutzung von Einrichtungen der Verwaltung (EDV-System, Akten, Pläne, Protokolle) oder eine kollegiale Begleitung (Protokollführung, Heraussuchen von Unterlagen und Plänen während des Gesprächs, Ausdrucke, Kopien, usw.) erforderlich sind oder während des Gesprächs werden, sind begrenzende Faktoren der Terminhoheit die Öffnungszeiten der Verwaltung oder die Anwesenheitszeiten der dort Beschäftigten.

Letzteres gilt zudem bei Wahrnehmung von Führungsaufgaben, sofern der ehrenamtlich Tätige ihm unterstellte Beschäftigte führen muss (Mitarbeitergespräche, LOB- und Beurteilungsgespräche, Einteilung von Arbeitsplänen, Rücksprachen, Urlaubsplanung, usw.) und für Teambesprechungen, die wohl zumindest alle 2 Monate gemeinsam zu führen sind. Auch Besprechungen und Sitzungen mit Fachbeamten der Stadt unterliegen, wenn nicht sowieso vorgegeben, einer Terminhoheit nur innerhalb deren täglichen Arbeitszeiten oder jedenfalls innerhalb des Rahmens einer auch heute noch als „eigentlich normal“ angenommenen Arbeitszeit, also eigentlich zwischen 08:00 Uhr und 17:00 Uhr.

Beinahe alle Fragen im Zusammenhang mit dem Ehrenamt können über die Unaufschiebbarkeit oder die Terminhoheit beantwortet werden, es gibt nur wenige Ausnahmen. So ist die Erforderlichkeit bei Wegzeiten zur Ausübung des Ehrenamtes einhellig nicht umstritten, jedoch beim Umfang der Anrechenbarkeit als Arbeitszeit[13]. Beispielsweise könnte man aber einem Beschäftigten, der die Nutzung des ÖPNVs zur Fahrt zum Ehrenamt nutzt, darauf verweisen, ein Taxi zu nutzen, das in vielen Fällen schneller zum Termin oder zurück zur Dienststelle führt. Oder bemängeln, wenn der Beschäftigte eine umständliche Transportmöglichkeit mit Bus und Bahn sucht. Hierbei helfen dann andere Überlegungen. Im Regelfall besteht ausdrücklich ein Benachteiligungsverbot für alle Betroffenen[14] und eben auch ein Willkürverbot für alle Beteiligten.

Festzuhalten bleibt: Die Erforderlichkeit einer Freistellung richtet sich nach der Unaufschiebbarkeit und der Terminhoheit.

Anspruch auf Freistellung

Beim öffentlichen Ehrenamt folgt der Erforderlichkeit ein Anspruch auf Freistellung von allen arbeitsrechtlichen Pflichten. Das bedeutet, die Arbeit nicht erledigen zu müssen, diese also auch weder vor- noch nacharbeiten zu müssen.

Für die Ausübung eines „normalen“ Ehrenamtes gilt dies nicht. Zwar kann subjektiv, objektiv oder anhand der oben genannten Kriterien auch die Erforderlichkeit gegeben sein. Ein Anspruch auf Freistellung, egal in welchem Umfang, folgt daraus grundsätzlich nicht. Empfohlen wird, den Umfang einer Freistellung zur Ausübung von „normalen“ Ehrenämtern aufgrund geänderter Rechtsvorschiften und dem neuen Staatsziel des Landes großzügiger zu gestalten, also die Vereinbarkeit von Beruf und Ehrenamt insoweit mit viel Leben zu erfüllen. In einer Dienstvereinbarung mit dem örtlichen Personalrat können begrenzende Faktoren durch dienstliche Belange und klaren Verfahrensregeln zur Begründung solcher Anträge für alle Fallkonstellationen transparent und einheitlich gestaltet werden.

Arbeitszeitgutschrift

Für das „normale“ Ehrenamt ist dies einfach: Es gibt grundsätzlich keine Arbeitszeitgutschrift. Ausnahmen können kommunale Arbeitgeber regeln.

Anders beim öffentlichen Ehrenamt: Dem Benachteiligungsverbot folgend darf kein öffentlich ehrenamtlich Tätiger Nachteile erleiden, die durch die Ausübung entstehen könnten. Daher gibt es hier keine Nacharbeit, keine verpflichtende Vorarbeit und keine Arbeitszeitkürzungen.

Früher bedeutete uneingeschränkt jede Minute Freistellung für das öffentliche Ehrenamt gleichzeitig eine Minute Zeitgutschrift auf dem Arbeitszeitkonto. Das galt sogar, wenn die Tätigkeit außerhalb einer sog. Rahmenarbeitszeit, also beispielsweise nach 19:00 Uhr ausgeübt wurde. Dies ist kürzlich in einigen Gerichtsurteilen sogar erweitert worden: Wer an einem „Ehrenamts-Arbeitstag“ eigentlich „frei“ hätte, also z.B. bei Schichtarbeit, bekommt diese Ehrenamts-Stunden trotzdem gutgeschrieben[15]. Dies wird heute auch vielerorts, aber uneinheitlich praktiziert, beispielsweise bei Wahlhelfern, die an Sonntagen bis in die Nacht auszählen. Und auf Nachfrage bei Rechtsaufsichtbehörden des Landes bekommt man zumindest mündlich genau diese Auskunft.

Ein konträr anderer Ansatz geht für kommunale Beschäftigte von TVÖD § 29 aus [16], sogar erweitert auf alle ehrenamtlich Tätigen[17]. TVÖD § 29 lässt den Rückschluss zu, Zeitgutschriften gibt es nur für eine Inanspruchnahme innerhalb einer „Kernarbeits-„ oder „Kontaktzeit“.

Ein solcher Rückschluss ist aus mehrfachen Gründen nicht tragfähig. Arbeitnehmer können sich bei unterschiedlichen Regelungen in Gesetz und Tarifvertrag auf die für sie besseren berufen (Günstigkeitsprinzip, vgl. § 4 Abs. 3 TVG). Die vorrangigen Einzelgesetze (z.B. Gemeindeordnung § 32) verbieten zudem ausdrücklich eine Benachteiligung bei Ausübung des Ehrenamtes. Daher ist diese Tarifvertragsregelung demnächst endlich den neuen Gegebenheiten anzupassen.

Zudem haben sich die Arbeitszeitregelungen in den letzten 30 Jahren weiterentwickelt. Lange Jahre war bei „gleitender Arbeitszeit“ jeweils eine Kernarbeitszeit von mindestens sechs Stunden ausdrücklich vorgeschrieben. Zudem konnte jeder Arbeitnehmer selbst entscheiden, ob er die gleitende Arbeitszeit überhaupt in Anspruch nehmen will. Inzwischen ist jede Regelung denkbar. Von einer Kernarbeitszeit kann beim fließenden Übergang zur Vertrauensarbeitszeit bzw. bei einer individuell frei gewählten täglichen Arbeitszeit daher nicht mehr die Rede sein.

Zur Erläuterung: Bei einer angenommen Kernarbeitszeit freitags von 09:00 Uhr bis 12:00 Uhr wäre nämlich bei einer ganztägigen Gerichtsverhandlung als Schöffe eine Zeitgutschrift von nur 3 Stunden möglich, beim Feuerwehreinsatz montags nachts um 2 Uhr würde die notwendige Einhaltung der Ruhezeit von 11 Stunden zum „Verlust“ vieler Arbeitsstunden am nächsten Morgen führen.

Auch kann man nicht aus den Augen lassen, dass beinahe alle Regelungen zum öffentlichen Ehrenamt einen Lohnersatz vorsehen. So kann jeder Schöffe für die ihm nicht bezahlten Arbeitsstunden Lohnersatz anfordern, jeder Feuerwehrmann, soweit die Feuerwehrsatzung vor Ort dies nicht mittels Pauschalierung regelt, ebenso. Damit entsteht bei Anwendung einer wie auch immer gestalteten „Kernarbeits- oder Kontaktzeit“ als Basis für Zeitgutschriften ein Paradoxum. In unserem Beispiel sitzt am Freitag der ehrenamtlich Tätige zehn Stunden im Gerichtssaal, bekommt von seinem Arbeitgeber aber nur drei Stunden Zeitgutschrift. Dann zahlt das Gericht aber auch nur für drei Stunden Lohnersatz. Und der Arbeitnehmer muss fünf Stunden nacharbeiten.

Jedenfalls ist aber immer Folge der Freistellung Anrechenbarkeit der Zeitstunden im Rahmen des Benachteiligungsverbotes. Da deren Umfang bei gleitender Arbeitszeit, bei Vertrauensarbeitszeit oder bei bürofreier Arbeit schwierig festzustellen ist, müssen neue Wege gesucht werden.

Fiktive individuell feststehende Arbeitszeit „FIFAZ“

Ein neuer Ansatz ist, Arbeitszeit gutzuschreiben für die Zeit, die „regelmäßig an diesem Tage angefallen wäre“. So wird es in den Antragsformularen einzelner Gerichte für Schöffen bereits formuliert.

Man kann auch einen vorhandenen Ansatz auf alle zu übertragen: Die Arbeitszeitgutschrift bei Landesbeamten folgt auch nach der neuen Arbeitszeit- und Urlaubsverordnung Regelungen, die das Innenministerium in einem nicht-veröffentlichen Erlass bereits Ende 2005 ausführlich beschrieben hat[18] und die heute auf ausdrückliche Nachfrage beim Ministerium noch uneingeschränkt fortgelten.

Verkürzt dargestellt wird Sonderurlaub gewährt zur Wahrnehmung der Aufgaben im öffentlichen Ehrenamt, ggf. ganztags, einschließlich notwendiger Wegezeiten, aber mit drei Ausnahmen (nicht für Wahlkampf, Bürgersprechstunden, allgemeine Fortbildung). Arbeitszeitgutschrift erfolgt bei gleitender Arbeitszeit durch fiktive Annahme einer feststehenden Arbeitszeit von 07:30 Uhr bis 16:15 Uhr (Mo-Do) bzw. bis 16:00 Uhr (Fr), entsprechend einer 41-Stunden-Woche. Die Regelungen gelten direkt für Landesbeamte nebst Gleichstellung für Landes-Angestellte.

Weiterentwickelt muss diese „fiktive feststehende Arbeitszeit“ aus den genannten Gründen und an den individuellen Arbeitsplatz angepasst werden. Heißt: Nach Annahme des öffentlichen Ehrenamtes legen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam fest, welches am jeweiligen Arbeitstag die jeweils „fiktive individuell feststehende Arbeitszeit“ („FIFAZ“) ist. Dazu werden weitere Umstände, persönliche Rahmenbedingungen, arbeitgeberspezifische Besonderheiten, familiäre Gründe oder Mobilitätserfordernisse einbezogen. So kann dann für jeden im Ehrenamt Tätigen individuell geregelt werden, wann Zeitgutschriften einer erforderlichen Freistellung folgen. Vorherige Vereinbarungen, möglichst für ganze Kalenderjahre, schaffen Transparenz und Klarheit für alle Beteiligten, vereinfachen die Abwicklung und verhindern nachlaufende Diskussionen.

Im kommunalen Umfeld entschärft sich damit auch die Situation, vor allem in den Landkreisverwaltungen, weil hier neben Kreisbediensteten und Kreisbeamten auch Landesbedienstete und Landesbeamte tätig sind. Die Auswirkungen ehrenamtlicher Tätigkeit sollen und müssen für alle gleich sein.

Öffentliches Ehrenamt und bürofreie Arbeit?

Nachhaltig zukunftsorientiert agierende Arbeitgeber gestalten die Arbeitserledigung bereits heute als „bürofreie Arbeit“. Beispielsweise hat die Stadt Esslingen am Neckar bereits im Jahre 2011 die Möglichkeit eröffnet, in einer Pilotphase auf freiwilliger Basis die persönliche Arbeitszeit ortsunabhängig zu erbringen und dazu die Vertrauensarbeitszeit eingeführt. Dabei kann grundsätzlich Arbeitszeit an den Arbeitstagen Montag bis Freitag zwischen 06:00 Uhr und 21:00 Uhr erbracht werden. Auch hier gilt die Selbstverpflichtung zur Einhaltung einer 11-stündigen Ruhezeit. Wenn man dieses Modell zugrunde legt, gibt es nur die Alternative, öffentliche Ehrenämter faktisch immer nur in „freier Zeit“, also Freizeit zu gestalten oder zum ursprünglichen Ausgangspunkt „für jede Minute öffentliches Ehrenamt gibt es eine Minute Zeitgutschrift“ zurückzukehren. Wie dargelegt widerspricht auch hier die erste Einordnung den gesetzlichen Vorgaben (Benachteiligungsverbot) und letzteres den Grundsätzen, bei gleitender Arbeitszeit den Arbeitszeitrahmen selbst zu wählen. Auch hier hilft nur eine „fiktive individuelle feststehende Arbeitszeit“ für die Anrechenbarkeit von Zeiten für das Ehrenamt in der Form, dass nur genau dafür die beispielweise 39,5 Wochenstunden, trotz freiem Rahmen von 06:00 Uhr bis 21:00 Uhr, vorher festgelegt werden. Das gleiche gilt bei Vertrauensarbeitszeit – es sei denn, es wird auf jegliche Arbeitszeiterfassung verzichtet und die ehrenamtliche Inanspruchnahme bei der Festlegung der geschuldeten „Arbeitsmenge“ mit einbezogen.

Einschränkungen durch das neue Arbeitszeitgesetz?

Das neue Arbeitszeitgesetz verpflichtet zur Einhaltung stringenter Ruhezeiten. Die neuen Regelungen erfordern eine Zusammenrechnung von Haupttätigkeit und Minijob. Gerade dies führt zur erheblichen Einschränkung von Öffnungszeiten im Gastronomiegewerbe, besonders im Hinblick auf saisonale Bewirtung im Freien. Und bei Schulhausmeistern zur Frage, wie man es gesetzeskonform gestalten kann, um 07:00 Uhr morgens mit dem Schneepflug den Schnee für die Schüler wegzuräumen und abends gegen 19:00 Uhr für den Elternabend.

Sollte man – was denkbar wäre – das Arbeitszeitgesetz erweitern auf die Einbeziehung der öffentlichen Ehrenämter, so ist die Ausübung solcher Tätigkeiten immer voll auf die Arbeitszeit anzurechnen, um Gesetzesverstöße im konkreten Einzelfall zu verhindern. Allerdings mit weiteren Folgen: Als Beispiel sei der Feuerwehrmann genannt, der nach 11 Stunden beruflicher Haupttätigkeit in der Fabrik sich weigern müsste, zum Brandfall auszurücken, da seine gesetzliche Ruhephase gerade begonnen hat.

Andererseits sind die Auswirkungen unterschiedlich je nach Art des Arbeitsplatzes. Der ehrenamtliche Katastrophenschützer, der bis nachts um 04:00 Uhr im Einsatz war, kann sicher nicht um 06:00 Uhr ganz offiziell den städtischen Schneepflug und dann weitere 8 Stunden lang bedienen. Das Gemeinderatsmitglied, das um 23:00 Uhr die Sitzung verlässt und eigentlich erst 11 Stunden später seinen Dienst im Landratsamt am Computer aufnehmen darf, kann dies vielleicht ohne jegliche Einschränkungen.

Der Erforderlichkeit der Freistellung folgend können auch dann nur diejenigen Arbeitsstunden, die in der fiktiv individuell festgelegten Arbeitszeit liegen und in der gesetzlichen Ruhezeit, als Zeitgutschrift gewährt werden. Denn die gesetzlichen Ruhezeiten haben Vorrang – aus guten Gründen.

Verrechnung von Lohnersatzleistungen

In vielen Fällen haben öffentliche Arbeitgeber auf die Verrechnung von Lohnersatzleistungen bei Inanspruchnahme für öffentliche Ehrenämter untereinander aus guten Gründen verzichtet bzw. sind diese gesetzlich (gewählte Vertreter in Kommunalparlamenten, Bezirksvorsteher, Ortsvorsteher) nicht vorgesehen[19]. In den anderen Fällen sind diese zumindest von kommunalen Beschäftigten (siehe § 29 TVÖD) geltend zu machen und abzuführen, wenn für diese Aktivitäten Arbeitszeiten gutgeschrieben werden. Wichtig ist der Hinweis, dass Lohnersatzleistungen nichts mit Sitzungsgeldern und Aufwandsentschädigungen gemein haben – es sei denn, in diesen ist der Lohnersatz pauschaliert enthalten, wie ausnahmsweise in einigen Feuerwehrsatzungen geregelt. Aber dazu später.

 

[1] „Wir begegnen uns mit Respekt und berücksichtigen persönliche Umstände im Miteinander“ – Leitlinien für Führung und Zusammenarbeit des Landkreises Böblingen 2016

[2] „Die Ruhezeit beginnt am Ende der täglichen Arbeitszeit und endet mit erneutem Arbeitsbeginn. Die Ruhezeit beträgt grundsätzlich mind. 11 Stunden und darf nicht durch Arbeitseinsatz unterbrochen werden“ (§ 5 Abs. 1 ArbZG). „Die Arbeitnehmer müssen nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden haben“, Arbeitszeitgesetz vom 6. Juni 1994, zuletzt geändert durch Art. 12a G v. 11.11.2016

[3] Landesverfassung Baden-Württemberg, Artikel 3c Abs. 1

[4] zuletzt in BWGZ 11-12/2014, S. 474 ff., mit weiteren Verweisen

[5] BWGZ aaO, wie es der Titel bereits beschreibt: „Berufliche Freistellung für die Ausübung eines Mandats als Gemeinderat oder Ortschaftsrat“

[6] Landesfeuerwehrgesetz Baden-Württemberg vom 17.12.2015, § 11 Abs. 1

[7] Landesfeuerwehrgesetz aaO in § 12, ähnlich wie bei den Schweizer „Pflichtfeuerwehren“

[8] Gemeindeordnung Baden-Württemberg § 15 Abs. 1 „Die Bürger haben die Pflicht, eine ehrenamtliche Tätigkeit in der Gemeinde (eine Wahl in den Gemeinderat oder Ortschaftsrat, ein gemeindliches Ehrenamt und eine Bestellung zu ehrenamtlicher Mitwirkung) anzunehmen und diese Tätigkeit während der bestimmten Dauer auszuüben“, § 32 Abs. 2; Landkreisordnung § 11 Abs. 1, Landeswahlgesetz § 17 Abs. 1; usw.

[9] VG Stuttgart, 06.11.2002, 7K3309/02

[10] Gemeindeordnung Baden-Württemberg § 10 Abs. 5

[11] § 112 LBG Abs. 3 „Zur Ausübung einer ehrenamtlichen Tätigkeit in der Vertretungskörperschaft einer Gemeinde, eines Landkreises oder einer sonstigen der Aufsicht des Landes unterstehenden Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts oder im Bezirksbeirat oder im Ortschaftsrat ist dem Beamten der erforderliche Urlaub unter Belassung der Bezüge zu gewähren“

[12] siehe Bock aaO Seite 476

[13] Bock aaO

[14] siehe Gemeindeordnung § 32 Abs. 2 aaO

[15] siehe LAG Hamm, Urteil vom 05.12.17, Az.: 7 Sa 999/16.

[16] TVÖD § 29 Abs. 2: Bei Erfüllung allgemeiner staatsbürgerlicher Pflichten nach deutschem Recht, soweit die Arbeitsbefreiung gesetzlich vorgeschrieben ist und soweit die Pflichten nicht außerhalb der Arbeitszeit, gegebenenfalls nach ihrer Verlegung, wahrgenommen werden können, besteht der Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts nach § 21 nur insoweit, als Beschäftigte nicht Ansprüche auf Ersatz des Entgelts geltend machen können. Das fortgezahlte Entgelt gilt in Höhe des Ersatzanspruchs als Vorschuss auf die Leistungen der Kostenträger. Die Beschäftigten haben den Ersatzanspruch geltend zu machen und die erhaltenen Beträge an den Arbeitgeber abzuführen.

[17] so Bock aaO Seite 474

[18] Erlass des Innenministeriums vom 27.12.2005

[19] ausführlich Bock aaO Seite 476

 

Ulrich Narr

Leiter des Fachbereichs Kommunales bei der Universitätsstadt Tübingen
 

Michael Rak

Jurist und Mitglied des Personalrats beim Landratsamt Böblingen,
ehrenamtlicher Ortsvorsteher in Tübingen-Unterjesingen

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