01.11.2018

Entstehen der sachlichen Beitragspflichten im Straßenbaubeitragsrecht

Rechtmäßigkeit des Heranziehungsbescheids

Entstehen der sachlichen Beitragspflichten im Straßenbaubeitragsrecht

Rechtmäßigkeit des Heranziehungsbescheids

Feststellbarkeit des angefallenen Aufwands ist regelmäßig gegeben mit dem Eingang der letzten Unternehmerrechnung. | © BillionPhotos.com - stock.adobe.
Feststellbarkeit des angefallenen Aufwands ist regelmäßig gegeben mit dem Eingang der letzten Unternehmerrechnung. | © BillionPhotos.com - stock.adobe.

I. Ausgangsfall

Die Gemeinde verbessert die Straße X und zieht Herrn A als Eigentümer eines anliegenden Grundstücks im Jahr 2018 zu einem Straßenbaubeitrag heran. Herr A wendet sich gegen die Heranziehung und macht geltend: Zwar sei die Beitragssatzung nicht zu beanstanden und sei die durchgeführte Baumaßnahme als Verbesserung zu qualifizieren. Doch sei die Beitragsforderung im Zeitpunkt der Heranziehung entweder noch nicht entstanden oder bereits verjährt gewesen. An die verbesserte Straße grenze nämlich ein der Gemeinde gehörendes Grundstück und in einem solchen Fall entstünden die sachlichen Beitragspflichten erst in dem Zeitpunkt, in dem die Gemeinde das Grundstück veräußert oder mit einem Erbbaurecht belastet habe; weder das eine noch das andere treffe bisher zu.  Sollte dieser Rechtsansicht nicht zu folgen sein, seien die sachlichen Beitragspflichten nach der ständigen Rechtsprechung u. a. des OVG Münster[1] bereits mit der nach Abschluss der Verbesserungsmaßnahme erfolgten Abnahme 2012 entstanden und sei folglich die geltend gemachte Beitragsforderung im Zeitpunkt der Heranziehung bereits festsetzungsverjährt gewesen.

Die Gemeinde tritt dem Vorbringen des Herrn A entgegen: Die Tatsache, dass ein gemeindeeigenes Grundstück an die ausgebaute Straße angrenze, habe keinen Einfluss auf das Entstehen der sachlichen Beitragspflichten als solche, sondern allenfalls auf das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht für gerade dieses Grundstück. Die Beitragsforderung gegenüber Herrn A sei schon deshalb nicht verjährt, weil die sachlichen Beitragspflichten nicht mit der Abnahme, sondern erst mit dem Eingang der letzten Unternehmerrechnung bei der Gemeinde entstünden. Die letzte Unternehmerrechnung sei hier unstreitig erst 2016 eingegangen.

II. Gemeindeeigene Grundstücke

  1. Die sachliche Beitragspflicht für ein Grundstück, dem durch die Inanspruchnahmemöglichkeit der ausgebauten Straße ein (wirtschaftlicher) Vorteil vermittelt wird, entsteht – alle sonstigen dafür erforderlichen Voraussetzungen hier vernachlässigt – mit der „endgültigen Herstellung“ (u.a. § 8 Abs. 7 Satz 1 KAG NRW) bzw. der „Fertigstellung“ (u.a. § 11 Abs. 8 Satz 1 HKAG) der beitragsfähigen Anlage (Einrichtung) oder der „Beendigung der beitragsfähigen Maßnahme“ (§ 6 Abs. 6 NKAG). Allerdings setzt das Entstehen einer solchen Beitragspflicht – wie das Entstehen jeder Pflicht – überdies und sozusagen vorrangig das Vorhandensein eines (vertraglichen oder gesetzlichen) Schuldverhältnisses voraus, das eine derartige Pflicht zu begründen vermag, d.h. setzt ein Rechtsverhältnis mit dem Inhalt einer entsprechenden Pflicht voraus: Ohne ein solches Schuldverhältnis kann grundsätzlich keine Pflicht im Sinne einer Schuld entstehen. Ein Schuldverhältnis seinerseits ist abhängig von der Existenz von (mindestens) zwei (juristischen oder natürlichen) Personen, nämlich eines Gläubigers und eines Schuldners. Daran fehlt es mit Blick auf ein gemeindeeigenes, nicht mit einem Erbbaurecht belastetes Grundstück, weil für ein solches Grundstück einzig die Gemeinde selbst als Schuldner in Betracht kommen kann. Da jedoch nach einem zivilrechtlichen, auch im Beitragsrecht anerkannten Grundsatz regelmäßig niemand sein eigener Schuldner sein kann[2], kann in Bezug auf ein derartiges Grundstück ein Rechtsverhältnis mit dem Inhalt einer sachlichen Beitragspflicht in der Regel von vornherein nicht entstehen. Das ändert sich erst, wenn ein solches Grundstück mit einem Erbbaurecht belastet oder an einen Dritten veräußert wird, d.h. wenn neben die Gemeinde als Beitragsgläubigerin ein Dritter – sei es ein Erbbauberechtigter, sei es ein anderer Grundstückseigentümer – als Beitragsschuldner tritt.

Freilich soll es sich bei dem Grundsatz, dass niemand sein eigener Schuldner sein kann, nach Ansicht des Bundesgerichtshofs[3] um kein unverrückbares Prinzip handeln, von dem der jeweilige (hier: Landes-)Gesetzgeber nicht abweichen könnte. Eine derartige Abweichung müsste indes als gleichsam Fiktion hinreichend klar und eindeutig angeordnet sein. Es ist in keinem Kommunalabgabengesetz eine diesen Anforderungen genügende Regelung ersichtlich. Im Gegenteil bestätigt die einzige für das Straßenbaubeitragsrecht einschlägige Vorschrift in einem Kommunalabgabengesetz, in der gemeindeeigene Grundstücke ausdrücklich angesprochen werden, nämlich § 22 Abs. 2 SächsKAG, diesen Grundsatz. Denn sie stellt klar, § 21 Abs. 1 Satz 1 SächsKAG, wonach „Beitragsschuldner ist, wer … Eigentümer des Grundstücks ist“, finde auf gemeindeeigene Grundstücke keine Anwendung.


  1. Damit ist jedoch noch nichts darüber gesagt, ob deshalb, weil für ein gemeindeeigenes, nicht mit einem Erbbaurecht belastetes Grundstück mangels Vorliegens eines entsprechenden Rechtsverhältnisses keine sachliche Beitragspflicht entstehen kann, auch – wie Herr A meint – für die anderen an die Straße X angrenzenden Grundstücke und damit selbst für sein eigenes Grundstück keine sachlichen Beitragspflichten entstehen können. Diese Frage ist zu verneinen. Mit Blick auf diese Grundstücke besteht kein Hindernis, das dem Entstehen solcher Beitragspflichten entgegensteht. Sie sind – wie im Übrigen auch das gemeindeeigene Grundstück[4] – bei der Verteilung des umlagefähigen Aufwands zu berücksichtigen und für sie entstehen sachliche Beitragspflichten nach Maßgabe des Ergebnisses dieser Aufwandsverteilung.

III. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Entstehen der sachlichen Beitragspflichten

Die sachlichen Beitragspflichten entstehen – wiederum alle sonstigen dafür erforderlichen Voraussetzungen vernachlässigt – mit der Erfüllung des Beitragstatbestands „endgültige Herstellung“ bzw. „Fertigstellung“ oder „Beendigung der beitragsfähigen Maßnahme“ kraft Gesetzes dem Grunde und der Höhe nach derartig vollständig ausgebildet, dass die Gemeinde von diesem Zeitpunkt an einerseits endgültige Beiträge erheben darf und andererseits die Frist für die vierjährige Festsetzungsverjährung zu laufen beginnt. Sie entstehen in diesem Zeitpunkt der Höhe nach unveränderbar und ruhen in dieser unveränderbaren Höhe als öffentliche Last auf dem jeweiligen Grundstück[5]. Da das Entstehen der Höhe nach unveränderbarer Beitragspflichten abhängig ist zum einen von dem auf die bevorteilten Grundstücke zu verteilenden Aufwand für eine beitragsfähige Ausbaumaßnahme und zum anderen von den an dieser Aufwandsverteilung teilnehmenden Grundstücken, können sachliche Beitragspflichten erst entstehen, „wenn beide Positionen bestimmbar sind“[6], also sowohl die Höhe des angefallenen Aufwands als auch der Kreis der an der Aufwandsverteilung teilnehmenden Grundstücke feststellbar sind, und überdies die einschlägige Satzung eine wirksame Verteilungsregelung enthält, nach der sich die Verteilung des umzulegenden Aufwands auf die an der Aufwandsverteilung zu beteiligenden Grundstücke richtet.

Mit der Erfüllung des jeweiligen Beitragstatbestands (endgültige Herstellung, Fertigstellung oder Beendigung der beitragsfähigen Maßnahme) entstehen – wie gesagt – die sachlichen Beitragspflichten vollausgebildet und in unveränderbarer Höhe. Damit solche in der Höhe unveränderbaren Beitragspflichten entstehen können, ist insbesondere erforderlich, dass – erstens – die entsprechenden Ausbauarbeiten tatsächlich (technisch) abgeschlossen sowie abgenommen worden sind und – zweitens – der dafür angefallene Aufwand bestimmbar, d.h. feststellbar ist. Die Abnahme bezieht sich dementsprechend einzig auf die tatsächlichen Ausbauarbeiten; die Erfüllung des einschlägigen Bauprogramms setzt neben dem Abschluss dieser tatsächlichen Ausbauarbeiten die Abnahme voraus[7]. Erst mit der Abnahme der tatsächlichen Arbeiten steht nämlich fest, dass die Durchführung der Baumaßnahme dem Bauprogramm der Gemeinde entspricht. Dagegen gibt die Abnahme nichts her für die Feststellbarkeit der Höhe des für diese Ausbauarbeiten angefallenen Aufwands. Insoweit sind ausschließlich die für die tatsächlichen Ausbauarbeiten ausgestellten Unternehmerrechnungen von Belang. Das führt zu der Erkenntnis, dass sachliche Beitragspflichten erst entstehen können, wenn die Abnahme für die durchgeführten Ausbauarbeiten erfolgt und überdies die letzte für diese Arbeiten ausgestellte Unternehmerrechnung bei der Gemeinde eingegangen ist. Erst in diesem Zeitpunkt ist der angefallene Aufwand feststellbar und damit das entsprechende (ungeschriebene) rechtliche Merkmal des jeweiligen Beitragstatbestands erfüllt. Die Abnahme ist der tatsächlichen Seite der „endgültigen Herstellung“ („Fertigstellung“ bzw. „Beendigung der beitragsfähigen Maßnahme“) zuzurechnen, die Feststellung des Aufwands der rechtlichen Seite.

Die Feststellbarkeit des angefallenen Aufwands ist – wie angedeutet – regelmäßig gegeben mit dem Eingang der letzten Unternehmerrechnung bei der Gemeinde. Insoweit kommt es einzig auf die Tatsache des Eingangs der letzten (prüffähigen) Unternehmerrechnung an. „Die sachliche Richtigkeit ist in diesem Zusammenhang ohne Belang“[8]. Deshalb ist es für den Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten ohne Bedeutung, wenn bei Eingang der letzten Unternehmerrechnung beispielsweise noch ein (Zivil-)Rechtstreit um die Richtigkeit der Rechnung eines am Straßenausbau beteiligten Unternehmens anhängig ist. Im Übrigen ist der Begriff „Unternehmerrechnung“ in diesem Zusammenhang in einem weiteren Sinne zu verstehen, der u.a. Wertfeststellungen über den Erwerb des für eine Straßenerweiterung benötigten Geländes sowie Feststellungen über den Wert etwaiger von der Gemeinde bereitgestellter eigener Grundstücke einschließt[9]

IV. Ergebnis

Die von Herrn A gegen die Rechtmäßigkeit des an ihn gerichteten Heranziehungsbescheids vorgebrachten Einwände sind unbegründet.

Zwar ist ihm in der Annahme beizupflichten, im Straßenbaubeitragsrecht könne für ein gemeindeeigenes Grundstück eine sachliche Beitragspflicht erst entstehen, wenn dieses Grundstück mit einem Erbbaurecht belastet oder an einen Dritten veräußert worden ist. Diese Rechtstatsache hat indes entgegen seiner Ansicht keinen Einfluss auf den Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten für die übrigen an die Straße X angrenzenden Grundstücke und damit auch nicht auf den Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht für sein Grundstück.

Mit der Gemeinde ist anzunehmen, der Beitragstatbestand der „endgültigen Herstellung“ (bzw. der „Fertigstellung“ oder der „Beendigung der beitragsfähigen Maßnahme“) sei nicht schon mit der Abnahme der tatsächlichen Ausbauarbeiten erfüllt, sondern erst dann, wenn überdies das (ungeschriebene) rechtliche Merkmal der Feststellbarkeit des für diese Ausbauarbeiten angefallenen Aufwands gegeben ist. Da die sachlichen Beitragspflichten in einer ganz bestimmten, unveränderbaren Höhe entstehen, ist dieses Entstehen – abgesehen von den sonstigen dafür erforderlichen Voraussetzungen – abhängig von der Feststellbarkeit des angefallenen Aufwands. Dieser Anforderung ist regelmäßig mit Eingang der letzten Unternehmerrechnung bei der Gemeinde genügt. Da im Ausgangsfall die letzte Unternehmerrechnung 2016 bei der Gemeinde eingegangen ist, also die sachlichen Beitragspflichten (frühestens) in diesem Jahr entstanden sind, war im Zeitpunkt der Heranziehung des Herrn A im Jahr 2018 die vierjährige Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen und deshalb die Beitragsforderung noch nicht festsetzungsverjährt.

 

 

[1] OVG Münster, u.a. Beschluss v. 31.1.2000 – 15 A 290/00 – ZMR 2000,408 = NWVBl 2000,372 = GemHH 2000,273, und Urteil v. 7.9.1977 – II A 5/76 – OVGE 33,117.

[2]  Vgl. dazu. BGH, Urteil v. 1.6.1967 – II ZR 150/66 – BGHZ 48,214 = NJW 1967,2399, und BVerwG, Urteil v. 21.10.1983 – 8 C 29.82 – KStZ 1984,34 = DVBl 1984,188.

[3] BGH, Beschluss v. 18.4.2000 – III ZR 194/99 – NVwZ-RR 2000,1405 = ZfBR 2000,497.

[4] Ebenso etwa Arndt, Straßenbaubeiträge, § 11 Rdn. 23.

[5] Vgl. u.a. VGH München, Urteil v. 14.7.2010 – 6 B 08.2254 -, OVG Berlin, Beschluss v. 12.10.2010 – 9 N 121.08 -, OVG Münster, Beschluss v. 18.1.2016 – 15 A 2510/14 -, und OVG Bautzen, Urteil v. 31.3.2016 – 5 A 99/14 -.

[6] OVG Lüneburg, Beschluss v. 9.6.2016 – 9 ME 223/09 – DVBl 2010,991

[7] U.a. OVG Bautzen, Urteil v. 2.2.2005 – 5 B 510/03 – KStZ 2005,192.

[8] VGH München, Beschluss v. 28.8.2014 – 6 ZB 14.1481 –.

[9] U.a. VGH Kassel, Urteil v. 7.5.1997 – 2 UE 2042/92 -, und OVG Weimar, Beschluss v. 27.12.2006 – 4 EO 446/03 –.

Prof. Dr. Hans-Joachim Driehaus

Prof. Dr. Hans-Joachim Driehaus

Rechtsanwalt und Wirtschaftsmediator, vormals Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht, Berlin

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