15.12.2012

Urlaub: Aufgabe der Surrogatstheorie

Auswirkungen auf tarifvertragliche Regelungen

Urlaub: Aufgabe der Surrogatstheorie

Auswirkungen auf tarifvertragliche Regelungen

Urlaubsabgeltung bis zur Verjährung – Arbeitnehmer können Abgeltung auch nach Urlaubsjahr verlangen. | © Gina Sanders - Fotolia
Urlaubsabgeltung bis zur Verjährung – Arbeitnehmer können Abgeltung auch nach Urlaubsjahr verlangen. | © Gina Sanders - Fotolia

Mit Urteil vom 19.06.2012 hat das BAG entschieden, dass der Anspruch auf Abgeltung des Urlaubs auch für den Fall der Arbeitsfähigkeit des aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidenden Arbeitnehmers ein reiner Geldanspruch ist. Das bedeutet, dass dieser Abgeltungsanspruch nun wie jeder Geldanspruch allgemeinen Verjährungs- und Verfallsregeln unterliegt und nicht wie bisher nach dem sog. Fristenregime des BUrlG gehandhabt wird (BAG NZA 2012, 1087).

Die Entscheidung des BAG vom 19.06.2012
– Vollständige Aufgabe der Surrogatstheorie

Früher ging das BAG davon aus, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch als sogenanntes Erfüllungssurrogat an die Stelle des Urlaubsanspruchs trete, d.h. der Urlaubsabgeltungsanspruch wurde wie der Urlaubsanspruch, den der Arbeitnehmer wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr nehmen konnte, behandelt. Deshalb verfiel der Urlaubsabgeltungsanspruch grundsätzlich mit dem Jahresende, wie es § 7 Abs. 3 S. 1 BUrlG für Urlaub festlegt. Nunmehr gab das BAG diese sogenannte Surrogatstheorie hinsichtlich der Rechtsnatur des Urlaubsabgeltungsanspruchs komplett auf.

Zugrundeliegender Sachverhalt

Der Kläger machte einen Urlaubsabgeltungsanspruch für 16Urlaubstage aus dem Jahr 2008 geltend. Er war seit dem 15.01.2008 als Operation-Manager bei dem Beklagten beschäftigt und vom 28.05.2008 bis zum 30.06.2008 arbeitsunfähig erkrankt. Mit Kündigung des Beklagten vom 17.06.2008 wurde das Arbeitsverhältnis zum 31.07.2008 beendet. Urlaub war dem Kläger nicht gewährt worden. Nach § 6 des Arbeitsvertrages stand dem Kläger ein jährlicher Urlaubsanspruch von 27 Arbeitstagen zu. Dabei sollte im Kalenderjahr des Beginns und des Endes des Arbeitsverhältnisses für jeden Monat, in dem das Arbeitsverhältnis mindestens 15 Kalendertage bestand, 1/12 des Jahresurlaubs gewährt werden. Mit Schreiben vom 06.01.2009 verlangte der Kläger Urlaubsabgeltung für 16 Urlaubstage.


Das BAG gab der Klage statt. Der Kläger habe einen Anspruch auf Abgeltung von 16 Urlaubstagen aus dem Jahr 2008. Dieser folge aus § 7 Abs. 4 BUrlG.

Der Kläger hatte bei der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses die Wartezeit von sechs Monaten gemäß § 4 BUrlG erfüllt. Damit stand ihm ein Anspruch auf den ungekürzten Vollurlaub zu. Eine Kürzung ist von § 5 BUrlG nicht vorgesehen, weshalb die in § 6 des Arbeitsvertrages des Klägers enthaltene Abweichung, dass nur 1/12 des Urlaubsanspruchs je Monat des bestehenden Arbeitsverhältnisses entstehen solle, unwirksam ist. Der Kläger hatte daher einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung von mindestens dem ungekürzten gesetzlichen Vollurlaub (20 Arbeitstage), wovon er nur 16 Tage geltend gemacht hatte.

Dass der Kläger seinen Urlaub nicht im Urlaubsjahr 2008 verlangt hatte, sondern erst Anfang 2009 die Urlaubsabgeltung geltend machte, führte – wie das BAG entschied – nicht dazu, dass der Anspruch ebenso wie der Urlaubsanspruch verfallen war. Hiermit hat das BAG seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben. Der Urlaubsabgeltungsanspruch wird rechtlich neu eingeordnet.

Die sogenannte Surrogatstheorie

Früher ging das BAG davon aus, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch an dieselben Voraussetzungen gebunden ist, wie der Urlaubsanspruch selbst, da er als ein Erfüllungssurrogat angesehen wurde (vgl. BAGE 46, 224). Der Abgeltungsanspruch trat an die Stelle des vorherigen Urlaubsanspruchs und war somit an die Verfallfristen des BUrlG gebunden. Danach wäre auch der Urlaubsabgeltungsanspruch des Klägers nach seinem Ausscheiden am 31.07.2008 ohne weitere Geltendmachung bereits am 31.12.2008 verfallen. Anlass der Surrogatsrechtsprechung waren die Ansprüche auf Urlaubsabgeltung von fortdauernd arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmern. Wenn diese früher ganzjährig im bestehenden Arbeitsverhältnis erkrankten, hatten sie für dieses Jahr der Erkrankung keinen Urlaubsanspruch, da dieser mit dem Jahresende verfiel. Die Rechtsprechung wollte daher ausschließen, dass arbeitsunfähig ausscheidende Arbeitnehmer bessergestellt werden als die im Arbeitsverhältnis verbleibenden arbeitsunfähigen Arbeitnehmer, bei denen der Urlaub (s.o.) schließlich verfallen wäre.

Anlass des Paradigmenwechsels

Bereits mit Urteil vom 24.03.2009 hatte das BAG entschieden (BAG NZA 2009, 538), dass in der Folge der Schultz-Hoff Entscheidung des EuGH vom 20.01.2009 (EuGH NJW 2009, 495) die Surrogatstheorie für Abgeltungsansprüche bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende des Übertragungszeitraums nicht aufrechterhalten werden könne. Arbeitsunfähig aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidenden Arbeitnehmern stand ein Urlaubsabgeltungsanspruch deshalb auch zu, wenn der Urlaubsanspruch schon verfallen gewesen wäre, der aufgrund der Krankheit nicht genommen werden konnte. Die Schultz-Hoff Entscheidung gab dafür den Anlass, denn darin entschied der EuGH, dass ein Verfall des gesetzlichen Mindesturlaubs auch nach Ablauf eines Übertragungszeitraums im Folgejahr nicht in Betracht kommt, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub auf Grund von Arbeitsunfähigkeit nicht nehmen konnte, da die bisherige Sichtweise des BAG gegen Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 04.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (im Folgenden: Arbeitszeitrichtlinie) verstößt.

Als Konsequenz dieser Änderung drohte eine Ansammlung von Urlaubsansprüchen bei langjährig erkrankten Arbeitnehmern. Mit der Schulte Entscheidung vom 22.11.2011 (VGH NZA 2011, 1333) entschied der EuGH jedoch, dass es keinen Verstoß gegen die Arbeitszeitrichtlinie darstelle, für Urlaubsansprüche von langzeiterkrankten Arbeitnehmern einen begrenzten Übertragungszeitraum von 15 Monaten vorzusehen.

Das BAG entwickelte in weiteren Entscheidungen seine Rechtsprechung fort, in dem es arbeitsvertragliche (BAG NZA 2011, 1421) und tarifvertragliche Ausschlussfristen (BAG NZA 2012, 514) auch auf den Urlaubsabgeltungsanspruch anwandte, was erst mit der (teilweisen) Aufgabe der Surrogatstheorie möglich wurde.

Begründung des BAG

Mit dem jüngsten Urteil gab es die Surrogatstheorie nun komplett auf. In dieser Entscheidung ging es erstmals um einen Arbeitnehmer, der nicht langzeiterkrankt war. Für eine unterschiedliche Behandlung des rechtlichen Schicksals des Urlaubsabgeltungsanspruchs, je nachdem, ob der Arbeitnehmer arbeitsunfähig oder arbeitsfähig aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet, sah das BAG zu Recht keinen sachlichen Grund mehr.

Dazu führt das BAG aus, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch nach § 7 Abs. 4 BUrlG in seiner Rechtsqualität ein einheitlicher Anspruch ist. Die Vorschrift differenziert nicht zwischen arbeitsunfähigen und arbeitsfähigen Arbeitnehmern.

Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses wird es in jedem Fall unmöglich, den Urlaub in natura zu nehmen. Damit unterscheidet sich die Lage des ausgeschiedenen Arbeitnehmers maßgeblich von der des im Arbeitsverhältnis verbleibenden. Zwar kann von einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis fortbesteht, grundsätzlich nur innerhalb des Fristenregimes des § 7 Abs. 3 BUrlG die Erfüllung des Urlaubsanspruchs verlangt werden. Bei diesem ist eine Freistellung zwecks Urlaubsgewährung jedoch grundsätzlich möglich. Nach der Beendigung wird eine solche Freistellung unmöglich. Deshalb stellt es keine ungerechtfertigte Besserstellung dar, wenn man dem aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidenden Arbeitnehmer einen nicht nach § 7 Abs. 3 BUrlG befristeten Urlaubsabgeltungsanspruch zuspricht.

Als weiteres Argument für die Aufgabe der Surrogatstheorie führt das BAG an, dass ein Surrogatscharakter des Abgeltungsanspruchs im Gesetzeswortlaut nicht ausdrücklich angelegt ist (BAG NZA 2009, 538 Rn. 62). § 7 Abs. 4 BUrlG regelt keinen Verfall des Urlaubsabgeltungsanspruchs und macht die Abgeltung auch nicht von einer Geltendmachung durch den Arbeitnehmer, sondern allein von der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abhängig. § 7 Abs. 3 BUrlG spricht hingegen nach seinem Wortlaut und Sinn allein von einer zeitlichen Bindung und Übertragung des Urlaubs als Freizeitanspruch.

Zudem dient die Regelung in § 7 Abs. 3 BUrlG dem auch im Interesse der Allgemeinheit liegenden Zweck, dass ein Arbeitnehmer seinen Urlaub in einem einigermaßen regelmäßigen Rhythmus nimmt. Damit kann auch einer nicht gewollten Urlaubshortung entgegengewirkt werden. Auf den Urlaubsabgeltungsanspruch passen diese Gesichtspunkte jedoch nicht.

Die völlige Aufgabe der Surrogatstheorie hat zur Folge, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch nunmehr stets einen auf eine finanzielle Vergütung i.S. des Art. 7 Abs. 2 der Arbeitszeitrichtlinie gerichteten reinen Geldanspruch darstellt. Die damit insbesondere verbundene Möglichkeit, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch verfällt, wenn tarifliche Ausschlussfristen nicht gewahrt werden, verstößt nicht gegen die Arbeitszeitrichtlinie.

Der EuGH hat in der Schultz-Hoff Entscheidung entschieden, dass Art. 7 Abs. 2 der Arbeitszeitrichtlinie lediglich verhindern soll, dass dem Arbeitnehmer wegen der Unmöglichkeit der Urlaubsnahme auf Grund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses jeder Genuss des bezahlten Jahresurlaubs, sei es auch nur in finanzieller Form, verwehrt wird. Diesem Zweck stehen nationale Regelungen über Ausübungsmodalitäten, selbst wenn sie bei Nichtbeachtung zum Verlust des Anspruchs führen können, solange nicht entgegen, wie der Arbeitnehmer tatsächlich die Möglichkeit behält, das ihm mit der Arbeitszeitrichtlinie verliehene Recht auf Urlaubsabgeltung auszuüben.

Weitere Aspekte der Entscheidung

Daneben musste sich das BAG damit beschäftigen, ob die Aufgabe der bislang vertretenen Gesetzesauslegung ein Verstoß gegen Art. 20 Abs. 3 GG, d.h. gegen das Rechtstaatsprinzip bzw. den Vertrauensschutz darstelle. Da höchstrichterliche Urteile jedoch kein Gesetzesrecht sind und keine vergleichbare Rechtsbindung erzeugen, konnte dies verneint werden. Eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist grundsätzlich unbedenklich, wenn sie hinreichend begründet ist und sich im Rahmen einer vorhersehbaren Entwicklung hält. Da der geltend gemachte Urlaubsanspruch erst nach dem Bekanntwerden des Vorabentscheidungsersuchens des LAG Düsseldorf in der Sache Schultz-Hoff entstanden ist, konnte kein schützenswertes Vertrauen mehr in den Fortbestand der bisherigen Rechtsprechung bestehen.

Im vorliegenden Fall war der Abgeltungsanspruch auch nicht aufgrund einer Ausschlussfrist entfallen. Zwar enthielt der Arbeitsvertrag eine Ausschlussklausel, diese war jedoch unwirksam. Die Regelung, Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis binnen eines Monats nach der letzten Vergütungsabrechnung geltend machen zu müssen, verstößt gegen § 307 BGB. Jede Klausel, die die Geltendmachung aller Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb einer Frist von weniger als drei Monaten vorsieht, benachteiligt den Arbeitnehmer unangemessen entgegen den Geboten von Treu und Glauben und ist mit den wesentlichen Grundgedanken des gesetzlichen Verjährungsrechts nicht vereinbar.

Konsequenzen

Als Konsequenz aus dieser und den bereits vorangegangenen Entscheidungen ergibt sich, dass Urlaubsabgeltungsansprüche denselben Grenzen wie sonstige Zahlungsansprüche unterliegen und damit auch von Ausschlussfristen erfasst werden. Dabei ist es egal, ob sich die Ausschlussfristen aus dem Arbeitsvertrag ergeben oder aus einem anwendbaren Tarifvertrag.

Im Anwendungsbereich des TVöD bzw. TV-L unterliegt die Geltendmachung von Urlaubsabgeltungsansprüchen somit nunmehr der Ausschlussfrist von sechs Monaten gemäß § 37 TVöD/TV-L. Arbeitgeber können sich daher auf diese berufen, soweit ein Arbeitnehmer erst nach Ablauf dieser Frist Urlaubsabgeltungsansprüche geltend macht.

Scheidet ein langzeiterkrankter Arbeitnehmer aus seinem Arbeitsverhältnis aus, ist jedoch zu berücksichtigen, dass §7 Abs. 3 S. 3 BUrlG, wonach der Urlaub im Fall seiner Übertragung in das nächste Kalenderjahr in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden muss, europarechtskonform so auszulegen ist, dass der Urlaubsanspruch erst 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsanspruchs verfällt (vgl. dazu auch BAG NZA 2012, 1216). Langzeiterkrankte Arbeitnehmer können deshalb mitunter einen höheren Urlaubsabgeltungsanspruch haben, da evtl. auch noch Urlaub aus dem Vorjahr, der aufgrund der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit nicht genommen werden konnte, abzugelten ist.

Ob ein Urlaubsabgeltungsanspruch auch von einer im Rahmen eines Aufhebungsvertrages oder gerichtlichen Vergleichs geschlossenen sog. großen Erledigungsklausel erfasst wird, wurde noch nicht entschieden. Als reiner Geldanspruch wäre ein Verzicht darauf jedoch mit Aufgabe der Surrogatstheorie denkbar. Dies sollte bei dem Abschluss derartiger Vereinbarungen künftig berücksichtigt werden.

 

Dr. Martin Römermann

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, SKW Schwarz, Berlin
 

Tabea Stenzel

Rechtsanwältin, SKW Schwarz Rechtsanwälte, Berlin
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