15.12.2012

Für planerisches Selbstbewusstsein

Die IKEA-Entscheidung des VGH Baden-Württemberg

Für planerisches Selbstbewusstsein

Die IKEA-Entscheidung des VGH Baden-Württemberg

Das Raumordnungsverfahren der Firma IKEA beschäftigte den VGH Baden-Württemberg zum zweiten Mal. | © mirpic - Fotolia
Das Raumordnungsverfahren der Firma IKEA beschäftigte den VGH Baden-Württemberg zum zweiten Mal. | © mirpic - Fotolia

Die Firma IKEA hat im Jahr 2007 beim Regierungspräsidium Karlsruhe ein Raumordnungsverfahren mit integriertem Zielabweichungsverfahren zur Ansiedlung eines Einrichtungskaufhauses von ca. 25.000 m² Verkaufsfläche und von zwei Fachmärkten mit ca. 15.000 m² Verkaufsfläche beantragt. Als Standort vorgesehen war eine autobahnorientierte Fläche in einem Gewerbe- und Industriegebiet in Rastatt. Die Stadt ist im Landesentwicklungsplan BW 2002 (LEP BW 2002) als Mittelzentrum eingestuft. Die höhere Raumordnungsbehörde lehnte den Antrag ab, blockierte die Ausweisung eines Sondergebietes und damit die bauleitplanerische Umsetzung des Projekts. Dagegen wandten sich die Stadt und das Unternehmen mit einer Klage vor den Verwaltungsgerichten. In mittlerweile vier umfangreichen Entscheidungen haben die verschiedenen Instanzen zur Klärung einer Vielzahl von Streitfragen im Recht der Raumordnung und Landesplanung beigetragen, zuletzt der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH BW) mit Urteil vom 04.07.2012 (Az. 3 S 351/11) veröffentlicht am 11.10.2012.

Das bisherige Verfahren

Im ersten Instanzenzug standen die Möglichkeiten und Grenzen von raumordnerischen Soll-Zielen und das Kongruenzgebot im Vordergrund. Letztendlich hat das BVerwG (Urt. v. 16.12.2010 – 4 C 8.10) entschieden, dass die in § 3 I Nr. 2 ROG festgelegten Anforderungen an Ziele der Raumordnung erfüllen werden, wenn die Voraussetzungen für eine Ausnahme von der Zielbindung im Wege der Auslegung auf der Grundlage des Plans hinreichend bestimmt oder doch bestimmbar sind (dazu die Urteilsanmerkungen von Hager BauR 2011, 1093 und Uechtritz ZfBR 2011, 648). Generell enthält eine „Soll“-Vorschrift einen eindeutigen Normbefehl, „soll“ heißt dann „muss“. In atypischen Fällen entfällt der Normbefehl. Und dieser atypische Fall muss durch den Plangeber hinreichend bestimmt umschrieben werden. Zudem hat das BVerwG auf Grundlage der Urteile des VG Karlsruhe (Urt. v. 26.06.2008 – 6 K 2099/07 – VBLBW 2008, 342) und des VGH BW (Urt. v. 17.12.2009 – 3 S 2110/08 – VBLBW 2010, 357) ausgeführt, das Kongruenzgebot stelle ein Ziel der Raumordnung dar. Im Kongruenzgebot ist bestimmt, dass der Einzugsbereich eines Einzelhandelsgroßvorhabens dem landesplanerischen Verflechtungsbereich der Standortgemeinde entsprechen muss. Dagegen hatte das IKEA-Einrichtungshaus im Mittelzentrum Rastatt eindeutig verstoßen. Der VGH BW hatte in seinem Urteil Ende 2009 auch eine Zielabweichung nicht zugelassen, weil ein Verstoß gegen das Kongruenzgebot stets die Grundzüge der Planung berühre. Dagegen erkannte das BVerwG, für die Frage, ob die Grundzüge der Planung durch ein Vorhaben berührt werden, komme es auf den jeweiligen Einzelfall an. Deshalb hat es das Verfahren an den VGH BW zurückverwiesen. Das Obergericht müsse prüfen, ob ein Härtefall vorliege, der eine Zulassung entgegen der Regelvorgabe als vertretbar erscheinen lasse.

Einen Härtefall hat der VGH BW in seiner zweiten IKEA-Rastatt-Entscheidung nun verneint. Dabei hat das Gericht einige bemerkenswerte Aussagen getroffen:


Keine Zielabweichung

Die Zulassung des IKEA-Einrichtungshauses als Magnetbetrieb in Verbindung mit den weiteren Fachmärkten als Trabanten in einem Mittelzentrum hätte erhebliche Vorbildwirkung entfaltet und zu einer Durchbrechung der im LEP BW 2002 festgelegten Raumordnungsstruktur geführt. Gerade das im Bereich Rastatt bestehende Gefüge mit einer Mehrzahl von etwa gleich starken Mittelzentren auf engem Raum würde zugunsten eines einzigen Zentrums aufgelöst. Die langwierigen Bemühungen der umliegenden Städte zur Stärkung ihrer Kernlagen würden konterkariert, ihre Entwicklungsmöglichkeiten geschwächt. Auch die fehlende städtebauliche Umsetzbarkeit des Ansiedlungsvorhabens im Oberzentrum Karlsruhe würde nicht zu einem Härtefall führen. Denn ansonsten hätte es ein Unternehmen in der Hand, durch entsprechende Dimensionierung seiner Ansiedlung die Vorgaben der Raumordnung zu unterlaufen, es könnte „planlos“ den Raum zur Durchsetzung seiner Eigeninteressen nutzen. Diese Passage ist eigentlich rechtlich selbstverständlich, aber dennoch bemerkenswert. Sie stellt klar, dass die Raumordnung und in ihrem Gefolge die kommunale Bauleitplanung die Regeln vorgeben, in deren Rahmen dann der Wettbewerb zwischen den Unternehmen stattfindet und der sich auf diese Vorgaben einstellen muss. In Deutschland besteht eine starke Konzentration im Einzelhandelssektor. Wenige Unternehmen dominieren den Markt. Der VGH BW erinnert daran, dass die Planungsträger im Land und in den Kommunen nicht unbesehen die Größenlinien dieser Unternehmen übernehmen müssen, sondern eigene raumordnerische und städtebauliche Zielsetzungen verfolgen und durchsetzen können. Das Urteil ist eine bemerkenswerte Handreichung zu planerischem Selbstbewusstsein und mehr Wettbewerb.

Verletzung des Integrationsgebotes

Der VGH BW sichert sein Urteil ab, stellt es sozusagen auf ein zweites Bein, indem er zusätzlich einen Verstoß gegen das Integrationsgebot feststellt. Auch dieser Soll-Vorgabe des LEP BW 2002 erkennt das Gericht Zielqualität zu. Nach dem Plansatz 3.3.7.2 Sätze 2 und 3 sollen Einzelhandelsgroßprojekte vorrangig an städtebaulich integrierten Standorten ausgewiesen, errichtet oder erweitert werden. Für nicht zentrenrelevante Warensortimente kommen auch städtebauliche Randlagen in Betracht. Hier handelt es sich um ein klassisches Regel-Ausnahme-Verhältnis, denn neben der Soll-Aussage legt der Plansatz auch gleichzeitig und explizit die Ausnahmevoraussetzungen fest. Die tatbestandlichen Voraussetzungen sind auch genügend bestimmbar formuliert.

Drei grundlegende Einwände gegen das Integrationsgebot weist das Gericht zurück:

– Die kommunale Planungshoheit ist durch die raumordnerische Vorgabe nicht verletzt. Für die Bindung der kommunalen Bauleitplanung müssen überörtliche Interessen von höherem Gewicht verfolgt werden. Entsprechend dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz muss der Landesplangeber gerade bei gebietsscharfen Standortausweisungen eine Güterabwägung vornehmen. Die Standortplanung für raumbedeutsame Einzelhandelsgroßbetriebe kann wegen deren erheblicher überörtlichen Auswirkungen eine Beschränkung der Planungshoheit rechtfertigen.
– Zum Regelungsgegenstand der Raumordnung gehört auch die inhaltliche Ausgestaltung von innergemeindlichen Siedlungsschwerpunkten. Bei dem Integrationsgebot gehe es um die raumstrukturell und -funktionell verträgliche Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsbetriebe.
– Dafür besitzt das Land auch die Gesetzgebungskompetenz. Zwar liege die Zuständigkeit für das Bodenrecht einschließlich des Städtebaurechts beim Bund. Ergänzend kann aber auch das Land in Raumordnungsplänen gemeindeinterne Flächennutzungs- und Flächenfunktionszuweisungen treffen, wenn und soweit sie durch übergemeindliche Belange gerechtfertigt werden.

Keine europarechtlichen Bedenken

Auch gegen das Integrationsgebot bestehen keine europarechtlichen Bedenken. Seit längerer Zeit und verstärkt durch die sog. Katalonien-Entscheidung des EuGH (Urt. v. 24.03.2011 – C-400/08) werden gegen verschiedene Vorgaben der bundesdeutschen Raumordnung zur Steuerung des Einzelhandels europarechtliche Einwendungen diskutiert (Einzelheiten bei Hager BauR 2011, 1093, 1098 ff.). Diesen erteilt der VGH BW bezogen auf das Kongruenz- und das Integrationsgebot eine klare Absage.

Keine Ausnahme vom Integrationsgebot

Auch die Ausnahmevoraussetzungen des Integrationsplansatzes liegen nicht vor. Nicht zentrenrelevante Warensortimente dürfen in nicht integrierten Lagen zugelassen werden. Zu diesen Sortimenten gehören u. a. Möbel. Allerdings enthält die IKEA-Linie auch zentrenrelevante Sortimente in beachtlichem Umfang, unstreitig 4.650 m² Verkaufsfläche (19,4 % der Gesamtverkaufsfläche). Da es sich bei Möbeln um großvolumige, bei den zentrenrelevanten Angeboten aber um eher kleinvolumige Waren handle, sei die wirtschaftliche Bedeutung noch deutlich höher, als der räumliche Anteil an der Verkaufsfläche. Deshalb bilden die zentrenrelevanten Sortimente ein selbständiges Hauptsortiment, neben dem Hauptsortiment Möbel. Damit liegen die Ausnahmevoraussetzungen nicht vor. Diese Aussage besitzt für die zukünftige Diskussion – auch über unser Bundesland hinaus – eine erhebliche Bedeutung.

 

Dr. jur. Gerd Hager

Verbandsdirektor des Regionalverbands Mittlerer Oberrhein (Karlsruhe), Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Regionalverbände Baden-Württembergs, Karlsruhe
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