15.12.2012

Quo vadis, Zeitarbeit?

Die Novellierung des AÜG und ihre Folgen

Quo vadis, Zeitarbeit?

Die Novellierung des AÜG und ihre Folgen

Neues AÜG – Drehtürklausel soll Stammbelegschaft schützen. | © lofik - Fotolia
Neues AÜG – Drehtürklausel soll Stammbelegschaft schützen. | © lofik - Fotolia

Die Arbeitnehmerüberlassung liegt auf Arbeitgeberseite voll im Trend, liegen die Vorteile doch auf der Hand: Mit dem Entleihen von Arbeitnehmern können Unternehmen kurzfristig und flexibel auf Belastungsspitzen reagieren, ohne sich langfristig an Arbeitnehmer binden zu müssen. Auf Seiten der Arbeitnehmer und Gewerkschaften ruft die Arbeitnehmerüberlassung dagegen häufig wenig positive Assoziationen hervor: Neben dem von manchen Unternehmen praktizierten sogenannten Drehtürmodell, bei dem Stammarbeitnehmer zunächst entlassen und anschließend als Leiharbeiternehmer zu wesentlich schlechteren Bedingungen an ihrem alten Arbeitsplatz wieder beschäftigt wurden, werden immer wieder (vermeintliche) Dumpinglöhne und der nur eingeschränkte arbeitsrechtliche Schutz als Argumente gegen die Arbeitnehmerüberlassung benannt.

Der europäische Gesetzgeber sah vor diesem Hintergrund Handlungsbedarf, den immer wichtiger werdenden Bereich der Arbeitnehmerüberlassung neu zu reglementieren.

Der hieraus resultierenden europäischen Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.11.2008 folgte nunmehr der Bundesgesetzgeber mit dem „Gesetz zur Änderung der Arbeitnehmerüberlassung“, welches am 01.12.2011 in Kraft trat. Die Novelle des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) sieht Änderungen vor, die die Praxis der Leiharbeit wesentlich verändern dürfte. Grund genug, sich mit den Neuerungen näher auseinanderzusetzen.


Keine Gewerbsmäßigkeit mehr

Nach altem Recht (§1 Abs.1 Satz1 AÜG a.F.) lag eine erlaubnispflichtige Arbeitnehmerüberlassung nur dann vor, wenn diese „gewerbsmäßig“ erfolgte. Das Erfordernis der Gewerbsmäßigkeit wurde in der nun geltenden Fassung der Norm durch die Formulierung „im Rahmen der wirtschaftlichen Tätigkeit“ ersetzt. Damit begrenzt das Gesetz den Anwendungsbereich nicht mehr auf die gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung. Vielmehr gilt es nun für wirtschaftlich tätige Unternehmen unabhängig davon, ob sie Erwerbszwecke verfolgen oder nicht. Darauf, ob das verleihende Unternehmen (oder auch der Entleiher) mit der Zurverfügungstellung von Arbeitnehmern unmittelbar oder mittelbar einen wirtschaftlichen Vorteil anstrebt, kommt es nicht mehr an.

Mit der Streichung des Merkmals der „Gewerbsmäßigkeit“ dürfte das bisher insbesondere im Gesundheitswesen praktizierte sogenannte Kooperationsmodell nicht mehr geeignet sein, die Erlaubnispflichtigkeit der Arbeitnehmerüberlassung zu vermeiden. Bei dieser Konstruktion wurden bisher Arbeitnehmer vom Verleiher (oftmals: konzerneigene Verleihunternehmen oder eigens für diesen Zweck gegründete Servicegesellschaften) an den Entleiher zum Selbstkostenpreis, also ohne Gewinnaufschlag verliehen. Die Arbeitnehmerüberlassung war somit nicht gewerbsmäßig und bisher daher nicht erlaubnispflichtig. Mit dem Wegfall des Merkmals der Gewerbsmäßigkeit steht den Arbeitgebern dieser Weg nicht mehr zur Verfügung. Nach der neuen gesetzlichen Konzeption ist auch diese Art der Arbeitnehmerüberlassung erlaubnispflichtig.

„Wirtschaftliche Tätigkeit“

Weitgehend offen bleibt, was zukünftig unter dem Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit im Sinne des §1 Abs.1 Satz1 AÜG zu verstehen sein wird. Als sicher dürfte gelten, dass die neue Terminologie eine wesentliche Erweiterung des bisherigen Anwendungsbereichs des AÜG bedeutet. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) sieht jedenfalls in der wirtschaftlichen Tätigkeit nicht allein eigenwirtschaftliche Tätigkeit, sondern „jede Tätigkeit die darin besteht, Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten“ (EuGH, Urt. v. 19.02.2002, NJW2002, 877 ff.; EuGH, Urt. v. 10.01.2006, EuZW2006, 306 ff.). Unter diese Definition dürfte selbst die Arbeitnehmerüberlassung durch eine gemeinnützige Institution fallen, da auch diese als Verleiher in Konkurrenz zu anderen Verleihern tritt und damit am Wirtschaftsleben teilnimmt. Damit dürften nunmehr auch Einrichtungen auf dem Gebiet des öffentlichen Gesundheits- oder Sozialwesens (Krankenhäuser, Bestattungseinrichtungen, Sanatorien etc.) als wirtschaftlich tätige Unternehmen im Sinne des AÜG zu verstehen sein, und zwar auch, soweit Gemeindeordnungen ggf. festlegen, dass entsprechende Einrichtungen nicht wirtschaftlich tätig sind. Die Begriffsauslegung des EuGH ist insofern vorrangig.

Vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung

§1 Abs.1 Satz2 AÜG legt nunmehr fest, dass die Überlassung von Arbeitnehmern an Entleiher nur noch „vorübergehend“ erfolgen darf. Noch ungeklärt ist, was unter dem Begriff „vorübergehend“ zu verstehen ist. Fest steht, dass der Gesetzgeber mit der Formulierung der Norm die ausschließliche und dauerhafte Überlassung von Arbeitnehmern an einen Entleiher verhindern möchte. Was aber gilt in Situationen, in denen der Arbeitnehmer seine Tätigkeit zeitabschnittsweise, also punktuell bei Entleiher und Verleiher erbringt? Letzteres wird beispielsweise häufig im öffentlichen Gesundheitswesen praktiziert, wo der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD sowie der TV-Ärzte) die Praxis der Personalgestellung zulässt. Eine Personalgestellung setzt jedoch eine auf Dauer angelegte Beschäftigung bei einem Dritten voraus. Hieraus zu schließen, dass die Personalgestellung im Gesundheitswesen zukünftig unzulässig sei, ist jedoch verfehlt. Der Schutzzweck von §1 Abs.1 Satz2 AÜG gebietet eine solche Interpretation der Norm nicht. Gleichzeitig würde der Sinn der Erlaubnispflicht, nämlich auch die Kontrolle der Einhaltung der den überlassenen Arbeitnehmer schützenden Vorschriften, ad absurdum geführt, gelangte man zu dem Ergebnis, dass die dauerhafte Personalgestellung nicht erlaubnisfähig wäre. Entscheidend für die Bejahung der Erlaubnispflicht dürfte vielmehr die Tatsache sein, dass das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers zum Verleiher trotz Überlassung an den Entleiher nicht endet. Dies sieht im Übrigen auch die Bundesagentur für Arbeit so. Auch für die Überlassung von Arbeitnehmern im Wege der Personalgestellung muss daher zukünftig eine Erlaubnis eingeholt werden.

Keine Erweiterung der Mitbestimmung

Mögen die Auffassungen dazu, was unter dem Begriff „vorrübergehend“ zu verstehen ist, derzeit noch konträr sein, so hat das Arbeitsgericht Leipzig als – soweit ersichtlich – erstes Gericht mittlerweile in zahlreichen Fällen (u.a. 11 BV 79/11) entschieden, dass die Gesetzesnovellierung jedenfalls nicht zu einer Ausweitung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats führt. Nach Auffassung der Leipziger Richter kann der Betriebsrat seine Zustimmung zur Einstellung von Leiharbeitnehmern nicht mit der Begründung verweigern, die Leiharbeitnehmer würden entgegen §1 Abs.1 Ziff.2 AÜG nicht nur vorübergehend dem Entleiher überlassen. Die Entscheidung ist – aus Arbeitgebersicht – zu begrüßen und sorgt zumindest hier für ein wenig Rechtssicherheit.

Einschränkung des Konzernprivilegs

Schloss §1 Abs.3 Nr.2 AÜG a.F. die Anwendung des AÜG zwischen Konzernunternehmen im Sinne des § 18 Aktiengesetz (AktG) bereits dann aus, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit „vorübergehend“ nicht bei seinem Arbeitgeber leistete, so sind die Voraussetzungen für eine Ausnahme vom Geltungsbereich des AÜG für Konzerne in Zukunft strenger. Das AÜG ist für Konzernunternehmen nur noch dann nicht anwendbar, wenn der Arbeitnehmer „nicht zum Zwecke der Überlassung eingestellt und beschäftigt“ wird. Die Ausnahme dürfte damit ähnlich wie in der Altfassung nur für gelegentliche Arbeitnehmerüberlassungen gelten. Die Regelung erweckt jedoch den Eindruck, dass sie nur noch zum Ausgleich von zufälligem Arbeitskräftebedarf Anwendung finden solle. Eine Klärung durch die Rechtsprechung bleibt abzuwarten.

Drehtürklausel

Die bereits oben dargestellte vermeintliche Arbeitnehmerüberlassung unter Nutzung des sogenannten Drehtürmodells soll schließlich gemäß §§9 Nr.2, 3 Abs.1 Nr.3 AÜG dadurch unterbunden werden, dass vom Grundsatz des equal pay – equal treatment abweichende tarifliche Regelungen nicht mehr für Leiharbeitnehmer gelten, die in den letzten sechs Monaten vor der Überlassung an den Entleiher aus einem Arbeitsverhältnis bei diesem oder einem mit dem Entleiher in einem Konzern im Sinne des §18 AktG verbundenen Unternehmen ausgeschieden sind. Mit dieser Gesetzesänderung begegnet der Gesetzgeber einer – zumindest in der Vergangenheit – durchaus gängigen Praxis, die von verschiedenen Seiten als missbräuchlich bezeichnet worden ist. Obwohl das Drehtürmodell wohl eher Folge einer Gesetzeslücke als eines Missbrauchs des AÜG war, ist die Einführung der Drehtürklausel zu begrüßen. Schließlich war tatsächlich nur schwer ersichtlich, warum Arbeitnehmer von einem Tag auf den anderen für die gleiche Tätigkeit weniger Vergütung erhalten sollten.

Rechtsfolgen

§9 Nr.1 AÜG bestimmt, dass Überlassungs- und Leiharbeitsverträge unwirksam sind, wenn dem Verleiher eine nach §1 AÜG erforderliche Erlaubnis fehlt. Ein nach dieser Norm zwischen dem Verleiher und Leiharbeitnehmer unwirksamer Vertrag bewirkt, dass gemäß §10 Abs.1 Satz1 AÜG ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer fingiert wird. Der Inhalt und die Dauer des Arbeitsverhältnisses bestimmen sich nach den für den Betrieb des Entleihers geltenden Vorschriften und sonstigen Regelungen.

Zudem stellt eine Überlassung eines Leiharbeitnehmers an einen Dritten ohne die erforderliche Erlaubnis eine Ordnungswidrigkeit nach §16 AÜG dar. Der Ordnungswidrigkeitentatbestand wird nach §16 Abs.1 des Ordnungswidrigkeitengesetzes (OWiG) durch die Organe der jeweils überlassenen Gesellschaft verwirklicht. Letztlich haftet also der zuständige Geschäftsführer persönlich. Auch kommt eine Inanspruchnahme der Person in Betracht, die den Betrieb faktisch leitet. Bußgelder von bis zu € 25.000 sowohl gegen den Verleiher als auch gegenüber dem Entleiher sind bei illegaler Arbeitnehmerüberlassung möglich. Für jeden Verstoß wird erneut ein Ordnungswidrigkeitentatbestand ausgelöst.

Diese Rechtsfolgen stellen zwar keine Folgen der Novellierung des AÜG dar, finden aber aufgrund der Gesetzesänderung auf einen erweiterten Kreis von Sachverhalten Anwendung. Um etwaige Nachteile zu vermeiden, kann sowohl Ver- als auch Entleihern angesichts des erweiterten Anwendungsbereichs daher nur dringend empfohlen werden, eine etwaige Erlaubnispflichtigkeit nach dem AÜG genau zu prüfen und eine entsprechende Erlaubnis ggf. möglichst zeitnah einzuholen.

Fazit

Die Novellierung des AÜG hat zahlreiche gravierende Änderungen der grundlegenden Regelungsmechanismen der Leiharbeit und insgesamt eine Erweiterung der Erlaubnispflichtigkeit mit sich gebracht. Insofern sollten sowohl Verleiher als auch Entleiher sowohl ihre bestehenden als auch zukünftigen Leiharbeitsverhältnisse auf den Prüfstand stellen, um diese an die neuen rechtlichen Rahmenbedingungen anzupassen.

 

Johannes Schäfer (MLE)

Rechtsanwalt, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Hannover
 

Thorsten Tilch

Rechtsanwalt, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Leipzig
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