12.05.2022

Umgang mit juristischen Fachtexten im Studium (2)

Bearbeitung juristischer Fachtexte – Teil 2

Umgang mit juristischen Fachtexten im Studium (2)

Bearbeitung juristischer Fachtexte – Teil 2

Rechtsvorschriften sind die zentrale Textsorte für die juristische Arbeit. ©Ingo Bartussek - stock.adobe.com
Rechtsvorschriften sind die zentrale Textsorte für die juristische Arbeit. ©Ingo Bartussek - stock.adobe.com

Die Rechtswissenschaft ist eine Textwissenschaft. Rechtswissenschaftliche Arbeit erzeugt Texte. Bei der Entstehung fließen wiederum andere Texte ein, die zunächst gefunden, ausgewertet und eingearbeitet werden müssen. Nach Unterscheidung der Fachtextsorten in Teil 1 erläutert Teil 2 die aktive Bearbeitung juristischer Fachtexte durch systematische Auswertung mit einem Blick auf digitale Tools.

Einleitung

Zur Bearbeitung juristischer Fachtexte gibt es typische Kriterien und Arbeitsschritte. Bei einigen dieser Arbeitsschritte können digitale Tools sehr hilfreich sein. An der richtigen Stelle gezielt eingesetzt tragen sie zur Erleichterung, Beschleunigung und vor allem zur besseren Organisation und Strukturierung der Textbearbeitung bei. Die wissenschaftliche Bearbeitung eines Fachtextes an sich können digitale Tools aber nicht vollständig ersetzen. Deshalb steht im Fokus die Systematik der Textbearbeitung in eher „analoger“ Hinsicht, mit einem Blick auf mögliche und sinnvolle digitale Unterstützung.

Fachtexte liest man eher selten linear von vorne nach hinten wie z. B. einen Roman. Die Lektüre von Fachtexten gibt regelmäßig Anlass abzusetzen, zu markieren, im Gesetz nachzuschlagen, Querverweise herzustellen, Notizen zu fertigen usw. oder über das Gelesene zu reflektieren, um es zu verarbeiten. Auch die Zielrichtung der Textbearbeitung variiert: Geht es um eine konkrete Aufgabe, z. B. eine Hausarbeit? Bearbeitet man einen Text in Anlehnung an eine Veranstaltung (z. B. Vor- und Nachbereitung einer Vorlesung), oder soll ein Thema selbstständig erarbeitet werden? Die folgende Grafik liefert eine Übersicht zur intensiven, systematischen Bearbeitung[1] juristischer Fachtexte verschiedener Textsorten.[2]


© Lars Gußen

 

Die dargestellten Bausteine werden nicht zwingend immer vollständig abgearbeitet, sondern je nach Zielrichtung, Aufgabe und Textart der eigenen Ausarbeitung unterschiedlich gewichtet. Dies bedarf einer gewissen Erfahrung und Routine, die sich erst entwickeln muss. Gerade zu Beginn eines Studiums ist dabei ein erstes Erarbeitungsschema hilfreich, sollte aber auch nur als Einstieg verstanden werden. Verwechseln Sie nicht „systematisches Arbeiten“ mit dem anfänglichen „schematischen Arbeiten“. Schemata sind hilfreiche Arbeitsmittel, jedoch kein Selbstzweck. Sie sind eher das „Sprungbrett“ hin zu einem systematischen Verständnis, das letztendlich die Wissenschaftlichkeit der Textbearbeitung und des Studiums insgesamt ausmacht. Die weiteren Erläuterungen sollen auch die Wechselbeziehungen zwischen den Elementen verdeutlichen, die grafisch in den Pfeilen zum Ausdruck kommen. Pfeile in eine Richtung bedeuten etwa „führt zu“, „leitet über zu“ usw., Pfeile in zwei Richtungen kennzeichnen wechselseitige Beziehungen, die zu einer mehrfachen gegenseitigen Beeinflussung einzelner Komponenten führen können, also als Arbeitsschritte ggf. auch mehrfach wechselnd zu durchdenken sind. Es handelt sich (nur) um eine empfohlene Arbeitsmethodik, die jeweils individuell angepasst werden muss auf die Aufgabe, Textart usw. Gerade in arbeitsreichen Phasen – wie z. B. während einer (ersten) Hausarbeit – kann aber eine solche systematische Herangehensweise sehr helfen.

Thema

Das Thema ist der erste wichtige Baustein, den es zu erarbeiten gilt. In aller Regel liefert der Text selbst ein Thema als Titel gleich mit. Ganz so simpel ist aber schon dieser Punkt nicht gemeint. Es soll auch Texte geben, die am eigenen Thema vorbei geschrieben sind. Zusammen mit dem Untersuchungsgegenstand sollte die inhaltlich-thematische Zuordnung des Texts eingegrenzt und möglichst genau bezeichnet werden, weil weitere wichtige Bearbeitungsschritte darauf aufbauen.

Untersuchungsgegenstand

Nicht immer formuliert der Autor den Untersuchungsgegenstand so genau selbst und noch seltener bezeichnet er ihn auch als Untersuchungsgegenstand. Hinweise können sich z. B. in einem Untertitel finden, bei einem Buch oft im Klappentext, im Vorwort oder (vor allem auch bei Aufsätzen) in einem Einleitungsabsatz usw. Sie sollten dabei auch in der Lage sein, zu überprüfen und zu beurteilen, ob der genannte Untersuchungsgegenstand evtl. gar nicht den Themenanspruch erfüllt, evtl. sogar das selbst gesetzte „Thema verfehlt“. Das wiederum könnte ein Ansatz für kritische Auseinandersetzungen mit dem Text sein.[3]

(Haupt-)Fragestellung

Thema und Untersuchungsgegenstand leiten über zur zentralen Fragestellung. Auch die ist vom Autor selbst nicht unbedingt deutlich formuliert und/oder kann auch komplex sein. Gerade dann ist eine frühzeitige intensive Herausarbeitung der zentralen Fragestellung empfehlenswert.

Textsorte/Textansatz

Der erste Schritt hier ist eine Einordnung der Textsorte als solcher, um einen tieferen Zugang zur inhaltlichen Auseinandersetzung vorzubereiten. Im zweiten Schritt sollte dann ein vorhandener detaillierterer Ansatz erarbeitet und verdeutlicht werden. Dabei geht es vor allem um die Zielrichtung des Texts.

Einordnung

Einordnung meint die Positionierung des Texts in verschiedenen Kontexten, z. B. historisch in die Epoche der Entstehung, den Zeitgeist, die gesellschaftlichen/ politischen Verhältnisse zum Zeitpunkt seiner Entstehung, systematische Bezüge zu anderen Texten und Autoren. Auch die Einordnung der Person des Autors kann zur Interpretation des Texts wichtig sein. Hier kommt erstmalig digitale Unterstützung sinnvoll ins Spiel, nämlich zur Recherche der Kontexte zum bearbeiteten Text.

Kritische Auseinandersetzung des Textes mit anderen Themen

Gefragt ist hier, ob sich der Text selbst kritisch mit einem bestimmten Thema oder anderen Texten auseinandersetzt.[4] „Kritisch“ ist nicht zwingend mit negativer Grundeinstellung gleichzusetzen. Der Begriff ist mit verschiedenen Bedeutungen belegt. Denken Sie an „Buchkritik“ oder „Filmkritik“, die durchaus positiv ausfallen können. Es geht um die inhaltliche Beurteilung anhand bestimmter Maßstäbe, nicht nur um „Kritisieren“ im Sinne von „Bemängeln“. Digitale (Fach-)Datenbanken, Literaturverwaltungs- und Wissensorganisationsprogramme sind hierbei sehr hilfreich. Zum einen lässt sich in digitalen Datenbanken[5] zuverlässig und schnell nach Querverbindungen zu anderen Texten suchen (wer zitiert/verweist auf wen?), zum anderen helfen Verwaltungs- und Organisationsprogramme[6] dabei, die gefundenen Erkenntnisse zu systematisieren und so den Überblick zu erleichtern.

Hauptaussagen/Kernthesen

Ziel der Bearbeitung von Fachtexten ist vor allem, zentrale Hauptaussagen bzw. Kernthesen herauszuarbeiten. Neben ihrer inhaltlichen Bedeutung dienen sie vor allem auch der eigenen Arbeitsorganisation So kommen z. B. bei der Recherche für argumentative Abschnitte oder Meinungsstreitigkeiten in einer Hausarbeit schnell viele Texte zusammen. Diese lassen sich mit sauber herausgearbeiteten Hauptaussagen in ihrer Bedeutung schnell und effizient zuordnen, vergleichen, gewichten, gegenüberstellen etc. Sie sollten aber nicht nur auf ein Hauptargument fokussieren, sondern auch einzelne Argumente und Argumentationsgänge bearbeiten. Einzelargumente können für sich stehen, oft dienen sie aber als Bausteine des Hauptarguments bzw. zur argumentativen Unterstützung der Kernthese. Gerade diese Zusammenhänge erfordern eine saubere Herausarbeitung auch der Einzelargumente.

Wichtige Bezüge/Querverweise

Fachtexte stehen thematisch selten isoliert für sich, sondern in einem größeren thematischen Kontext.[7] Innerhalb dieses Kontexts entstehen Bezüge, die zum einen zur Auslegung und Interpretation des Texts selbst dienen. Zum anderen bringen diese Bezüge Sie im Thema weiter und können weitere Rechercheansätze liefern. Einerseits stellen Sie selbst gedanklich Bezüge bei der Bearbeitung des Textes her und zum anderen bringt der Text seinerseits solche Bezüge mit (die Sie selbst so gar nicht unmittelbar hergestellt hätten). Hat der bearbeitete Text einen Quellenapparat bzw. ein Literaturverzeichnis, so liefert ein systematischer Blick hierauf wertvolle Anhaltspunkte für die Einordnung des Texts, z. B. wo steht der Text im Gesamtdiskurs zum Thema, welche weiteren Texte, Autoren, Positionen gibt es dazu noch? Des Weiteren bieten sich gerade hier der Einsatz digitaler Hilfsmittel wie digitale Bibliothekskataloge und besonders (Fach-)Datenbanken an, die oft solche Querverweise beinhalten.

Zentrale Begriffe

Zentrale Begriffe sollten herausgearbeitet und falls unbekannt oder unklar recherchiert werden. Das sind nicht immer nur diejenigen, die gleich ins Auge springen oder vom Autor herausgestellt werden. Wissenschaftliche Bearbeitung heißt, eine eigene Position und Sichtweise einzunehmen, auch zu einem Text. So können in Ihrer Einschätzung auch andere Begriffe „zentral“ werden, als in der des Autors. Zentral sind auch die zunächst unbekannten oder unklaren Begriffe. Sie müssen geklärt werden, um ihre Bedeutung beurteilen zu können, allein dadurch werden sie „zentral“ für die Textbearbeitung.

Eigene Frage/n an den Text

Eigene Fragen an den Text zu entwickeln, ist ein wichtiger Baustein, um sich den Text zu eigen zu machen, oder um ihm eine eigene Sichtweise entgegen zu stellen. Beides ist unter dem Gesichtspunkt der Wissenschaftlichkeit nicht nur möglich, sondern wünschenswert. Gemeinsam mit den beiden folgenden Punkten findet hier also ein Perspektivwechsel statt, von der BEarbeitung des fremden Textes hin zur ERarbeitung eigener Positionen zum Text.

Eigene Ergebnisse

Für die wissenschaftliche Erarbeitung eines Textes genügt selten eine einfache Auflistung der Inhalte und Argumente des Autors. Sie sollten stets versuchen, zu einer eigenen Einschätzung oder zumindest einer eigenen Form der Darstellung der Ergebnisse zu gelangen. Je nachdem, wie bedeutsam die Ergebnisse und Aussagen des Textes für Ihre weitere Arbeit sind, ist ein genaues Festhalten der eigenen Ergebnisse hilfreich. Bei Bearbeitung mehrerer zusammenhängender Texte können vor allem Verbindungen und Gegenüberstellungen der Texte deutlicher herausgearbeitet und übersichtlicher gestaltet werden. Eine solche weiterführende Zusammenstellung eigener Ergebnisse kann vor allem auf den zuvor an den Text gestellten eigenen Fragen aufbauen.

Eigene kritische Auseinandersetzung mit dem Text

Besonders die Gegenüberstellung der eigenen Ergebnisse mit den Kernaussagen des Textes führt zu einer eigenen kritischen Auseinandersetzung mit dem Text. Auch für diese gilt, dass „kritisch“ in wissenschaftlichen Zusammenhängen nicht bedeutet, eine negative Grundeinstellung einzunehmen, sondern eine neutrale. Es geht darum, unvoreingenommen an Gedanken, Argumente, Darstellungen heranzugehen und sich diese nicht ungeprüft zu eigen zu machen. Vielmehr wird von einem neutralen Standpunkt aus eine eigene professionelle, d. h. informierte und reflektierte Sichtweise angestrebt. Eine ausführlichere Auseinandersetzung steht vor allem dann an, wenn Sie mit einzelnen Aussagen oder dem Text im Ganzen nicht übereinstimmen. Auch, wenn Sie dem Text insgesamt oder im Wesentlichen zustimmen, sollten Sie dafür zumindest argumentativ nachvollziehbare Gründe haben und sich eben nicht auf unkritische, d. h. unreflektierte Übernahme von Aussagen beschränken, sondern zu einer eigenen reflektierten Sicht gelangen. Digitale Tools können nur schwerlich IHRE eigenen Einschätzungen zum Text liefern. Aber bei der Strukturierung und Zuordnung der eigenen Ergebnisse wie auch der kritischen Auseinandersetzung können vor allem digitale Tools zur „Wissensorganisation“[8] die Arbeit wesentlich erleichtern.

Digitale Tools im „analogen“ System gezielt einsetzen

Die Betrachtung des Gesamtsystems wissenschaftlicher Textbearbeitung und der Einzelarbeitsschritte andererseits zeigt, dass digitale Tools an mehreren Stellen von großem Nutzen sein können. Die Textbearbeitung an sich als kognitiven Vorgang mit der an verschiedenen Stellen erforderlichen Meinungsbildung, Einschätzung und argumentativen Abwägung vollständig ersetzen, kann ein digitales Tool nicht. Zur effizienten Unterstützung ist daher nicht nur die Kenntnis und Bedienung verschiedener Digitaltools erforderlich, sondern vor allem die – zunächst „analoge“ – Beherrschung der Arbeitsschritte und des grundlegenden Systems insgesamt. Zielgerichtet eingesetzt können digitale Tools die Textarbeit sehr erleichtern, beschleunigen und vor allem die Arbeitsorganisation verbessern.

 

Der Beitrag stammt aus dem »Der Wirtschaftsführer für junge Juristen«, Heft 2/2021.

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[1] Entstanden auf Basis der Grundidee „Fachtext aus der Vogelperspektive“ von Neumann, Schreiben im Geschichtsstudium, 2. Auflage 2021, S. 52.

[2] Zu den fachspezifischen Textsorten, vgl. Gußen (Fn. 1).

[3] Dazu unten „Eigene kritische Auseinandersetzung mit dem Text“.

[4] Dies ist eben zu unterscheiden von Ihrer kritischen Auseinandersetzung mit dem Text, dazu unten „Eigene kritische Auseinandersetzung mit dem Text“.

[5] Als exemplarische Beispiele sind hier u. a. „Beck online“, „Juris“, „Wolters Kluwer online“ zu nennen, die von vielen Hochschulen lizensiert und so auch Studierenden zur Verfügung gestellt werden.

[6] Als Beispiel für ein solches Programm, das ebenfalls von vielen Hochschulen auch Studierenden zugänglich gemacht wird, ist hier „Citavi“ zu nennen. Es kombiniert die reine Literaturverwaltung mit einer Wissensorganisation. Ein durchaus komplexes, aber funktionsstarkes Tool, in das es wert ist, sich frühzeitig einzuarbeiten. Je früher das geschieht, desto größer und länger (für eine Vielzahl von zu schreibenden Arbeiten) ist der Nutzen.

[7] Deshalb die Empfehlung zu einer genauen eigenen „Themenfestlegung“ und „Einordnung“, s. o.

[8] Vgl. Fn. 8.

 

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Lars Gußen

Rechtsanwalt, Berlin, Lehrbeauftragter, Frankfurt University of Applied Sciences
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