27.05.2022

Benzinpreiserhöhungen und Kartellrecht

Marktmachtmissbrauch und Kartellrechtsverstoß?

Benzinpreiserhöhungen und Kartellrecht

Marktmachtmissbrauch und Kartellrechtsverstoß?

Das eigentliche Dilemma liegt in der Marktstruktur © Uli-B – stock.adobe.com
Das eigentliche Dilemma liegt in der Marktstruktur © Uli-B – stock.adobe.com

Warum ist es so schwer, die Preissteigerungen bei Benzin mit den Mitteln des Kartellrechts zu stoppen? Der Beitrag beleuchtet verschiedene Aspekte der Problematik und die Frage, warum auch dem Bundeskartellamt teilweise die Hände gebunden sind.

Die Preise an den Tanksäulen in Deutschland liegen infolge des Ukraine-Krieges nach wie vor über zwei Euro. Für Verbraucher mit kleinem Geldbeutel wird das Autofahren damit nahezu unbezahlbar. Viele Spediteure überlegen ihre LKW im Hof stehen zu lassen, weil gerade längere Strecken kaum mehr kostendeckend zu bewältigen sind.

Doch warum ist es so schwer, die Preissteigerungen an den Zapfsäulen in Deutschland mit den Mitteln des Kartellrechts zu stoppen? Das Bundeskartellamt müsste gerichtssicher nachweisen können, dass ein Kartellrechtsverstoß vorliegt, der – etwas vereinfacht – entweder in einem missbräuchlichen Verhalten der Anbieter als Marktbeherrscher oder aber in einer kartellrechtswidrigen Absprache der Kraftstoffpreise liegen könnte.


Marktmachtmissbrauch und Vergleichsmarktkonzept

In der ersten Variante müsste das Bundeskartellamt den Nachweis des missbräuchlichen Verhaltens der Kraftstoffanbieter als Marktbeherrscher nachweisen. Dieser Nachweis ist allerdings außerordentlich schwer zu führen, weil es hierzu unter anderem der Bestimmung des gleichsam „richtigen“, hypothetischen Wettbewerbspreises bedarf. Der übliche Ansatzpunkt ist dabei das Vergleichsmarktkonzept. Ein Preishöhenmissbrauch läge hiernach dann vor, wenn sich Preise auf einem vergleichbaren Markt anders entwickeln als auf dem untersuchten, womöglich kartellierten Markt.

Auch wenn die Theorie in dieser Frage durchaus einleuchtet, so scheitern entsprechende Verfahren oftmals an der Vergleichbarkeit der herangezogenen Märkte. Exemplarisch ist ein Verfahren, das schon etwas in der Vergangenheit liegt (BGH, Urt. v. 22.07.1999, KVR 12/98): Man hatte Lufthansa vorgeworfen, dass der Preis für den Flug in der Businessclass von Berlin nach Frankfurt missbräuchlich überhöht sei und als Vergleichsmarkt den Flug von München nach Frankfurt herangezogen. Obgleich die Distanz Berlin-Frankfurt und München-Frankfurt etwa gleich ist und das Bundeskartellamt unter anderem sogar jeweils abweichende Landegebühren und unterschiedliche Kosten etwa für das Catering berücksichtigte, scheiterte das Bundeskartellamt vor Gericht. Die Rechtsvertreter der Lufthansa haben damals das sprichwörtliche Fass aufgemacht: Es gäbe ganz andere Kosten von Berlin nach Frankfurt als von München nach Frankfurt. Es würden andere Maschinen auf den Strecken eingesetzt. Die Auslastung dieser Flugzeuge seien andere, die Kraftstoffkosten seien jeweils unterschiedlich, es gäbe andere Zubringerflüge usw. usf. Kurz: Für den Marktmachtmissbrauch hinsichtlich der Kraftstoffpreise dürfte der Vortrag gewiss nicht ausreichen, dass genügend Rohöl am Markt erhältlich sei und die Rohölpreise fallen.

Oligopolistische Marktstrukturen 

Zuweilen ist auch zu vernehmen, dass der Kartellrechtsverstoß darin liegen könnte, dass sich die Anbieter hinsichtlich ihrer Preise schlicht abstimmten, also eine kartellrechtswidrige Absprache vorläge. Aber auch dies dürfte eher unwahrscheinlich sein, weil es einer solchen Absprache überhaupt nicht bedarf. Die Kraftstoffbranche ist ein Oligopol. In Deutschland sind nur wenige Unternehmen tätig, die von der Produktion in den Raffinerien bis hin zur Distribution über die Tankstellennetze den Markt beherrschen.

Die jeweiligen Preissteigerungen hängen dabei womöglich unmittelbar mit dieser Marktstruktur zusammen. Ein Anbieter erhöht den Preis, was alle anderen Anbieter in der Regel sofort erfahren, entweder weil der Wettbewerber direkt auf der gegenüberliegenden Straßenseite liegt oder vorhandene Apps eben diese Preissteigerung melden. Die weiteren Anbieter können nun hinsichtlich ihres Preises entweder mitgehen oder beim bisherigen Preis bleiben und damit die Wettbewerber unterbieten. In der Sache dürfte die Wahl dabei nahezu immer darauf fallen, beim Preis mitzugehen. Das ist aber eben keine Verständigung, kein Missbrauch, kein Kartellrechtsverstoß, sondern das ist – spieltheoretisch schlaues – autonomes Verhalten der jeweiligen Marktteilnehmer.

Das eigentliche Dilemma liegt also in der Marktstruktur. Gäbe es weitere Wettbewerber, wäre der Druck, günstigere Preise anzubieten, wohl höher. Der naheliegende Weg, namentlich Oligopole aufzulösen, wird aber nicht beschritten. Der politischen Frage, wie mit solchen durchaus wettbewerbsschädlichen verfestigten Strukturen umzugehen ist, hat sich dabei auch die Koalition entzogen. Im Koalitionsvertrag findet sich nur die Passage „Wir setzen uns für eine missbrauchsunabhängige Entflechtungsmöglichkeit auf europäischer Ebene als Ultima Ratio auf verfestigten Märkten ein.“ Dieser Verweis auf europäische Gesetzgebung ist ein politisches Armutsbekenntnis, verdeutlicht aber auch, dass in der Politik ein Eingreifen scheinbar nicht geplant ist.

Untersuchungen

Das deutsche Bundeskartellamt ist in der Sache jedoch natürlich nicht untätig. Die Kartellbehörde hat nun Untersuchungen angekündigt, die einerseits dazu dienen könnten, die notwendigen Daten für die Bestimmung eines Vergleichsmarktes zu beschaffen, andererseits aber auch dazu, kartellrechtswidrige Verhaltensweisen in der – an sich unwahrscheinlichen – Form der Absprache aufzudecken.

 

Dr. Thomas Thiede (LL.B, LL.M)

Kanzlei Spieker & Jäger, Dortmund
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