23.05.2022

Unter Corona-Bedingungen vertauschte Prüfungsklausuren

VG Stuttgart, Beschluss vom 06.04.2021 – 12 K 1510/21

Unter Corona-Bedingungen vertauschte Prüfungsklausuren

VG Stuttgart, Beschluss vom 06.04.2021 – 12 K 1510/21

Ein Beitrag aus »apf Baden-Württemberg« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
Ein Beitrag aus »apf Baden-Württemberg« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV

Die Kandidatin begehrte vor dem Verwaltungsgericht (VG) Stuttgart1 vom Landesjustizprüfungsamt (LJPA) die Einräumung eines Wahlrechts, sich entweder für die Bewertung ihrer bereits geschriebenen Strafrechtsklausur oder eine Wiederholung der Strafrechtsklausur in der Ersten juristischen Staatsprüfung entscheiden zu dürfen. Ihr Antrag hatte keinen Erfolg.

Leitsätze

  1. Grundsätzlich stellen Ladungen zu Prüfungsterminen keine Verwaltungsakte dar, sondern sind nur unselbstständige, nicht eigenständig anfechtbare Verfahrenshandlungen gem. § 44 a Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Das gilt auch, wenn die Ladung zu einem außerplanmäßigen, wegen eines Verfahrensfehlers angeordneten Wiederholungstermin erfolgt und zu einem Zeitpunkt stattfinden soll, zu welchem die Infektionszahlen aufgrund der derzeitigen Corona-Pandemie wieder exponentiell steigen und weitreichende Hygienemaßnahmen einzuhalten sind.
  2. Ein erheblicher Verfahrensmangel, der zur Wiederholung der Prüfungsleistung von allen Prüflingen führen muss, liegt jedenfalls dann vor, wenn die Prüfungsaufgaben einer nicht feststellbaren Vielzahl von Prüflingen vor dem Prüfungstag bekannt geworden sind.

Aus den Gründen

Soweit die Kandidatin die vorläufige Aufhebung des Wiederholungstermins für die Strafrechtsklausur am 19.04.2021 begehrt, liegt zwar aufgrund des unmittelbar bevorstehenden Termins ein Anordnungsgrund vor, jedoch hat die Antragstellerin keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht2.

Das LJPA – das allein über die Tatsachengrundlage für seine Entscheidung verfügt – konnte vielmehr glaubhaft machen, dass seine Entscheidung, für alle Studierenden des Landes eine Wiederholung der Strafrechtsklausur für den 19.04.2021 anzuordnen und diese hierzu zu laden, mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht zu beanstanden ist.


Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Juristenausbildungs- und Prüfungsordnung (JAPrO) kann das LJPA Beeinträchtigungen des Prüfungsablaufs oder sonstige Verfahrensfehler von Amts wegen oder auf Antrag eines Prüflings durch geeignete Maßnahmen oder Anordnungen heilen.

Es kann insbesondere anordnen, dass Prüfungsleistungen von einzelnen oder von allen Prüflingen zu wiederholen sind, oder bei Verletzung der Chancengleichheit eine Schreibverlängerung oder eine andere angemessene Ausgleichsmaßnahme verfügen (Satz 2).

Ein derartiger erheblicher Verfahrensmangel, der zur Wiederholung der Prüfungsleistung von allen Prüflingen führen muss, liegt jedenfalls dann vor, wenn die Prüfungsaufgaben einer nicht feststellbaren Vielzahl von Prüflingen vor dem Prüfungstag bekannt geworden sind.

Ein solcher Mangel ist erheblich, weil sein Einfluss auf das Prüfungsergebnis nicht ausgeschlossen werden kann und zur Wiederholung dieser Leistung führen muss, weil wegen des gestörten Prüfungsverlaufs eine zuverlässige Grundlage für die Ermittlung der tatsächlichen Kenntnisse und Fähigkeiten der Prüflinge fehlt und die Chancengleichheit aller Prüflinge verletzt wurde.

Von einem derartigen erheblichen Verfahrensmangel ist vorliegend mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auszugehen. Danach liegen hinreichend konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass Teile des Prüfungsgegenstands für die am 04.03.2021 durchgeführte Strafrechtsklausur bereits vor dem Prüfungstag einer unbestimmten  Anzahl von Prüflingen unterschiedlichster Universitäten des Landes bekannt geworden waren. Damit war ein ordnungsgemäßes Prüfungsverfahren für die bereits geschriebene Strafrechtsklausur nicht mehr gesichert.

Vor diesem Hintergrund ist zur Wahrung der durch Art. 12 Abs. 1 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG gewährleisteten Chancengleichheit der Prüflinge die Entscheidung des LJPA, die Strafrechtsklausur insgesamt wiederholen zu lassen, nicht ermessensfehlerhaft. Denn eine ehemalige Examenskandidatin teilte dem LJPA mit, dass anstelle der öffentlich-rechtlichen Klausur die Strafrechtsklausur ausgeteilt worden sei, sodass alle Examenskandidaten im betreffenden Raum bereits Zeit gehabt hätten, den Sachverhalt zur Kenntnis zu nehmen und zu erkennen, dass es um Urkundendelikte gehen würde.

Nachdem dieses Versehen der Aufsicht von einem Examenskandidaten aufgedeckt worden sei, habe die Aufsicht den Vorfall offenbar nicht gemeldet, sodass keine Ersatzklausur, sondern die bereits ausgeteilte Klausur gestellt worden sei.

Fazit

Für das VG stellt eine Wiederholungsklausur „zu Zeiten der dritten Welle der Corona-Pandemie eine schwere psychische Belastung“ dar, die „mit einem gewissen Infektionsrisiko verbunden“ sei. „Diese Belastungen und Risiken müssen jedoch zur Beseitigung der Verletzung der Chancengleichheit, dem wichtigsten Grundsatz des Prüfungsrechts, zurücktreten.“

 

Entnommen aus apf Baden-Württemberg, Heft 11-12/2021, S. BW80.

 

* Dr. Dr. Frank Ebert war bis März 2014 Leiter des Prüfungsamts beim Thüringer Innenministerium in Erfurt. Er ist Vorsitzender einer Prüfungskommission an der Thüringer Verwaltungsfachhochschule in Gotha und Mitherausgeber der apf.

1 Beschl. v. 06.04.2021 – 12 K 1510/21.

2 Vgl. § 123 Abs. 1 und 3 VwGO i. V. m. § 920 Zivilprozessordnung (ZPO).

 

Ministerialrat Dr. Dr. Frank Ebert

Ministerialrat a.D. Dr. Dr. Frank Ebert

Leiter des Thüringer Prüfungsamts a.D., Erfurt
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