16.05.2022

Keine Nachgewährung von Urlaub wegen Quarantäneanordnung

AG Neumünster, Urteil vom 03.08.2021 – 3 Ca 362 b/21

Keine Nachgewährung von Urlaub wegen Quarantäneanordnung

AG Neumünster, Urteil vom 03.08.2021 – 3 Ca 362 b/21

Ein Beitrag aus »Neues Polizeiarchiv« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
Ein Beitrag aus »Neues Polizeiarchiv« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV

Der Kläger erhielt für den Zeitraum 23. bis 31.12.2020 einen Urlaub in Höhe von sechs Tagen genehmigt. Wegen Kontaktes zu einem Coronaverdachtsfall wurde der Kläger anschließend, also nach Genehmigung des Urlaubs, durch das Gesundheitsamt mit einer Anordnung über Quarantäne im Zeitraum 21.12.2020 bis 04.01.2021 belegt. Die Beklagte hat dem Kläger für den streitigen Zeitraum Urlaubsentgelt gezahlt.

Ausgangsfall

Der Kläger ist der Ansicht, dass der Urlaubsanspruch in Höhe von sechs Tagen aus dem Jahre 2020 fortbestehe, weil § 9 Bundes-Urlaubsgesetz (BUrlG) mindestens analog anzuwenden sei. Der Kläger beantragt festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger weitere sechs Tage Urlaub aus dem Jahr 2020 zu gewähren.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass der Anspruch des Klägers durch Erfüllung erloschen sei und eine analoge Anwendung von § 9 BUrlG nicht in Betracht komme. Es bleibe bei der Grundregel, dass den Urlaub störende Ereignisse in den persönlichen Risikobereich des Arbeitnehmers fallen, sofern nicht ausnahmsweise gemäß §§ 9,10 BUrlG eine andere Regelung getroffen worden sei.


Urlaubsgesetz – § 9

  1. Wird während eines dem Arbeitnehmer bereits gewährten Urlaubs für diesen – nicht selbst infizierten – Arbeitnehmer Quarantäne angeordnet, bleibt es bei der Urlaubsgewährung, da § 9 BUrlG nicht analog auf diesen Fall anzuwenden ist.
  2. Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass der Gesetzgeber eine entsprechende ausdrückliche Regelung im Rahmen der Corona-Gesetzgebung nicht getroffen hat, da auch hier keine planwidrige Regelungslücke ersichtlich ist.

Aus den Gründen

Der Anspruch ist durch Erfüllung gemäß § 362 Abs. 1 BGB erloschen. Dem steht § 9 BUrlG weder direkt noch analog entgegen.

  1. Der Kläger war nicht arbeitsunfähig im Sinne des Entgeltfortzahlungsgesetzes. Er war lediglich der Erkrankung und Ansteckungsmöglichkeit verdächtig. Anhaltspunkte für irgendeine Art von gesundheitlicher Beeinträchtigung des Klägers hat dieser weder vorgetragen, noch sind sie ersichtlich. Er hat sich konsequenterweise auch auf eine Arbeitsunfähigkeit nicht berufen.
  2. § 9 BUrlG ist auch nicht auf den Fall der Anordnung einer häuslichen Absonderung beziehungsweise Quarantäne analog anzuwenden.

Es fehlt insoweit schon an einer planwidrigen Regelungslücke. Bei der Schaffung von § 9 BUrlG (im Jahre 1963) waren Unterscheidungen zwischen Krankheit und bloßen seuchenbezogenen Risiken, die zu einer Quarantäneanordnung führen konnten, bereits bekannt. Auch wenn seinerzeit kein derartig großer Seuchenzug wie im Moment durch die Corona-Pandemie mit weitreichenden gesellschaftlichen Auswirkungen vorlag, konnte ein Problem wie das vorliegende jederzeit auftreten und trat auch sicherlich in vielfältigen Einzelfällen tatsächlich auf. Soweit der Kläger darauf abstellt, dass es nun bei der Corona-Pandemie um eine besondere gesamtgesellschaftliche Situation geht, hat er zwar insoweit recht, dass es eine solche Situation gibt, ein besonderer Unterschied ist hieraus aber nicht zu ermitteln. Im Gegenteil ergeben die aktuellen Maßnahmen des Gesetzgebers, dass dieser etwaige Belastungen einer Seite – wie der Kläger sie vorliegend zu Lasten der Arbeitgebergesamtheit durchsetzen möchte – stark durch Subventionstatbestände abfedert. Sollte der Kläger sich also auf die konkrete Situation beziehen, müsste er darlegen, warum eine Norm in ganz ungewöhnlicher Weise die Kosten der Pandemie einer Seite auferlegt, ohne hierfür die Gesamtgesellschaft über Steuermittel in Haftung zu nehmen.

Das Bundesarbeitsgericht hat in verschiedenen Entscheidungen ausgeführt, dass § 9 BUrlG eng auszulegen ist. Bei der Regelung handelt es sich um eine nicht verallgemeinerungsfähige Ausnahmevorschrift; eine entsprechende Anwendung auf andere urlaubsstörende Ereignisse oder Tatbestände, aus denen sich eine Beseitigung der Arbeitspflicht des Arbeitnehmers ergibt, kommt grundsätzlich nicht in Betracht. Denn es gibt unzählige Umstände, die einer Erholung im Urlaub entgegenstehen können. Viele davon haben auch – irgendwie – mit Krankheiten zu tun. Hervorgehoben werden soll hier nur die Erkrankung des Ehepartners, die nicht nur einen (gemeinsamen) Genuss des Urlaubs erschweren kann, sondern auch zu Betreuungsnotwendigkeiten für gemeinsame Kinder führen kann, die u.U. besondere Entgeltfortzahlungstatbestände auslösen, aber kaum auch die Rechtsfolge von § 9 BUrlG. Sollte bei Erkrankung des Ehegatten oder nur in Kombination mit Betreuungsnotwendigkeiten Urlaub nachzugewähren sein? Eine klare Grenzziehung ist nur beim Abstellen auf die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers möglich und praktikabel.

Die Tätigkeit des Gesetzgebers, durch die er mit Einzelgesetzen § 9 BurlG ähnliche Regelungen in anderen speziellen Gesetzen eingefügt hat, bringt systematisch auch eher eine Verschärfung der Tendenz, dass § 9 BUrlG eng auszulegen ist.

Soweit der Kläger für die Interpretation des historischen Gesetzgebers von § 9 BUrlG und dessen Regelungsplan auf Äußerungen auf der Homepage des Bundesgesundheitsministeriums abstellt, ist hierzu schon aus chronologischen Gründen zu sagen, dass eine Art authentischer Interpretation des historischen Gesetzgebers ausscheidet. Unabhängig hiervon handelt es sich bei der Homepage des Bundesgesundheitsministeriums lediglich um eine dienende Darstellung der Exekutive, die den Gesetzgeber weder bindet noch erläutern kann, was sich der Gesetzgeber gedacht hat oder was er hätte denken sollen.

 

AG Neumünster, Urteil vom 03.08.2021 – 3 Ca 362 b/21

Entnommen aus NPA, Heft 1/2022.

 

Norbert Klapper

Kriminalhauptkommissar a. D., Steinfurt/W.
n/a