30.05.2022

Neuerungen beim Unfallversicherungsschutz im Homeoffice

Begriffsklärung zum „Arbeitsunfall“

Neuerungen beim Unfallversicherungsschutz im Homeoffice

Begriffsklärung zum „Arbeitsunfall“

Ein Beitrag aus »apf« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
Ein Beitrag aus »apf« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV

Die Corona-Pandemie hat vielerorts zu leeren Büros geführt, womit die Arbeit zuhause im genehmigten Homeoffice einen weiteren Schub erhalten hat. Reichweite und Grenzen des Unfallversicherungsschutzes im häuslichen Bereich waren bereits des Öfteren Gegenstand der höchstrichterlichen Rechtsprechung1 und teils wurde Kritik des Inhalts laut, Arbeitnehmer im Homeoffice seien nur lückenhaft über die gesetzliche Unfallversicherung (GUV) abgesichert. Eher wenig beachtet wird dabei, dass das am 18.06.2021 in Kraft getretene Betriebsrätemodernisierungsgesetz (BRMG) auch eine wichtige Änderung des SGB VII2 zum Unfallversicherungsschutz im Homeoffice mit sich gebracht hat.3

Begriffsklärung „Arbeitsstätte“

„Arbeitsstätten“ im häuslichen Bereich sind nur solche Arbeitsräume, in denen Arbeitsplätze aufgrund arbeitsvertraglicher (Individual-) Vereinbarungen innerhalb von Gebäuden dauerhaft eingerichtet sind und in denen Beschäftigte im Rahmen ihrer Arbeit regelmäßig – ausschließlich oder alternierend – tätig werden („Homeoffice“).

Liegt der arbeitsvertraglich vereinbarte Erfüllungsort (§ 269 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB) für die Arbeitsleistung (Arbeitsort) dagegen außerhalb des Wohnhauses des Beschäftigten, und erledigt er seine Arbeit – ggf. eigeninitiativ außerhalb der Arbeitszeit – zu Hause, ohne dies arbeitsvertraglich vereinbart zu haben oder dazu aufgrund einer (Einzel-)Weisung des Arbeitgebers angehalten worden zu sein, scheidet eine „Homeoffice“- Konstellation regelmäßig aus.4


Beschäftigteneigenschaft

§ 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII erklärt kraft Gesetzes Beschäftigte zu Versicherten in der GUV, wenn sie aufgrund des Arbeitsvertrages nicht selbstständige Arbeit für ein Unternehmen verrichteten und deshalb zum Kreis der originär Beschäftigten gem. § 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – SGB IV)5 zählen. Eine Beschäftigteneigenschaft „lediglich“ kraft gesetzlicher Fiktion nach § 12 Abs. 2 Halbs. 2 SGB IV reicht hierfür nicht aus („Heimarbeit“ i. S. v. § 12 Abs. 2 Halbs. 1 SGB IV6).

Nach dieser Vorschrift sind Heimarbeiter sonstige Personen, die in eigener Arbeitsstätte im Auftrag und für Rechnung u. a. von Gewerbetreibenden erwerbsmäßig arbeiten. Im Unterschied zu originär Beschäftigten sind Heimarbeiter persönlich selbstständig, weder einem umfassenden Weisungsrecht des Auftraggebers (hinsichtlich des Inhalts, des Ortes und der Zeit der Arbeitsleistung, § 106 Satz 1 Gewerbeordnung – GewO)7 unterworfen noch in dessen Arbeitsorganisation eingegliedert und hinsichtlich der Modalitäten ihrer Arbeit weitgehend frei. Gerade das ist nicht der Fall, wenn der/die Geschädigte aufgrund des Arbeitsvertrages und nicht „im Auftrag und für Rechnung“ des Unternehmens tätig war und von diesem persönlich abhängig, dem Direktionsrecht der Geschäftsführung unterworfen sowie aufgrund der arbeitsvertraglichen Regelungen zur Arbeitszeit, zur Tätigkeitsbeschreibung und zum Arbeitsort nicht selbstständig tätig war. Auch wenn er/sie in häuslicher Umgebung und damit in „eigener Arbeitsstätte“ arbeitete und verunglückte, war er/sie wegen der arbeitsvertraglichen Bindung des regelmäßigen Arbeitsorts an seine/ihre Wohnadresse jedenfalls nicht in „selbstgewählter Arbeitsstätte“ tätig, wie dies § 2 Abs. 1 Satz 1 Heimarbeitsgesetz (HAG)8 für das Vorliegen von Heimarbeit im Übrigen voraussetzt.

Begriffsklärung „Arbeitsunfall“

Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit).

Unfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass der Verletzte durch eine Verrichtung vor dem fraglichen Unfallereignis den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat und deshalb „Versicherter“ ist. Die Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis und dadurch einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben.9

Im jeweiligen Einzelfall ist daher zu prüfen, ob der/die Geschädigte

– einen Unfall

– als Beschäftigte/r eines Unternehmens erlitten hatte, und zwar

– infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII begründenden Tätigkeit.

Der versicherte Betriebsweg

Regelmäßig ist schwerpunktmäßig zu prüfen, ob zum Unfallzeitpunkt ein versicherter Betriebsweg i. S. d. § 8 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII vorlag.

„Betriebswege“ sind Wege, die in Ausübung der versicherten Tätigkeit zurückgelegt werden, Teil der versicherten Tätigkeit sind und damit der Betriebsarbeit gleichstehen.10 Sie werden im unmittelbaren Betriebsinteresse unternommen und unterscheiden sich von Wegen nach und von dem Ort der Tätigkeit i. S. v. § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII dadurch, dass sie der versicherten Tätigkeit nicht lediglich vorausgehen oder sich ihr anschließen.11 Sie sind nicht auf das Betriebsgelände beschränkt, sondern können auch außerhalb der Betriebsstätte anfallen.12

Beschäftigte waren daher auch schon vor der Neuregelung zu Hause gesetzlich unfallversichert, wenn sie in Ausübung ihrer versicherten Tätigkeit Betriebswege zurücklegten, um ihre häusliche Arbeitsstätte („Homeoffice“) zu erreichen. Bereits bisher bestand im Homeoffice und bei sonstiger mobiler Arbeit grundsätzlich gesetzlicher Unfallversicherungsschutz. Ein Unfallgeschehen in der häuslichen Arbeitsstätte war nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) als Arbeitsunfall zu bewerten, wenn es sich anlässlich einer Tätigkeit ereignet, die der/die Beschäftigte mit der Handlungstendenz ausführt, eine dem Unternehmen dienende Tätigkeit auszuüben.

Diese Handlungstendenz erfordert eine Objektivierung durch die tatsächlichen Umstände des Unfallgeschehens („objektivierte Handlungstendenz“).

Der Versicherungsschutz erstreckt sich unstreitig neben der eigentlichen versicherten Tätigkeit auch auf sog. Betriebswege, z. B. – den Weg zum Drucker in einem anderen Raum – oder zum Anschließen eines Bildschirms. Dies gilt sowohl auf der Unternehmensstätte als auch bei mobiler Arbeit.

Unterschiede und damit Lücken im Versicherungsschutz gab es dagegen bisher bei Wegen im eigenen Haushalt

– zum Holen eines Getränks,

– zur Nahrungsaufnahme,

– zum Toilettengang etc.

Diese Wege sind nach der Rechtsprechung auf der Unternehmensstätte versichert, im Homeoffice dagegen nicht. Das BSG hat diesbezüglich stets betont, die Grenze zwischen dem versicherten Zurücklegen eines (Betriebs-)Weges und dem unversicherten häuslichen Lebensbereich sei im Interesse der Rechtssicherheit bewusst starr gezogen, weil sie an objektive Merkmale anknüpfe, die im Allgemeinen leicht feststellbar seien.13

Die Neuregelung zum „Betriebsweg“

Zusammengefasst griff der Schutz der GUV im Homeoffice bislang nur bei Tätigkeiten, die im unmittelbaren Zusammenhang mit der Arbeit standen. Mit der Neuregelung sollte der Unfallversicherungsschutz für mobil Arbeitende der Tätigkeitsausübung im Unternehmen umfänglich gleichstellt werden. § 8 SGB VII Abs. 1 wurde dafür um einen neuen Satz 3 ergänzt:

„Wird die versicherte Tätigkeit im Haushalt der Versicherten oder an einem anderen Ort ausgeübt, besteht Versicherungsschutz im gleichen Umfang wie bei der Ausübung der Tätigkeit auf der Unternehmensstätte.“

Mit der Regelung wird eine Versicherungslücke geschlossen, die sich bei Tätigkeiten gezeigt hat, die von zu Hause aus erbracht werden. Nach Auffassung des Bundesgesetzgebers „lässt sich die bisherige Unterscheidung vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedeutung mobiler Arbeitsformen nicht aufrechterhalten“.

Wie bei den bereits anerkannten Wegen zum Drucker sei auch bei den Wegen z. B. zum Holen eines Getränks der Versicherungsschutz in gleichem Umfang wie auf der Unternehmensstätte gerechtfertigt, um Hürden bei der Inanspruchnahme von mobiler Arbeit zu beseitigen. Daher sei eine Gleichbehandlung beim Versicherungsschutz geboten, unabhängig davon, ob die Versicherten die Tätigkeit auf der Unternehmensstätte oder an einem anderen Ort ausüben. Bricht sich bspw. eine Beschäftigte/ein Beschäftigter bei der Arbeit auf dem Weg vom Schreibtisch zur Toilette das Bein, gilt dies künftig als Arbeitsunfall – egal, ob man der Arbeit in einem Café, zuhause oder im Unternehmen nachgeht.

Somit profitieren künftig auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von den Leistungen der GUV, die von der Erstversorgung über ärztliche und psychologische Heilbehandlungen bis hin zu Rentenleistungen reichen. Der verbesserte Unfallschutz sei auch im Interesse der Unternehmen, um die neuen Beschäftigungsformen ihrer Mitarbeiter abzusichern, heißt es in der Gesetzesbegründung.14

Die Neuregelung zur „außerhäuslichen Betreuung“

Darüber hinaus wurde § 8 Abs. 2 Nr. 2 SGB VII um eine Nr. 2 a ergänzt:

„Das Zurücklegen des unmittelbaren Weges nach und von dem Ort, an dem Kinder von Versicherten nach Nr. 2 a fremde Obhut anvertraut werden, wenn die versicherte Tätigkeit an dem Ort des gemeinsamen Haushalts ausgeübt wird.“

Mit der neuen Nr. 2 a wird der Unfallversicherungsschutz von Personen, die ihre Tätigkeit im Homeoffice ausüben, auf die Wege erstreckt, die sie zur außerhäuslichen Betreuung ihrer Kinder zurücklegen. Sie werden damit den Versicherten gleichgestellt, die ihre Tätigkeit auf der Unternehmensstätte ihres Arbeitgebers oder an einem anderen externen Arbeitsplatz ausüben und für die bereits seit dem Jahr 1971 ein entsprechender Versicherungsschutz besteht. Zur Begründung hatte der Gesetzgeber seinerzeit ausgeführt:

„Mehr und mehr ist jedoch die Wirtschaft auch auf die Mitarbeit von Frauen angewiesen, die nur berufstätig sein können, wenn ihre Kinder während der Arbeitszeit versorgt sind. Man kann deshalb davon ausgehen, dass stets ein betriebliches Interesse an der Unterbringung der Kinder besteht, auch wenn der Unternehmer dabei nicht in irgendeiner Weise behilflich ist.… Ein Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit wird unterstellt, wenn der Vater oder die Mutter das Kind in Verbindung mit dem Weg zur Arbeitsstätte fortbringt oder auf dem Rückweg abholt.“15

Vor dem Hintergrund der zunehmenden Verbreitung von Homeoffice, Telearbeit und vergleichbaren Arbeitsformen im eigenen Haushalt der Versicherten erschien es dem Bundesgesetzgeber gerechtfertigt, den Versicherungsschutz auch in diesen Fällen auf die mit einer Kinderbetreuung zusammenhängenden Wege zu erstrecken. Wie bei der Tätigkeit an einer betrieblichen Arbeitsstätte bestehe ein Interesse des Unternehmers an der Unterbringung der Kinder, um die Ausübung der beruflichen Tätigkeit der Versicherten zu ermöglichen.

Mit dieser Regelung wird der Unfallversicherungsschutz somit auch auf solche Personen erstreckt, die ihre Tätigkeit im Homeoffice ausüben und wegen ihrer oder der Kinder ihrer Ehegatten bzw. Lebenspartner mit einer Kinderbetreuung zusammenhängende Wege zur außerhäuslichen Betreuung zwischen Kindergarten, Tageseltern oder Schule und dem Homeoffice zurücklegen. Der Versicherungsschutz besteht hier jedoch nur zwischen den eigenen vier Wänden und der Kinderbetreuungsstätte.

Fazit

Mit der Neuregelung zum Unfallversicherungsschutz sollte eine Gesetzeslücke geschlossen werden, um eine Gleichbehandlung beim Versicherungsschutz auch im Homeoffice zu erreichen. Zwar bestand auch nach bisher geltendem Recht im Homeoffice und bei sonstiger mobiler Arbeit grundsätzlich gesetzlicher Unfallversicherungsschutz.

Unterschiedlich gehandhabt wurden nach der Rechtsprechung des BSG jedoch Wege, die im eigenen Haushalt z. B. zur Nahrungsaufnahme oder dem Toilettengang zurückgelegt werden. Auch war bisher nur der Weg versichert, den Eltern auf sich nahmen, wenn sie das Kind auf dem Weg zur Arbeitsstätte fortgebracht oder abgeholt haben. Nunmehr gilt der gleiche Versicherungsschutz wie auf dem Unternehmensgelände. Dann sind Beschäftigte auch daheim auf dem Weg in die Küche oder zur Toilette unfallversichert. Einen Unfallschutz gibt es jetzt auch für Eltern im Homeoffice, die ihr Kind zu einer Kindertagesstätte oder Schule bringen. Sollten sie auf dem Weg einen Unfall haben, sind sie künftig über die GUV abgesichert. Bislang waren solche Wege zwischen Kita oder Schule und Homeoffice nicht versichert.

 

Entnommen aus apf, Heft 3/2022, S. 93.

 

1 Nachweise bei Dirnaichner „Unfallversicherungsschutz im Home-Office“, apf 2020, 291–294, am Beispiel eines Urteils des BSG v. 27.11.2018 – B 2 U 28/17 R.

2 SGB VII – Sozialgesetzbuch, Siebtes Buch Gesetzliche Unfallversicherung, Art. 1 des Gesetzes v. 07.08.1996 (BGBl. I S. 1254), zuletzt geändert durch Gesetz v. 10.12.2019 (BGBl. I S. 2135).

3 Gesetz zur Förderung der Betriebsratswahlen und der Betriebsratsarbeit in einer digitalen Arbeitswelt (Betriebsrätemodernisierungsgesetz) v. 14.06.2021 (BGBl. S. 1762) – Art. 5 „Änderung des Siebten Buches Sozialgesetzbuch“.

4 Vgl. schon BSG, Urt. v. 18.06.2013 – B 2 U 7/12 R „Pizzeria Calabria“.

5 SGB IV – Sozialgesetzbuch, Viertes Buch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (Art. 1 des Gesetzes v. 23. 12.1976, BGBl. I S. 3845), zuletzt geändert durch Gesetz v. 22.11.2019 (BGBl. I S. 1746).

6 Zur Abgrenzung zuletzt BAG, Urt. v. 14.06.2016 – 9 AZR 305/15.

7 Gewerbeordnung i. d. F. der Bek v. 22.02.1999 (BGBl. I S. 202), zuletzt geändert durch Gesetz v. 22.11.2019 (BGBl. S. 1746).

8 V. 14.03.1951 (BGBl. I S. 191); zuletzt geändert durch Gesetz v. 20.05.2020 (BGBl. I S. 1055).

9 Unfallkausalität und haftungsbegründende Kausalität; st. Rspr, vgl. zuletzt BSG, Urt. v. 19.6.2018 – B 2 U 2/17 R; Urt. v. 05.07.2016 – B 2 U 5/15 „Sturz beim Wasserholen“).

10 So BSG, Urt. v. 31.08.2017 – B 2 U 9/16 R „Friseurmeisterin“ und v. 12.01.2010 – B 2 U 35/08 R.

11 BSG, Urt. v. 18.06.2013 – B 2 U 7/12 R „Pizzeria Calabria“.

12 BSG, Urt. v. 28.02.1990 – 2 RU 34/89.

13 Vgl. zuletzt BSG, Urt. v. 31.08.2017 – B 2 U 2/16 R „Fenstersturz eines Fahrzeugaufbereiters“ und – B 2 U 9/16 R „Friseurmeisterin“.

14 Hierzu BT-Drs. 19/29819.

15 BT-Drs. VI/1333 S. 5.

 

 

Dr. Udo Dirnaichner

Ministerialrat, Bayerisches Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst
n/a