30.05.2022

Arbeitsvertraglicher Pflichtenverstoß bei Testverweigerung

Arbeitsgericht Hamburg, Urt. v. 24.11.2021 – 27 Ca 208/21

Arbeitsvertraglicher Pflichtenverstoß bei Testverweigerung

Arbeitsgericht Hamburg, Urt. v. 24.11.2021 – 27 Ca 208/21

Ein Beitrag aus »RdW – Das Recht der Wirtschaft« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
Ein Beitrag aus »RdW – Das Recht der Wirtschaft« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV

Im Kontext innerbetrieblicher Corona-Präventionsmaßnahmen wurde einem Arbeitnehmer, der die vorgegebenen Selbsttests verweigerte, gekündigt. Zu klären war im arbeitsgerichtlichen Verfahren, ob die Voraussetzungen für eine Kündigung, insbesondere eine Abmahnung, vorgelegen haben.

Ein Mann ist seit dem 15.06.2019 als Arbeitnehmer bei einem Dienstleister beschäftigt, der vollelektronisches „Ride Sharing“ im Bereich der Personenbeförderung in Hamburg anbietet. In den Fahrzeugen können bis zu sechs Fahrgäste pro Fahrt gleichzeitig befördert werden. Die durchschnittliche Fahrtdauer in Hamburg beträgt 21,1 Minuten pro Fahrgast.

Im April 2021 übernahm die Arbeitgeberin in Hamburg Nachtfahrten des öffentlichen Personennahverkehrs. Im Fahrerhandbuch teilte sie ihren Fahrern mit, dass schon jetzt damit begonnen würde, für die Fahrer zwei Corona- Tests pro Woche einzuführen neben anderen Schutzmaßnahmen wie Abstand, Hygiene, Maske und Lüften. Über diese Ergänzung des Fahrerhandbuchs wurden alle Fahrer per Mail am 23.04.2021 informiert.


Nachdem es zeitweilig Kurzarbeit gegeben hatte, wurde der reguläre Fahrbetrieb ab dem 01.06.2021 wieder aufgenommen. Das Unternehmen teilte den Fahrern mit, sie müssten am ersten Arbeitstag einen Corona-Selbsttest durch einen Abstrich im vorderen Nasenbereich zur Probe am Hub (Betrieb) machen. Im Anschluss daran erhielten sie ihr persönliches Testkit für zuhause, mit dem sie sich zweimal in der Woche testen müssten. Ausgenommen von der Testpflicht waren vollständig Geimpfte.

Kündigung wegen verweigerter Covid-Tests

Der spätere Kläger lehnte es am 01., 02. Und 03.06.2021 im Hub ab, einen Selbsttest durchzuführen. Er verweigerte auch die Mitnahme von Testkits, um sich regelmäßig zuhause zu testen. Es gab verschiedene Gespräche mit ihm, wobei unklar blieb, ob er wegen der Testverweigerung tatsächlich mündlich abgemahnt wurde. Eine schriftliche Abmahnung gab es nicht. Nach der dritten Weigerung erteilte seine Arbeitgeberin ihm ein Hausverbot und verwies ihn vom Betriebsgelände.

Wenige Tage später, am 08.06.2021 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis zum 15.07.2021. Die Kündigung war auf die Verweigerung zur Durchführung der Tests gestützt. Der Fahrer meinte, es gebe keine gesetzliche oder kollektive Verpflichtung für Arbeitnehmer zur Teilnahme an Corona-Tests. Er meinte auch, er habe die Durchführung nicht grundlos verweigert, da sein Recht auf körperliche Unversehrtheit und sein allgemeines Persönlichkeitsrecht übermäßig verletzt würden. Es könne zu einer Reizung der Nasenschleimhaut und einer erheblichen Verletzungsgefahr durch die bereitgestellten Tests kommen. Außerdem sei wegen der Trennwand in der Fahrgastkabine kein direkter oder indirekter Kontakt zwischen ihm und etwaigen Fahrgästen möglich. Auch das Tragen einer Mund-Nasenschutz-Maske durch die Fahrgäste und die Belüftung des Fahrzeugs würden ein etwaiges Infektionsrisiko senken.

Das Unternehmen hielt die Anordnung der Testpflicht für rechtswirksam und meinte, der Arbeitnehmer sei in den Gesprächen auf arbeitsrechtliche Konsequenzen hingewiesen worden. Die gegen die Kündigung gerichtete Klage war erfolgreich.

Nach Auffassung des Arbeitsgerichts habe es sich hier um eine verhaltensbedingte Kündigung gehandelt. Sie komme in Frage, wenn ein Arbeitnehmer seine vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten verletze. Eine Kündigung scheide allerdings aus, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen von Seiten des Arbeitgebers – wie eine Abmahnung – geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken. Nur im Ausnahmefall sei eine Abmahnung entbehrlich.1

Unternehmen war berechtigt, Corona-Schnelltests anzuordnen

Hier sei zwar die Anordnung der Beklagten gegenüber ihren Fahrern rechtmäßig, die von ihr bereitgestellten Corona-Schnelltests (auch erstmalig vor Ort auf dem Betriebsgelände) durchzuführen. Selbst wenn eine gesetzliche Verpflichtung für Arbeitnehmer zur Teilnahme an Tests nicht existierte, sei die Arbeitgeberin berechtigt gewesen, Anfang Juni 2021 bei ihren Fahrern die Durchführung der bereitgestellten Corona-Schnelltests anzuordnen. Es handele sich um eine die Grenzen billigen Ermessens wahrende Weisung der Arbeitgeberin.

Der Eingriff in die körperliche Integrität des Klägers sei hier äußert gering gewesen, da solche Tests im vorderen Nasenbereich im Regelfall komplett schmerzfrei abliefen. Auch in das allgemeine Persönlichkeitsrecht habe die Arbeitgeberin nicht übermäßig eingegriffen. Die Tests zuhause würden eine ausgesprochen niedrige Intensität aufweisen, weil dort niemand Zugriff auf gebrauchte Tests und Ergebnisse bekommen könne.

Auch der im Betrieb durchzuführende Test schaffe nur eine überschaubare Datenmenge für eine kurze Momentaufnahme. Ob ein Arbeitnehmer geimpft oder genesen sei, erführe der Arbeitgeber nicht. Aufgrund der Gefährdungslage durch die Corona-Pandemie habe ein überwiegendes Interesse der Arbeitgeberin an der regelmäßigen Durchführung der Corona-Schnelltests bestanden. Die Gesundheit der Mitarbeiter und der Kunden habe dadurch geschützt werden sollen.

Kündigung unwirksam, da keine schriftliche Abmahnung vorlag

Die Kündigung scheitere im vorliegenden Fall nur daran, dass der Kläger nicht abgemahnt worden sei. Es stünde nicht fest, ob eine Abmahnung zu einer Verhaltensänderung und damit zur Vermeidung der Kündigung geführt hätte. Deshalb sei die Klage erfolgreich.

Praxistipp

Diese Entscheidung zeigt, dass richtigerweise eine potenzielle Gefährdung von Dritten einen höheren Stellenwert hat als die marginale Beeinträchtigung eines Arbeitnehmers durch einen solchen Corona-Test.

Allerdings ist ernstzunehmen, dass im Regelfall auch im Fall der Testverweigerung eine Abmahnung auszusprechen ist. Sie sollte zu Nachweiszwecken sicherheitshalber immer schriftlich erfolgen, wie der entschiedene Fall zeigt.

 

1 Arbeitsgericht Hamburg, Urt. v. 24.11.2021 – 27 Ca 208/21.

 

Besprochen in RdW 4/2022.

 

Christian Vetter

Rechtsanwalt
n/a