15.07.2016

Uckermarkleitung vorerst gestoppt

BVerwG: Schärfung der Prüfungsstruktur zu § 4 UmwRG

Uckermarkleitung vorerst gestoppt

BVerwG: Schärfung der Prüfungsstruktur zu § 4 UmwRG

Uckermarkleitung vorerst gestoppt
BVerwG: Einstweiliger Stopp der für den Netzausbau wichtigen Uckermarkleitung. | © Michael Fritzen - Fotolia

Die sog. Uckermarkleitung, eine 380 kV-Freileitung von Bertikow bis Neuhagen, gehört zu den für die Energiewende und den Ausbau des Höchstspannungsnetzes dringend erforderlichen Leitungen und wird daher auch im Bedarfsplan des Energieleitungsausbaugesetzes (EnLAG) aufgeführt – unter anderem mit der Folge, dass für Klagen gegen die Leitung in erster und letzter Instanz das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) zuständig ist. Das BVerwG hatte daher die Gelegenheit, kurz nach Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes (UmwRG) vom 20. 11. 2015 in dem wesentlichen § 4 UmwRG auf der Grundlage des neuen Rechts zu den Änderungen Stellung zu nehmen. Wie so häufig führte aber die nach Ansicht des BVerwG unzureichende Prüfung des Artenschutzrechts – hier des Vogelschutzes – zum einstweiligen Stopp der Uckermarkleitung. Während die tiefgehenden artenschutzrechtlichen Ausführungen des BVerwG im Wesentlichen den Besonderheiten des Einzelfalles geschuldet sind, sind jedoch die Aussagen zur Prüfungsstruktur § 4 UmwRG für die meisten umweltrelevanten Vorhaben von Bedeutung.

Bedeutung des § 4 UmwRG

Grundsätzlich können Dritte, die gegen eine Vorhabenzulassung klagen, nur dann die Aufhebung der Entscheidung verlangen, wenn die Entscheidung rechtswidrig ist und sie in ihren Rechten verletzt bzw. bei Umweltverbandsklagen materielles Umweltrecht verletzt (§ 113 Abs. 1 VwGO, § 2 Abs. 5 UmwRG). Daher führen bloße Verfahrensfehler – zu denen eigentlich auch Fehler der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) gehören – grundsätzlich nicht zur Aufhebung einer Entscheidung, die inhaltlich richtig ist. In Umsetzung EU- und völkerrechtlicher Vorgaben kann jedoch nach § 4 UmwRG bei potenziell UVP-pflichtigen Vorhaben sowie zahlreichen weiteren umweltrelevanten Vorhaben unter bestimmten Voraussetzungen die Aufhebung einer Vorhabenzulassung verlangt werden, ohne dass eine Verletzung in eigenen subjektiven Rechten bzw. materiellen Rechts nachgewiesen werden muss. Angesichts komplexer Genehmigungs- und Planfeststellungsverfahren und der hierbei zu beachtenden Verfahrensvorgaben, insbesondere im Zusammenhang mit der UVP, birgt § 4 UmwRG daher ein erhebliches Aufhebungsrisiko für Behörden und Vorhabenträger und hat in der Vergangenheit bereits mehrfach zum Vorhabenstopp bzw. -verzögerungen geführt.

Struktur des § 4 UmwRG

Als Reaktion auf einige EuGH-Urteile zum deutschen Umweltrechtsschutz nach UmwRG, insbesondere in Umsetzung des sogenannten „Altrip-Urteils” (EuGH, Urteil vom 07. 11. 2013 – Rs. C-72/12), hatte der deutsche Gesetzgeber § 4 UmwRG im November 2015 geändert. Das Urteil des BVerwG zur Uckermarkleitung vom 21. 01. 2016 ist daher eines der ersten Urteile, die sich mit dem geänderten § 4 UmwRG auseinandersetzen.


§ 4 UmwRG in der seit Dezember 2015 geltenden Fassung unterscheidet zwischen absoluten und relativen Verfahrensfehlern.

Absolute Verfahrensfehler (§ 4 Abs. 1 UmwRG) führen unabhängig von ihrer Erheblichkeit für das Ergebnis zur Aufhebung der Vorhabenzulassung. Absolute Verfahrensfehler sind

  • das Unterlassen einer erforderlichen UVP,
  • das Unterlassen einer erforderlichen UVP-Vorprüfung,
  • eine den Anforderungen des § 3a Satz 4 UVPG nicht entsprechende UVP-Vorprüfung,
  • das Unterlassen einer erforderlichen Öffentlichkeitsbeteiligung oder
  • andere, vergleichbar schwerwiegende Verfahrensfehler, die gesetzlich vorgesehene Beteiligungsmöglichkeiten am Verfahren genommen haben.

Für relative Verfahrensfehler (§ 4 Abs. 1a UmwRG) gilt hingegen § 46 VwVfG, kann also die Aufhebung der Zulassungsentscheidung nicht verlangt werden, wenn offensichtlich ist, dass die Entscheidung nicht durch den Verfahrensfehler beeinflusst wurde. Entsprechend der Altrip-Rechtsprechung des EuGH, nach der der Kläger mit der Beweislast für die Entscheidungserheblichkeit des Fehlers nicht belastet werden darf, wird die Beeinflussung der Entscheidung (Kausalität) durch den Fehler vermutet, wenn das Gericht die Frage nicht aufklären kann. Das BVerwG erklärte den Planfeststellungsbeschluss zur Uckermarkleitung aus materiellen artenschutzrechtlichen Gründen, nicht aber wegen § 4 UmwRG für rechtswidrig und – derzeit – nicht vollziehbar. Es nahm den Fall aber zum Anlass, nahezu schulbuchmäßig die Struktur des § 4 UmwRG zu verdeutlichen und einige der derzeit hierzu diskutierten Themen klarzustellen.

Die UVP-Fehler des Planfeststellungsbeschlusses zur Uckermarkleitung

So bestätigte das BVerwG, dass die Planfeststellungsbehörde die Unterlagen, die bereits in dem Planfeststellungsverfahren, also der eigentlichen Vorhabenzulassung, vorausgegangenen Raumordnungsverfahren öffentlich ausgelegt worden waren, nicht erneut im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung auszulegen sind. Es ging insbesondere um die Unterlagen zu den im Raumordnungsverfahren geprüften Trassenalternativen. Das BVerwG stellte darauf ab, dass nach dem Wortlaut des § 6 Abs. 3 Nr. 5 UVPG eine Übersicht über die wichtigsten anderen Lösungsmöglichkeiten und die Angabe der wesentlichen Abwägungsgründe ausreicht. Das BVerwG verneinte insoweit bereits einen UVP-Fehler, ohne auf die Unterscheidung zwischen absoluten und relativen Fehlern eingehen zu müssen.

Kein Fehler lag nach Auffassung des BVerwG auch darin, dass die nachträglich geänderten und ergänzten Unterlagen zu FFH-Verträglichkeitsstudie und Artenschutzbeitrag nicht erneut ausgelegt wurden. Denn nach § 9 Abs. 1 Satz 4 UVPG sei keine erneue Auslegung erforderlich, wenn anhand der Unterlagen keine zusätzlichen oder anderen erheblichen Umweltauswirkungen zu besorgen seien. Wenn die ergänzten Unterlagen nur die bereits aufgezeigten Umweltauswirkungen bestätigen, differenzierter darstellen oder aber ausschließen, sei diese Voraussetzung nicht erfüllt.

Fehlerhaft war die UVP nach Ansicht des BVerwG aber wegen der folgenden zwei Fehler:

  • Zum einen stellte das BVerwG klar, dass auch für die eindeutig, also ohne weitere UVP-Vorprüfung UVP-pflichtigen Vorhaben gemäß § 3a Satz 1 UVPG die UVP-Pflicht ausdrücklich festgestellt werden muss und – das folgt nicht aus § 3a, sondern aus § 9 Abs. 1a Nr. 2 UVPG – diese Feststellung bei Beginn der Öffentlichkeitsbeteiligung bekannt gemacht werden muss. Das bloße Paragrafenzitat von § 3a UVPG reiche jedoch nicht aus.
  • Zum anderen verstoße die Bekanntmachung zu Beginn der Öffentlichkeitsbeteiligung im Verfahren der Uckermarkleitung gegen § 9 Abs. 5 UVPG. Danach müssen bei Bekanntmachung zu Beginn des Beteiligungsverfahrens die im Rahmen des § 6 UVPG, also die vom Vorhabenträger tatsächlich vorgelegten Unterlagen angegeben werden. Obwohl § 6 Abs. 3 UVPG den Mindestkatalog der vorzulegenden Unterlagen auflistet, reicht nach Auffassung des BVerwG wegen des insoweit klaren Wortlauts des § 9 UVPG die bloße Wiederholung des Gesetzeswortlauts nicht aus. Das BVerwG hat allerdings offengelassen, ob – wie diskutiert wird – eine Liste der tatsächlich vom Vorhabenträger im Planfeststellungsverfahren eingereichten Unterlagen oder aber ein Überblick über die verschiedenen Unterlagen beigebracht werden muss. Da die Bekanntmachung des Öffentlichkeitsbeteiligungsverfahrens für die Uckermarkleitung nur die gesetzliche Formulierung wiederhole, liege ein Verstoß gegen § 9 UVPG, also ein UVP-Fehler im Sinne von § 4 UVPG, vor.

Qualifizierung als relativer Verfahrensfehler im Sinne von § 4 Abs. 1a UmwRG

Das BVerwG hat die beiden UVP-Mängel als relative Verfahrensfehler eingestuft. Für den juristischen Laien mag die ausführliche Vorgabe, welchen Inhalt die Bekanntmachung zu Beginn des Beteiligungsverfahrens haben muss, verwundern. Das BVerwG hat dennoch sorgfältig geprüft, ob der konkrete Planfeststellungsbeschluss zur Uckermarkleitung tatsächlich auf der fehlerhaften Bekanntmachung beruhte. Dies muss – wie das BVerwG unter Hinweis auf die Altrip-Rechtsprechung des EuGH klarstellte – das jeweilige Gericht von Amts wegen ermitteln (§ 86 VwGO). Hierbei muss es die gesamten Planunterlagen sowie sonst erkennbare oder naheliegende Umstände berücksichtigen und auch die Schwere und den Grad des Verfahrensfehlers in seine Beurteilung einbeziehen. Wenn die Nicht-Beeinflussung der Verfahrenszulassung durch den Verfahrensfehler danach nicht offensichtlich ist (sog. non liquet), gilt eine Kausalitätsvermutung. Dies führt dazu, dass letztlich Vorhabenträger und Behörde die Beweislast für die Nicht-Beeinflussung der Entscheidung tragen.

Das BVerwG stellte fest, dass die UVP-Fehler den Planfeststellungsbeschluss zur Uckermarkleitung offensichtlich nicht beeinflusst haben: Der klagende Umweltverband habe sich umfassend im Verfahren beteiligt, und die Belange der klagenden Eigentümer seien vollumfänglich durch die Planfeststellungsbehörde erkannt und im Verfahren berücksichtigt worden. Die Fehler hätten daher die Beteiligungsmöglichkeiten offensichtlich nicht eingeschränkt. Es komme hinzu, dass die hier vorliegenden Fehler nur geringes Gewicht hätten. Schließlich sei über das Vorhaben – auch wegen des sich über die Kläger hinaus formierten Widerstands gegen die Freileitung – ohnehin in der Tagespresse berichtet worden. Die als relative Fehler eingestuften UVP-Fehler führten daher nicht zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses.

Ausblick

Das BVerwG hat mit seinem Urteil zur Uckermarkleitung zwar die Prüfungsstruktur des § 4 UmwRG n.F. verdeutlicht. Es hatte aber keinen Anlass, zu der in der Fachwelt diskutierten Frage Stellung zu nehmen, was andere schwerwiegende – den in § 4 Abs. 1 Nr. 1 und 2 UmwRG geregelten absoluten Verfahrensfehlern vergleichbare – Verfahrensfehler im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 3 UmwRG sind. Berücksichtigt man allein die Fülle an Rechtsprechung zu § 3c UVPG und die mögliche Vielzahl unterschiedlicher Fehler der UVP-Vorprüfung, lässt sich erahnen, dass sich hierzu eine weitere Fülle an Einzelfallrechtsprechung entwickeln wird.

Dr. Ursula Steinkemper

Dr. Ursula Steinkemper

Partnerin und Fachanwältin für Verwaltungsrecht CMS Hasche Sigle, Berlin
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