15.07.2016

e-Government-Aktionsplan der EU

Ein Katalysator für die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung?

e-Government-Aktionsplan der EU

Ein Katalysator für die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung?

e-Government-Aktionsplan der EU
Der EU-Aktionsplan bietet auch für nationale Entscheider interessante Denkanstöße. | © artjazz - Fotolia

Am 20. 04. 2016 hat die EU-Kommission den EU-eGovernment-Aktionsplan 2016–2020 veröffentlicht (COM(2016) 179 final). Der Aktionsplan verfolgt das Ziel, die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung zu beschleunigen. Das Papier knüpft dabei an die früheren Aktionspläne 2006–2010 und 2011–2015 an. Auch wenn es sich grundsätzlich nur um ein unverbindliches politisches Instrument handelt, bietet der Aktionsplan auch für nationale Entscheider interessante Denkanstöße.

Ziele und Grundsätze – insbesondere „once-only”-Prinzip

Zu Beginn skizziert der Aktionsplan mehrere Grundsätze, an denen sich zukünftige europäische und nationale Initiativen orientieren sollen. Unter anderem wird auf folgende Leitlinien Bezug genommen:

  • „standardmäßig digital” (öffentliche Verwaltungen sollen ihre Leistungen vorzugsweise – aber nicht ausschließlich – digital erbringen; Mehrkanal-Prinzip)
  • Grundsatz der einmaligen Erfassung (sog. „once-only”-Prinzip: Dieselbe Information soll nur einmal vom Bürger/Unternehmen erhoben, aber mehrfach in den Verwaltungen verwendet werden)
  • „standardmäßig interoperabel” und „grenzüberschreitend”
  • vertrauenswürdig und sicher (Dienste sollen über allgemeine Anforderungen des Rechts und der IT-Sicherheit hinausgehen, da die Vertrauenswürdigkeit eine wichtige Voraussetzung für die Akzeptanz von eGovernment-Diensten ist).

Die Grundsätze geben damit allgemein gültige eGovernment-Anforderungen wieder. Sie können damit auch von nationalen/kommunalen Stellen zu Evaluierungs- und Validierungszwecken eigener eGovernment-Projekte herangezogen werden. Beispielsweise könnte die Sicherheit und Vertrauenswürdigkeit der Angebote – als ein wesentlicher Erfolgsfaktor von eGovernment-Diensten – überprüft, optimiert und das im Vergleich zum normalen Standard höhere Sicherheits-Level (soweit vorhanden) potenziellen Nutzern gegenüber deutlich und sichtbar präsentiert werden. In finanzieller Hinsicht ist der Grundsatz der einmaligen Erfassung („once-only”-Prinzip) hervorzuheben. Neben der Entlastung von Bürgern und Unternehmen (die Informationen nur einmal an die Behörden liefern müssen) werden durch die Mehrfachverwendung einmal erfasster Daten auch in den Verwaltungen Doppelarbeiten vermieden. Die Realisierung des „once-only”-Prinzips stellt damit eine „win-win”-Situation für Bürger und Verwaltung dar und sollte ins Zentrum der eGovernment-Bemühungen rücken. Auch wenn der Aktionsplan dies nicht vorschreibt, sollte ein „once-only-Screening” über alle Geschäftsprozesse der Verwaltung angestrebt werden. Der Screening-Aufwand lohnt sich, da das Einsparpotenzial von der Verwaltung selbst – unabhängig vom mitunter kaum zu beeinflussenden und zum Teil „verwöhnten” Verhalten externer Nutzer – gehoben werden kann (Mehrfachverwendung durch die Behörden selbst). So reicht eine einfache Verwaltungsanweisung aus, um behördenintern die Mehrfachnutzung einmal erfasster Daten umzusetzen. Allerdings sind datenschutzrechtliche Hemmnisse einer behördeninternen Daten-Weiterverwendung (Stichwort: Zweckänderung) vorher zu identifizieren, aufzuarbeiten und durch technische bzw. organisatorische Sicherungsmechanismen – notfalls durch neue gesetzliche Rahmenbedingungen – zu entschärfen.


Im Weiteren weist der eGovernment-Aktionsplan zutreffend darauf hin, dass Bürger und Unternehmen ihre Bedürfnisse selbst am besten einschätzen können. Die Wahl der Systeme und Technologien sowie die Entscheidung zwischen einer zentralen oder dezentralen Angebotsstruktur sollten sich daher bei entsprechenden Dienstleistungen (folgerichtig) an den Wünschen der externen Zielgruppe orientieren. Auch wenn der Aktionsplan dies nicht mehr explizit benennt, heißt das für die praktische Umsetzung folgendes: Vor Einführung elektronischer Verwaltungsdienstleistungen ist eine kritische Marktanalyse bzw. repräsentative Bedarfsabfrage durchzuführen. Mitunter können auch vorgeschaltete Pilotverfahren helfen, dass nur ausgereifte, nutzererprobte und damit erfolgreiche eGovernment-Produkte in die Fläche ausgerollt werden.

Digitale Grundlagentechnologien und zentrale Bausteine

Im Kapitel „Politische Schwerpunkte” macht der Aktionsplan deutlich, dass die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung mit Hilfe der IT auf der Basis „zentraler digitaler Grundlagentechnologien” erfolgen soll. Öffentliche Dienste sollten sich auf gemeinsame, wiederverwendbare Lösungen und Dienstleistungen stützen. Dieser Aspekt ist in der allgemeinen eGovernment-Diskussion anerkannt und wird meist mit dem Schlagwort der Basiskomponenten bzw. Basisdienste zusammengefasst. In Deutschland wird dies gerade durch mehrere aktuelle eGovernment-Gesetze der Bundesländer (vgl. NW, BY, BW und SH) verwirklicht. Diese sehen i.d.R. zentrale Basiskomponenten vor, die ressort- und behördenübergreifend in der Landesverwaltung genutzt und zum Teil auch den Kommunen angeboten werden sollen. Eine möglichst modulare und mandantenfähige eGoverment-Infrastruktur auf jeder Verwaltungsebene (Bund, Land, Kommune) ist das Gebot der Stunde.

Die im EU-eGovernment-Aktionsplan in den Vordergrund gerückten Dienste und technischen Bausteine sind u. a.:

  • eProcurement (vollständige elektronische Auftragsvergabe)
  • eInvoicing (elektronische Rechnungsstellung)
  • eSignatur (interoperable elektronische Signaturen und Register)
  • eIDAS-Dienste (elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt)
  • eEEE (elektronische Einheitliche Europäische Eigenerklärung)
  • e-Certis (Online-Dokumentenarchiv)
  • eID (grenz- und sektorenübergreifende elektronische Identifizierung)
  • eDelivery (elektronische Zustellung von Dokumenten).

Diese Dienste sind in den eGovernment-Gesetzen des Bundes und der Länder in weiten Teilen – ggf. unter anderen Begriffen – häufig bereits aufgegriffen worden. Mitunter – wie etwa beim Thema eInvoicing – lassen sich aber auch normative Regelungslücken ausmachen. Hier könnte sich – kurz- bis mittelfristig – Handlungsbedarf für die nationalen EGovG-Gesetzgeber ergeben.

Neben den benannten Diensten werden als mögliche weitere Bausteine für die Zukunft die gemeinsame Nutzung von Cloud,- Daten-, und Rechner-Infrastrukturen, von „Big Data” und Internet der Dinge (IoT), angedacht. Dabei hält die EU-Kommission insbesondere eine gemeinsame Cloud-Infrastruktur bei eGovernment-Diensten für erstrebenswert, da sich mit deren Skaleneffekte erhebliche Einsparungen erzielen lassen. Hierzu soll die im Wissenschaftsbereich bestehende Europäische Cloud-Initiative schrittweise auch für die gesamte öffentliche Verwaltung geöffnet werden (vgl. Mitteilung der EU-Kommission zur Europäischen Cloud-Initiative, COM(2016) 178 final). Entsprechende nationale Überlegungen („BRD-Cloud”) sind in Deutschland bisher kaum angestellt worden.

Zur zeitnahen Unterstützung der Weiterverwendung der vorhandenen Dienste und technischen Bausteine kündigt der Aktionsplan an, dass bis Ende 2016 ein überarbeiteter Europäischer Interoperabilitätsrahmen („EIF”) und bis 2017 ein Prototyp eines Europäischen Katalogs der IKT-Normen für öffentliche Auftragsvergabe vorgelegt werden sollen (vgl. zur IKT-Normung allgemein: Mitteilung der EU-Kommission COM(2016) 176 final). Diese Arbeiten sind bei nationalen eGovernment-Vorhaben im Blick zu halten, um möglichst allen europäischen (Interoperabilitäts-)Vorgaben von vorn herein gerecht zu werden.

Daneben hebt die EU-Kommission in der Mitteilung die Wichtigkeit hervor, eGovernment-Hemmnisse bereits bei neuen Gesetzesvorhaben zu vermeiden. Auch wenn der Aktionsplan dies nicht explizit fordert, sollte daher auch auf nationaler/kommunaler Ebene jede neue Rechtssetzung (Gesetz, Verordnung, Satzung, Verwaltungsanweisung, etc.) einem eGovernment-Tauglichkeitscheck unterzogen werden.

Als mögliche weitere Vorhaben der EU-Kommission werden im Aktionsplan zudem

  • die Verknüpfung und Optimierung bestehender Register (Unternehmensregister, Insolvenzregister, etc.),
  • neue elektronische Verfahren bei der Mehrwertsteuer,
  • der Ausbau des eJustice-Portals,
  • der elektronische Austausch von Sozialversicherungsdaten,
  • die Weiterentwicklung der Geodatennutzung (sog. INSPIRE-Richtlinie)
  • und eHealth-Dienste

genannt.

Rechtscharakter und Umsetzungsprognose

Die im Aktionsplan aufgezählten Absichten und Aktionen der EU-Kommission dürften die weitere Umsetzung des eGovernments in den Mitgliedstaaten sicherlich unterstützen. Allerdings sind die (eGovernment-)Aktionspläne der EU-Kommission lediglich politische Instrumente. Verbindliche Vorgaben oder gar konkrete Rechtsnormen für Mitgliedstaaten oder EU-Institutionen enthalten diese Absichtserklärungen nicht. Es ist daher abzuwarten, inwieweit die im neuen Aktionsplan genannten Pläne tatsächlich in die Praxis umgesetzt, durch konkrete Folgemaßnahmen mit Leben gefüllt und ggf. auch gegen widerstreitende Interessen durchgesetzt werden. Die EU-Kommission wird hierzu einen Lenkungsausschuss einsetzen, der die Umsetzung des eGovernment-Aktionsplans koordinieren soll. Dieser setzt sich aus den für die nationalen eGovernment-Strategien zuständigen Vertretern unter Vorsitz der EU-Kommission zusammen. Der Lenkungsausschuss soll jedoch nur allgemein koordinierend tätig sein, nicht jedoch einzelne Maßnahmen des Plans verwalten. Sobald es daher konkret wird, fehlen ihm damit jegliche Befugnisse.

Auch die bisher eher ernüchternden Erfahrungen mit den Aktionsplänen 2006–2010 sowie 2011–2015 lassen hinsichtlich einer Umsetzungsprognose eine gewisse Skepsis aufkommen. Dass der Aktionsplan zudem über kein eigenes Budget oder Finanzierungsinstrument verfügt, dürfte seine Umsetzung ebenfalls nicht erleichtern. Vor diesem Hintergrund hat sich der Bundesrat auch eher abwartend zum Aktionsplan geäußert (vgl. BR-Drs. 194/1/16 vom 06. 06. 2016). Über die aus dem Aktionsplan herausdestillierten Denkanstöße wird eine durchschlagende Wirkung auf den nationalen/kommunalen eGovernment-Kosmos damit eher nicht – bzw. allenfalls mittelfristig durch weitere konkrete europäische Einzelmaßnahmen – zu erwarten sein. Mangels stärkerer europäischer Impulse bleiben daher vorrangig die nationalen/kommunalen Verwaltungen weiter für die Umsetzung von eGovernment verantwortlich.

Hinweis der Redaktion: Der Autor ist Volljurist im Landesrechnungshof Nordrhein-Westfalen und dort im Prüfungsgebiet Organisation und IT tätig. Der Beitrag ist in nicht-dienstlicher Eigenschaft verfasst.

David Roth

RD David Roth

LL.M. oec., Regierungsdirektor, Landesrechnungshof NRW, Düsseldorf
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