15.07.2016

Die Wahrheit hinter der Schwarzen Null

Der Gastkommentar

Die Wahrheit hinter der Schwarzen Null

Der Gastkommentar

Die Wahrheit hinter der Schwarzen Null
Bundeshaushalt 2017: Politik der falschen Prioritäten? | © valerijse - Fotolia

Es gibt ihn wirklich – einen Bundeshaushalt ohne neue Schulden! Schon 2014 schaffte die Regierung endlich die Kehrtwende. Auf den ersten Blick ist dies eine gute Nachricht: Mit der Schwarzen Null erfüllt die Regierung die Kriterien der Schuldenbremse und schafft damit mehr Gerechtigkeit, da kommende Generationen nicht noch mehr mit hohen Tilgungs- und Zinslasten konfrontiert werden. Auf dem Papier soll die Schwarze Null auch bis mindestens 2020 Bestand haben – so sehen es die Eckwerte für den Bundeshaushalt vor, welche die Bundesregierung im März beschlossen hat.

Wie sieht diese Nachricht über die Schwarze Null nun auf den zweiten Blick aus – beim Blick hinter die Kulissen also? Dabei muss ich klar feststellen: Die historische Zäsur für die Bundesfinanzen, die mit der Schwarzen Null eingeleitet wurde, hat die Regierung nicht aus eigener Kraft geschafft! Von echter Konsolidierungsleistung keine Spur! Stattdessen profitiert sie von Positiv-Effekten, die ihr in den Schoß fielen – und fallen. Hier meine ich vor allem unerwartet stark gestiegene Steuereinnahmen plus – bedingt durch das extrem niedrige Zinsniveau – massiv gesunkene Zinslasten. Allein diese beiden Effekte haben den Bundeshaushalt in den vergangenen fünf Jahren um 112 Milliarden Euro entlastet.

Die große Koalition hat derzeit also keine finanziellen Probleme, den Bundeshaushalt ohne Neuverschuldung auszugleichen – trotz hoher Kosten zur Bewältigung der Flüchtlingskrise. Sie arbeitet mit jenem Geld, das ihr die Bürger und Unternehmen über Steuern zur Verfügung stellen.


Schamlose Finanzierung von Wohltaten

Dennoch ist die Finanz- und Haushaltspolitik der Regierung unsolide. Hinter den Kulissen kann man nur zu dieser Bestandsaufnahme kommen. Warum? Die schon heute vollen Kassen und die auch künftig sprudelnden Steuerquellen verführen die Koalition zur Finanzierung angeblich notwendiger Wohltaten. Die prächtige Haushaltslage, die sich durch Rekordsteuereinnahmen und geringe Zinsausgaben ergeben hat, wird für neue Ausgaben schamlos ausgenutzt. Hier zeigt sich ein altbekanntes Phänomen: Die Politik ist nicht in der Lage, Verzicht zu üben und Prioritäten zu setzen. Anstatt die Bürger finanziell zu entlasten, anstatt die Schuldenbürde des Bundes von knapp 1.300 Milliarden Euro substanziell zu reduzieren, heißt das Motto des politischen Schauspiels nach wie vor: Mehrausgaben!

Diese Ausgabenwut hat schon der Koalitionsvertrag „Deutschlands Zukunft gestalten” nach der Bundestagswahl 2013 in die Wege geleitet – und diese Wut hat sich bis heute gesteigert. So ging der Eckwerte-Beschluss in diesem März mit heftigen Debatten über Einführung und Ausweitung von Sozialleistungen einher. Ein milliardenschweres Solidarprojekt als Ausgabenoffensive! Für mich ist das keine Offensive, die Deutschlands Zukunft gestaltet, sondern rein parteipolitisches Kalkül!

Dynamik der steigenden Sozialausgaben

Aktuell kennt der Sozialstaat also keine Grenzen! Das hat fatale Folgen für die Stabilität der Bundesfinanzen. Allein die bereits beschlossenen Maßnahmen der Koalition – ein höheres Wohngeld, Elterngeld-Plus mit Partnerschaftsbonus, die abschlagsfreie Rente ab 63, die Mütterente sowie höhere Erwerbsminderungsrenten – belasten den Bundeshaushalt und die Rentenkasse mit mehr als zehn Milliarden Euro pro Jahr. Die jetzt initiierten neuen Sozial-Projekte für den Wohnungsbau, für Arbeitsmarktprogramme, zusätzliche familienpolitische Leistungen und die Lebensleistungsrente werden das Sozialbudget des Bundeshaushalts noch stärker steigen lassen – im Jahr 2017 vorerst um 2,4 Milliarden Euro.

Die Dynamik der steigenden Sozialausgaben erfüllt mich mit Sorge, zumal Deutschland bereits über ein umfassendes soziales Sicherungsnetz verfügt, das Jahr für Jahr aufs Neue finanziert werden muss: Laut Eckwerte-Beschluss sollen die Gesamtausgaben des Bundes zwischen 2016 und 2020 um knapp zehn Prozent steigen. Allein der Etat des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales wird im selben Zeitraum fast doppelt so hoch anwachsen – nämlich um rund 19 Prozent. Damit wird sein Anteil am Gesamthaushalt deutlich auf mehr als 44 Prozent zulegen.

Um diese Ausmaße zu beurteilen, muss man langfristig denken: Denn hinter dieser Ausgabenexplosion verbergen sich überwiegend auf Dauer angelegte Leistungen, die auch dann gezahlt werden müssen, wenn in einer Konjunkturflaute die Steuereinnahmen geringer ausfallen oder das Zinsniveau und damit die Zinslasten wieder anziehen. Das heißt im Klartext: Die Schwarze Null kann schneller fallen, als man denkt!

Investitionen bleiben auf der Strecke

In krassem Gegensatz zum Ausbau des rein auf Konsum ausgerichteten Sozialstaats steht übrigens die Entwicklung der Investitionen, vor allem der Infrastrukturinvestitionen. Wenn überproportional viel Steuergeld in die Finanzierung sozialer Leistungen gesteckt wird, fehlt das Geld, um an anderer Stelle notwendige Investitionen zu stärken. Diese Fehlentwicklung offenbart wieder einmal der Eckwerte-Beschluss: Die derzeitige Investitionsquote des Bundes beträgt nicht einmal zehn Prozent, wird in den kommenden Jahren um die zehn Prozent pendeln und ab 2020 auf 8,8 Prozent merklich abfallen. Dem anhaltenden Sanierungsstau kann damit nicht wirkungsvoll begegnet werden – hierfür wären über Jahre hinweg mehrere Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich nötig.

Aktuell stellt die Bundesregierung nur 8,6 Milliarden Euro bzw. 2,7 Prozent ihrer Gesamtausgaben für das deutsche Straßennetz bereit, obwohl sie knapp 17 Prozent ihrer gesamten Steuer- und Gebühreneinnahmen aus verkehrsbezogenen Steuern und Abgaben generiert – nämlich 50 Milliarden Euro aus der Energiesteuer (im Wesentlichen Mineralölsteuer), Kfz-Steuer und Lkw-Maut. Ich kann nur warnen: Wird diese Politik der falschen Prioritäten fortgesetzt, bleibt das Bundesfernstraßennetz auch künftig unterfinanziert – und das Wirtschaftswachstum wird gehemmt. Diese Entwicklung verdeutlicht, wie der Sozialetat wesentliche Weichenstellungen für die Zukunft verdrängt.

Loch im Bundeshaushalt 2018

Die bittere Wirklichkeit ist: Auch wenn die große Koalition in den kommenden vier Jahren keine neuen Schulden aufnehmen will, hat sie sich von einer soliden Finanzpolitik verabschiedet. Ihre einseitigen Schwerpunkte sorgen für eine Schieflage im Bundeshaushalt zugunsten des Sozialetats. Wie das nötige Geld für all die übertriebenen Annehmlichkeiten allerdings erwirtschaftet werden soll, interessiert sie offenbar nicht. Das wird sich spätestens ab 2018 auswirken, wenn laut den Eckwerten im Haushalt ein Loch von 6,7 Milliarden Euro klaffen wird – hierbei ist die neue planwirtschaftliche Kaufprämie für Elektro-Autos in Höhe von 600 Millionen Euro noch nicht berücksichtigt, die der Bund über Steuergeld finanzieren muss.

Und erneut spreche ich eine Warnung aus: Wird dieses Loch nicht durch Sparmaßnahmen geschlossen, wird die Bundesregierung zwangsläufig wieder Schulden machen oder Steuern und Sozialabgaben erhöhen müssen, um ihre überbordenden Wohltaten finanzieren zu können. Unterm Strich hinterlässt die Politik der großen Koalition viele Verlierer auf Seiten der jüngeren Generation, die für die Lasten der falschen politischen Prioritäten aufkommen müssen. Aus parteitaktischen Gründen bleibt eine Haushaltspolitik, die für Generationengerechtigkeit sorgen muss, auf der Strecke.

Schluss mit dem Soli!

Den Haushalt langfristig konsolidieren, endlich Prioritäten bei den Ausgaben setzen und nicht vorschnell soziale Wohltaten streuen, sondern die Bürger ernsthaft entlasten: Das ist der Dreiklang für Deutschlands Zukunft. Das beste und schnellste Signal wäre hier die Abschaffung des bei den meisten Bürgern verhassten Solidaritätszuschlags. Die permanenten Behauptungen der Politik, der Soli wäre für die Finanzierung des Haushalts unabdingbar, sind nichts anderes als eine Mär. Würde der Bundestag noch dieses Jahr beschließen, den Soli ab 2017 entweder jährlich in gleichmäßigen Stufen oder nach einem prozentualen Schlüssel zu verringern, wären die Steuerzahler ab 2020 – also zusammen mit dem dann ausgelaufenen Aufbau Ost – von der Zwangsabgabe befreit. Die Entlastung der Bürger summierte sich dann auf knapp 50 Milliarden Euro – und dennoch könnte die Bundeskasse einen jährlichen Zuwachs von rund 2,5 Prozent beim Steueraufkommen verbuchen.

So einfach, praktikabel und lebensnah kann Politik funktionieren. Ich frage die Verantwortlichen: Warum nehmen Sie die Soli-Abschaffung nicht endlich in Angriff? Sie wollen doch Deutschlands Zukunft gestalten, wie Sie es ins eigene Stammbuch geschrieben haben. Entlasten Sie die Bürger in Ost wie West! Das wäre wahrhaft solidarisch!

Hinweis der Redaktion: Dieser Blick auf den Eckwerte-Beschluss erfolgte im Vorfeld des Regierungsbeschlusses zum Bundeshaushalts-Entwurf 2017 am 6. Juli.

Reiner Holznagel

Reiner Holznagel

Präsident des Bundes der Steuerzahler Deutschland e.V.
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