15.06.2013

Stabilität durch Flexibilität

Was das Energiesystem von übermorgen braucht

Stabilität durch Flexibilität

Was das Energiesystem von übermorgen braucht

Das Energiesystem von übermorgen lebt von der flexiblen Balance aller Beteiligten. | © ag visuell - Fotolia
Das Energiesystem von übermorgen lebt von der flexiblen Balance aller Beteiligten. | © ag visuell - Fotolia

Wandel bedeutet Veränderung. Bei einer Herkulesaufgabe wie der Energiewende wird das ganz außerordentlich deutlich. Mit den Veränderungen der „klassischen“ Strukturen auf dem Energiemarkt entstehen neue Probleme, an die es sich anzupassen gilt.

Der Wechsel von einer zentralen zu einer dezentralen Energiegewinnung und die Umstellung auf „unkonventionelle“ ressourcenschonende abhängige Kraftwerke, die oft von Wind und Wetter abhängig sind, stellt die Energiewirtschaft vor Aufgaben, die es zu lösen gilt. Weil es hier um nicht weniger als die Versorgungssicherheit der Bevölkerung und natürlich auch die der Industrie mit Energie geht, muss die Lösung belastbar sein. Sie muss drei Fragen klären: Woher soll künftig die Energie kommen? Wie soll sie ordnungsgemäß transportiert werden? Und wie gelingt ein sparsamer und vor allen Dingen effizienter Konsum?

Die Stromproduktion scheint derzeit noch nicht wirklich das Problem zu sein. Der Export von deutschem Strom – so hört man – befindet sich in der Summe auf einem neuen Hochstand. Doch manchmal braucht es Mechanismen, sofern der regional produzierte Strom zu einem Zeitpunkt nicht ausreicht. Schon heute kontrahiert der Regulierer deshalb Kraftwerke als Reserve für den Winter bzw. verbietet das Abschalten von unprofitablen Kraftwerken, sofern diese noch in der Lage sind, Energie zu produzieren. Der Übertragungsnetzbetreiber hat zudem, um sein Netz stabil zu halten, nach den §§ 12 ff. EnWG spezielle Zugriffsmöglichkeiten auf Kraftwerke und Energiespeicher. Wie der dann erzeugte Strom sicher zu den Verbrauchern transportiert werden kann, ist eine weitere Frage. Kurze Wege belasten das Netz dabei deutlich weniger als weite Entfernungen.


Hinzu kommt die Integration stark schwankender Erzeugung. Diese erfordert eine hohe Flexibilität im System, denn je ungleichmäßiger die Erzeugung in zeitlicher und örtlicher Hinsicht ist, desto größer werden entsprechend die Anforderungen an die Netztechnik.

Neue Maßnahmen müssen deswegen gefunden werden. Als Teil der Lösung steht neuerdings die Flexibilität der Akteure im Fokus. So können und müssen Verbraucher wie Erzeuger gleichermaßen dazu beitragen, die Netzstabilität zu gewährleisten.

Die Verbraucherseite

Auf Verbraucherseite gibt es zahlreiche Modelle, wie durch flexible Nachfrage das Netz insgesamt stabilisiert werden kann. Die Idee dahinter ist, vereinfacht ausgedrückt, in intensiven Zeiten die eigene Nachfrage zurückzunehmen, um das Netz so zu entlasten. Der entlastende Effekt ist selbstverständlich umso stärker, je größer der vermeintliche Energieverbraucher ist.

Ein Modell hierfür ist das in den USA schon seit Jahren erfolgreich praktizierte sog. „Demand-Response-System“. Dieses steuert zentral flexible elektrische Lasten, energetische Speicher und Erzeugungsanlagen abhängig von den Bedingungen im Verteil- oder Übertragungsnetz oder aufgrund von Marktsignalen. Der Demand-Response-Aggregator vernetzt und bündelt dabei aufgrund vertraglicher Vereinbarungen die Teilnehmer mit Hilfe von Informations- und Telekommunikationstechnologien und passt über Steuerungssignale ihren Stromverbrauch bzw. ihre Erzeugung an die Anforderungen des übergeordneten Stromversorgungssystems an. Der Verbraucher wird für seine Flexibilität belohnt und entsprechend vergütet. In Deutschland könnten durch ein entsprechendes System bis zu 9 Gigawatt an konventionellen Kraftwerken zeitweilig ersetzt werden. Das Ganze wäre zudem ohne zusätzliche Umweltbelastungen möglich, denn das System nutzt ausschließlich bereits bestehende Infrastrukturen.

Eine weitere Möglichkeit zur Netzstabilisierung ist zumindest aus deutscher Sicht schon wesentlich konkreter, gemeint ist die Verordnung über Vereinbarungen zu abschaltbaren Lasten (AbLastV). Jeder Anbieter abschaltbarer Lasten, der die technischen Anforderungen der §§ 5 bis 7 AbLastV erfüllt, kann nach einem erfolgreich durchgeführten Präqualifikationsverfahren bei dem Übertragungsnetzbetreiber mit diesem eine Rahmenvereinbarung treffen und sich somit an einer Stabilisierung beteiligen. Monatlich stehen dem Anbieter 2.500 Euro pro Megawatt zu, unabhängig davon, ob er in Anspruch genommen wurde. Zusätzlich gibt es einen Arbeitspreis in Höhe von 100 bis 400 Euro pro Megawattstunde.

Die Erzeugerseite

Doch auch auf Erzeugerseite gibt es Möglichkeiten, durch Flexibilität die Netzstabilität zu steigern. Erzeuger stellen – das ist ein alter Hut – klassischerweise Flexibilität bereit, indem nicht mehr Strom produziert wird als verkauft werden kann. Ebenso verhält es sich mit der Regelenergie, die durch Hoch- oder Runterregeln, je nach Netzbedarf, bereitgestellt wird.

Dafür wird aber mindestens so viel Erzeugungskapazität benötigt, wie maximal gleichzeitig gebraucht wird. Dies wiederum ist ineffizient, weil gewisse Erzeugungskapazitäten dann nur sehr selten benötigt werden und in den paar Einsatzstunden nicht genug Geld verdienen können. Es gilt also Modelle zu entwickeln, durch die das Bereithalten von Erzeugungskapazitäten (Back-up-Kapazitäten) profitabel gemacht wird. (Insbesondere die aus technischer Sicht dafür geeigneten Gaskraftwerke rechnen sich aufgrund der Großmarktenergiepreise finanziell aber oft derzeit nicht.)

Entsprechende als Kapazitätsmechanismen/-märkte oder Strommarktdesign bezeichnete Modelle werden derzeit diskutiert. In allen diskutierten Modellen, seien sie von Umwelt- oder Energieverbänden entwickelt, spielen wettbewerbliche Komponenten eine Rolle, die es den Anbietern ermöglichen sollen, gewinnbringend zu arbeiten.

Die Netzseite

Zum Schluss muss auch das Netz selbst betrachtet werden. Durch die dezentrale Erzeugung (vor allem von Wind- und Sonnenenergie) müssen Verteilnetze heute nicht nur Strom verteilen („von oben nach unten“), sie müssen ihn auch abholen („von unten nach oben“ oder öfters „von hier nach da“). Das führt zu neuen Herausforderungen auf den unteren Netzebenen (die Probleme der oberen Netzebene, der Transportnetze, die Strom von Nord nach Süd transportieren müssen, seien hier außen vor gelassen). Die Lösung, von manchen Netzbetreibern als billigste Maßnahme angepriesen, könnten sog. Smart Grids, also schlaue bzw. mitdenkende Netze, sein. Ziel ist danach ein flexibles Netzmanagement, um Erzeuger- und Nachfrageebene zuverlässig steuern zu können.

Ein intelligentes Stromnetz vernetzt den Datenaustausch zwischen Stromerzeuger, Stromspeicher, Messstellenbetreiber, Verbraucher sowie den Netzeinrichtungen selbst und ermöglicht so die direkte Kommunikation untereinander. So kann die Erzeugungseinrichtung den Bedarf der Verbraucher in Echtzeit ermitteln, umgekehrt kann der Verbraucher aber auch auf etwaige Engpässe reagieren und seine Stromnachfrage entsprechend anpassen bzw. kurzweilig reduzieren. Ermöglicht wird das auf der Seite der Verbraucher durch sog. Smart Meter, die es dem Netz/Erzeuger ermöglichen, aus der Ferne die Daten auszuwerten. Anhand dieser Daten können sowohl Maßnahmen auf Verbraucherseite als auch auf der Erzeugerseite ermittelt und sodann eingeleitet werden. Das Stromnetz wäre dann mehr als nur Transporteur und könnte die eigene Auslastung überprüfen, freie Kapazitäten zur Verfügung stellen und die optimale Lösung zwischen Erzeugungs-, Speicherungs- und Verbrauchssteuerung anbieten. Doch könnten die zunächst anfallenden Investitionskosten das verlockende Modell bremsen oder gar verhindern, denn bislang ist nicht sicher geklärt, ob sämtliche Investitionskosten über die Netzentgelte berücksichtigt werden können. Dennoch ist eine solche Vernetzung vielversprechend.

Die Gewährleistung von Netzstabilität kann durch Flexibilität ermöglicht bzw. erheblich erleichtert werden. Erforderlich ist aber ein Zusammenspiel aller beteiligten Akteure, sowohl Erzeuger und Verbraucher als auch Netzbetreiber und Netznutzer müssen zusammenwirken, um die volkswirtschaftliche Herausforderung der Energiewende gemeinsam zu schultern.

 

Dr. Ines Zenke

Rechtsanwältin, Fachanwältin für Verwaltungsrecht, Partner Becker Büttner Held, Berlin
 

Dr. Christian Dessau

Rechtsanwalt, Partner Counsel, Becker Büttner Held, Berlin
n/a