15.06.2013

Manipulationen von Referenzzinssätzen

Ersatzansprüche der Kommunen gegen Partner von Swap-Geschäften

Manipulationen von Referenzzinssätzen

Ersatzansprüche der Kommunen gegen Partner von Swap-Geschäften

Fragiler Gewinn: SWAP-Partner müssen bei Zins-Manipulationen mit Schadensersatzansprüchen rechnen. | © GAUTIER22 - Fotolia
Fragiler Gewinn: SWAP-Partner müssen bei Zins-Manipulationen mit Schadensersatzansprüchen rechnen. | © GAUTIER22 - Fotolia

Zahlreiche Swapgeschäfte, die durch deutsche Kommunen abgeschlossen wurden, basieren auf den Referenzzinssätzen LIBOR und EURIBOR. Bei beiden Referenzzinssätzen besteht der Verdacht, dass diese von den sogenannten Panelbanken manipuliert worden sind. Panelbanken sind diejenigen Kreditinstitute, die ihre Zinsangaben nach London bzw. Brüssel zur Bildung des durchschnittlichen Referenzzinssatzes gemeldet haben. Im Klartext heißt das: Einige Panelbanken scheinen zu niedrige, vielleicht auch zu hohe Zinssätze gemeldet zu haben, weil sie sich damit geschäftliche Vorteile sichern wollten. Die betroffenen Kommunen fragen sich angesichts der sich häufenden Presseberichte über diese Zinsmanipulationen, ob sie gegen ihre Swappartner Schadensersatzansprüche haben, insbesondere wenn es sich bei dem Swappartner um eine der manipulierenden Panelbanken handelt. Dieser Beitrag soll eine erste Einschätzung möglicher Ansprüche geben.

Die Anspruchskategorien

Zu unterscheiden ist grundsätzlich der Anspruch auf Rückabwicklung des Swapgeschäfts von dem Anspruch auf Schadensersatz. Die Kommune hätte ein hohes Interesse daran, sich von einem Swapgeschäft, dessen derzeitiger Geschäftswert für sie hohe Verluste bedeutet, rückwirkend zu lösen, also einen Anspruch auf Rückabwicklung des Swapgeschäfts geltend zu machen. Stünde ihr stattdessen „nur“ ein Anspruch auf Schadensersatz gegen die Panelbank als Swappartner wegen unerlaubter Zinsmanipulation zu, müsste sie zunächst die Höhe ihres Schadens beweisen. Soweit ihr hierbei nicht die Beweiserleichterung des § 287 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) zugutekommt – das Gericht darf unter bestimmten Voraussetzungen die Schadenshöhe schätzen – , müsste die Kommune konkret darlegen, wie der Referenzzinssatz ohne die Manipulation ausgefallen wäre. Sie müsste weiter darstellen, welche (geringeren) Zahlungsverpflichtungen sich daraus für sie ergeben hätten (sogenannter „Differenzschaden“). Dies dürfte im Einzelfall sehr schwierig sein, weil zunächst festgestellt werden müsste, welche Zinssätze die Panelbanken gemeldet hätten, wenn sie sich korrekt verhalten hätten. Sodann müsste, basierend auf diesen korrigierten Meldungen, ein neuer Durchschnittssatz gebildet werden. Die Kommune müsste nachweisen, dass sie bei Zugrundelegung des korrigierten Durchschnittszinssatzes an ihren Swappartner zu viel gezahlt, oder zu wenig bekommen hat.

Anspruch aus Verletzung vorvertraglicher Pflichten

Gemäß §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) trifft denjenigen, der Vertragsverhandlungen aufnimmt, eine Pflicht zur Rücksichtnahme auf Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils. Eine Verletzung dieser Pflichten führt zu Schadensersatzansprüchen gemäß § 280 BGB (Verschulden bei Vertragsverhandlungen, „culpa in contrahendo“). Nach § 324 BGB berechtigt eine derartige Pflichtverletzung zudem zum Rücktritt vom Vertrag, wenn infolge der Pflichtverletzung ein Festhalten am Vertrag nicht mehr zumutbar ist.


Diese Anspruchsgrundlage setzt voraus, dass der Swappartner selbst den einschlägigen Referenzzinssatz manipuliert hat, und zwar bevor es zum Abschluss des Swapgeschäfts gekommen ist.

Die Pflichtverletzung könnte in der falschen Meldung zur LIBOR- oder EURIBOR-Feststellung liegen. Die Pflicht zur regularienkonformen Meldung dürfte allerdings nur gegenüber der den LIBOR betreuenden British Bankers‘ Association (BBA) bzw. der den EURIBOR betreuenden Euribor-EBF bestehen. Die deutschen Kommunen sind nicht Vertragspartei jener Vereinbarungen, durch die sich die Panelbanken zur Beachtung der Regularien der BBA und der Euribor-EBF verpflichtet haben. Diese Vereinbarungen dürften im Übrigen nicht deutschem Recht unterliegen. Das deutsche Recht kennt – ebenso wie die meisten anderen Rechtsordnungen – zwar auch Vertragspflichten mit Schutzwirkung zugunsten Dritter. Dies setzt allerdings jedenfalls nach deutschem Recht voraus, dass der Kreis der in den Schutzbereich einbezogenen Personen begrenzt und klar umrissen ist. Dies scheidet bei der Feststellung des LIBOR und des EURIBOR aus, da diese Referenzzinssätze im Wesentlichen der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt werden. Insofern kämen als vorvertragliche Pflichtverletzung der Panelbanken weniger die fehlerhaften Meldungen zum LIBOR und EURIBOR, sondern die Nichtaufklärung hierüber in Betracht.

Die Panelbank hätte als Vertragspartner der Kommune diese über die Manipulationshandlungen aufklären müssen, selbst wenn der handelnden Fachabteilung diese nicht bekannt waren. Denn gemäß § 166 BGB analog muss sich die Panelbank das Wissen ihrer sämtlichen Fachabteilungen zurechnen lassen. Die Panelbank darf keinen Swap anbieten, der auf einem Referenzzinssatz beruht, den sie selbst zuvor manipuliert hat und weiter manipulieren wird. Tut sie es gleichwohl, begeht sie schon bei Abschluss des Swapgeschäftes eine Pflichtverletzung und ist der Kommune zu Schadensersatz verpflichtet.

Rechtsfolge dieses Schadensersatzanspruches ist, dass die Kommune so zu stellen wäre, wie wenn die Pflichtverletzung nicht geschehen wäre (§ 249 BGB). Dabei gilt die sog. Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens, d. h. es wird vermutet, dass es nicht zum Abschluss des Swaps gekommen wäre und der Swap rückabzuwickeln ist.

Neben dem Schadensersatzanspruch besteht das Recht der Kommune, vom Swapvertrag zurückzutreten. Ein Festhalten an dem Vertrag wäre ihr angesichts der zu ihrem Nachteil vorgenommenen Manipulationen nicht zuzumuten. Diese Manipulationen können auch für die Zukunft nicht ausgeschlossen werden. Einer Abmahnung bedarf es angesichts der Schwere der Verfehlung der Panelbank nicht.

Anspruch aus Verletzung vertraglicher Pflichten

Neben den beschriebenen vorvertraglichen Aufklärungspflichtverletzungen können sich Schadensersatzansprüche gemäß §§ 280, 311 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB und ein Rücktrittsrecht gemäß § 324 BGB auch aus (Neben-)Pflichtverletzungen während des laufenden Swaps ergeben.

Anders als bei den vorvertraglichen Aufklärungspflichten, bei welchen es um das „Ob“ des Vertragsschlusses geht, geht es hier allerdings mehr um das „Wie“ der Vertragsdurchführung. Dies bedeutet insbesondere, dass als Pflichtverletzung weniger eine Nichtaufklärung über die grundsätzliche Manipulierbarkeit oder bereits erfolgte Manipulation der LIBOR- bzw. EURIBOR-Sätze als vielmehr die Vornahme von Manipulationen während der Laufzeit des Swapgeschäfts in Betracht kommt.

Auch hier gilt für Schadensersatzansprüche der Grundsatz der Naturalrestitution gemäß § 249 BGB. Es ist also der Zustand herzustellen, der heute ohne das schädigende Ereignis bestünde. Anders als bei einer vorvertraglichen Pflichtverletzung bedeutet dies allerdings nicht, dass die Kommune so zu stellen ist, wie wenn der Vertrag nicht abgeschlossen, sondern so, wie wenn der Vertrag ordnungsgemäß erfüllt worden wäre. Im Ergebnis liefe dies auf ergänzende Zahlungen seitens der Panelbank hinaus, die die Kommune so stellen würden, wie wenn der Referenzzinssatz nicht manipuliert worden wäre. Dies führt zu der bereits oben angesprochenen Problematik der Schadensbezifferung, wobei aufgrund der Vorschrift des § 287 Abs. 1 ZPO die Möglichkeit einer Schätzung des Schadens durch das Gericht besteht. Die gewünschte Rückabwicklung ließe sich nur über die bereits erwähnte Anwendung des § 324 BGB erreichen.

Anfechtung des Swapgeschäftes

Eine Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB käme grundsätzlich in Frage. Denn die Manipulierbarkeit sowie die bereits erfolgte Manipulation des LIBOR und des EURIBOR sind Eigenschaften einer Sache, die im Verkehr als wesentlich anzusehen sind. Allerdings dürfte in den meisten Fällen die kurze Anfechtungsfrist gemäß § 121 BGB verstrichen sein. Deshalb käme allenfalls eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nach § 123 Abs. 1 BGB in Frage. Nach dieser Vorschrift kann derjenige seine Willenserklärung anfechten, der durch arglistige Täuschung zu deren Abgabe bestimmt worden ist.

Arglistige Täuschung hat dabei nichts mit Betrugsabsichten o. Ä. zu tun, sondern meint schlicht die zumindest bedingt vorsätzliche Beeinträchtigung der Willensentschließungsfreiheit. Diese kann auch durch Unterlassen einer Aufklärung begangen werden, wenn eine entsprechende Aufklärungspflicht besteht. Insoweit gelten die zur vorvertraglichen Pflichtverletzung gemachten Ausführungen entsprechend. Es ist anerkannt, dass eine Vertragspartei bei einem erkannten Wissensvorsprung über vertragswesentliche Umstände eine Aufklärungspflicht treffen kann. Diese besteht u. a. dann, wenn Umstände einer Partei bekannt, der anderen Partei unbekannt und für diese andere Partei offenkundig von ausschlaggebender Bedeutung sind. Hier liegt die Aufklärungspflichtverletzung der Panelbank darin, dass sie über bereits vorgenommene Manipulationen an einzelnen LIBOR- bzw. EURIBOR-Sätzen nicht aufgeklärt hat. Die Kommune muss allerdings den Vorsatz der Panelbank beweisen, wobei dem einzelnen Mitarbeiter das Wissen und Wollen seiner Vorgesetzten zugerechnet wird. Gleichwohl dürften erhebliche Beweisschwierigkeiten bestehen.

Ordentliches oder außerordentliches Kündigungsrecht

Ob ein ordentliches Kündigungsrecht besteht, hängt davon ab, ob ein solches entweder in dem Swapvertrag oder in einem daneben abgeschlossenen „Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte“ vereinbart worden ist. Im Zweifel kommt nur ein außerordentliches Kündigungsrecht „aus wichtigem Grund“ in Betracht. Ein wichtiger Grund dürfte vorliegen, wenn die Panelbank als Vertragspartner den Zinssatz selbst manipuliert hat, auf dem ihre Zahlungsverpflichtungen beruhen. Damit wäre der Kommune ein Festhalten an dem Swapvertrag nicht mehr zuzumuten. Für die Kündigung sind allerdings angemessene Fristen einzuhalten, die im Einzelfall überschritten sein könnten. Soweit dies der Fall ist, ist eine außerordentliche Kündigung nicht mehr möglich.

Deliktischer Schadensersatzanspruch wegen Kartellbildung

Nach § 33 Abs. 1, 3 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) i. V. m. Art. 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ist sinngemäß zum Schadensersatz verpflichtet, wer durch Vereinbarungen den Wettbewerb im Binnenmarkt beschränkt oder dies bezweckt und dadurch einem Dritten Schaden zufügt.

Fraglich ist bereits, ob Absprachen zwischen den LIBOR- bzw. EURIBOR-Panelbanken als Kartellbildung einzustufen sind und der aus den Manipulationen resultierende Schaden bei den Panelbanken geltend gemacht werden kann. Handelt es sich bei den getroffenen Absprachen zwischen den Panelbanken wirklich um Kartelle, d. h. Vereinbarungen zur Beschränkung des Wettbewerbs? LIBOR und EURIBOR sind hypothetische, keine effektiven Referenzzinssätze. Es erscheint zweifelhaft, ob eine Verfälschung eines Referenzzinssatzes überhaupt darauf zielt, den Wettbewerb zu beeinflussen. In jedem Fall sollte der Ausgang des Verfahrens, das die Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommission eingeleitet hat, abgewartet werden.

Dies ist auch unter dem Gesichtspunkt der Verjährung unproblematisch, weil nach §§ 33 Abs. 5 GWB, 204 Abs. 2 BGB die Einleitung eines kartellbehördlichen Ermittlungsverfahrens hinsichtlich der Schadensersatzansprüche die Verjährung bis 6 Monate nach dessen Abschluss hemmt.

Für die Schadensfeststellung ist allerdings Voraussetzung, dass derjenige Referenzzinssatz (Währung und Laufzeit) manipuliert worden ist, auf dem der Swapvertrag beruht.

Deliktischer Schadensersatzanspruch wegen Marktmanipulation

Ein derartiger Anspruch wegen Marktmanipulation würde sich auf §§ 823 Abs. 2 BGB, 20a WpHG stützen. Allgemein wird indes die Schutzgesetzeigenschaft des § 20a WpHG im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB verneint. Die Vorschrift des § 20a WpHG bezieht sich im Übrigen nur auf solche Finanzinstrumente, die an einer inländischen Börse zum Handel zugelassen oder in den regulierten Markt oder in den Freiverkehr einbezogen sind oder in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind (§ 20a Abs. 1 Satz 2 WpHG). Unter beides fallen die hier in Rede stehenden Swapgeschäfte nicht.

Zusammenfassendes Ergebnis

Soweit erwiesen ist, dass sich der Swappartner in seiner Funktion als Panelbank an der Manipulation eines Referenzzinssatzes (LIBOR und EURIBOR) beteiligt hat, kommt eine Rückabwicklung des Swapgeschäftes wegen der Verletzung einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht sowie nach Anfechtung des Swapgeschäftes wegen arglistiger Täuschung in Frage. Die Kommune sollte sich auf diesen Rückabwicklungsanspruch konzentrieren. Mit einer ebenfalls denkbaren außerordentlichen Kündigung könnte die Kommune, soweit diese Kündigung rechtzeitig erfolgt, allenfalls die Beendigung des Swapgeschäftes für die Zukunft erreichen, verbunden allerdings mit der Möglichkeit, Ersatz des entstandenen (Differenz-)Schadens zu verlangen.

 

Dr. Jochen Weck

Seniorpartner Rössner Rechtsanwälte, München
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