15.06.2013

Eingeschränkte Wirksamkeit?

Nach dem BVerfG-Urteil zum Antiterrordateigesetz

Eingeschränkte Wirksamkeit?

Nach dem BVerfG-Urteil zum Antiterrordateigesetz

Die Antiterrordatei ist eine gemeinsame Index-Datenbank im Sinne eines \"Fusion Centers\". | © Scanrail - Fotolia
Die Antiterrordatei ist eine gemeinsame Index-Datenbank im Sinne eines \"Fusion Centers\". | © Scanrail - Fotolia

Wegen der Klage eines ehemaligen Richters prüfte das Bundesverfassungsgericht, ob die Antiterrordatei mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Der Beschwerdeführer macht mit der Verfassungsbeschwerde eine Verletzung der Grundrechte durch das Antiterrordateigesetz (ATDG) geltend. Insbesondere befürchtet er, dass aufgrund der unbestimmten Formulierung des Gesetzes unbescholtene Bürger jederzeit in den Blickpunkt der Verfassungsschutzbehörden geraten und somit zum Objekt nachrichtendienstlicher Informationsbeschaffungen werden zu können. Diese Sorge teilte das Bundesverfassungsgericht in Hinblick auf Kontaktpersonen Verdächtiger. Das am 24. 04. 2013 ergangene Urteil (Az. 1 BvR 1215/07) billigt grundsätzlich eine gemeinsame Datenbank, beanstandet aber Teile der Antiterrordatei und mahnt höhere Hürden in Aufnahme von Personendaten an. Die im Urteil gemachten Vorgaben müssen nun bis 2015 umgesetzt werden.

Einführung der Antiterrordatei und die umgehende Kritik

Durch die zentrale Antiterrordatei sollen Erkenntnisse zu terrorismusverdächtigen Personen, die bei Polizei und Nachrichtendienst bereits vorhanden sind, für alle Sicherheitsbehörden schneller und umfassender zugänglich sein. Das ATDG regelt die Voraussetzungen der dazu erforderlichen Datenverarbeitung. 2006 brachte das Bundesministerium des Innern unter Wolfgang Schäuble einen Gesetzentwurf auf den Weg, der am 01. 12. 2006 mit den Stimmen der Großen Koalition beschlossen wurde. Das erlassene Artikelgesetz „Gesetz zur Errichtung gemeinsamer Dateien von Polizeibehörden und Nachrichtdiensten des Bundes und der Länder“ findet sich im Bundesgesetzblatt I vom 22. 12. 2006 auf den Seiten 3409 ff. Es enthält Vorschriften dazu, welche Personen und Objekte in der zentralen Antiterrordatei gespeichert werden dürfen, neue Befugnisse zur Datenerhebung wurden mit Inkrafttreten des ATDG am 31. 12. 2006 nicht geschaffen.

Bereits mit Beschluss äußerten Stimmen aus der Opposition (Grüne, FDP, Linkspartei) Kritik. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar und der Deutsche Anwaltverein lehnten die Zentraldatei ab, weil zu viele Daten gesammelt würden und darüber hinaus das Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten verletzt würde. Als Instrument eines Überwachungsstaates erhielt die Bundes-Innenministerkonferenz für ihren Beschluss vom 04. 09. 2006 zum Aufbau der Antiterrordatei den „Big Brother Award 2006“.


Nutzung der Datei in der Praxis

Die Antiterrordatei ist eine gemeinsame Index-Datenbank im Sinne eines „Fusion Centers“ von 38 verschiedenen deutschen Sicherheitsbehörden, die gemeinhin nicht zusammenarbeiten. Das Ziel der Datei ist präventiver Art, um im Vorfeld zu erkennen, ob das Verhalten einer Person dem eines potenziellen Attentäters ähnelt. Zudem sollen die Lücken, die durch die Gewaltenteilung und föderale Strukturen entstehen können, geschlossen werden.

Zugriff haben:

  • Staatsanwaltschaften
  • Bundeskriminalamt
  • Bundespolizei
  • 16 Landeskriminalämter
  • Bundesamt für Verfassungsschutz
  • Militärischer Abschirmdienst
  • Zollkriminalamt
  • Bundesnachrichtendienst
  • 16 Landesbehörden für Verfassungsschutz

Gesammelt werden sämtliche Angaben über Personen, über die sich durch Querverweise ein Verdacht auf geplante Attentate erhärten könnte. Nach Beschluss der 181. Sitzung der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder vom September 2006 sind das

  • die Zugehörigkeit zu terroristischen Vereinigungen
  • Waffenbesitz
  • Telekommunikations- und Internetdaten
  • Bankverbindungen/Bankschließfächer
  • Schul- und Berufsausbildung, Arbeitsstelle
  • Familienstand
  • Religionszugehörigkeit
  • angezeigter Verlust von Ausweispapieren
  • Reisebewegungen
  • bekannte Aufenthalte an Orten mit terroristischem Hintergrund (z. B. Ausbildungslager, Camps)

Bei der Antiterrordatei unterscheidet man zwischen offener und verdeckter Speicherung. Verdeckte Daten werden dem Abrufenden nicht angezeigt, sondern eine Mitteilung über die Suchanfrage wird an die Behörde generiert, die den Datensatz zur Verfügung stellt. Insbesondere die verdeckte Speicherung soll den sensiblen Umgang innerhalb der zugriffsbefugten Behörden gewährleisten.

Beschwerde über die Unvereinbarkeit mit dem GG

Seit dem 06. 11. 2012 verhandelte der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsbeschwerde gegen das ATDG. Der Kläger kritisierte u. a. eine mögliche Vermengung der Informationen von Geheimdiensten und Polizei sowie die unbestimmte Formulierung des Gesetzes. Dadurch könnten auch unbescholtene Bürger ohne ihr Wissen in der Datei erfasst werden. Der Beschwerdeführer wandte sich dabei unmittelbar gegen die §§ 1 bis 6 ATDG über die Speicherung und Verwendung von Daten, mit Ausnahme von § 2 Satz 1 Nr. 4 ATDG. Mittelbar richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen die diese Vorschriften flankierenden §§ 8 bis 12 ATDG, die hauptsächlich die datenschutzrechtliche Kontrolle betreffen.

Die Bundesregierung erachtete die Verfassungsbeschwerde für unzulässig und unbegründet. Sowohl die technische Architektur der zentralen Antiterrordatei als auch ihre praktische Anwendung seien so angelegt, dass sie rechtsstaatlichen Grundsätzen genügten. Zudem habe das Antiterrordateigesetz lediglich den Austausch bereits vorhandener Erkenntnisse erleichtert, jedoch keine neuen Befugnisse zur Datenerhebung für Behörden geschaffen. Zweck der zentralen Antiterrordatei sei es, jeweils gezielt im Zusammenhang mit konkreten Verfahren einzelfallbezogen abzugleichen.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Im ersten Satz des Urteils vom 24. 04. 2013 stellt der Erste Senat fest, dass das ATDG in seinen „Grundstrukturen mit dem Grundgesetz vereinbar“ ist, mahnt jedoch eine Nachbesserung in der gesetzlichen Ausgestaltung unter Einbeziehung der Vorgaben durch das Bundesverfassungsgericht an. Die uneingeschränkte Einbeziehung von Daten in die Antiterrordatei, die durch Eingriffe in das Brief- und Fernmeldegeheimnis und das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung erhoben wurden, verletze Art. 10 Abs. 1 und Art. 13 Abs. 1 GG. Diese Nachbesserungen müssen bis 2015 umgesetzt sein. Somit gelten die Bestimmungen der aktuell gültigen Fassung bis zum 31. 12. 2014 fort, jedoch mit Einschränkungen. Das Urteil legt fest, dass bei Recherchen in den erweiterten Grunddaten und in Daten, die aus Eingriffen in das Telekommunikationsgeheimnis und das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung herrühren, im Trefferfall lediglich ein Zugang zu Informationen gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 3 ATDG gewährt wird. Erweiterte Informationen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 a ATDG dürfen jedoch nicht mit einbezogen werden. Auch der Eilfall rechtfertigt nach dem Urteil keinen Zugriff auf Daten, die aus verfassungsrechtlicher Sicht zu Unrecht bereitgestellt wurden.

Ausblick: Auswirkungen des Urteils

Seit Einführung der Datei sind über 17.000 Datensätze erfasst worden. Mehr als 80 % der betroffenen Personen sollen dabei nicht in Deutschland leben, sondern radikalislamischen Organisationen im Ausland angehören. Die vom Bundesverfassungsgericht geteilte Kritik, der Personenkreis sei nicht nach klaren Kriterien erfasst worden, bezieht sich vor allem auf den erweiterten Personenkreis, also Kontaktpersonen, die nicht zwangsläufig rechtsfeindliche Absichten hegen. Das gefällte Urteil wird voraussichtlich auch Auswirkungen auf die im Herbst 2012 errichtete Rechtsextremismus-Datei haben. Sicherheitsbehörden und Gewerkschaftsvertreter befürchten, dass politische Interessen die Umsetzung der angemahnten Nachbesserungen die Datei als Instrument zur Terrorismusbekämpfung in ihrer Wirkung einschränken. Die Umsetzungen sind also zu beobachten. Allerdings ist die Wirksamkeit der Datei vor dem Urteil nicht aussagekräftig in ihren Erfolgen evaluiert worden, so dass diese Beurteilung nur schwer getroffen werden kann.

 

Prof. Dr. Dorothee Dienstbühl

Professorin an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (HSPV) Nordrhein Westfalen
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