15.06.2013

Exklusivität für Jedermann?

Gericht vor Gericht – Episode 2 eines ungewöhnlichen Rechtsstreits

Exklusivität für Jedermann?

Gericht vor Gericht – Episode 2 eines ungewöhnlichen Rechtsstreits

Episode 2 im Rechtsstreit unter Beteiligung des Bundesverfassungsgerichts als Beklagtenvertreter. | © Andrey Burmakin - Fotolia
Episode 2 im Rechtsstreit unter Beteiligung des Bundesverfassungsgerichts als Beklagtenvertreter. | © Andrey Burmakin - Fotolia

Das Tauziehen um die Belieferung privater Verleger mit aufbereiteten Verfassungsgerichtsentscheidungen geht weiter. Aus der ersten Instanz des Verfahrens stammt der Bericht in PUBLICUS 2011.11 auf Seite 24. Vor dem Verwaltungsgerichtshof in Mannheim wird nun die Berufung gegen eine Klageabweisung des VG Karlsruhe verhandelt. Hier ein Bericht aus der Verhandlung vom 07. 05. 2013 (Az.: 10 S 281/12).

Wer gegen wen

Der Kläger und Berufungskläger betreibt eine juristische Online-Datenbank und erstrebt eine Gleichbehandlung mit der juris GmbH. Beklagte ist die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesverfassungsgericht. Der Kläger beantragt mit der Berufung die Belieferung durch das BVerfG mit Entscheidungsdaten in identischer Form und zu denselben Bedingungen wie juris. Die juris GmbH ist Beigeladene auf der Beklagtenseite. Es geht um das „Wann“ und das „Wie“ der Datenbereitstellung.

Was bisher geschah

Die juris GmbH erhält vom BVerfG Entscheidungen aufgrund einer Vertragsbeziehung in einem für den Datenbankimport optimierten XML-Format mit Verschlagwortung und Orientierungssätzen und etwas früher als die Fachöffentlichkeit. Sie möchte als Streithelferin des BVerfG diese vertraglichen Privilegien erhalten und auch das BVerfG möchte, dass alles beim Alten bleibt.


Der Kläger stellte im Jahr 2009 einen Antrag auf Belieferung, den das Verfassungsgericht in Bescheidform ablehnte.

Seine Klage vor dem VG Karlsruhe, Az. 3 K 2289/09 wurde mit Urteil vom 03. 11. 2011 abgewiesen, die Berufung wurde zugelassen.

Die strapazierten Paragraphen

Der Kläger stützt sein Ansinnen außer auf Artikel 3 Absatz 1 GG auf § 3 Absatz 1 Satz 1 des Informationsweiterverwendungsgesetzes IWG, welches die PSI-/ Kommerzialisierungsrichtlinie 2003/98/EG (nicht ganz 1:1) umsetzt. Dessen §§ 1 bis 3 lauten auszugsweise:

§ 1 IWG – Anwendungsbereich – (1) Dieses Gesetz gilt für die Weiterverwendung aller bei öffentlichen Stellen vorhandenen Informationen.

(2) Dieses Gesetz gilt nicht für Informationen, (…)

3. deren Erstellung nicht unter die öffentlichen Aufgaben der betreffenden öffentlichen Stelle fällt,

4. die von Urheberrechten oder verwandten Schutzrechten Dritter oder von gewerblichen Schutzrechten erfasst werden, (…)

§ 2 – Begriffsbestimmungen – Im Sinne dieses Gesetzes (…)

3. ist Weiterverwendung jede Nutzung von Informationen, die über die Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe hinausgeht und in der Regel auf die Erzielung von Entgelt gerichtet ist; (…)

§ 3 – Gleichbehandlungsanspruch – (1) Jede Person ist bei der Entscheidung über die Weiterverwendung vorhandener Informationen öffentlicher Stellen, die diese zur Weiterverwendung zur Verfügung gestellt haben, gleich zu behandeln. Ein Anspruch auf Zugang zu Informationen wird durch dieses Gesetz nicht begründet.

(2) Werden Informationen von öffentlichen Stellen als Ausgangsmaterial für eigene Geschäftstätigkeiten weiterverwendet, gelten hierfür die gleichen Entgelte und Bedingungen wie für andere Personen.

(3) Dürfen die Informationen weiterverwendet werden, sind sie in allen angefragten Formaten und Sprachen, in denen sie bei der öffentlichen Stelle vorliegen, zur Verfügung zu stellen; soweit möglich sind sie elektronisch zu übermitteln. (…)

(4) Regelungen über die Weiterverwendung von Informationen öffentlicher Stellen dürfen keine ausschließlichen Rechte gewähren. Dies gilt nicht, wenn zur Bereitstellung eines Dienstes im öffentlichen Interesse ein ausschließliches Recht über die Weiterverwendung von Informationen erforderlich ist. (…) Bestehende ausschließliche Rechte, die nicht unter Satz 2 fallen, erlöschen mit Ablauf der Regelung, spätestens jedoch am 31. Dezember 2008.

§ 5 Absatz 1 UrhG lautet: „Gesetze, Verordnungen, amtliche Erlasse und Bekanntmachungen sowie Entscheidungen und amtlich verfasste Leitsätze zu Entscheidungen genießen keinen urheberrechtlichen Schutz.“ (sogenannte Gemeinfreiheit).

Ein Vorrang für § 5 UrhG oder §§ 1 ff. IWG für etwaige Kollisionsfälle ist gesetzlich nicht explizit geregelt. Die Auffassungen der Beteiligten differieren in diesem Punkt naturgemäß stark.

Die Ablehnungsgründe des BVerfG

Die beklagte BRD, vertreten durch das BVerfG, verwies den Kläger auf den kostenlosen Download der Entscheidungen von der Homepage und lehnte eine Datenlieferung in gleicher Weise wie an juris ab. Sie sah sich daran durch eine vertragliche Ausschließlichkeitsvereinbarung gehindert. Einen Gleichbehandlungsanspruch nach § 3 Absatz 1 IWG erkannte sie nicht an, weil das IWG aus folgenden Gründen nicht anwendbar sei: Es fehle an einer Weiterverwendung im Sinne des § 2 Nr. 3 IWG, da die juris GmbH mit der Online-Publikation eine originäre öffentliche Aufgabe des BVerfG als dessen Verwaltungshelferin wahrnehme, wogegen die kommerzielle Nutzung nur einen begünstigenden Reflex darstelle. Die Verschlagwortung und die Strukturierung der Daten im BVerfG nach juris-Vorgaben begründe ein Urheberrecht der juris-GmbH, so dass § 1 Absatz 2 Nr. 4 IWG eingreife. Zudem sei ein exklusives Verwertungsrecht für juris erforderlich im Sinne des § 3 Absatz 4 Satz 2 IWG, nämlich für die Bereitstellung der Urteile in der juris-Datenbank nach den Wünschen der Gerichte. – Dem folgte das VG Karlsruhe, dessen Entscheidung am 07. 05. 2013 vor dem 10. Senat des VGH Mannheim zur Berufungsverhandlung anstand.

Aus der Verhandlung

Es kamen namhafte Künstler der Textinterpretation zusammen, um die Argumente anschaulich auszubreiten und den 10. Senat von ihren Auffassungen zu überzeugen. Den Vorsitz führte Klaus Lernhart, Beisitzer war RiVGH Christian Paur und Berichterstatter war Professor Dr. Friedrich Schoch, Herausgeber des Beck‘schen IFG/IWG-Kommentares, von der Universität Freiburg. Für den Kläger traten Dr. Clemens Antweiler von RWP und der Urheberrechtler Dr. Michael Nielen von Maucher Börjes Jenkins in den Ring. Das Bundesverfassungsgericht wurde vertreten durch Ministerialrat Wolfgang Rohrhuber, Leiter der EDV und Dokumentationsstelle des BVerfG, und den Fachdokumentar ORR Schmitt. Von Freshfields Bruckhaus Deringer nahmen Klaus Beucher und Dr. Sibylle Gering die Interessen der Beigeladenen juris GmbH wahr. Auf Bitten des Gerichts erläuterte Herr Rohrhuber anschaulich die Arbeitsweise und Besetzung der juris-Dokumentationsstelle des BVerfG. Der Vorsitzende gliederte dann die Rechtsfragen des Falles folgendermaßen auf.

Die Prüfungsfragen des VGH

Vorab werden die Zulässigkeit der Berufung trotz Einschränkung des Streitgegenstandes und die Zulässigkeit der Klage als allgemeine Leistungsklage erörtert. Dann werden die möglichen Anspruchsgrundlagen Artikel 3 Absatz 1 GG und § 3 Absatz 1 Satz 1 IWG geprüft. Der Senat werde über den möglichen Ausschluss des IWG nach dessen § 1 Absatz 2 Nr. 4 wegen entgegenstehender Urheberrechte Dritter beraten. Als Vorfrage werde der Urheberrechtsschutz der begehrten Daten trotz § 5 Absatz 1 UrhG zu klären sein. Einige Kernfragen lauteten: Sind die Zusätze zu den Entscheidungen, welche die Dokumentationsstelle erarbeitet, „amtlich verfasste Leitsätze“? Ist die Aufzählung in § 5 Absatz 1 UrhG abschließend? Können Leitsätze, Titelzeilen, Orientierungssätze und Schlagwortzuordnungen insgesamt als „Leitsätze“ im Sinne des § 5 UrhG angesehen werden? Nachdem die Fachdokumentare Juristen im Dienste des BVerfG sind, sind deren Arbeitsergebnisse „amtlich“ verfasst? – An dieser Stelle wurde betont, dass sie entweder privat oder amtlich sein müssen, halbamtlich sei nicht möglich.

Als nächster Fragenkomplex sei zu prüfen, ob überhaupt eine Weiterverwendung im Sinne von IWG und PSI-Richtlinie vorliege, insbesondere ob juris als Verwaltungshelferin mit der Online-Publikation nur eine öffentliche Aufgabe des BVerfG erfülle oder damit auch kommerzielle Zwecke verfolge. Der Senat berate dann, ob der juris-Vertrag von 1992 als Ausschließlichkeitsvereinbarung im Sinne des § 3 Absatz 4 Satz 2 IWG einer Gleichbehandlung entgegenstehe. Dazu gehörten die Vorfragen, ob die Ausschließlichkeit aufgrund von „Marktversagen“ – noch – erforderlich sei und ob die weitere Erforderlichkeit nach § 3 Absatz 4 Satz 3 turnusmäßig evaluiert wurde.

Letztlich sei zu erwägen, ob eine Auslegung des IWG im Sinne des Beklagtenvortrages europarechtskonform wäre oder ob die umfassende Ausschreibungspflicht, wie sie der EuGH propagiere, dem Fortbestand der Privilegien entgegenstehe.

Die Beklagtenseite bestand darauf, das IWG unangewendet zu lassen, klar zwischen „Leitsätzen“ und „Orientierungssätzen“ zu differenzieren und das Urheberrecht der Dokumentare an Letzteren nicht zu ignorieren. Das Ergebnis der Argumentation der Beklagten wäre, dass das Entgegenkommen zugunsten des ersten Verwerters der Entscheidungen des BVerfG bewirkte, dass weitere Mitbewerber nicht mit dem Ersten gleichbehandelt werden müssten; sie dürften mit bloßen Rohdaten beliefert werden.

Dies könnte man teleologisch hinterfragen: Stehen Sinn und Zweck der Kommerzialisierungsrichtlinie so einer Auslegung entgegen? Oder umfasst der Wortlaut von Richtlinie und IWG „sehenden Auges“ gerade auch solche Formen der Privilegierung? Um Fragen dieser Art kreiste das Prozessgeschehen auch während der Hauptverhandlung. Beweisanträge wurden nicht gestellt. Der Senatsvorsitzende regte keine Vergleichsverhandlungen an, gewährte keinen Schriftsatznachlass und kündigte die Zustellung einer Entscheidung an die Parteivertreter sowie eine nachfolgende Pressemitteilung an.

Nachtrag

Und solange noch Prognosen zum Verfahrensausgang gestellt wurden, erließ der VGH folgenden Urteilstenor: „Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 3. November 2011 – 3 K 2289/09 – geändert. Der Bescheid der Beklagten vom 21. Juli 2009 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin sämtliche Entscheidungen, die sie der Beigeladenen seit dem 1. Juni 2009 zum Zwecke der Veröffentlichung zur Verfügung gestellt hat, zu denselben Bedingungen und in derselben Form, wie sie der Beigeladenen zur Verfügung gestellt wurden, zu übermitteln.“ Die Revision wurde zugelassen. Damit ist geklärt, wie die Prüfung der oben genannten Fragen ausgegangen ist. Offen bleibt nun noch: Wird es eine „Episode 3“ vor dem BVerwG geben? Und könnte das BVerfG im Falle eines Unterliegens Verfassungsbeschwerde erheben?

 

Dr. Alexander Konzelmann

Leiter der Boorberg Rechtsdatenbanken RDB, Stuttgart
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