15.03.2012

Staatsdiener steigern Betriebsgröße

Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes zählen bei Schwellenwerten mit

Staatsdiener steigern Betriebsgröße

Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes zählen bei Schwellenwerten mit

Beschäftigte des öffentlichen Dienstes haben auf die Zahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder Einfluss. | © pressmaster - Fotolia
Beschäftigte des öffentlichen Dienstes haben auf die Zahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder Einfluss. | © pressmaster - Fotolia

Nachdem das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) im Jahr 2009 vom Gesetzgeber geändert worden war, hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) nunmehr erstmals Gelegenheit, die damals neugeschaffene Regelung des § 5 Abs. 1 Satz 3 BetrVG auszulegen. Und wie nicht anders zu erwarten, sind in Privatbetrieben eingesetzte Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes künftig zumindest bei den Schwellenwerten der organisatorischen Vorschriften des BetrVG mitzuzählen (BAG, Beschl. v. 15. 12. 2011, Az.: 7 ABR 65/10). Die aus der Gesetzesänderung resultierenden Folgen können für viele Arbeitgeber weitreichende Konsequenzen haben.

Der Fall

Eine privatrechtlich organisierte Servicegesellschaft erbrachte verschiedene nicht medizinische Dienstleistungen (insbesondere im Wirtschafts- und Versorgungsbereich) für ein als Anstalt des öffentlichen Rechts organisiertes Universitätsklinikum. Dieses war zugleich Alleingesellschafterin der Servicegesellschaft.

Die Servicegesellschaft beschäftigte ca. 750 eigene und – auf Grundlage eines Personalgestellungsvertrags – ca. 460 Arbeitnehmer des Universitätsklinikums. Hintergrund der Personalgestellung durch das Klinikum war, dass dieses die Servicegesellschaft im Jahre 2004 gegründet hatte, jedoch nicht sämtliche im Dienstleistungsbereich des Universitätsklinikums beschäftigten Arbeitnehmer zu einem Arbeitgeberwechsel hin zur Servicegesellschaft bewogen werden konnten.


Der Betriebsrat des Serviceunternehmens war der Auffassung, dass die vom Universitätsklinikum überlassenen Arbeitnehmer bei der Berechnung der Anzahl der vom Arbeitgeber freizustellenden Betriebsratsmitglieder nach § 38 BetrVG mitzuzählen seien. Es sei nicht von ca. 750 Arbeitnehmern, sondern vielmehr von ca. 1.210 Arbeitnehmern auszugehen. Da der für die Freistellung eines dritten Betriebsratsmitglieds nach § 38 Abs. 1 Satz 1 BetrVG maßgebliche Schwellenwert von 901 Arbeitnehmern sodann überschritten wäre, forderte der Betriebsrat vom Arbeitgeber die Freistellung eines weiteren Betriebsratsmitglieds.

BAG gibt Betriebsrat Recht

Der 7. Senat des Bundesarbeitsgerichts teilte die Auffassung des Betriebsrats. Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 BetrVG seien Arbeitnehmer im Sinne des BetrVG Arbeiter und Angestellte einschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten. Als Arbeitnehmer gälten nach § 5 Abs. 1 Satz 3 BetrVG u. a. aber auch Beamte, Soldaten sowie Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes, die in Betrieben privatrechtlich organisierter Unternehmen tätig seien. Diese seien jedenfalls bei den organisatorischen Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes zu berücksichtigen, die auf die Anzahl der Arbeitnehmer des Betriebs abstellen.

§ 38 Abs. 1 BetrVG regele die Zahl der in einem Betrieb mindestens freizustellenden Betriebsratsmitglieder und knüpfe hierzu an die Betriebsgröße an. In Betrieben mit in der Regel 901 bis 1.500 Arbeitnehmern seien mindestens drei Betriebsratsmitglieder freizustellen. Bei der Feststellung der Belegschaftsgröße zählten die in § 5 Abs. 1 Satz 3 BetrVG genannten Personen mit.

Im vorliegenden Fall habe die Servicegesellschaft bei der Berechnung der Betriebsgröße daher die der Servicegesellschaft vom Universitätsklinikum gestellten Arbeitnehmer zu berücksichtigen. Der Arbeitgeber habe dementsprechend ein weiteres, drittes Betriebsratsmitglied freizustellen.

Zweck des Betriebsverfassungsgesetzes

Im August 2009 wurde folgender Satz in die Regelung § 5 Abs. 1 BetrVG eingefügt: „Als Arbeitnehmer gelten ferner Beamte (Beamtinnen und Beamte), Soldaten (Soldatinnen und Soldaten) sowie Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes einschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten, die in Betrieben privatrechtlich organisierter Unternehmen tätig sind.” In § 5 Abs. 3 BetrVG wurde folgender Satz eingefügt: „Für die in Absatz 1 Satz 3 genannten Beamte und Soldaten gelten die Sätze 1 und 2 entsprechend.”

Da Bund, Länder und Kommunen in der Vergangenheit Teile ihrer Aktivitäten in erheblichem Umfang privatisiert bzw. im Rahmen von PPP-Projekten mit privaten Vertragspartnern Gemeinschaftsunternehmen gegründet haben, ist die Bedeutung der Gesetzesänderung größer, als zunächst zu vermuten ist: Während das Schicksal der betroffenen Arbeitnehmer bei Ausgliederungen eines privatrechtlichen Unternehmens auf ein anderes privatrechtliches Unternehmen durch § 613a BGB gelöst wird, erfasst diese Bestimmung Beamte oder Soldaten nicht. Darüber hinaus wird ein Betriebsübergang nach § 613a BGB oftmals auch vermieden; teilweise durch Widerspruch der Mitarbeiter, teilweise durch eine entsprechende rechtliche Gestaltung. Die vorgenannten Personengruppen verbleiben sodann bei dem übertragenden Hoheitsträger. Um den hinter der Ausgliederungsmaßnahme stehenden Zweck doch noch zu erreichen, wird das jeweils mit der zuvor durch den Bund, das Land oder die Kommune ausgeübten Aufgabe betraute Personal anschließend regelmäßig dem Privatunternehmen gestellt; Beamte werden zugewiesen.

Bis zur Änderung des § 5 Abs. 1 BetrVG wurde das solchermaßen dem Privatunternehmen überlassene und in dieses integrierte Personal grundsätzlich weder betriebsverfassungsrechtlich noch mitbestimmungsrechtlich wie Arbeitnehmer des Privatunternehmens behandelt. Da dieses Ergebnis oftmals nicht als richtig empfunden wurde, wurde § 5 Abs. 1 BetrVG wie oben dargestellt geändert, um die Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes im Falle einer Zuweisung an privatrechtlich organisierte Einrichtungen dem Anwendungs- und somit Schutzbereich des Betriebsverfassungsgesetzes zu unterwerfen (vgl. weitergehend Heise/Fedder, NZA 2009, 1069 ff.).

Rechtsfolgen und Ausblick

Neben der nunmehr durch das BAG festgestellten zwingenden Beachtung der einem Privatunternehmen gestellten Arbeitnehmer bei der Berechnung der Schwellenwerte des § 38 BetrVG sowie der sonstigen Schwellenwerte des BetrVG (beispielsweise bei der Berechnung der Anzahl der Betriebsratsmitglieder nach § 9 BetrVG) dürfte die Änderung des § 5 Abs. 1 BetrVG und die damit verbundene betriebsverfassungsrechtliche Eingliederung der betroffenen Personen noch weitreichendere Folgen haben.

In konsequenter Anwendung der betriebsverfassungsrechtlichen Vorschriften sind die gestellten Arbeitnehmer, sofern sie nur das 18. Lebensjahr vollendet haben, kraft der umfassenden Gleichstellung mit Arbeitnehmern des Betriebes sofort bei Betriebsratswahlen wahlberechtigt (§ 7 Satz 1 BetrVG) und spätestens nach einer Betriebszugehörigkeit von sechs Monaten auch wählbar (§ 8 BetrVG). Ebenso wählen und zählen die neuen Arbeitnehmer auch bei der Errichtung von Aufsichtsräten nach den Mitbestimmungsgesetzen und sind zudem in den Aufsichtsrat wählbar.

Als „vollwertige” Arbeitnehmer werden die zugewiesenen Personen auch in vollem Umfang von Betriebsrat bzw. Sprecherausschuss vertreten. Das gilt beispielsweise für Einstellungen, Versetzungen und Arbeitszeitregelungen sowie für die Mitbestimmung in allen anderen – insbesondere den sozialen und wirtschaftlichen – Angelegenheiten. Beamte, Soldaten usw. können mithin grundsätzlich in etwaigen Interessenausgleichen bedacht werden bzw. Ansprüche aus Sozialplänen wie auch aus anderen Betriebsvereinbarungen haben.

Fazit

Mit einem Federstrich hat der Gesetzgeber – zumindest in betriebsverfassungsrechtlicher Hinsicht – vielen privaten Arbeitgebern eine große Zahl neuer Arbeitnehmer beschert. Durch die Entscheidung des BAG dürfte feststehen, dass Betriebs- und Aufsichtsräte größer werden und es zu mehr Freistellungen kommen wird. Ob und inwiefern den Privatunternehmen Mehrbelastungen durch die Inanspruchnahme der betrieblichen Regelungen durch die gestellten Arbeitnehmer drohen, hängt vom Einzelfall ab. Hier sollten die Unternehmen prüfen, ob der Anwendungsbereich der betrieblichen Regelungen ggf. auf die eigenen Arbeitnehmer begrenzt werden sollte.

 

Sebastian Fedder

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Hannover/Leipzig
 

Thorsten Tilch

Rechtsanwalt, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Leipzig
n/a