15.03.2012

Daseinsvorsorge und EU-Beihilfeverbot

„Almunia”-Paket: Vollkostenausgleich oder Optimierungszwang?

Daseinsvorsorge und EU-Beihilfeverbot

„Almunia”-Paket: Vollkostenausgleich oder Optimierungszwang?

Reform des \"Monti-Kroes\"-Pakets: Beihilfenrecht für gemeinwohlorientierte Tätigkeiten bleibt fragil. | © RealPhotoItaly - Fotolia
Reform des \"Monti-Kroes\"-Pakets: Beihilfenrecht für gemeinwohlorientierte Tätigkeiten bleibt fragil. | © RealPhotoItaly - Fotolia

Am 31. 01. 2012 ist das neue Legislativpaket der Europäischen Kommission für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (DAWI), dem europäischen Äquivalent zum Begriff „Daseinsvorsorge”, in Kraft getreten. Mit diesem werden die beihilfenrechtlichen Grenzen für die öffentliche Finanzierung dieser Leistungen neu justiert. Im Unterschied zur Vorgängerregelung, dem „Monti-Kroes”-Paket, verfolgt das neue Legislativpaket einen differenzierteren beihilfenrechtlichen Ansatz, der einerseits die Regeln für die Finanzierung von DAWI von geringem Umfang oder mit rein sozialer Zielsetzung vereinfachen und andererseits bei größeren Ausgleichsbeträgen die Wettbewerbserwägungen stärker berücksichtigen will. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche Grenzen das „Almunia”-Paket der öffentlichen Finanzierung von DAWI setzt. Unterliegen öffentliche Daseinsvorsorgeleistungen einem beihilfenrechtlichen Optimierungszwang oder ist ein Vollkostenausgleich des tatsächlichen Betriebsdefizits gemeinwohlorientierter Dienstleistungen möglich?

Freistellungen vom Beihilfenverbot für DAWI

Das Beihilfenverbot in Art. 107 Abs. 1 AEUV gilt selbst für rein lokale Daseinsvorsorgeangebote, sofern ein potentieller Marktbezug besteht. In der Entscheidungspraxis europäischer Institutionen wurden bislang nahezu alle DAWI-Angebote als wirtschaftliche Tätigkeiten mit Marktbezug eingestuft. Was ein Überleben dauerdefizitärer kommunaler Daseinsvorsorgeeinrichtungen trotz europäischen Beihilfenverbots möglich macht, sind die auf der Rechtsgrundlage von Art. 106 Abs. 2 AEUV geschaffenen Freistellungsmöglichkeiten vom Beihilfenverbot für DAWI.

Art. 106 Abs. 2 AEUV bestimmt, dass allgemeinwohlorientierte Dienstleistungen von den Wettbewerbsvorschriften, einschließlich des Beihilfenverbots, ausgenommen werden können, wenn ein Unternehmen einerseits mit besonderen Allgemeinwohlaufgaben betraut ist und andererseits die Erfüllung der besonderen Aufgaben durch die Einhaltung der EU-Wettbewerbsregeln verhindert würde. Freistellung bedeutet demnach keine vorbehalts- und grenzenlose Finanzierungsmöglichkeit für DAWI. Vielmehr beschreiben Freistellungsakte erst die Voraussetzungen, bei deren strikter Einhaltung der gewährte Ausgleich mit dem gemeinsamen Binnenmarkt vereinbar ist. Nur wenn alle Voraussetzungen kumulativ eingehalten werden, greift die Ausnahme von den Wettbewerbsvorschriften.


Ausnahme vom Beihilfenverbot gem. EuGH-Urteil „Altmark Trans“

Ausgangspunkt der beihilfenrechtlichen Freistellungen für DAWI ist das bahnbrechende Urteil des EuGH vom 24. 07. 2003 in der Rechtssache C-280/00 „Altmark Trans”, mit welchem die Voraussetzungen von Art. 106 Abs. 2 AEUV präzisiert wurden, bei deren Vorliegen der Ausgleich von Verlusten für die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse schon tatbestandlich keine verbotenen Beihilfen nach Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellen. Ausgleichsleistungen, die die „Altmark Trans”-Kriterien erfüllen, sind somit schon per se keine verbotenen Beihilfen und müssen daher auch nicht bei der Kommission angemeldet werden.

Für den zuverlässigen Ausschluss des Beihilfentatbestandes fordert das vierte „Altmark Trans”-Kriterium, dass der Ausgleich nicht die entsprechenden Kosten eines „durchschnittlich gut geführten” Unternehmens übersteigen darf. Literatur und europäische Entscheidungspraxis sind sich seit langem einig, dass dieser Kostenmaßstab nur durch einen analytischen Vergleich mit der Kostenstruktur der nachweislich effizientesten Unternehmen im relevanten Markt ermittelt werden kann. „Altmark Trans”-Niveau bedeutet demnach, dass ein DAWI-Unternehmen im Zeitpunkt der Ausgleichsgewährung zu nachweislich wettbewerbsfähigen Kosten produziert. Neben dem erheblichen Aufwand für den analytischen Nachweis dieses Kostenniveaus werden die allermeisten öffentlichen Unternehmen diesen Maßstab i.d.R. auch schon aufgrund ihrer im Vergleich zum Wettbewerbsniveau höheren Personalkosten und den marktunüblichen Zusatzkosten aus den Versorgungskassen nicht erreichen.

Freistellung vom Beihilfenverbot gemäß dem 1. Legislativpaket der Europäischen Kommission

Die Europäische Kommission reagierte im Jahre 2005 mit dem „Monti-Kroes”-Paket auf die praktischen Umsetzungsschwierigkeiten der „Altmark Trans”-Kriterien insbesondere beim zulässigen Kostenniveau. Sie legte in der Freistellungsentscheidung Nr. 2005/842/EG und dem Gemeinschaftsrahmen 2005/C 297/04 vereinfachte Ausgleichsbedingungen fest, nach denen Ausgleichsleistungen für DAWI zwar weiterhin Beihilfen waren, aber anhand der Voraussetzungen des Pakets europarechtlich legalisiert werden konnten.

Gemäß der Freistellungsentscheidung Nr. 2005/842/EG waren Beihilfen an Krankenhäuser, für den sozialen Wohnungsbau oder unterhalb eines jährlichen Ausgleichsvolumens von 30 Mio. € in Verbindung mit einer maximalen Umsatzschwelle von 100 Mio. € des jeweiligen Empfängerunternehmens ohne jeden Optimierungszwang in den Grenzen eines ordnungsgemäßen Betrauungsakts von der Notifizierungspflicht befreit. Für alle anderen Beihilfen für DAWI galt weiterhin die Notifizierungspflicht, wobei aber die Genehmigungsvoraussetzungen im Gemeinschaftsrahmen 2005/C 297/04 dem Vollkostenansatz der Freistellungsentscheidung Nr. 2005/842/EG entsprachen.

Vollkostenausgleich bedeutet, dass der beihilfenrechtlich zulässige Ausgleich im Rahmen einer Kostenallokationsmethode durch Saldierung der berücksichtigungsfähigen Ist-Kosten mit den berücksichtigungspflichtigen Ist-Einnahmen der Dienstleistung festgestellt werden darf. Lediglich wenn das betroffene Unternehmen neben der gemeinwohlorientierten Dienstleistung noch weitere marktbezogene Tätigkeiten ausübt, muss über eine strikte Trennungs- und Kostenrechnung sichergestellt werden, dass der Ausgleich auf die tatsächlichen Kosten der gemeinwohlorientierten Tätigkeit begrenzt ist. Zwar ist auch hier kein völlig unbegrenzter Ausgleich von Verlusten möglich, aber die tatsächlichen Ist-Kosten der gemeinwohlorientierten Dienstleistung dürfen ohne Optimierungszwang vollumfänglich ausgeglichen werden.

Verschärfung des Kostenmaßstabs durch das neue „Almunia“-Paket

Mit dem neuen Legislativpaket vom 20. 11. 2011 verfolgt die Kommission nun einen differenzierteren Ansatz: Allein für Beihilfen, die eine rein soziale Zwecksetzung verfolgen oder die einen jährlichen Ausgleichsbetrag von jetzt nur noch 15 Mio. € nicht überschreiten, hält die Kommission in ihrem neuen „Freistellungs”-Beschluss Nr. 2012/21/EU, der an die Stelle der Freistellungsentscheidung Nr. 2005/842/EG tritt, an einem Vollkostenausgleich ohne jeden Optimierungszwang fest.

Beihilfen, die nicht unter den aktuellen Freistellungsbeschluss fallen, müssen nicht nur weiterhin gemäß dem neuen EU-Rahmen Nr. 2012/C 8/03 bei der Kommission notifiziert werden, es werden im Gegensatz zum ehemaligen Gemeinschaftsrahmen 2005/C 297/04 zusätzlich die Wettbewerbserwägungen im Rahmen der Ausgleichsberechnung stärker berücksichtigt. Das bedeutet, anmeldungspflichtige Beihilfen können ab sofort nur noch unter schärferen Ausgleichsvoraussetzungen genehmigt werden.

Idealvorstellung der Kommission im Genehmigungsverfahren ist eine sog. „Net-avoided-cost”-Methode. Sie beruht auf einer Differenzhypothese, wonach die erforderlichen Kosten zur Erfüllung von öffentlichen Dienstleistungen als Differenz zwischen den Nettokosten des Dienstleistungserbringers mit den Gemeinwohlverpflichtungen und den Nettokosten desselben Dienstleistungserbringers ohne diese Verpflichtungen berechnet werden. Ausgleichsfähig sind somit nur kausal auf Gemeinwohlverpflichtungen begründete Kosten der Leistungserstellung. Außerdem sind die Mitgliedstaaten stets verpflichtet, in dem Ausgleichsregelwerk verbindliche Effizienzanreize vorzugeben (in Form von maximalen Höchstbeträgen für den zulässigen Ausgleich oder einer an bestimmte Zielvorgaben geknüpfte Bonus-Malus-Regelung). Beide Vorgaben, die „Net-avoided-cost“-Methode und die verbindliche Anreizvorgabe, zwingen jetzt jedenfalls zu einer wirtschaftlichen Optimierung von DAWI-Unternehmen, deren Finanzierung der Genehmigungspflicht unterliegt.

Fazit: Kaum Vereinfachungen für die Finanzierung von DAWI

Von der noch im Frühjahr 2011 im Konsultationsverfahren groß angekündigten Vereinfachung des Beihilfenregimes für DAWI ist im Ergebnis nicht viel zu spüren. Eine beihilfenrechtskonforme Finanzierung jeglicher Art von DAWI bleibt weiterhin von der Aufstellung eines in der praktischen Umsetzung anspruchsvollen, ordnungsgemäßen Betrauungsakts abhängig. Mit Blick auf das maximal ausgleichsfähige Kostenniveau gilt nur für Beihilfen mit sozialer Zielsetzung oder bis maximal 15 Mio. € jährlicher Ausgleichsumme im Rahmen des Freistellungsbeschlusses Nr. 2012/21/EU ein Vollkostenmaßstab ohne zusätzlichem beihilfenrechtlichem Optimierungszwang. Damit haben sich die beihilfenrechtlichen Grenzen für die allermeisten, oft kommunalen, defizitären gemeinwohlorientierten Tätigkeiten, wie Krankenhäuser, sozialen Wohnungsbau, Kindergärten, Schwimmbäder, Sportstätten und Kultureinrichtungen, zwar nicht verschärft, sie haben aber auch keine Vereinfachung erfahren.

Außerhalb des Freistellungsbeschlusses, sei es bei der Prüfung, ob gemäß den „Altmark Trans”-Kriterien des EuGH überhaupt eine Beihilfe vorliegt, oder im Genehmigungsverfahren vor der Europäischen Kommission, gilt für die Finanzierung von DAWI jetzt immer ein beihilfenrechtlicher Optimierungszwang. Insofern stellt das neue „Almunia”-Paket sowohl mit Blick auf die Höhe des von der Notifizierungspflicht freigestellten jährlichen Ausgleichsvolumens als auch mit Blick auf das Optimierungsgebot für genehmigungspflichtige Ausgleichsleistungen im Genehmigungsverfahren eine eindeutige Verschärfung gegenüber den Vorgängerregelungen im „Monti-Kroes-Paket” dar.

 

Dr. Jan Deuster

Rechtsanwalt Becker Büttner Held, Köln
 

Dr. Christian Jung

LL.M., Rechtsanwalt Becker Büttner Held, Köln
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