15.03.2012

Die Pflicht zum Einschreiten bei Baulärm

Aktuelle Rechtsprechung und Anforderungen an die Verwaltungsbehörden

Die Pflicht zum Einschreiten bei Baulärm

Aktuelle Rechtsprechung und Anforderungen an die Verwaltungsbehörden

Besonders von Großbaustellen kann massiver Baulärm ausgehen. | © Jakob Kamender - Fotolia
Besonders von Großbaustellen kann massiver Baulärm ausgehen. | © Jakob Kamender - Fotolia

Baustellenlärm in Wohngebieten birgt nicht nur miet-, immobilien- und nachbarrechtliches Konfliktpotential, sondern zunehmend auch öffentlich-rechtliche Fragestellungen. In aktuellen Urteilen des VG Frankfurt (Beschluss vom 21. 04. 2011 – 8 L 858/11.F, IBR 2011, 1093 sowie vom 11. 07. 2011 – 8 L 1728/11, IBR 2011, 1366) und des Hessischen VGH (Beschluss vom 31. 05. 2011 – 9 B 1111/11, IBR 2011, 487) werden diese verwaltungsrechtlichen Probleme thematisiert und konkrete Handlungspflichten für die Gemeinden bzw. die Bauaufsichtsbehörden definiert.

Baulärm, der gewisse Grenzwerte überschreitet, zwingt die öffentliche Verwaltung zu einem behördlichen Einschreiten. Die Grundsätze der aktuellen Rechtsprechung und die sich daraus ergebenden Folgen für die öffentliche Verwaltung werden in diesem Beitrag näher dargestellt.

Abwehr von Baulärm in Wohngebieten

Gerade in großen Städten erfolgen zahlreiche Neubauten, Restrukturierungs- und Umbaumaßnahmen innerhalb von bestehenden Wohngebieten. Insbesondere größere Baustellen mit umfangreichen Abrissarbeiten erzeugen massiven Baulärm. Hier entsteht ein Konflikt zwischen dem Interesse des Bauherrn auf rasche Durchführung seines Bauvorhabens und dem Interesse der Anwohner auf Schutz vor dem entstehenden Baulärm. Neben der Wohnbebauung können von dem Baulärm auch Kindergärten, Schulen, Pflege- und Senioreneinrichtungen oder Krankenhäuser betroffen sein. Bislang wurde dieser Konflikt oft im Bereich des Privatrechts ausgetragen. Die aktuelle Rechtsprechung sieht jedoch zunehmend auch die öffentliche Verwaltung in der Pflicht, schützend gegen Baulärm vorzugehen. Rechtliche Instrumentarien hierzu bieten sowohl das Immissionsschutzrecht als auch das Bauordnungsrecht. Die Maßnahmen können von zeitlichen Begrenzungen für die Baumaschinen über den Einsatz bestimmter Dämmmaßnahmen bis hin zur kompletten Stilllegung der lärmträchtigen Baustelle gehen.


Einschreiten aufgrund BImSchG

Baulärm stellt eine Lärmimmission im Sinne des Immissionsschutzrechtes dar. Hauptregelwerk für Baulärm ist hierbei das BImSchG mit den Regelungen und Vorgaben der 32. BImSchV (Geräte- und Maschinenlärmschutzverordnung) sowie die AVV Baulärm. Das BImSchG ist vorliegend anwendbar, da eine Baustelle unter den Anlagenbegriff des Gesetzes fällt: eine Baustelle ist eine „nicht genehmigungsbedürftige Anlage” nach §§ 3 Abs. 5, 22 Abs. 1 BImSchG.

Die Regelungen des BImSchG haben drittschützenden Charakter. Von diesen Regelungen geht eine Schutzwirkung zugunsten von Nachbarn und sonstigen Betroffenen gegen Lärmimmissionen aus. Konkrete Regelungen bzw. Richtwerte für die Schädlichkeitsschwelle von Baulärm enthält die AVV Baulärm; die TA Lärm ist indes für Baustellen nicht anwendbar. Darüber hinaus ist auch die 32. BImSchV hinzuzuziehen, die Angaben über Betriebsdauer bestimmter Geräte und Maschinen enthält.

Als Schwellenwert für den Übergang zur Gesundheitsgefährdung gilt generell ein energieäquivalenter Dauerschallpegel von tagsüber 70 dBA. Die Zuständigkeit innerhalb der öffentlichen Verwaltung ergibt sich aus den Regelungen des Immissionsschutzes bzw. der entsprechenden Zuständigkeitsverordnungen auf Landesebene. Der von der Baustelle ausgehende Lärm stellt eine schädliche Umwelteinwirkung im Sinne des BImSchG dar, der die Behörde zu entsprechenden Schutzmaßnahmen verpflichtet. Die Behörde muss dafür sorgen, dass die Richtwerte auch tatsächlich eingehalten werden.

Richtwerte und Lärmgrenzen

Die AVV Baulärm setzt für verschiedene Gebietsarten im Sinne des Baurechts unterschiedlich hohe Immissionsrichtwerte fest. Die Festsetzung der Baugebiete nach der AVV Baulärm richtet sich grundsätzlich nach dem Bebauungsplan. Wenn jedoch die tatsächliche bauliche Nutzung im Einwirkungsbereich der lärmträchtigen Anlage bzw. der Baustelle erheblich von der im Bebauungsplan festgesetzten Nutzung abweicht, ist von der tatsächlichen Nutzung auszugehen. Im Fall des VGH Hessen (Beschluss vom 31. 05. 2011 – 9 B 1111/11) führte eine Untersuchung dazu, dass trotz der planerischen Festsetzung als Allgemeines Wohngebiet aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten die Lärmrichtwerte für Kerngebiete maßgeblich waren. Das VG Frankfurt (Beschluss vom 11. 07. 2011 – 8 L 1728/11) nahm zur Klärung dieser Frage eine gerichtliche Inaugenscheinnahme des betroffenen Gebiets, eine Einsicht in den Bebauungsplan sowie Recherchen beim Einwohnermeldeamt vor.

Konkrete behördliche Maßnahmen nach BImSchG

Nach dem Beschluss vom 21. 04. 2011 – 8 L 858/11.F des VG Frankfurt hatte die Behörde sicherzustellen, dass auf der konkreten Großbaustelle Geräte und Maschinen an Sonn- und Feiertagen ganztägig sowie an Werktagen von 20:00 bis 7:00 Uhr nicht betrieben werden. Weiter war auch durch Lärmmessungen und Dokumentation in Behördenakten die Gesamtbelastung des Baustellenlärms zu kontrollieren. Mögliche Maßnahmen sind auch zeitliche Arbeitsbeschränkungen, Auflagen über die Ausführungen der Bautätigkeit sowie permanente Lärmüberwachung und Dokumentationspflichten.

Einschreiten aufgrund Bauordnungsrechts

Neben den Regelungen des Immissionsschutzrechts ist die Stilllegung einer Baustelle nach den Maßgaben des landesrechtlich normierten Bauordnungsrechts möglich. Die entsprechende Ermächtigungsgrundlage in Hessen ist die bauordnungsrechtliche Generalklausel des § 53 Abs. 2 S. 2 HBO.

Konkrete Maßnahmen nach Bauordnungsrecht

In dem angesprochenen Fall des VG Frankfurt (Beschluss vom 11. 07. 2011 – 8 L 1728/11) verfügte die Bauaufsichtsbehörde, alle Baumaschinen auf der besagten Baustelle sofort stillzulegen und drohte ein Zwangsgeld in Höhe von 25.000 Euro an. Auch wurde die sofortige Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO angeordnet. Die Bauaufsichtsbehörde stützte ihre Anordnung darauf, dass eine „konkrete Gefahr”, hier in Form einer der Verletzung des § 10 Abs. 1 HBO, vorlag. Die Vorschrift des § 10 Abs. 1 HBO enthält die allgemeinen Anforderungen an das Errichten und Betreiben von Baustellen. Gefahren, vermeidbare Nachteile oder vermeidbare Belästigungen dürfen bei Baustellen nicht entstehen. „Nachteil” und „Belästigung” sind wiederum immissionsschutzrechtliche Begriffe. Wie bereits dargelegt, ist die AVV Baulärm zur Konkretisierung des Baustellenlärms als schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des § 22 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG heranzuziehen. Im genannten Fall handelte es sich um eine Großbaustelle in einem rechtlich und auch tatsächlich als allgemeines Wohngebiet definierten Bereich. Hierfür gelten nach Nr. 3.1.1.d AVV Baulärm tagsüber Richtwerte von 55 dBA. Vorliegend wurden jedoch Werte von bis zu 79 dBA festgestellt. Um den Baulärm, der hierdurch bereits eine Gesundheitsgefährdung darstellte, zu unterbinden, hatte die Bauaufsichtsbehörde mit der sofortigen Stilllegung der Baustelle das alleinig geeignete, erforderliche und angemessene Mittel gewählt, um bauordnungsgemäße Zustände herzustellen. Mildere Mittel waren nicht ersichtlich. Zu beachten ist auch, dass nach der Rechtsprechung wegen der Gesundheitsgefährdungen durch die erreichten Schallwerte der Sofortvollzug anzuordnen war. Das Bauordnungsrecht bietet daher weitreichende Handlungsoptionen und ggf. -pflichten der Behörden und Gemeinden.

Fazit

Baulärm, wie er insbesondere auch von Großbaustellen ausgeht, kann zu einem behördlichen Einschreiten nach dem BImSchG oder dem Bauordnungsrecht führen. Bei der Beurteilung der Immissionsrichtwerte muss hierbei aber auch auf die tatsächliche Nutzung des betroffenen Gebiets abgestellt werden. Die bloße Beurteilung anhand des Bebauungsplans ist nicht immer ausreichend.

Die Verwaltungsbehörden müssen Nachbarbeschwerden über Baulärm ernst nehmen, Messungen und Vorortuntersuchungen vornehmen und ggf. entsprechende Maßnahmen ergreifen.

Im Einzelfall ist das Ermessen der Behörde für ein Einschreiten auf null reduziert. Wenn eine Lärmbelastung von Baustellen ausgeht, muss die Behörde die erforderlichen Maßnahmen zur Reduzierung dieses Lärms ergreifen.

Der Schutz vor Lärmimmissionen hat einen so hohen Stellenwert, dass bei Überschreitung der Grenzwerte größere Baustellen sogar komplett stillgelegt werden können bzw. auch müssen. Dies kann zu erheblichen Verzögerungen und finanziellen Einbußen im Hinblick auf Bauvorhaben führen. Das Problem des Baustellenlärms ist daher ernst zu nehmen und es sind möglichst bereits im Vorfeld geeignete Maßnahmen zu treffen, um diesen zu reduzieren. Dies gilt selbstverständlich auch für die öffentliche Verwaltung, die als Bauherr in Erscheinung tritt.

 

Dr. Bastian Hirsch

Fachbereichsleiter der Bauaufsicht einschließlich der Unteren Denkmalschutzbehörde sowie der Unteren Immissionsschutzbehörde des Hochtaunuskreises
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