15.03.2012

Der KombiBus – Lebensqualität erhalten

Schlüsselinfrastruktur bei der Bewältigung des demografischen Wandels

Der KombiBus – Lebensqualität erhalten

Schlüsselinfrastruktur bei der Bewältigung des demografischen Wandels

Mit dem KombiBus werden Güter- und Personenverkehr kombiniert. | © KombiBus
Mit dem KombiBus werden Güter- und Personenverkehr kombiniert. | © KombiBus

Ländliche Regionen bekommen den demografischen Wandel besonders deutlich zu spüren. Um Lebensqualität zu erhalten und auch zukünftig eine tragfähige Daseinsvorsorge zu gewährleisten, bedarf es daher besonderer konzeptioneller Anstrengungen. Der Landkreis Uckermark im Nordosten Brandenburgs wagt diesen Perspektivwechsel – zukünftig werden Güter- und Personenverkehr kombiniert: mit dem KombiBus.

Kombibus kompensiert Versorgungslücken

Der KombiBus-Ansatz stärkt den Öffentlichen Personenverkehr als Schlüsselinfrastruktur und kompensiert gleichzeitig auch Lücken in anderen Versorgungsbereichen. Die gemeinsame Beförderung von Gütern und Personen hat bereits Tradition, vor allem in skandinavischen Ländern. Doch ihre Übertragung auf Deutschland gestaltet sich komplex und birgt Herausforderungen – betrieblich, rechtlich und menschlich.

Seit Oktober 2010 gehen der Landkreis Uckermark und sein kommunales Verkehrsunternehmen, die Uckermärkische Verkehrsgesellschaft mbH (UVG), gemeinsam diesen Weg. Rückendeckung gewährt dabei das Modellvorhaben „Daseinsvorsorge 2030 – innovativ und modern – eine Antwort auf den Demografischen Wandel” des Bundesministeriums des Innern, um dieses anspruchsvolle Vorhaben in die Umsetzung zu begleiten. Dabei sind Entscheidungsträger, Einwohner sowie Mitarbeiter in diesen komplexen Kommunikationsprozess einzubinden und für den Veränderungsprozess zu motivieren.


Ländliche Räume unter vielfachem Druck Schwankungen in der Bevölkerungsgröße hat es schon immer gegeben. Doch nie nahmen sie so dramatische Züge an wie derzeit. Verluste um 20 bis zu 40 Prozent bilden keine Ausnahmen mehr: sinkende Geburtenzahlen, massive Abwanderung vor allem junger Menschen und eine gleichzeitig stattfindende drastische Veränderung der Altersstruktur.

In der Folge können ländliche Regionen immer weniger lebenswichtige Ausstattung am Wohnort bereithalten. Denn dort, wo weniger Menschen leben, wird der Erhalt von Infrastrukturen immer teurer. Für sämtliche Versorgungsnetze steigen die Pro-Kopf-Kosten dramatisch. Um weiterhin wirtschaftlich sein zu können, konzentrieren sich die Einrichtungen an zentralen Standorten mit genügend Kundenpotenzial. Postfiliale, Lebensmittelgeschäft, Bank, Frisör, Arzt und alle anderen ziehen sich aus der Fläche zurück – und lassen weite Landstriche unter- oder gar unversorgt zurück. In manchen Landkreisen in den alten Bundesländern können mittlerweile über 30 Prozent der Einwohner in ihrem eigenen Wohnort keine Waren des täglichen Bedarfs mehr erwerben.

Mit dem Öffentlichen Personenverkehr gegen die Abwärtsspirale

Auch die öffentliche Hand muss ihre Leistungen reduzieren. Die Kassen sind leer; viele ländliche Kommunen können selbst diejenigen Aufgaben, zu denen sie gesetzlich verpflichtet sind, nur unter großer Anstrengung erfüllen. Der Öffentliche Personennahverkehr für „Jedermann” fällt meist als Erstes erheblichen Kürzungen zum Opfer. Die Zahl der Menschen, die aufgrund sinkender Einkommen oder gesundheitlicher Einschränkungen auf Bus und Bahn angewiesen wären, steigt stetig – und gleichzeitig geht das Angebot zurück. Die Gefahr der räumlichen und gesellschaftlichen Exklusion wächst.

Dabei liegt der Schlüssel zur Problemlösung genau in der umgekehrten Richtung: Mit dem Erhalt und der Stärkung des ÖPNV über den Schülerverkehr hinaus ließe sich die Erreichbarkeit von Einrichtungen verbessern, Versorgung sicherstellen, gesellschaftliche Teilhabe gewährleisten und damit insgesamt die Lebensqualität in ländlichen Regionen erhöhen. Im Übrigen bildet ein gutes Mobilitätsangebot für junge Menschen den Haltefaktor Nummer zwei, direkt nach dem Angebot an Arbeitsplätzen.

Innovation mit Tradition – kombinierte Transporte neu gestalten

Aktuell ist der Öffentliche Verkehr in den meisten ländlichen Regionen jedoch nicht in der Lage, diese Schlüsselrolle auszufüllen. Jahrzehntelang standen Material- und Infrastrukturförderung mit öffentlichen Mitteln im Fokus der Anstrengungen. Starre Strukturen – wie etwa zu große Fahrzeuge und überdimensionierte Verkehrsanlagen – lassen den Betrieb, abgesehen vom Schülerverkehr, mit abnehmender Fahrgastzahl immer unwirtschaftlicher werden. Doch statt mit Linien- und Taktkürzungen darauf zu reagieren, sollten stattdessen überschüssige Kapazitäten eine sinnvolle Verwendung finden, etwa indem neben Personen zusätzlich auch Güter befördert werden. Das Paket, der Postsack, die Lebensmittelkiste, verpackte Utensilien und Gegenstände aus dem medizinischen Bereich – all dies passt ohne große Probleme auch in den Linienbus hinein und kann dank festgelegter Fahrpläne verlässlich und meist sogar innerhalb eines Tages transportiert werden. Die Postkutsche und der Postbus verkörperten dieses Prinzip in Deutschland bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein. Skandinavien fährt auch heute noch sehr gut damit, dort macht das Frachtgeschäft der Busunternehmen etwa ein Viertel der Umsätze aus – und das in Regionen mit Einwohnerdichten weit unterhalb der deutschen Minimalwerte. Der öffentliche Busverkehr bildet dort mit seinem regionalen Netz, seiner Linienstruktur und seinen geregelten Abfahrts- und Ankunftszeiten den idealen Partner für alle Versorgungsbereiche, die regelmäßige Transporte aufweisen. Dieser Ansatz lohnt sich auch in Deutschland wieder, denn Kurier-, Paket- und Expressdienstleister wie auch die Transportstrukturen im Gesundheits- und Lebensmittelbereich stoßen hierzulande in dünn besiedelten Regionen an ihre Wirtschaftlichkeitsgrenzen.

Nötige Vorbereitungen für den KombiBus – praktiziert in der Uckermark

Deutsche Verkehrsakteure sind den Umgang mit kombinierten Transporten nicht mehr gewohnt, deshalb müssen zunächst einige Herausforderungen bewältigt werden. In der Theorie funktioniert die zusätzliche Güterbeförderung bereits in jedem Bus, der rollt; doch eine Handvoll Fahrten pro Tag allein im Schülerverkehr dürfte wenig attraktiv sein für Partner, die Transportbedarf haben. Daher sollte zunächst das ÖPNV-Angebot an sich optimiert werden, nach Möglichkeit mittels Einführung eines Integralen Taktfahrplans. Der stellt einerseits die beste bekannte Methode dar, Fahrkomfort und Angebotsqualität zu maximieren. Andererseits bietet er eine ideale Plattform für logistische Abläufe, denn mit seinem System der „Hubs” (Knoten) und „Spokes” (Linien) entspricht er in hohem Maße der güterbezogenen Distributionslogik. Von großer Bedeutung ist weiterhin die Suche nach Partnern, die von den Vorteilen der kombinierten Beförderung überzeugt werden wollen und ihrerseits betriebsimmanente Anforderungen an Fahrzeuge, Infrastruktur und Personal formulieren müssen. Schließlich sind drittens Rollmaterial und Verkehrsanlagen so zu ertüchtigen, dass der Linienbus zukünftig an den gewählten Punkten Fracht zu- und entladen kann, sei es im eigenen Stauraum oder per Fahrzeuganhänger. Und viertens ist das Personal der ÖPNV-Unternehmen auf die ungewohnte Rolle der Personen- und Güterbeförderung einzuschwören.

Die Einführung des KombiBusses – wie übrigens jeder Innovation – kann nur gelingen, wenn sich an der richtigen Stelle Akteure mit Pioniergeist und Veränderungswillen finden. Dies gilt auch für alle Beteiligten im Landkreis Uckermark. Abseits aller technischen, finanziellen und genehmigungsrechtlichen Details bilden Mut und Tatkraft die Hauptzutat, kombinierte Transporte erfolgreich zu implementieren. Vor dem Hintergrund der beschriebenen dramatischen Entwicklungen können sich ländliche Regionen allerdings keine Beharrungs- oder Blockadehaltung mehr leisten. Ihre Zukunft hängt auch entscheidend davon ab, ob sie gewillt sind, sich für innovative und flexible neue Konzepte wie den KombiBus zu öffnen.

Wie geht es nun weiter in der Modellregion Uckermark?

Für den KombiBus in der Uckermark hat seit dem 01. 01. 2012 die offizielle Umsetzungsphase des BMI-Modellvorhabens begonnen. Bis Ende 2013 gilt es zu beweisen, dass sich das erstellte Betriebs- und Finanzierungskonzept in der Praxis behaupten kann. Intensive Gespräche mit Wirtschaftspartnern haben den bisherigen Prozess begleitet. Ziel ist es nun, die Interessensbekundungen in einen Vertragsabschluss münden zu lassen. Hingegen begleitet die UVG den Aufbruch in ein neues Geschäftsfeld aktiv durch Mitarbeiterschulungen und betriebsinterne Kommunikationsmaßnahmen. Kleinräumige Pilot-Vorhaben sollen den vielschichtigen Einstieg erleichtern, um Prozessabläufe für den landkreisweiten Einsatz des KombiBus-Ansatzes zu optimieren. Eine letzte juristische Prüfung unter Berücksichtigung des seit dem 10. 01. 2012 in Kraft getretenen Gesetzes zur Stärkung der kommunalen Daseinsvorsorge des Landes Brandenburg wird zurzeit noch bearbeitet – damit erhält der KombiBus endgültig sein Siegel „Prädikat umsetzungsfähig”.

Der Landkreis Uckermark hat längst erkannt, dass Veränderungen dringend Einzug erhalten müssen. Die Reduzierung des Nahverkehrs auf die ausschließliche Leistungserbringung des Schülerverkehrs kann nicht die langfristige Lösung für das zukünftige Mobilitätskonzept im ländlichen Raum sein. Demnach ist es eine gute Entscheidung, vorhandene Ressourcen des ÖPNV für weitere Dienstleistungserbringung im Rahmen der Daseinsvorsorge zu nutzen statt sie unwiederbringlich abzuschaffen. Hingegen begrüßt die UVG diesen Schritt, um sich als moderner Mobilitätsdienstleister gegenüber den Bürgern der Uckermark zu etablieren und innovativ für die nächste Fahrt im Bus zu werben.

Aktuelle Informationen zum Projekt können unter www.kombibus.de nachgelesen werden. Als Ansprechpartner können Sie sich auch an Frau Britt Stordeur vom Amt für Kreisverwaltung und Wirtschaftsförderung (Tel. 03984–701580; E-Mail: britt.stordeur@uckermark.de) wenden oder an Herrn Lars Boehme, Geschäftsführer Uckermärkische Verkehrsgesellschaft mbH (Tel. 03332–442710; E-Mail: l.boehme@uvg-online.de; www.WirbewegenSie.de).

Prof. Dr. Heiner Monheim, Dr. Christian Muschwitz, Johannes Reimann, Holger Michelmann, Constantin Pitzen, Anja Sylvester 

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