15.03.2012

Allgemeine Altersgrenzen für Beamte

Die EuGH-Entscheidungen „Georgiev” und „Fuchs“

Allgemeine Altersgrenzen für Beamte

Die EuGH-Entscheidungen „Georgiev” und „Fuchs“

EuGH: Der \"Zwangsruhestand\" für Beamte ist grundsätzlich europarechtskonform. | © Murat Subatli - Fotolia
EuGH: Der \"Zwangsruhestand\" für Beamte ist grundsätzlich europarechtskonform. | © Murat Subatli - Fotolia

Das Alter entwickelt sich immer mehr zum praktisch wichtigsten Diskriminierungsmerkmal, noch vor dem lange Zeit dominanten Merkmal „Geschlecht”. Das liegt möglicherweise auch daran, dass es bis zum Inkrafttreten des Verbots von Altersdiskriminierungen in der RL 2000/78/EG und dessen Überhöhung durch den EuGH als „allgemeineuropäischer Rechtsgrundsatz” im Rechtsbewusstsein der meisten Menschen gar nicht unzulässig war, nach dem Alter zu unterscheiden. Ganz im Gegenteil war eine solche Unterscheidung ein Ausdruck von (Generationen-)Gerechtigkeit. Im Zentrum der Diskussion stehen Altersgrenzen, da diesen eine besonders nachhaltige Ausschlusswirkung zugeschrieben wird. Das ist erstaunlich, wurden Altersgrenzen in Deutschland doch über lange Zeit als eine wesentliche Möglichkeit zur „humanen Beendigung des Arbeitsverhältnisses” gesehen. Unter Geltung des Verbots von Diskriminierungen wegen des Alters richtet sich der Blick verstärkt auf das (Persönlichkeits-)Recht der Betroffenen, selbst über den Zeitpunkt der Beendigung seiner Erwerbstätigkeit zu entscheiden.

Problemstellung

Im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz wird die Zulässigkeit einer Befristung von Arbeitsverhältnissen durch allgemeine Pensionsgrenzen in § 10 Satz 3 Nr. 5 AGG behandelt. Die Vorschrift ist dem Umstand geschuldet, dass es im Arbeitsrecht – anders als im Beamtenrecht – keine allgemeine gesetzliche Altersgrenze für den Eintritt in den Ruhestand (sog. Pensionsgrenze) gibt. Demgegenüber erfasst § 10 Satz 3 Nr. 5 AGG keine gesetzlichen Altersgrenzen. Auch über die Verweisung des § 24 AGG findet § 10 Satz 3 Nr. 5 AGG auf Altersgrenzen für Beamte keine Anwendung, da es um normhierarchisch auf gleicher Stufe stehende Regelungen geht. Derartige Pensionsgrenzen unterliegen jedoch dem unionsrechtlichen Verbot von Altersdiskriminierungen gem. Art. 2 RL 2000/78/EG und werfen insoweit eine Vielzahl komplexer und schon aufgrund ihrer Breitenwirkung besonders haftungsträchtiger Fragestellungen auf (ausführlich Adomeit/Mohr, AGG, 2. Aufl. 2011, § 10 Rn. 161 ff).

Vor Inkrafttreten der RL 2000/78/EG wurden Pensionsgrenzen vor allem am Grundrecht der Berufsfreiheit gem. Art. 12 Abs. 1 GG gemessen. In Anwendung der Stufenlehre sah das BVerfG gesetzliche Altersgrenzen grundsätzlich als in der Person des Betroffenen wurzelnde Berufsausübungsvoraussetzungen an. Der EuGH hat nunmehr in zwei Urteilen (EUGH, Entsch. v. 18. 11. 2010, C-250/09 – NJW 2011, 42 – Georgiev und EuGH, Entsch. v. 21. 7. 2011, C-159/10 – NVwZ 2011, 1249 ff. – Fuchs) zur Zulässigkeit allgemeiner Altersgrenzen für die zwangsweise Versetzung in den Ruhestand Stellung genommen und diese nach ausführlicher Prüfung bejaht.


Höchstaltersgrenzen für Universitätsprofessoren

In seiner das bulgarische Recht betreffenden Entscheidung „Georgiev” vom 18. 11. 2010 hat der EuGH eine gesetzliche Verrentungsregelung für Universitätsprofessoren als zulässig angesehen, wonach das Dienstverhältnis mit Erreichen des 65. Lebensjahres vom Arbeitgeber gekündigt werden kann. Das gilt auch, wenn das Gesetz unter bestimmten Umständen eine befristete Weiterbeschäftigung zulässt.

Nachdem dem Kläger mit Vollendung des 68. Lebensjahres gekündigt worden war, erhob dieser Klage gegen die seiner Ansicht nach diskriminierende Befristungsabrede sowie gegen die Kündigung des Dienstverhältnisses. Da der EuGH allgemeine Altersgrenzen als unmittelbare Diskriminierungen wegen des Alters einstuft, sind diese nur zulässig, wenn ein Rechtfertigungsgrund eingreift. Beim Merkmal Alter besteht insoweit die Besonderheit, dass eine Rechtfertigung nicht nur aufgrund „wesentlicher und entscheidender beruflicher Anforderungen” sowie aufgrund allgemeiner Erfordernisse der mitgliedstaatlichen Sicherheit und Ordnung möglich ist, sondern nach Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG auch zur Verwirklichung von Zielen aus dem Bereich der „Sozialpolitik”, sofern die zur Zielerreichung ergriffenen Maßnahmen verhältnismäßig sind und widerspruchsfrei angewendet werden. Zulässige sozialpolitische Ziele können insbesondere aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt oder berufliche Bildung stammen. Dabei kommt den nationalen Gesetzgebern bei allgemeinen Altersgrenzen – anders als bei besonderen, berufsspezifischen Altersgrenzen z. B. für Piloten, die der EuGH in einer spektakulären Entscheidung für unzulässig erklärt hat (EuGH, Urt. v. 13. 9. 2011 – C-447/09, NJW 2011, 3209 – Prigge, für Piloten der Lufthansa) – ein weiter Beurteilungsspielraum zu.

Nach überzeugender Ansicht des EuGH verfolgt die bulgarische Altersgrenze grundsätzlich ein zulässiges sozialpolitisches Ziel, da sie – angesichts des staatlich regulierten Marktes für Professoren und Dozenten – der gerechten Verteilung der zur Verfügung stehenden Stellen auf die Generationen dient und die Qualität der Lehre und der Forschung sichert, indem der Lehrkörper durch Einstellung jüngerer Professoren erneuert wird. Dasselbe gilt für die Möglichkeit einer befristeten Verlängerung der Verträge bis zum 68. Lebensjahr, da der Generationenwechsel dadurch praktikabel und flexibel gestaltet werden kann. Angesichts der nur begrenzten Anzahl von Stellen ist eine Altersgrenze zur Erreichung der vorbenannten Ziele auch geeignet und erforderlich. Der EuGH betont insoweit, dass die Professoren – wenn auch auf Grundlage befristeter Verträge – länger arbeiten dürfen als andere Beschäftigte und beim Eintritt in den Ruhestand durch eine Altersrente auch ausreichend finanziell abgesichert sind.

Allgemeine Altersgrenze für Beamte

Auf Vorlage des VG Frankfurt a. M. hat der EuGH unter dem 21. 7. 2011 klargestellt, dass das Verbot der Altersdiskriminierung auch nicht der Altersgrenze des § 50 HBG entgegensteht, wonach Beamte auf Lebenszeit mit 65 Jahren in den Ruhestand versetzt werden, sofern bei dienstlichem Interesse nicht ausnahmsweise eine Weiterarbeit bis zum 68. Lebensjahr vereinbart wird. Ebenso wie in der Rechtssache „Georgiev” prüfte der EuGH die Rechtfertigung einer unmittelbaren Benachteiligung wegen des Alters gem. Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG. § 50 HBG verfolgt hiernach ein legitimes Ziel, wenn die Norm – wie im Verfahren vorgetragen – angesichts der haushaltspolitisch begrenzten Anzahl von Stellen eine ausgewogene Altersstruktur schaffen will, um die Einstellung und die Beförderung von jüngeren Berufsangehörigen zu begünstigen, die Personalplanung zu optimieren und damit Rechtsstreitigkeiten über die Fähigkeit des Beschäftigten, seine Tätigkeit über ein bestimmtes Alter hinaus auszuüben, vorzubeugen. Dabei stellte der Gerichtshof klar, dass Haushaltserwägungen allein eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters nicht rechtfertigen können. Diese dürfen aber den sozialpolitischen Entscheidungen eines Mitgliedstaats zu Grunde liegen und die Art oder das Ausmaß der von ihm zu treffenden sozialen Schutzmaßnahmen beeinflussen. Der EuGH hat damit die vom VG Frankfurt a. M. vorgebrachten Bedenken entschärft, § 50 HBG diene allein den individuellen Interessen der öffentlichen Arbeitgeber. Denn eine allgemeine Altersgrenze für Beamte entspricht ebenso den Interessen der Betroffenen sowie auch denjenigen der Allgemeinheit an einer leistungsfähigen öffentlichen Verwaltung, selbst wenn sie dem Dienstherren ein gewisses Maß an personalpolitischer Flexibilität einräumt.

Auch bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit haben die Mitgliedstaaten einen weiten Spielraum, der seine Grenze allerdings in einer dauerhaften Aushöhlung des Diskriminierungsschutzes findet. An diesem Erfordernis ist bekanntlich die Ausnahmevorschrift des AGG für geschlechtsspezifische Unterscheidungen in der privaten Versicherung gescheitert, mit der Folge einer allgemeinen Geltung sog. Unisextarife (EuGH, Urt. v. 01. 03. 2011 – C-236/09 – NJW 2011, 907 – Test-Achats). Eine allgemeine Altersgrenze für Beamte ist schließlich auch verhältnismäßig, wenn sie im Hinblick auf das verfolgte Ziel nicht unvernünftig erscheint und die Erreichung dieses Ziels mit angemessenen und erforderlichen Mitteln ermöglicht. Dabei legt der EuGH besonderes Augenmerk auf die Möglichkeit der Teilnahme älterer Arbeitnehmer am Berufs- und damit am wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Leben, da hierdurch zu ihrer persönlichen Entfaltung und zur Lebensqualität beigetragen werde. Demgemäß sieht er als entscheidend an, ob die betroffenen Personen ein angemessenes Ruhegeld erhalten und nach der Pensionierung anderweitige Tätigkeiten wie z. B. diejenige eines Beraters aufnehmen können. Beide Voraussetzungen sind nach deutschem Recht erfüllt. § 50 HBG ist entgegen der Ansicht des VG Frankfurt a. M. schließlich auch nicht inkohärent. Denn die Möglichkeit einer befristeten Weiterbeschäftigung bis 68 Jahre beeinträchtigt nicht das verfolgte Ziel, sondern mildert nur die Auswirkungen der Altersgrenze für die Betroffenen ab.

Ergebnis

Durch die vorstehend geschilderten Entscheidungen ist die Zulässigkeit allgemeiner gesetzlicher Altersgrenzen für Beamte des Bundes und der Länder grundsätzlich geklärt. Noch offen ist beispielsweise die höchst praxisrelevante Frage, ob auch arbeitsvertragliche Vereinbarungen – insbesondere Formulararbeitsverträge – an das Erreichen des gesetzlichen Rentenalters anknüpfen dürfen (dazu näher Adomeit/Mohr, AGG, 2. Aufl. 2011, § 10 Rn. 182).

 

Dr. iur. Jochen Mohr

Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht, Habilitand am Institut für deutsches und europäisches Wirtschafts-, Wettbewerbsund Regulierungsrecht der Freien Universität Berlin
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