31.12.2021

Selbstorganisation und Lernstrategien

Vorschläge für das (digitale) Lernen im Selbststudium

Selbstorganisation und Lernstrategien

Vorschläge für das (digitale) Lernen im Selbststudium

Wer keine Motivation hat, wird sein Ziel nicht erreichen. | © Brian Jackson - stock.adobe.com
Wer keine Motivation hat, wird sein Ziel nicht erreichen. | © Brian Jackson - stock.adobe.com

Die seit mehr als einem Jahr andauernde Corona-Pandemie und die damit verbundene Digitalisierung der Hochschulangebote stellen viele Studierende immer noch vor große Herausforderungen. Der vorliegende Beitrag stellt verschiedene Lerntypen für das Selbststudium vor und beschreibt, warum einer davon im Jurastudium besonders erfolgsversprechend ist. Dabei soll ein besonderes Augenmerk auf im Projekt Selbstorganisation und Lernstrategien erprobte Methoden für das (digitale) Selbststudium gelegt werden.

Auch nach mehr als einem Jahr pandemiebedingter digitaler Lehre berichten Studierende wie Lehrende gleichermaßen von anhaltenden Schwierigkeiten und Herausforderungen für das Studium und die Arbeit im Homeoffice. Neben häufig anekdotischen Berichten und individuellen Erfahrungen zeigen auch wissenschaftliche Begleituntersuchungen, dass Studierende die Onlinelehre im Vergleich zu den eigentlich üblichen Präsenzveranstaltungen überwiegend als Herausforderung und weniger als Chance sehen.

Häufig genannte Probleme betreffen die soziale Isolation vor dem heimischen Rechner, die sich negativ auf die Arbeits- und Leistungsfähigkeit auswirkt sowie eine oft instabile bis mangelhafte Internetverbindung.[1] Diese Ergebnisse decken sich mit unseren eigenen Evaluationsergebnissen, die wir an der Universität Hamburg im Rahmen unseres Projekts Selbstorganisation und Lernstrategien[2] gewonnen haben. Die ausführlichen Ergebnisse sowie Implikationen für die Gestaltung von Onlinelehre können an anderer Stelle nachgelesen werden,[3] hier wollen wir Ihnen primär wertvolle und erprobte Methoden für das erfolgreiche (digitale) Lernen im Selbststudium vorstellen.


Verschiedene Lerntypen

Basierend auf der empirischen Erkenntnis, dass das eigenverantwortliche Selbststudium für Studierende schon in „normalen“ Zeiten eine große Herausforderung darstellt,[4] wurde an der Universität Hamburg das Projekt Selbstorganisation und Lernstrategien konzipiert. Es war das Ziel, Studierenden nachhaltige Ansätze für einen optimierten Lernprozess anzubieten und die Teilnehmenden zu reflektierten Lernstrategien zu befähigen. Maßgeblich stützte sich das Projekt auf die Vorarbeiten von Stadler/Broemel,[5] welche den idealen Lerntyp des „strategischen Tiefenlerners“ identifizieren. Studierende dieses Lerntyps sind nachgewiesenermaßen erfolgreich im Jurastudium (gemessen an der Note). Charakterisierend für strategische Tiefenlerner ist, dass sie eine niedrige Oberflächenorientierung und eine hohe Ausprägung des strategischen und Tiefenlernstils aufweisen. Laut Stadler/Broemel zeichnen sich Studierende mit einer Oberflächenorientierung durch ein kurzfristiges, lediglich auf das Bestehen der aktuellen Klausur ausgerichtetes Lernen aus. Das Resultat ist ein leider wenig transferfähiger Lernprozess. Falls Sie selbst diesem Lerntypus entsprechen, werden Sie sicherlich schon gemerkt haben, dass Sie die Inhalte des Lernstoffes mangels Verständnisses oft nur unzusammenhängend wahrnehmen.

Das große Problem dieses auf reiner Reproduktion, also dem reinen Auswendiglernen ohne wirkliches Verständnis basierenden Lernstils besteht darin, dass sich schnell ein Gefühl der Überforderung angesichts der Stofffülle einstellen kann. Die treibende Kraft des Lernens ist die Angst vor Misserfolg bzw. dem Durchfallen. Beim strategischen Lernstil hingegen steht das Erreichen der bestmöglichen Note im Vordergrund, es handelt sich also um eine primär leistungsorientierte Lernorientierung, bei der die Studierenden in der Regel eine gute Kenntnis der Klausuranforderungen haben und über eine effektive Studienorganisation und ein gutes Zeitmanagement verfügen.

Die von Stadler/Broemel als Tiefenlerner bezeichneten Menschen verfolgen das primäre Ziel, den Stoff zu durchdringen und übergeordnete Zusammenhänge erkennen und herstellen zu können. Das Lernen wird auf dieses Ziel ausgerichtet, was aufgrund einer hohen intrinsischen Motivation gut gelingt. Die Ergebnisse der beiden Autoren zeigen, dass diese Lerntypen selten in Reinform vorliegen und dass fast drei Viertel aller Studierenden Mischlerntypen sind.[6]

Der strategische Tiefenlerner – ein Erfolgsrezept

Nach diesen Ausführungen dürfte klar sein, warum der strategische Tiefenlernstil so erfolgsversprechend ist: Die Kombination aus strategischem, gut organisiertem Lernen und einem auf Verständnis, der Herstellung von Zusammenhängen und kritischem Hinterfragen der Lerninhalte ausgerichteten Lernstils ist für das juristische Lernen gewinnbringend. Zudem scheint er eine geeignete Strategie darzustellen, die enorme Stofffülle auf der einen und die abstrakten Inhalte auf der anderen Seite zu bewältigen.

Nehmen Sie sich an dieser Stelle ruhig einen Moment Zeit, um Ihre eigenen Lernpräferenzen zu hinterfragen – und seien Sie dabei ehrlich zu sich selbst: Bei welchem Lerntypus würden Sie sich hauptsächlich verorten? Diese Frage ist wichtig, denn das Wissen um die eigenen Lernprozesse ermöglicht es Ihnen, Ihre Lerntechniken reflektiert einzusetzen, Schwierigkeiten einzuschätzen und je nach Situation, Ziel und Lerntyp individuelle Strategien zu entwickeln.

Wie werde ich strategischer Tiefenlerner?

Aus lernpsychologischer Sicht wäre es also sinnvoll, wenn Sie für sich Möglichkeiten finden, Ihren eigenen persönlichen strategischen Tiefenlernstil zu entwickeln. Das heißt, Sie sollten schauen, wie Sie beim Lernen Zusammenhänge herstellen können, Struktur in den Lernstoff bringen und das Gelesene kritisch prüfen. Darunter fällt, dass Sie die Texte hinterfragen und dass Sie sich mit widersprüchlichen Positionen auseinandersetzen. Eine gute Organisation des Studienmaterials sowie ein effektives Zeitmanagement sind hierfür essenziell.

Damit Sie eine Idee davon bekommen, wie das gelingen könnte, möchten wir Ihnen nun ein paar einfache, aber sehr effektive Übungen vorstellen, die aus unserem Kurs Lernmanagement am juristischen Fall[7] stammen, der von studentischen Tutorinnen und Tutoren gehalten und von Erstsemestern besucht wurde. Selbstverständlich sind die folgenden Methoden auf keinen Fall als umfassend anzusehen. Allen Techniken ist jedoch gemeinsam, dass sie sowohl Aspekte des Tiefenlernens als auch des strategischen Lernens kombinieren und für das digitale genauso wie für das analoge Studieren Gültigkeit haben.

Visualisierung

Visualisierungen sind ein ausgezeichnetes Mittel, um Zusammenhänge zu erkennen und gleichzeitig das Gelernte zu rekapitulieren. Exemplarisch seien hier Mind- und Concept-Maps genannt. Etwas vereinfacht gesprochen, ist eine Mind-Map eine Grafik, auf der ein Inhalt visuell dargestellt wird. Sie eignet sich zum einen zur Strukturierung und Organisation von Wissensinhalten, aber auch zum Brainstorming, um sich assoziativ den eigenen Wissensstand zu vergegenwärtigen und diesen weiter zu ergänzen. Eine Concept-Map visualisiert darüber hinaus neben Wissensinhalten auch deren Zusammenhänge.[8]

Für das Tiefenlernen sind Mind-Maps und Concept-Maps ideale graphische Grundlagen, denn so können Sie Zusammenhänge und Verknüpfungen von Inhalten sowie das Herausarbeiten von Gesetzmäßigkeiten (Muster, Strukturen und Prinzipien) besonders gut darstellen und überblicken.

Außerdem werden Sie bei der Erstellung von Mind- und Concept-Maps automatisch veranlasst, komplexe Zusammenhänge auf das Wesentliche zu reduzieren und damit die Stofffülle verständlicher zu gestalten.

Lesetechniken

Jura ist eine Textwissenschaft[9]. Ein sinnvoller Umgang mit Texten und den verschiedenen Textsorten ist daher für ein erfolgreiches Studium unerlässlich. Um möglichst zielführend zu lesen, empfiehlt sich der Einsatz von verschiedenen Lesetechniken, denn der systematische Einsatz der Lesetechniken ist auch gleichzeitig eine Möglichkeit der effektiven Arbeitsorganisation.

Für ein strategisches Lernen ist es sinnvoll, sich je nach Zielsetzung die geeignete Lesetechnik herauszusuchen: Wollen Sie nur etwas querlesen, um sich einen Überblick zu verschaffen? Suchen Sie relevante Informationen und lesen Sie daher punktuell? Oder wollen Sie sich gezielt einem spezifischen Gebiet widmen?

Im letzteren Fall eignet sich die SQ3R-Technik besonders gut. Die SQ3R-Me-thode besteht aus einem fünfstufigen Leseprozess:[10]

S (Survey) = Orientierung, Überblick

Q (Question) = Fragen stellen

R (Read) = Lesen

R (Recite) = Rekapitulieren (in Form von Lesenotizen)

R (Review) = Wiederholen, Rückblick

Der jeweilige Text wird also zunächst überflogen („Survey“), um einen Eindruck zu erlangen, ob der Inhalt für das eigene Erkenntnisinteresse relevant ist. Dadurch wird das eigene Vorwissen aktiviert und das Überfliegen erleichtert die Integration der neuen Informationen in die vorhandenen Wissensstrukturen.

Bevor Sie den Text lesen, formulieren Sie Ihre Fragen an den Text („Question“). Dadurch kommen Sie aus einer passiven Konsumentenhaltung heraus, es wird Neugierde geweckt und das kritische Prüfen und Hinterfragen des Textes wird vorbereitet. Erst danach wird der Text auf die Fragen hin gelesen („Read“), relevante Textpassagen markiert und durch Anmerkungen und Verweise in die übergeordneten Zusammenhänge eingeordnet. In einem weiteren Schritt („Recite“) sollen die Antworten auf die eingangs formulierten Fragen aus dem Gedächtnis schriftlich festgehalten werden (z. B. über kurze Zusammenfassungen, aber auch als Mind-Map oder auf Karteikarten). Damit kontrollieren Sie Ihren Lernerfolg. Die zusammenfassende Wiederholung

(Review) ist der letzte Leseschritt. Überspringen Sie diesen Abschnitt nicht, denn diese Phase sichert das Wesentliche in Ihrem Gedächtnis.

Motivation

Gerade in Zeiten des heimischen, einsamen digitalen Lernens scheint es vielen Studierenden schwer zu fallen, sich für das Lernen (oder manchmal sogar nur für das gewählte Studienfach) zu motivieren. Dabei dürfte jedem und jeder der Zusammenhang zwischen fehlender Motivation und Studienerfolg klar sein.

Wer keine Motivation hat, ein Ziel zu erreichen, wird sich auch nicht anstrengen, um eben dieses zu tun. Wenn Sie in ein solches Motivationstief fallen, machen Sie sich bewusst, was Ihre Beweggründe waren, das Lernziel zu erreichen (oder Jura zu studieren). Diese konkrete Formulierung der eigenen Ziele ist für das Aufrechterhalten der Motivation von zentraler Bedeutung.

Eine kleine Hilfe kann dabei die folgende Übung sein, für die Sie sich hoffentlich motivieren können. Fertigen Sie sich ein Blatt an, das eine Tabelle mit drei Spalten hat.

Füllen Sie diese Tabelle nun zwei Wochen lang mindestens an jedem zweiten Tag aus und nutzen Sie dabei jedes Mal eine neue, leere Tabelle. Verschließen Sie nach jedem Ausfüllen das jeweilige Blatt in einem Briefumschlag oder legen Sie es in eine Schublade.

Optimalerweise reden Sie in dieser Zeit nicht mit anderen über die Ergebnisse und Ideen, da es ausschließlich um Ihre ganz eigene Motivation geht, die nicht von außen beeinflusst sein sollte. Nach den zwei Wochen lesen Sie sich die Serie wieder durch und werten die Ergebnisse für sich aus. Konnten Sie vielleicht ein Ziel erreichen? Hat sich Ihre Motivation geändert? Wie sind Sie mit den potenziellen Hindernissen umgegangen?

Zusätzlich zur eben vorgestellten Übung empfehlen sich folgende Reflexionsfragen, um sich gründlich mit der eigenen Motivation auseinanderzusetzen:

–             Welches Ziel möchte ich erreichen –und warum?

–             Was brauche ich, um dieses Ziel zu erreichen?

–             Kenne ich jemanden, der/die dieses Ziel erreicht hat?

–             Wie viel Zeit habe ich, um das Ziel zu erreichen?

–             Was könnte mich auf dem Weg zu diesem Ziel aufhalten?

Positive Verstärker

Zusätzlich oder alternativ sollten Sie sich positive Verstärker suchen. Schlicht gesagt, helfen positive Verstärker dabei, ein Verhalten zu positivieren. Auf diese Weise wird ein Anreiz gesetzt, eine Aufgabe zu erledigen oder ein Verhalten zu verstärken. Diese Verstärker können verschiedener Natur sein. So gibt es materielle Verstärker, bei denen Sie sich nach selbstgestellter Aufgabe und deren Erledigung etwas kaufen.

Achtung, das kann langfristig ins Geld gehen!

Es gibt auch psychologische positive Verstärker, die einem selbst ein positives Feedback geben. So zum Beispiel: „Ich bin stolz, das ganze Buch vor den Semesterferien gelesen zu haben.“ Bei so genannten Aktivitätsverstärkern nutzt man das Erlauben von geschätzten Tätigkeiten als Belohnung. Beispielsweise: „Wenn ich heute das Buch zu Ende bearbeite (realistische Planung!), darf ich ein Eis essen gehen“.

Sie können sich auch für informative Verstärker entscheiden, die eine Rückmeldung über das Erreichen eines bestimmten Ziels geben. Hierfür müssen Sie sich allerdings zuvor messbare Ziele gesetzt haben. Beispielsweise: „Ich werde meine Konzentrationsfähigkeit innerhalb von zwei Wochen um 10 Minuten steigern“.

Fazit

Egal, für welche Lernstrategien Sie sich letztendlich auch entscheiden mögen: Achten Sie stets darauf, dass sie zu Ihnen passen und dass sie die Aspekte des strategischen Tiefenlernens enthalten. Die hier vorgestellten Anregungen helfen Ihnen vielleicht dabei, Ihren individuellen Lerntypus besser zu verstehen und, wenn nötig, zu verändern.

Der Beitrag stammt aus dem »Der Wirtschaftsführer für junge Juristen«.

Um den Wirtschaftsführer auch unterwegs bequem lesen zu können, finden Sie hier unsere »Wirtschaftsführer-App«.

[1] Siehe exemplarisch Hamburger Zentrum für universitäres Lehren und Lernen (HUL), https://www. hul.uni-hamburg.de/forschung/tales/barrierefrei- bericht- zur- studierendenbefragung- im- sommer-semester- 2020–- begleitforschung-zum- emergen-cy- remote- teaching.pdf sowie Lörz et al. (2020) https://www.dzhw.eu/pdf/pub_brief/dzhw_brief_ 05_ 2020.pdf (beides 05. 07. 2021).

[2] https://kurzelinks.de/Selbstorganisation (05. 07. 2021).

[3] Schröder/Kuhli, Es fehlt vor allem an Konzentration: Erste Erkenntnisse aus dem Corona-Semester, ZDRW 2020, S. 489–501.

[4] Bosse, Gelingendes Studieren in der Studienanfangsphase am Beispiel der Rechtswissenschaft, ZDRW 2018, S. 208–230.

[5] Stadler/Broemel, Schwierigkeiten, Lerntechniken und Lernstrategien im Jurastudium, in: Brockmann/Pilniok (Hrsg.), Studieneingangsphase in der Rechtswissenschaft, S. 37–71.

[6] Stadler/Broemel (Fn. 5), S. 57

[7] Eng an den individuellen und aktuell auftretenden Schwierigkeiten und ausgehend von konkreten Fragen und Anliegen verknüpften die Tutorien anwendungsorientiert Lern- und Arbeitstechniken für das Jurastudium (z. B. Mind- und Concept-Maps, Karteikarten, Zeitmanagement) sowie juristische Grundfertigkeiten für ein erfolgreiches Studium (Gutachtenstil, Klausurtechnik, Hausarbeiten), siehe https://www.jura.uni-hamburg.de/studium/lehrveranstaltungen/einfuehrungsveranstaltungen/lernstrategien- selbstorganisation/kursangebot.html (05. 07. 2021).

[8] Beispiel einer Concept-Map: Stary/Unger 2011, Concept-Maps: Die Visualisierung juristischer Inhalte, blogs.fu-berlin.de/stary/files/ 2011/ 05/ C- 2-15_Concept- Maps.pdf (05. 07. 2021).

[9] Hierzu ausführlich Gußen, Der Wirtschaftsführer für junge Juristen, 2020_2, Lernen lernen, S. 11 ff.

[10] Lange, Jurastudium erfolgreich, 8. Auflage,

 

 

Prof. Dr. Dr. Milan Kuhli

Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht, Universität Hamburg
 

Dr. Daniela Schröder

wissenschaftliche Mitarbeiterin, Universität Hamburg
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