20.12.2021

Claussen: „Den Verwaltungsgerichten ist es zu verdanken, dass sich der Rechtsstaat in der Krise bewährt hat.“

Interview mit Claus Christian Claussen, Minister für Justiz, Europa und Verbraucherschutz in Schleswig-Holstein

Claussen: „Den Verwaltungsgerichten ist es zu verdanken, dass sich der Rechtsstaat in der Krise bewährt hat.“

Interview mit Claus Christian Claussen, Minister für Justiz, Europa und Verbraucherschutz in Schleswig-Holstein

Ein Beitrag aus »BDVR-Rundschreiben« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
Ein Beitrag aus »BDVR-Rundschreiben« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV

Im Interview mit Claus Christian Claussen, Minister für Justiz, Europa und Verbraucherschutz in Schleswig-Holstein, berichtet er über seine Arbeit in den Bereichen des Justizvollzugs und der Gesetzgebung und erläutert die Hindernisse, die durch die Corona-Pandemie entstehen.

 

Seit etwa einem Dreivierteljahr sind Sie Minister für Justiz, Europa und Verbraucherschutz in Schleswig-Holstein. Worin bestehen – bezogen auf die Justiz – die Schwerpunkte Ihrer Arbeit?

Claussen: Zunächst einmal möchte ich noch mal betonen, dass ich hier sehr offen aufgenommen worden bin und mich gleich wohl gefühlt habe. Was jedoch fast zeitgleich mit meinem Amtsantritt anfing, die Agenda zu bestimmen, war natürlich die Corona-Pandemie. Wie wohl überall sonst auch wird unsere Arbeit davon stark beeinflusst. Für mich persönlich zum Beispiel bedeutet dies, dass ich so gut wie keine externen Termine wahrnehmen kann, was in „normalen“ Zeiten natürlich einen erheblichen Teil der Arbeit eines Ministers ausmacht. Vieles ist inzwischen digital möglich, doch das ersetzt keine direkten und persönlichen Kontakte. Wenn Sie nun nach den Schwerpunkten fragen, muss ich als Justizminister zwei große Bereiche unterscheiden. Ich möchte mit dem Justizvollzug beginnen: Auch hier bestimmt Corona vieles. Wir waren sehr gut durch das Jahr 2020 gekommen, mit nur wenigen positiv getesteten Bediensteten oder Inhaftierten. In diesem Jahr hatten wir dann leider einen größeren Ausbruch in der JVA Itzehoe, der aber gut aufgefangen wurde, und längst herrscht dort wieder Routine. Es hat mich wirklich beeindruckt, wie professionell und unaufgeregt die Kolleginnen und Kollegen aus dem Vollzug diese Lage gemeistert haben.


Der zweite Bereich ist die Gesetzgebung: Wir haben unser Justizvollzugsmodernisierungsgesetzes (JMG) auf der Zielgeraden, es ist in der Landtagsbefassung. Das JMG stellt die verfassungsrechtlich erforderliche gesetzliche Grundlage für den Vollzug der Freiheitsstrafe, der Jugendstrafe, des Strafarrestes, der Untersuchungshaft, der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung und des Jugendarrestes (Justizvollzug) in Schleswig-Holstein dar. Die Gesetze werden aufeinander abgestimmt, um einen einheitlichen Vollzug zu gewährleisten, was auch in der Praxis zu Erleichterungen führen wird. Der Gesetzentwurf entwickelt den derzeitigen Strafvollzug unter Berücksichtigung kriminologischer Erkenntnisse, des Erfahrungswissens der Praxis und der aktuellen Rechtsprechung weiter fort. Des Weiteren haben wir Anfang des Jahres ein von uns erarbeitetes „Gesetz zur ambulanten Resozialisierung und zum Opferschutz in Schleswig-Holstein“ dem Landtag zugeleitet. Und wir stärken den Justizvollzug mit einem umfangreichen Personalaufbau: In den nächsten Jahren werden 177 zusätzliche Stellen geschaffen. Auch unsere Gerichte und Staatsanwaltschaften mussten natürlich auf die Corona-Pandemie reagieren. Das ist aufgrund unseres sehr guten Grades bei der Digitalisierung prima gelungen, der Wechsel ins Homeoffice verlief nahezu reibungslos. Was sogar noch in Präsenz – wenn auch unter Auflagen – möglich war, war die Vorstellung unserer neuen Opferschutzbeauftragten. Sie und ihre Mitarbeiterinnen sind die zentrale Anlaufstelle für Opfer aller Straftaten und deren Angehörigen.

Im Herbst 2021 wird Schleswig-Holstein den Europäischen Tag der Justiz ausrichten. Zurzeit planen wir, die Fachveranstaltungen in digitaler Form und die Veranstaltung für die Öffentlichkeit möglichst in Präsenz durchführen. Mal sehen, was möglich sein wird. Und wir haben in den Schulen ein tolles Projekt gestartet: Recht.Staat.Bildung. Mit diesem Projekt wollen wir für Schülerinnen und Schüler, mit Unterstützung der Justiz, den Rechtsstaat erlebbar machen. Dafür kommen Richterinnen, Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in die Schulen und diskutieren mit den Klassen und ihren Lehrkräften konkret und praxisnah über aktuelle und für die Schülerinnen und Schüler interessante rechtliche Alltagsfälle. Leider kamen kurz nach Projektbeginn die Schulschließungen dazwischen. Nach der Pandemie wollen wir das Projekt aber natürlich fortsetzen.

Die Digitalisierung der Justiz ist in Schleswig-Holstein nach Angaben Ihres Ministeriums besonders fortgeschritten. Wie ist der derzeitige Stand? Was sind die Lehren aus den bisher ergriffenen Schritten und wo sehen Sie die größten verbleibenden Hürden?

Claussen: Im Jahre 2019 haben wir flächendeckend die elektronische Aktenführung in der Arbeitsgerichtsbarkeit sowie zum 01.01.2020 als einziges Land die verpflichtende elektronische Einreichung zu den Arbeitsgerichten eingeführt. Coronabedingt mussten wir mit dem weiteren Rollout der E-Akte in 2020 pausieren, haben aber dafür massiv die Videokonferenztechnik vorangetrieben. Entsprechend steht mittlerweile an jedem Gericht in Schleswig-Holstein die dafür notwendige Hard- und Software zur Verfügung. In der derzeitigen Pandemie kam uns zugute, dass wir gemeinsam mit dem Land eine moderne IT-Infrastruktur nutzen und bereits im Jahr 2019 flächendeckend alle Richter, Staatsanwälte und Rechtspfleger mit mobilen Endgeräten samt VPN-Tunnel ausgestattet haben. Beruhend auf diesen Erfahrungen werden wir in 2021 auch die Service-Einheiten mit einem mobilen Endgerät ausstatten. Schleswig-Holstein hat im Jahr 2020 – als eines von bislang vier Bundesländern – die elektronische Kostenmarke eingeführt, und wir haben – als zweites Bundesland – das elektronische Akteneinsichtsportal angebunden. In diesem Jahr werden wir den weiteren Rollout der E-Akten in der Sozial-, Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit abschließen und die E-Akte sodann bei den Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit und den Staatsanwaltschaften einführen. Der zweite Rollout-Ring ist ganz aktuell zum 1. März in der Sozialgerichtsbarkeit gestartet worden. Die Digitalisierung der Justiz in Schleswig-Holstein ist daher weit vorangeschritten.

Die elektronische Aktenführung ist hierbei das wohl größte Modernisierungsprojekt, das in der Justiz bisher durchgeführt worden ist. Mit der Umstellung auf die elektronische Aktenführung verändert sich die tägliche Arbeit an den Gerichten grundlegend: Das den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vertraute Arbeitsmedium „Papier“ wird abgelöst und durch ein neues Arbeitsmedium ersetzt. Hierbei ändern sich gewohnte und lange Zeit von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gelebte – und oft auch geliebte – Arbeitsprozesse. Und auch manche Rechtsanpassung dürfte noch erforderlich sein. So mussten wir zum Beispiel feststellen, dass die durch den Bund getroffenen Regelungen der Elektronischer- Rechtsverkehr-Verordnung (ERVV) und der Elektronischer- Rechtsverkehr-Bekanntmachung an einigen Stellen wenig praxistauglich sind und angepasst werden müssen. Und wir müssen feststellen, dass weitere besondere elektronische Postfächer erforderlich sind, um die Möglichkeit zur Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr auszuweiten. Schließlich gilt es auch, das materielle Recht noch anzupassen. Die Gesetzgebung des Bundes ist manchmal zu zögerlich. Oft liegen zwischen den Bundesländern bereits abgestimmte Vorschläge vor, die schneller umgesetzt werden könnten. Andererseits ist die Digitalisierung der Justiz kein Selbstzweck. Sie muss den Menschen im Mittelpunkt des Handelns lassen und ihn hierbei unterstützen. Dies gelingt, wenn wir das richtige Umfeld schaffen, Innovations- und Experimentierfreude Raum geben und zugleich entstehende Lösungen konstruktiv für ihren Einsatz in der Justiz härten. Um beim zügigen digitalen Wandel mitschreiten zu können, müssen wir Regularien überdenken und z. B. Wege finden, flexibler mit externen Partnern zusammenzuarbeiten. Auch sollten Prämienmodelle genutzt und ausgeweitet werden, um die Entwicklung und Umsetzung guter Ideen zu fördern, Leistung zu belohnen und die Attraktivität als Arbeitgeber für kreative IT-Köpfe zu steigern.

Bundesweit ebbt die Flut an Neueingängen bei Asylgerichtsverfahren langsam ab. Trotzdem ist der Verfahrensstand weiterhin hoch. Wie ist die Lage in Schleswig-Holstein? Welche Mittel setzen Sie ein, um Verfahren zügig abzubauen?

Claussen: Die Flüchtlingswelle hat seit dem 2. Halbjahr 2016 auch in Schleswig-Holstein zu explodierenden Eingangszahlen beim Verwaltungsgericht und in der Folge dann auch beim Oberverwaltungsgericht geführt. Den Höchstwert haben wir im Januar 2018 mit knapp 8.000 beim Verwaltungsgericht anhängigen Verfahren erreicht. Wir haben dieser Entwicklung durch entsprechende Personalverstärkung sowohl in der ersten als auch in der zweiten Instanz entgegengewirkt, wobei die zusätzlichen Richterinnen und Richter zunächst eingestellt und dann auch noch „asylreif“ werden mussten, was zu einer gewissen zeitlichen Verzögerung bei ihrem Einsatz geführt hat. Seit Januar 2018 baut das Verwaltungsgericht seine Bestände nunmehr kontinuierlich ab, sodass der Bestand Ende 2020 auf knapp 3.900 Verfahren mehr als halbiert werden konnte. Zu diesem Erfolg unseres Verwaltungsgerichts trägt neben sinkenden Eingangszahlen in Asylsachen auch bei, dass Personalaufwuchs gezielt für den Abbau der Bestände eingesetzt wird. Ohne unvorhersehbare Ereignisse gehen wir davon aus, dass es dem Verwaltungsgericht bis Ende 2022 gelingen wird, den Bestand wieder in etwa auf das Niveau von 2015 vor der großen Flüchtlingswelle zu reduzieren.

Das kürzlich erlassene Gesetz zur Beschleunigung von Investitionen sieht einige Änderungen der Verwaltungsgerichtsordnung vor, etwa eine erstinstanzliche Zuständigkeit des OVG/ VGH für Planungsverfahren im Hinblick auf bestimmte infrastrukturelle Großprojekte. Dies dürfte für Schleswig-Holstein besonders relevant sein, weil das Moratorium im Landesplanungsgesetz mit der Fertigstellung der neuen Regionalpläne Windenergie zum 31.12.2020 ausgelaufen ist und so mit zahlreichen neuen bzw. fortgeführten Verfahren zur Genehmigung von Windkraftanlagen zu rechnen sein dürfte. Sind diesbezüglich Anpassungen beispielsweise in der Personalsituation des Oberverwaltungsgerichts angedacht?

Claussen: Es ist ein Anliegen der Bundesregierung, dass auch von der schleswig-holsteinischen Landesregierung geteilt wird, verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten im Bereich des Planungsrechts durch eine Verkürzung des Instanzenzugs zu beschleunigen. Zwar müssen wir berücksichtigen, dass die Dauer der Verfahren maßgeblich durch das immer komplexer werdende materielle Recht bestimmt wird. Längen im Verfahren sind daher vornehmlich im Verwaltungsverfahren begründet. Insbesondere die Genehmigung von Windkraftanlagen steht aber unter besonderem Zeitdruck. An einer schnellen Umsetzung der Maßnahmen besteht ein besonderes, gesamtstaatliches öffentliches Interesse. Über eine Verkürzung des Instanzenzuges kann daher ein Beitrag geleistet werden, um zu einer schnelleren Planungs- und Rechtssicherheit zu gelangen. Ich erwarte, dass die vorgesehene Erweiterung der erstinstanzlichen Zuständigkeit einen zusätzlichen Bedarf für richterliche Arbeitskraft am Oberverwaltungsgericht auslösen wird, aber auch einen entsprechenden Minderbedarf bei dem Verwaltungsgericht. Genaue Aussagen lassen sich hierzu aber nicht treffen. Insbesondere wird abzuwarten bleiben, ob und ggf. in welchem Umfang der Klageweg überhaupt beschritten werden wird. Nach Auskunft meiner Amtsvorgängerin und jetzigen Innenministerin Dr. Sütterlin-Waack sind in den vergangenen vier Jahren Tausende von Stellungnahmen und Abwägungsentscheidungen gründlich bearbeitet worden, und sie sei zuversichtlich, dass trotz der schwierigen Inhalte ein tragfähiges Ergebnis erzielt werden konnte, das den Interessen der Menschen gerecht wird und für die Windkraft im Norden Planungssicherheit schafft (vgl. Pressemitteilung des Innenministeriums vom 29.12.2020). Eine schlichte Übertragung der Eingangszahlen aus bisherige Planungsverfahren verbietet sich daher. Mein Haus beobachtet die Belastungssituation beim Verwaltungsgericht und beim Oberverwaltungsgericht genau und wird sich für eine Anpassung der Personalsituation einsetzen, falls das erforderlich wird.

Andere diskutierte Änderungen wie die Einführung eines Adhäsionsverfahrens sind – soweit ersichtlich – noch nicht umgesetzt. Können Sie uns da auf den neuesten Stand bringen? Gibt es aus Ihrer Sicht darüber hinaus noch Dinge, die auf lange Sicht im Verwaltungsprozessrecht verändert werden müssen?

Claussen: Den Gesetzesantrag zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung, der u. a. auch die Einführung eines Adhäsionsverfahrens zum Gegenstand hatte, haben die Länder Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen bereits vor knapp zwei Jahren in den Bundesrat eingebracht (BR-Drs. 113/19). Es geht dabei darum, für die Verfolgung von Ersatzansprüchen gegen die öffentliche Hand ein sog. Adhäsionsverfahren im Verwaltungsprozess einzuführen, mit dem die Möglichkeit eröffnet wird, öffentlich-rechtliche Ersatzansprüche zusammen mit einem Verfahren des Primärrechtsschutzes im Verwaltungsrechtsweg zu verfolgen. Der Rechtsschutz wird damit bürgerfreundlicher und effektiver ausgestaltet. Schleswig-Holstein hatte diesen Vorschlag von Anfang an sehr unterstützt, weil damit Doppelprozesse vermieden und Verfahrenskosten reduziert werden können. Außerdem ist vorgesehen, zur Beschleunigung planungsrechtlicher Verfahren die erstinstanzliche Zuständigkeit der Oberverwaltungsgerichte (bzw. Verwaltungsgerichtshöfe) zu erweitern. Es soll auch die Möglichkeit eines konzentrierten Verfahrens eingeführt werden, in dem der zeitliche Verfahrensablauf frühzeitig strukturiert wird. Weiter wird vorgesehen, spezielle Wirtschaftsspruchkörper und Planungsspruchkörper einzurichten, das heißt, die Spezialisierung der Gerichte voranzutreiben.

Der Entwurf sieht folgende Änderungen vor: Die Regelungen zur Mitwirkung ehrenamtlicher Richter werden punktuell ergänzt und an die Rechtsentwicklung angepasst. Zudem wird für eine Übergangszeit eine flexiblere Besetzung der Kammern bei den Verwaltungsgerichten mit Richtern auf Probe und abgeordneten Richtern auf Lebenszeit ermöglicht. Damit wird auf die besondere personelle Situation und Belastung in der Verwaltungsgerichtsbarkeit reagiert. Schließlich stellt der Entwurf in § 87a der Verwaltungsgerichtsordnung klar, dass die Vorschrift nicht nur im nicht vorbereitenden Verfahren, sondern immer dann einschlägig ist, wenn außerhalb der mündlichen Verhandlung und nicht im Zusammenhang mit der Sachentscheidung entschieden wird. Das entspricht auch bereits jetzt der überwiegenden Auslegung der Norm in Praxis und Literatur. Über diese Vorschläge, die im Übrigen auf die Beratungen einer von der Justizministerkonferenz (JuMiKo) eingesetzten Bund-Länder-Arbeitsgruppe zurückgehen, hat der Bundesrat bereits im Mai 2019 entschieden und beschlossen, den Gesetzentwurf – ergänzt um einen Prüfauftrag zum Bundesratsbeschluss vom 21.09.2018 – beim Deutschen Bundestag einzubringen. Seit der Zuleitung zum Bundestag (BT-Drs. 19/10992) wurde der Gesetzentwurf indessen noch nicht beraten. Einzelaspekte wie die Verkürzung des Instanzenzugs werden seitdem zwar aus o. g. Gründen immer wieder fachgesetzlich geregelt, zuletzt zum Beispiel im Rahmen des Eisenbahnregulierungsrecht oder aktuell im Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesberggesetzes. An der grundsätzlichen Bedeutung der Vorschläge hat sich aber nichts geändert. Gleichwohl besteht Einigkeit unter den Ländern, dass über diese Vorschläge hinaus kein weiterer grundsätzlicher Änderungsbedarf besteht. Das geltende Verwaltungsprozessrecht gewährleistet bereits heute einen effektiven Rechtsschutz gegen hoheitliches Handeln. Hier sind wir in Deutschland gut aufgestellt.

Umso bedauerlicher finde ich es, dass sogar die punktuellen Ergänzungen, die wir im Bundesrat beschlossen haben, um den Rechtsschutz weiter zu verbessern, zu straffen und um auf aktuelle Anforderungen zu reagieren, im Bundestag so wenig Resonanz finden. Ich hatte bereits in anderem Zusammenhang betont, dass dieser Umgang mit dem Bundesrat dazu geeignet ist, das föderale Element zu schwächen. Ich kritisiere es daher sehr, dass der Länderkammer auch an dieser Stelle nicht mehr Gehör geschenkt wird.

Welche Rolle kommt aus Ihrer Sicht den Verwaltungsgerichten in der Bewältigung der derzeitigen Corona-Krise – insbesondere in Anbetracht der sich ergebenden grundrechtlichen Spannungsverhältnisse – zu? Erfüllen die Verwaltungsgerichte insoweit Ihren Auftrag?

Claussen: Neben vielen beunruhigenden Nachrichten während der Corona-Zeit freue ich mich sehr, als Justizminister des Landes Schleswig-Holstein jedenfalls die gute Nachricht überbringen zu dürfen, dass unsere Justiz funktioniert. Der Rechtsstaat funktioniert, und die Gewaltenteilung ist gewährleistet. Leider ist eine effektive Bekämpfung der Pandemie ohne Grundrechtseingriffe wohl nicht möglich. Aber die verfassungsrechtliche Voraussetzung der Verhältnismäßigkeit bietet ein wirksames Mittel, um diese Eingriffe zu begrenzen. Unser Verwaltungsgericht und Oberverwaltungsgericht in Schleswig leisten hier hervorragende Arbeit. Ihnen ist es zu verdanken, dass sich der Rechtsstaat in der Krise bewährt hat: Den Bürgern und Unternehmen wurde in bundesweit Hunderten von Eilverfahren Rechtsschutz geboten. Und auch wenn die meisten Maßnahmen dabei zunächst aufrechterhalten wurden, haben die Gerichte nicht gezögert, einzelne Maßnahmen aufzuheben. Das prominente Beispiel des Beherbergungsverbots, das im Oktober letzten Jahres aufgehoben wurde, zeigt das deutlich. Grundrechte sind eben keine Lappalie, und Eingriffe sind begründungspflichtig. In Corona- Zeiten ist diese Erkenntnis aktueller dann je. Unsere Gerichte haben uns dies in deutlicher Klarheit wieder in Erinnerung gerufen.

Grundbedingung für eine funktionierende Justiz ist eine angemessene Richterbesoldung. Schleswig-Holstein bewegt sich hier im Mittelfeld. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 4. Mai 2020 die Berliner Richterbesoldung vergangener Jahre für verfassungswidrig erklärt und den Besoldungsgesetzgebern klare Vorgaben gemacht. Sind Sie mit dieser Entwicklung zufrieden? Planen Sie diesbezüglich Änderungen?

Claussen: Die angesprochene Entscheidung betrifft das Land Berlin. Für Schleswig-Holstein haben wir eine solche Entscheidung nicht. Natürlich ist die Angemessenheit der Besoldung ein wichtiger Punkt. Übrigens nicht nur bei Richterinnen und Richtern, sondern insgesamt. Öffentliche Arbeitgeber stehen untereinander und mit dem privaten Sektor in einem Wettbewerb. Die Besoldung ist dabei ein Attraktivitätsfaktor, aber nicht der einzige. Es geht auch um eigene Entwicklungsperspektiven und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Ich glaube, dass die Justiz in Schleswig-Holstein hier insgesamt ein gutes Paket bietet, einschließlich einer angemessenen Besoldung. Wichtig bleibt, dass wir die allgemeine Lohnentwicklung im Blick behalten und den öffentlichen Dienst hier nicht abkoppeln. Hier haben wir als Land in den vergangenen Jahren einiges getan.

Wie stellt sich die Nachwuchsgewinnung in Schleswig-Holstein dar? Welchen Einfluss hat (ggf. neben der Besoldung) der (einzige) Gerichtsstandort in Schleswig auf die Gewinnung von qualifizierten Absolventinnen und Absolventen?

Claussen: Die schleswig-holsteinische Justiz ist ein attraktiver Arbeitgeber. Viele qualifizierte Absolventinnen und Absolventen bewerben sich um eine Einstellung in den Richterdienst. Zudem sind auch immer wieder Richterinnen und Richter aus anderen Bundesländern an einem Wechsel nach Schleswig-Holstein interessiert. Die Erwartungen des MJEV an das fachliche Niveau und die persönliche Eignung der Bewerberinnen und Bewerber ist insbesondere in der Verwaltungsgerichtsbarkeit sehr hoch. Diese Gerichtsbarkeit ist für das Verhältnis zwischen Bürgern und dem Staat und für die Wahrung der Grundrechte besonders wichtig. Das zeigt sich in der Corona-Krise eindringlich. Die Richterbesoldung in Schleswig-Holstein und der Standort des einzigen Verwaltungsgerichts in Schleswig – an der Schlei und damit in einer der schönsten Regionen Schleswig-Holsteins gelegen – ist den Bewerberinnen und Bewerbern bekannt. Aus Sicht des MJEV ergibt sich insgesamt ein attraktives Angebot für die Nachwuchsgewinnung für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.

 

Besprochen in BDVR – Rundschreiben 2021, Heft 2.

 

Dr. Karoline Bülow

Richterin am Verwaltungsgericht, Berlin
 

Britta Schiebel

Richterin, Berlin
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