15.04.2013

Schneller als das Europarecht erlaubt?

EEG-Umlage und Netzentgeltbefreiung im Fokus der EU-Beihilfenkontrolle

Schneller als das Europarecht erlaubt?

EEG-Umlage und Netzentgeltbefreiung im Fokus der EU-Beihilfenkontrolle

Die Atomkatastrophe von Fukushima bildete eine Zäsur in der Energiepolitik. | © Ben Chams - Fotolia
Die Atomkatastrophe von Fukushima bildete eine Zäsur in der Energiepolitik. | © Ben Chams - Fotolia

Die Notwendigkeit einer gemeinsamen europäischen Energiepolitik ist spätestens seit den Engpässen bei Gaslieferungen in den vergangenen Wintern auch einer breiteren Öffentlichkeit bewusst geworden. Im Kontext der Europäischen Union ( EU ) wurden die Energiemärkte schon weitgehend liberalisiert und heute sind Strom- und Gasmärkte über die EU hinaus miteinander verwoben, so dass es in der EU gemeinsamer Rechtsgrundlagen bedarf.

Der Vertrag von Lissabon führte Ende 2009 eine begrenzte EU -Zuständigkeit durch das Energiekapitels (Art. 194 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, AEUV ) ein und allen voran der deutsche Energiekommissar Oettinger verfolgt das Ziel, bis 2030 den Anteil an erneuerbaren Energien europaweit insgesamt auf 30 Prozent zu heben. Hierdurch sollen zum einen die Abhängigkeit der EU -Mitgliedstaaten von Lieferungen aus Drittstaaten reduziert, aber auch die ehrgeizigen Klimaschutzziele der EU verfolgt werden.

Die Atomkatastrophe von Fukushima im Frühjahr 2011 bildete dann eine Zäsur in der deutschen, aber auch in der europäischen Energiepolitik. Die Bundesregierung beschloss in der Folge den Atomausstieg bis 2022 vorzuziehen und läutete die deutsche Energiewende ein. Dazu wurde das Ziel der Steigerung des Anteils erneuerbarer Energien an der Stromversorgung in § 1 EEG und § 1 Absatz 1 En WG festgelegt.


Dieser kaum abgestimmte Alleingang der Bundesregierung löste bei den europäischen Nachbarn und den EU -Institutionen einigen Unmut aus. So befürchten einige Nachbarn wegen des deutschen Atomausstiegs weitere Engpässe bei der Stromversorgung. Die Kommission kritisierte den deutschen Alleingang ungewöhnlich direkt als eine Gefährdung der Bemühungen um eine einheitliche, gemeinschaftliche Energiepolitik. Gleichwohl liegt in der Entscheidung für die Energiewende an sich kein justitiabler Verstoß gegen EU -Vorgaben. Probleme können sich hingegen durch die Ausgestaltung von Einzelmaßnahmen ergeben, wie das unten folgende Beispiel der Netzkostenbefreiung zeigt.

EU-Zuständigkeiten in der Energiepolitik

Die Europäische Energiepolitik nach Art. 194 AEUV definiert energiepolitische Ziele wie die Förderung erneuerbarer Energien und erlaubt Maßnahmen zur Steuerung von Angebot, Nachfrage und Verteilung der verschiedenen Energieträger mit dem Ziel einer preisgünstigen und nachhaltigen Versorgung der Bevölkerung und Wirtschaft mit Energie. Zuvor wurden bereits die Energiemärkte durch drei Energiebinnenmarktpakete (Richtlinien und Verordnungen) geöffnet und grundlegend reformiert.

Die EU verfügt nun über eine mit den Mitgliedstaaten geteilte Zuständigkeit für „Energie“ (Art. 4 Absatz 2 lit. i) AEUV ), in deren Rahmen die in Art. 194 AEUV verankerten Ziele durch Maßnahmen im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens vom Europäischen Parlament und dem Rat umgesetzt werden können. Dabei schränkt allerdings die inhaltlich limitierte Zuständigkeit der EU zu Koordinierung und Absicherung der Energiemärkte nicht die grundsätzliche energiepolitische Autonomie der Mitgliedstaaten ein. Insbesondere können diese die Bedingungen für die Nutzung von Energieressourcen festlegen, die Wahl zwischen verschiedenen Energiequellen treffen und die allgemeine Struktur ihrer Energieversorgung bestimmen. Die Mitgliedstaaten bleiben für die Ausgestaltung ihrer Energiepolitik also maßgeblich selbst verantwortlich, wie die mitunter sehr unterschiedlichen Prioritäten zeigen.

In der Richtlinie 2009/28/ EG hat die EU ihre Absicht festgelegt, bis 2020 den Anteil erneuerbarer Energien am gesamten europäischen Endenergieverbrauch auf mindestens 20 % zu steigern. Deutschland wird hier verpflichtet, seinen Anteil erneuerbarer Energien am Bruttoendenergieverbrauch bis zum Jahr 2020 auf 18 % zu heben. Allerdings lag bereits im Jahr 2011 der Anteil an erneuerbaren Energien am gesamten Endenergieverbrauch in Deutschland bei 12,1 % (vgl. BMU , Erneuerbare Energien in Zahlen, Stand Dezember 2012).

Kernbestandteil der EU -Energiepolitik bleibt, die Liberalisierung des Binnenmarktes für Strom und Gas weiter voranzutreiben, wozu im April 2009 das dritte Energiebinnenmarktpaket folgte. Dessen Ziel ist der ungehinderten Zugang zum Netz zu transparenten und nicht diskriminierenden Bedingungen; die Entflechtung des Netzbetreibers vom Erzeuger (Unbundling) und die Überwachung der Einhaltung dieser Bestimmungen durch eine unabhängige Regulierungs- und Aufsichtsbehörde. Auf die Ermächtigung zur Entwicklung transeuropäischer Netze (Art. 170-172 AEUV ) wurden zum einen Leitlinien zur Förderung des Verbunds von Erdgas- und Elektrizitätsnetzen basiert. Zum anderen wurde eine neue EU -Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (Agency for the Cooperation of Energy Regulator – ACER ) zur Erarbeitung von Stellungnahmen und Empfehlungen erschaffen, die allerdings nicht über Exekutivfunktionen verfügt.

Deutsche Energiewende – vereinbar mit EU-Beihilfenrecht?

Die deutsche Energiewende wurde vor allem durch die EEG -Novelle umgesetzt. In § 1 Abs. 2 EEG 2012 wurden die Ziele festgesetzt, dass der Anteil der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien bis 2020 auf mindestens 35 % (bis 2050 auf 80 %) gesteigert werden soll, so dass diese Zielsetzung weit über den Vorgaben der EU liegt. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde ein Gesetzespaket auf den Weg gebracht, welches zu erheblichen Änderungen der deutschen Rechtslage führte. Da erneuerbare Energie derzeit noch nicht zu abnehmbaren Marktpreisen produziert werden kann, werden die durch die Vermarktung dieses Stroms entstehenden Defizite auf den Letztverbraucher umgelegt. Hierbei werden jedoch Ausnahmen und Befreiungen von den Kostenlasten zugelassen, wie etwa durch die Befreiung von der EEG -Umlage gem. §§ 40 ff. EEG 2012 oder die Netzentgeltbefreiung von stromintensiven Unternehmen im Sinne von § 19 Absatz 2 Satz 2 Strom NEV (Stromnetzentgeltverordnungen).

Dieses Vorgehen ist allerdings auf starke europarechtliche Bedenken gestoßen. Gegenwärtig prüft die Europäische Kommission, ob es sich bei der Netzentgeltbefreiung nach § 19 Abs. 2 Satz 2 Strom NEV um eine nicht notifizierte und damit rechtswidrige staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV handelt. Sie hat dazu ein Beihilfeverfahren eingeleitet ( SA . 34045), welches erstmalig auch die Befreiung von Netzentgelten untersucht. Wird eine staatliche Beihilfe nicht vorab der EU Kommission notifiziert und dennoch durchgeführt, ist sie formal rechtswidrig und muss grundsätzlich zurückgezahlt werden. Nach dem Durchführungsverbot gem. Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV darf eine Maßnahme erst durchgeführt werden, wenn die Kommission eine beihilfenrechtliche Genehmigung erteilt hat. Sollten daher die Netzentgeltbefreiung als staatliche Beihilfe einzuordnen sein, müssten diese gerechtfertigt werden können, um jedenfalls zukünftig angewendet werden zu können.

Nach Ansicht der Kommission könnte die Befreiung von den Netzentgelten als staatliche Mittel eingeordnet werden, welche in Deutschland ansässigen Unternehmen einen selektiven Vorteil im Verhältnis zu Wettbewerbern aus anderen Mitgliedstaaten verschafft. Ferner hat die Kommission angekündigt, zu überprüfen, ob es schon vor der Änderung des § 19 Strom NEV zu staatlich finanzierten Netzentgeltbefreiungen gekommen ist. Deutschland prüft in diesem Zusammenhang die Möglichkeit, dass die Netzentgeltbefreiung zumindest als dem Klimaschutz dienliche Fördermaßnahme eingeordnet wird und so gerechtfertigt werden kann.

Nichtigkeit der Netzkostenbefreiung auf nationaler Ebene?

§ 19 Absatz 2 Strom NEV ist in seiner neuen Fassung nicht nur auf europäischer Ebene in die Kritik geraten, sondern wurde auch national in Frage gestellt. So hat das OLG Düsseldorf am 06.03.2013 in einem Pilotverfahren entschieden, dass die Verordnungsregelung zur Befreiung stromintensiver Unternehmen von den Netzkosten nach § 19 Absatz 2 Strom NEV nichtig ist, und hat die auf dieser Grundlage erlassenen Ausführungsbestimmungen der Bundesnetzagentur aufgehoben (siehe Presseerklärung 06/2013). Der Senat begründete dies mit der mangelnden gesetzlichen Ermächtigung für die Befreiung von den Netzentgelten. Auch europarechtlich ist nach dem OLG Düsseldorf eine nichtdiskriminierende und kostenbezogene Regelung der Netzentgelte geboten. Sollte die Entscheidung in Rechtskraft erwachsen, wären die bereits erfolgten Netzentgeltbefreiungen nachzuzahlen.

Ausblick

Die Bundesregierung verfolgt ihre Energiewende weiter, kann sich jedoch dem Druck von deutscher Rechtsprechung und EU Kommission nicht entziehen. Gegenwärtig arbeitet sie an einer Neufassung der Regeln für Netzentgelte, die keine Befreiung, aber gestaffelte Rabatte für die Schwerindustrie vorsieht und im Ergebnis europarechtlich zulässig sein sollte.

Des Weiteren wird erkennbar, dass die Entscheidungspraxis der EU Kommission auf einen Paradigmenwechsel zusteuert: Die bisherige beihilfenrechtliche Bewertung des EEG /Strom NEV beruht auf dem sog. Preussen-Elektra-Urteil des Eu GH vom 13.03.2001 (Rs. C-379/98). In dieser Entscheidung wurde dargelegt, dass die Förderung der erneuerbaren Energien keine staatliche Beihilfe sei, weil sie nicht aus öffentlichen Mitteln stamme, sondern aus privaten Mitteln, die von den Elektrizitätsversorgungsunternehmen über den Strompreis eingezogen und dann verteilt werden. Zuletzt deutete sich an, dass die EU Kommission zunehmend die Befreiung von Netzentgelten als staatliche Beihilfe bewertet.

Ob der Eu GH eine solche Bewertung der Netzentgeltbefreiung teilen würde, steht offen. Ähnliche Probleme könnten sich zukünftig auch mit der Befreiung von der EEG -Umlage ergeben. Die deutsche Energiewende wird daher auch zukünftig auf dem europarechtlichen Prüfstand stehen und die Bundesregierung sich nicht zwingenden EU -Vorgaben entziehen können.

 

Prof. Dr. Robin van der Hout

Rechtsanwalt / Advocaat, Kapellmann und Partner Rechtsanwälte mbB, Brüssel
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