15.04.2013

Schienenbetrug im großen Stil

Bundesverkehrsministerium drängt Verkehrsbetriebe zur Klage

Schienenbetrug im großen Stil

Bundesverkehrsministerium drängt Verkehrsbetriebe zur Klage

Schienenbetrug: EU -Leitfaden zur Quantifizierung von kartellrechtlichen Schäden in Arbeit. | © radopix - Fotolia
Schienenbetrug: EU -Leitfaden zur Quantifizierung von kartellrechtlichen Schäden in Arbeit. | © radopix - Fotolia

Die Deutsche Bahn hat bereits eine Schadensersatzklage in dreistelliger Millionenhöhe gegen die Mitglieder des aktuellen Schienenkartells eingereicht. Das Schienenkartell hat über Jahrzehnte hinweg die Preise für Schienen drastisch in die Höhe getrieben. Jetzt sollen auf Anraten des Bundesverkehrsministeriums auch die kommunalen Verkehrsbetriebe gegen die Preisabsprachen vorgehen und die Kartellanten auf Schadenersatz verklagen.
Das Kartell hat offenbar überall dort zugeschlagen, wo Schienen in größeren Mengen gekauft werden. In weit über einhundert, wenn nicht sogar mehreren hundert Fällen sollen kommunale Verkehrsunternehmen von den „Schienenfreunden“ in den vergangenen drei Jahrzehnten betrogen worden sein. Dabei könnte ein Schaden in Höhe von mehreren hundert Millionen Euro entstanden sein.

› Die Geltendmachung von Kartellschäden wurde erleichtert.

 

Das Bundesverkehrsministerium macht jetzt Druck und hat sich an die kommunalen Verkehrsbetriebe gewandt. In seinem Schreiben hat der Bund klar gestellt, dass Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden müssen, wenn etwa mit Steuermitteln finanzierte Projekte von Preisabsprachen betroffen sind. Aber auch die Europäische Kommission fordert konsequent Kartellgeschädigte auf, Schadensersatzansprüche geltend zu machen, sobald entsprechende Bußgeldbescheide ergangen sind (sog. „Follow on“-Klagen).

Erleichterte Geltendmachung von kartellrechtlichen Schäden

Die Durchsetzung von Kartellschäden wurde durch die Novellierung des deutschen Kartellrechts im Jahr 2005 erheblich erleichtert. Wer durch kartellbedingt überhöhte Preise geschädigt wurde, dem stehen in Deutschland eine Reihe von Beweiserleichterungen zur Seite. Besonders die sog. „Tatbestandswirkung“ erleichtert die Klageerhebung. Ein rechtskräftiger Bußgeldbescheid gegen ein Unternehmen des Kartells stellt nach § 33 Abs. 4 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) den Wettbewerbsverstoß für einen Schadensersatzprozess unwiderlegbar fest. Dabei ist es egal, ob der Bescheid von der EU-Kommission, dem Bundeskartellamt oder der Kartellbehörde eines anderen EU-Mitgliedsstaats erlassen wurde. Die Zivilgerichte sind an die bestandskräftigen Feststellungen in Bußgeldbescheiden der nationalen oder europäischen Kartellbehörden gebunden. Die Kartellgeschädigten müssen nicht die oftmals komplizierten Geflechte der Kartellanten selbst aufdecken und im gerichtlichen Verfahren unter Beweis stellen. Das „Ob“ eines Kartellverstosses steht damit bereits zu Beginn eines Prozesses fest. Dies führt zu einer Entschlackung und Beschleunigung der Schadensersatzprozesse, da der Schwerpunkt auf die Höhe des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs gerichtet wird.
Die erhobenen Schadensersatzansprüche sind ab dem Entstehungszeitpunkt zu verzinsen und nicht erst etwa ab Klageerhebung. Im Fall des Schienenkartells kann dies erhebliche Auswirkungen auf die Höhe der Klageforderungen haben, da die kartellrechtlichen Verstösse teilweise Jahrzehnte zurückliegen.


Höhe des erlittenen Schadens

Trotz aller Erleichterungen reicht für die Geltendmachung kartellrechtlicher Schäden eine Bußgeldentscheidung alleine nicht aus. Der Hauptstreitpunkt hat sich auf die Ebene des Nachweises eines Schadens und dessen konkreter Höhe verlagert. Entscheidendes Kriterium für einen Schadensersatzanspruch ist zudem der Kausalzusammenhang zwischen Kartellabsprache und Schaden.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit seinem Urteil vom 28.06.2011 in Sachen ORWI (Az. KZR 75/10) im Hinblick auf die Schadenshöhe bestätigt, dass das Gericht eine Schadensschätzung vornehmen darf. Daneben hat der BGH konkrete praktische Ansätze zur Handhabung der Schadensschätzung durch die Instanzgerichte aufgezeigt.

Die EU-Kommission erarbeitet zudem derzeit einen Leitfaden, der die Quantifizierung von kartellbedingten Schäden erleichtern soll. Der Geschädigte trägt an sich die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass sein Schaden auf den Kartellabsprachen beruht. Angesichts der Komplexität der Preisbildung gibt es nach dem Bundesgerichtshof allerdings keine Vermutung dafür, dass eine Preiserhöhung in zeitlichem Zusammenhang mit einer Kartellbildung tatsächlich auf das Kartell zurückzuführen ist. In der Praxis sind die Anforderungen nicht so strikt. So geht der BGH davon aus, dass der Mehrpreis generell an die Kunden durchgereicht wird, wenn die weit überwiegende Anzahl der Kunden bei den Kartellanten kaufen. Der Schaden wäre damit bewiesen. Der BGH erlaubt im Rahmen der Schadensberechnung zudem einen Vergleich der (Wettbewerbs-)Preise vor Kartellbildung mit den gemäß Kartellabsprache erhöhten Preisen. Dies kann dazu führen, dass selbst nach dem Ende eines Kartells noch Schadensersatzansprüche entstehen können, da die „Nachwirkungen“ des Kartells fortwirken können.
Der BGH geht weiter davon aus, dass bei der Schadensberechnung ein geringerer Beweismaßstab gilt als für das „Ob“ einer schadensersatzauslösenden Rechtsverletzung. Dennoch wird es in den meisten Prozessen unumgänglich sein, dass über Sachverständigengutachten die konkrete Schadenshöhe im Einzelnen dargelegt werden muss. Für eine erleichterte Geltendmachung der Kartellschäden sollten Kommunen im Rahmen von Ausschreibungen in Erwägung ziehen, mit dem erfolgreichen Bieter in den Auftrags- oder Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine pauschalisierte Schadensersatzverpflichtung in angemessener Höhe für den Fall eines nachträglich aufgedeckten Kartellrechtsverstoßes zu vereinbaren. So werden solche Schadensersatzansprüche zwar der Höhe nach begrenzt, lassen sich aber wesentlich leichter durchsetzen als im Falle einer erforderlichen Darlegung und Beweisführung hinsichtlich des Individualschadens.

Einzelklage oder Anspruchsbündelung?

Seit dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 07.04.2009, Az. KZR 42/08 (Zementkartell), haben die Kartellgeschädigten zudem die Möglichkeit, nicht nur alleine zu klagen, sondern ihre Ansprüche zu bündeln.

Die Kartellgeschädigten können zum Beispiel eine Gesellschaft gründen und an diese ihre Forderungen abtreten. Die Gesellschaft klagt dann die Gesamtheit der Ansprüche ein und zahlt im Erfolgsfall die Mitglieder der Gesellschaft aus. Es besteht aber auch die Möglichkeit, dass die Geschädigten über einen Anspruchskaufvertrag ihre Ansprüche an einen Kläger abtreten, von dem diese dann wiederum im Erfolgsfall ausgezahlt werden. Bei der Gründung solcher Klagegesellschaften sollte besonderes Augenmerk auf die Gestal-tung der Verträge gerichtet werden, um spätere Auseinandersetzungen im Innenverhältnis zu vermeiden. Kartellgeschädigte müssen die Vor- und Nachteile einer Verfolgung von Schadensersatzansprüchen im Wege einer Einzelklage oder etwa in Form einer Klagegesellschaft unter Beachtung der individuellen Begebenheiten gut abwägen.

Verjährung und Pflicht zur Verfolgung von Schadensersatzansprüchen

Wann konkrete, rechtliche Schritte gegen die Kartellanten eingeleitet werden, ist nicht nur mit Blick auf die Verjährungsfrist des Schadensersatzanspruches zu beantworten.
Schadensersatzansprüche unterliegen, auch wenn sie auf Kartellverstößen beruhen, der zivilrechtlichen Verjährung. Die Verjährungsfrist beträgt danach drei Jahre ab Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis des Schadens, maximal zehn Jahre ab Entstehung des Anspruchs. Um den Geschädigten allerdings die Möglichkeit zu geben, von den Ermittlungen der Kartellbehörden und den rechtlichen Wirkungen eines Bußgeldbescheides (§ 33 Abs. 4 GWB) zu profitieren, wird die Verjährung der Schadensersatzansprüche nach § 33 Abs. 5 GWB gehemmt. Diese Hemmung gilt solange, wie das Bundeskartellamt ermittelt. Die Ansprüche verjähren frühestens sechs Monate nach der letzten Entscheidung (also Erlass der Bußgeldbescheide).
Es gibt auch einen weiteren Grund, warum ein Handeln der geschädigten Kommunen und Verkehrsbetriebe erforderlich ist. Dieser folgt aus den haushaltsrechtlichen Grundsätzen der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit und ggf. aus den gesellschaftsrechtlichen Treuepflichten innerhalb der öffentlich-rechtlichen Verkehrsbetriebe. Die Verwaltungsspitzen trifft eine Vermögensbetreuungspflicht in Bezug auf die öffentlichen Finanzen. Das Unterlassen der (gerichtlichen) Geltendmachung einer bestehenden Forderung kann einen strafbewehrten Missbrauch im Sinne der Untreue gemäß dem Strafgesetzbuch darstellen. Eine Untreue kann auch schon vor endgültiger Verjährung der Schadensersatzforderung vollendet sein, wenn der Nachweis des Schadens durch Zeitablauf zunehmend schwieriger wird. In Bezug auf das Schienenkartell könnten die Geschädigten zunächst auch die Aufnahme von Vergleichsverhandlun-gen in Erwägung ziehen, zumal die Kartellanten bereits unter gewissem Druck stehen. Im Rahmen von Vergleichsverhandlungen muss dann aber darauf gedrängt werden, dass entsprechende Verjährungsverzichtserklärungen seitens der Kartellanten abgegeben werden, um die Verhandlungen ohne Verjährungsdruck führen zu können.

Fazit

Die Rechtsprechung erleichtert es Kommunen und Verkehrs-betrieben, Schadensersatz im Zusammenhang mit kartellbedingten überhöhten Preisen geltend zu machen. Aus haushaltsrechtlichen Gründen und gesellschaftsrechtlichen Treuepflichten können die Betroffenen zudem verpflichtet sein, Schadensersatzansprüche geltend zu machen oder jedenfalls zu prüfen.

 

Sarah Mahler

Rechtsanwältin Rössner Rechtsanwälte, München
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