15.07.2015

Schadensersatz wegen Kampfhandlungen?

Auslandseinsatz der Bundeswehr: Das sog. Kunduz-Urteil des OLG Köln

Schadensersatz wegen Kampfhandlungen?

Auslandseinsatz der Bundeswehr: Das sog. Kunduz-Urteil des OLG Köln

Wesentliche Rechtsfragen im Zusammenhang mit Kampfeinsätzen der Bundeswehr im Ausland sind unbeantwortet. | © apfelweile - Fotolia
Wesentliche Rechtsfragen im Zusammenhang mit Kampfeinsätzen der Bundeswehr im Ausland sind unbeantwortet. | © apfelweile - Fotolia

Am 04. 09. 2009 hatte ein Oberst der Bundeswehr als Kommandeur des Provinz-Wiederaufbauteams (Provincial Reconstruction Team – PRT) in Kunduz/Afghanistan einen Luftangriff auf zwei Tanklastwagen veranlasst, die von bewaffneten Taliban entführt worden waren und auf einer Sandbank im Fluss Kunduz festgesteckt hatten. Der Oberst hatte befürchtet, die Tanklastwagen würden als „fahrende Bomben” gegen das deutsche Feldlager eingesetzt.

Bei diesem Luftschlag wurden Taliban, aber auch Zivilpersonen getötet. Ein gegen den Oberst eingeleitetes strafrechtliches Ermittlungsverfahren war im April 2010 durch den Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof mangels Tatverdachts eingestellt worden (Verfügung vom 16. 04. 2015 – 3 BJs 6/10-4). Im Oktober 2011 hatte der Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages dem Untersuchungsausschuss (vgl. Art. 45a Abs. 2 GG) seinen Abschlussbericht zum Luftangriff auf die Tanklaster öffentlich vorgestellt (BT-Drs. 17/7400).

Keine Ansprüche aus humanitärem Völkerrecht

Am 01. 12. 2011 erhoben zwei afghanische Staatsbürger vor dem LG Bonn Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland. Der Kläger H. macht geltend, bei dem Luftangriff zwei seiner Söhne verloren zu haben.


Die Klägerin R. trägt vor, ihr Ehemann sei bei dem Luftangriff getötet worden. Die Kläger fordern deswegen Schadensersatz in Höhe von 40.000 Euro bzw. 50.000 Euro.

Das LG Bonn wies die Klage mit Urteil vom 11. 12. 2013 (1 O 460/11) als unbegründet ab. Zunächst verneint die Kammer einen Anspruch aus dem humanitären Völkerrecht in bewaffneten Konflikten. Dieses kenne keine Individualansprüche auf Schadensersatz. Das Völkervertragsrecht verbriefe nur den allgemeinen völkerrechtlichen Grundsatz der Haftungsverpflichtung zwischen den betroffenen Staaten. Es verleihe aber keine Individualansprüche einzelner Personen gegen einen Staat. Auch das Völkergewohnheitsrecht enthalte keine Individualansprüche auf Schadensersatz.

Amtshaftungsrecht bei Kampfhandlungen in bewaffneten Konflikten denkbar

Das Gericht hält allerdings Individualansprüche aus dem deutschen Amtshaftungsrecht (§ 839 BGB/Art. 34 GG) bei Kampfhandlungen in bewaffneten Konflikten grundsätzlich für denkbar. Letztlich lässt es die Entscheidung dieser Frage aber ausdrücklich offen, da schon auf Grundlage der Beweisaufnahme keine schuldhafte Verletzung einer Amtspflicht aus den Regeln des humanitären Völkerrechts durch den damaligen Oberst oder durch einen anderen Amtsträger festzustellen gewesen wäre. Durch den Befehl zum Waffeneinsatz habe der Oberst nicht die Amtspflicht zum Schutz unbeteiligter Zivilpersonen im bewaffneten Konflikt verletzt. Ihm könne auch nicht vorgeworfen werden, dass er neben den Talibankämpfern keine Zivilisten erkannt habe.

Keine Verletzung der Amtspflicht zum Schutz unbeteiligter Zivilpersonen im bewaffneten Konflikten

Die Beweisaufnahme habe ergeben, dass die Infrarotbilder keine Differenzierung zwischen Zivilbevölkerung und Taliban zuließen. Auch eine Unterscheidung zwischen Erwachsenen und Kindern wäre auf der Grundlage der Bilder nicht möglich gewesen. Ein Tiefflug über die Lastwagen wäre zur weiteren Gewinnung von Erkenntnissen keine sinnvolle Option gewesen. Das Gericht betont ausdrücklich, dass die Frage der fahrlässigen Amtspflichtverletzung nur aus der ex-ante-Perspektive, also auf der Grundlage der zum Entscheidungszeitpunkt vorhandenen Informationen, beurteilt werden könne. Schließlich stellt die Kammer fest, dass alleine ein möglicher Verstoß gegen die militärischen Einsatzregeln („rules of engagement”) keinen Amtshaftungsanspruch begründen könne.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Kläger hat das OLG Köln mit Urteil vom 30. 04. 2015 (7 U 4/14) zurückgewiesen und die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen.

OLG Köln: Keine Rechtsfehler bei Beweiswürdigung erkennbar

Das OLG Köln gelangt zu dem Ergebnis, dass die Tatsachenfeststellung des LG Bonn nach dem im Berufungsverfahren anzulegenden Maßstab frei von Rechtsfehlern ist. Das LG habe erschöpfend die Protokolle des Funkverkehrs mit den Piloten der zur Beobachtung eingesetzten Kampfflugzeuge, die von diesen gefertigten Infrarotaufnahmen vom Standort der Tanklaster, die dem Kommandeur in Echtzeit vorgelegen hatten, die Angaben des Informanten vor Ort sowie die Ausführungen eines landeskundlichen Sachverständigen berücksichtigt.

Die Beweiswürdigung des LG Bonn lässt nach Einschätzung des OLG Köln keine Rechtsfehler erkennen: Den in der konkreten Planungs- und Entscheidungssituation vorliegenden Erkenntnisquellen habe der Oberst im Zeitpunkt der Befehlserteilung nicht entnehmen können, dass die Annahme eines militärischen Angriffsziels unzutreffend sei, weil sich tatsächlich Zivilisten an der Abwurfstelle aufgehalten hätten. Auf der Grundlage der übrigen Erkenntnisquellen habe der PRT-Kommandeur auch nicht erkennen müssen, dass diese Information falsch sei. So habe der Aussagewert der Infrarotaufnahmen auch unter Berücksichtigung von Spezialkenntnissen über die Strukturen und Handlungsweisen der aufständischen Taliban keinen Schluss auf die Anwesenheit von Zivilpersonen vor Ort zugelassen. Auch aus der Anzahl der vor Ort befindlichen Personen habe nicht notwendig auf die Anwesenheit von Zivilisten geschlossen werden müssen, da der Ort des Bombardements als Hochburg der Taliban gelte und die Anwesenheit von 50 bis 70 Personen insoweit keinen Anlass zu Zweifeln gegeben habe. Gleiches gelte für das ungeordnete heterogene Bewegungsmuster, welches die Infrarotaufnahmen von den vor Ort befindlichen Personen hätten erkennen lassen. Denn von den Taliban als guerillaähnlichen Kämpfern sei ein militärischer Operationsmodus nicht zwingend zu erwarten gewesen.

Hinsichtlich weiterer von den Klägern für notwendig erachteter militärischer Aufklärungsmaßnahmen, etwa in Gestalt eines Tiefflugs über die Sandbank, sei nicht ersichtlich, dass hieraus für die Einordnung des Angriffsziels bessere Erkenntnisse hätten gewonnen werden können. Gleiches gelte für die Einschaltung einer höheren Kommandoebene. Bezüglich der geforderten Vernehmung des damaligen PRT-Kommandeurs als Zeugen habe es an einem ordnungsgemäßen Beweisantritt durch die Kläger gefehlt.

Wesentliche Rechtsfragen im Zusammenhang mit Auslandseinsätzen bleiben offen

Zu Recht hat das OLG Köln nach Auffassung des Autors die geltend gemachten Ansprüche verneint. Eine Amtspflichtverletzung ist dem damaligen PRT-Kommandeur nicht vorzuwerfen. Das OLG Köln bestätigt damit vollumfänglich die Rechtsauffassung der Beklagten, dass der PRT-Kommandeur nicht schuldhaft gegen die Regeln des humanitären Völkerrechts über den Schutz der Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten verstoßen hat.

Wesentliche Rechtsfragen im Zusammenhang mit Auslandseinsätzen hat der Senat, wie auch das LG Bonn, allerdings offen gelassen. Dies gilt für die Frage der Überleitung der Haftung im multinationalen Streitkräfteeinsatz auf die Bundesrepublik Deutschland ebenso wie für die der drittschützenden Wirkung des humanitären Völkerrechts. Das OLG Köln bejaht zwar die Anwendbarkeit des deutschen Amtshaftungsrechts auf den vorliegenden Fall; es meint aber, diese Frage sei hier nicht entscheidungserheblich. Neuere höchstrichterliche Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 13. 08. 2013 – 2 BvR 2660/06 u. a.) und des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 02. 11. 2006 – III ZR 190/05) lassen demgegenüber die Geltung des Amtshaftungsrechts für Kampfhandlungen in bewaffneten Konflikten ausdrücklich offen. Die Bundesregierung lehnt dessen Geltung nach wie vor ab (Antwort der Bundesregierung vom 09. 03. 2015 auf eine Kleine Anfrage der Fraktion „Die Linke” – BT-Drs. 18/4263, S. 1 f.).

 

Dr. Christian Raap

Ministerialrat, Rechtsabteilung des Bundesministeriums der Verteidigung
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