Alimentation von Beamten
BVerfG konkretisiert Kriterien: Wieviel Geld ist angemessen?
Alimentation von Beamten
BVerfG konkretisiert Kriterien: Wieviel Geld ist angemessen?
Über die amtsangemessene Alimentation von Beamten unter Berücksichtigung der durch das BVerfG im Urteil zur Richterbesoldung (BVerfG, Urt. v. 15. 05. 2015 – 2 BvL 17/09 u. a.) aufgestellten Kriterien:
Piloten, Lokführer, Postangestellte, Erzieher in Kindertagesstätten oder ganz allgemein Angestellte im öffentlichen Dienst – unterschiedlicher könnten die Berufsgruppen nicht sein, es einte sie in den vergangenen Monaten die nachdrückliche Forderung nach mehr Lohn, angemessener Bezahlung und besseren Arbeitsbedingungen. Für Tarifbeschäftigte konnten die Gewerkschaften vereinzelt bereits Tarifkompromisse erreichen, das Gehalt soll steigen.
Aber auch die Beamten wollen nicht leer ausgehen und fordern die Übertragung der Tarifabschlüsse, womit sie in einigen Ländern auch Erfolg haben. Länder wie Hessen setzen hingegen weiter auf Nullrunden für Beamte, auch wenn Verfassungsgerichte anderer Länder diese Praxis bereits als verfassungswidrig angesehen haben (so etwa VerfGH NRW 01. 07. 2014 – VerfGH 21/13).
Bei der Prüfung der Angemessenheit einer Besoldungsstruktur beziehen sich die Verfassungsgerichte auf verschiedene Kriterien, die das BVerfG in der Vergangenheit aufgestellt hat. Das BVerfG war in vergangener Zeit gleich mehrfach mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit von Beamtenbesoldungen befasst (etwa BVerfG, Urt. v. 14. 02. 1012 – 2 BvL 4/10 „W-2 Besoldung der Professoren in Hessen verfassungswidrig”, s. auch Artikel „Professorenbesoldung in Hessen”, Publicus 2013.9) und ganz zuletzt im Urteil vom 15. 05. 2015 (BVerfG, Urt. v. 15. 05. 2015 – 2 BvL 17/09 u. a.), in dem die R 1-Besoldung der Jahre 2008 bis 2010 in Sachsen-Anhalt für verfassungswidrig erklärt wurde.
Dabei kommt dem Verfahren über die Besoldung von Richtern und Staatsanwälten eine besondere Bedeutung zu, denn das BVerfG hat das Verfahren zum Anlass genommen, die bisherigen Kriterien zu konkretisieren, nach denen die Besoldung von Beamten auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der amtsangemessenen Alimentation zu überprüfen ist.
Alimentationsprinzip
Zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums gemäß Art. 33 Abs. 5 GG zählt das Alimentationsprinzip. Der Dienstherr ist verpflichtet, Beamte sowie ihre Familien lebenslang angemessen zu alimentieren und ihnen nach ihrem Dienstrang, nach der mit ihrem Amt verbundenen Verantwortung und nach der Bedeutung der rechtsprechenden Gewalt und des Berufsbeamtentums für die Allgemeinheit entsprechend der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse und des allgemeinen Lebensstandards einen angemessenen Lebensunterhalt zu gewähren. Bei der praktischen Umsetzung besitzt der Gesetzgeber einen weiten Entscheidungsspielraum, dem eine zurückhaltende, auf den Maßstab evidenter Sachwidrigkeit beschränkte gerichtliche Kontrolle entspricht.
Ob die Bezüge evident unzureichend sind, muss anhand einer Gesamtschau verschiedener Kriterien und unter Berücksichtigung der konkret in Betracht kommenden Vergleichsgruppen geprüft werden.
Drei Prüfungsstufen
Auf einer ersten Prüfungsstufe sind fünf Parameter heranzuziehen; die Vermutung für eine verfassungswidrige Unteralimentation besteht, wenn mindestens drei davon erfüllt sind. Auf einer zweiten Prüfungsstufe kann diese Vermutung durch Berücksichtigung weiterer Kriterien im Rahmen einer Gesamtabwägung widerlegt oder weiter erhärtet werden. Auf einer dritten Prüfungsstufe ist gegebenenfalls eine Abwägung mit kollidierenden verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen wie dem Verbot der Neuverschuldung herbeizuführen; in einem Ausnahmefall kann eine Unteralimentation so auch verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden.
Erste Prüfungsstufe, fünf Parameter
Mit Hilfe aus dem Alimentationsprinzip ableitbaren und volkswirtschaftlich nachvollziehbaren Parametern wird zunächst in der ersten Prüfungsstufe ein durch Zahlenwerte konkretisierter Orientierungsrahmen ermittelt.
Bei den ersten drei Parametern handelt es sich um (1) eine deutliche Differenz zwischen der Besoldungsentwicklung und der Entwicklung der Tariflöhne im öffentlichen Dienst, (2) des Nominallohnindex sowie (3) des Verbraucherpreisindexes. Ein Indiz für eine evidente Missachtung des Alimentationsgebotes liegt in der Regel vor, wenn die Differenz mindestens 5 % des jeweiligen Indexwertes der erhöhten Besoldung beträgt, bzw. die Besoldung um diese Differenz hinter der Entwicklung des Verbraucherpreisindexes zurückbleibt.
Der vierte Parameter bezieht sich auf den systeminternen Besoldungsvergleich. Aus dem Leistungsgrundsatz in Art. 33 Abs. 2 GG und dem Alimentationsprinzip in Art. 33 Abs. 5 GG folgt ein Abstandsgebot, das es dem Gesetzgeber ungeachtet seines weiten Gestaltungsspielraums untersagt, den Abstand zwischen verschiedenen Besoldungsgruppen dauerhaft einzuebnen. Eine deutliche Verringerung der Abstände der Bruttogehälter in den Besoldungsgruppen infolge unterschiedlich hoher linearer oder zeitlich verzögerter Anpassungen bei einzelnen Besoldungsgruppen indiziert daher einen Verstoß gegen das Abstandsgebot. Ein Verstoß liegt in der Regel vor bei einer Abschmelzung der Abstände zwischen zwei vergleichbaren Besoldungsgruppen um mindestens 10 % in den zurückliegenden fünf Jahren.
Der fünfte und letzte Parameter ist der Quervergleich mit der Besoldung des Bundes und anderer Länder. Zeigt sich eine erhebliche Gehaltsdifferenz im Vergleich zum Durchschnitt der Bezüge der jeweiligen Besoldungsgruppe im Bund oder in den anderen Ländern, spricht dies dafür, dass die Alimentation ihre qualitätssichernde Funktion nicht mehr erfüllt. Liegt das streitgegenständliche jährliche Bruttoeinkommen einschließlich etwaiger Sonderzahlungen 10 % unter dem Durchschnitt des Bundes und anderer Länder im gleichen Zeitraum, ist dies jedenfalls ein weiteres Indiz für eine verfassungswidrige Unteralimentation.
Zweite Prüfungsstufe
Die Vermutung einer verfassungswidrigen Unteralimentation besteht, wenn drei der fünf Parameter erfüllt sind; diese Vermutung kann im Rahmen einer Gesamtabwägung durch Berücksichtigung weiterer alimentationsrelevanter Kriterien widerlegt oder weiter erhärtet werden.
Zu diesen weiteren Kriterien zählen das Ansehen des Amtes in den Augen der Gesellschaft sowie die vom Amtsinhaber geforderte Ausbildung und Beanspruchung. Dazu gehören auch die besondere Qualität der Tätigkeit und Verantwortung des jeweiligen Beamten. Insbesondere bei Richtern und Staatsanwälten muss die durch Art. 97 Abs. 1 und Abs. 2 GG garantierte richterliche Unabhängigkeit auch durch die Besoldung der Richter gewährleistet werden. Bspw. spielt es in diesem Zusammenhang auch eine Rolle, ob es dem betreffenden Dienstherren auf dem Alimentationsniveau gelingt, überdurchschnittlich qualifizierte Kräfte für den höheren Justizdienst anzuwerben.
Die Amtsangemessenheit der Alimentation ist ferner im Lichte des Niveaus der Beihilfe- und Versorgungsleistungen zu bewerten. Bei einer Auszehrung der allgemeinen Gehaltsbestandteile durch krankheitsbezogene Aufwendungen kann eine Korrektur der Besoldungs- und Versorgungsgesetze verfassungsrechtlich geboten sein. Gleiches gilt, wenn eine Vielzahl zeitlich gestaffelter, für sich genommen verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Einschnitte des Gesetzgebers im Beihilfebereich das für den sonstigen Lebensunterhalt zur Verfügung stehende Einkommen unangemessen reduzieren („Salami-Taktik”). Auch Kürzungen der Altersversorgung können zu einer Unterschreitung der verfassungsrechtlich gebotenen Alimentation führen.
Ob die Alimentation einem Amt, das für überdurchschnittlich qualifizierte Kräfte attraktiv sein soll, angemessen ist, zeigt schließlich auch ein Vergleich der Besoldungshöhe mit den durchschnittlichen Bruttoverdiensten sozialversicherungspflichtig Beschäftigter mit vergleichbarer Qualifikation und Verantwortung in der Privatwirtschaft. Die Besonderheiten des Status und des beamtenrechtlichen Besoldungs- und Versorgungssystems dürfen hierbei nicht außer Acht gelassen werden.
Dritte Prüfungsstufe
Ergibt die Gesamtschau, dass die als unzureichend angegriffene Alimentation grundsätzlich als verfassungswidrige Unteralimentation einzustufen ist, bedarf es der Prüfung, ob diese im Ausnahmefall verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein kann. Der Grundsatz der amtsangemessenen Alimentation ist Teil der mit den hergebrachten Grundsätzen verbundenen institutionellen Garantie des Art. 33 Abs. 5 GG. Soweit er mit anderen verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen oder Instituten kollidiert, ist er – wie dies auch sonst der Fall ist – entsprechend dem Grundsatz der praktischen Konkordanz im Wege der Abwägung zu einem schonenden Ausgleich zu bringen.
Verfassungsrang hat namentlich das Verbot der Neuverschuldung in Art. 109 Abs. 3 Satz 1 GG („Schuldenbremse”). In den Haushaltsjahren 2011 bis 2019 sind die Haushalte der Länder gemäß Art. 143d Abs. 1 Satz 4 GG so aufzustellen, dass im Haushaltsjahr 2020 die Vorgabe aus Art. 109 Abs. 3 Satz 5 GG – keine strukturelle Nettokreditaufnahme – erfüllt wird. Dieser Vorwirkung hat der Haushaltsgesetzgeber auch bei der Anpassung der Bezüge der Richter und Beamten Rechnung zu tragen.
Allein die Finanzlage der öffentlichen Haushalte oder das Ziel der Haushaltskonsolidierung vermögen den Grundsatz der amtsangemessenen Alimentierung jedoch nicht einzuschränken; andernfalls liefe die Schutzfunktion des Art. 33 Abs. 5 GG ins Leere. Eine Einschränkung aus rein finanziellen Gründen kann zur Bewältigung von Ausnahmesituationen in Ansatz gebracht werden, wenn es ausweislich einer aussagekräftigen Begründung in den Gesetzgebungsmaterialien Teil eines schlüssigen und umfassenden Konzepts der Haushaltskonsolidierung ist.
Ergebnis der Verfahren
In Anwendung der aufgestellten Grundsätze kam das BVerfG zu der Auffassung, dass die R1-Besoldung zwar in Sachen-Anhalt als verfassungswidrig angesehen wurde, nicht aber in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz.
Indizien für die evidente Unangemessenheit der Alimentation in Sachsen-Anhalt ergaben sich u. a. aus einer Gegenüberstellung der Anpassung der Besoldung mit der Entwicklung der Einkommen der Tarifbeschäftigten im öffentlichen Dienst, des Nominallohn- und des Verbraucherpreisindex in Sachsen-Anhalt. Die Entwicklung der Besoldung blieb um 7,79 % hinter dem Anstieg der Tarifverdienste, um 15,48 % hinter dem Anstieg des Nominallohnindex und um 11,76 % hinter dem Anstieg des Verbraucherpreisindexes zurück.
Im Rahmen einer Gesamtabwägung unter Einbeziehung weiterer alimentationsrelevanter Determinanten erhärtete sich diese Vermutung. Die Ämter eines Richters oder Staatsanwaltes in der Besoldungsgruppe R 1 stellen hohe Anforderungen an den akademischen Werdegang und die Qualifikation ihrer Inhaber, die Besoldung müsse so ausgestaltet sein, dass sie in der Regel auch für diese verhältnismäßig kleine Gruppe besonders gut qualifizierter Absolventen hinreichend attraktiv sei. Schließlich führe auch die Zuweisung zentraler Aufgaben innerhalb der rechtsstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes verbunden mit einem einzigartigen durch Art. 97 GG gewährleisteten Maß an Eigenverantwortung zu einer Pflicht, die Wertigkeit des Amtes innerhalb des besoldungsrechtlichen Gefüges zu berücksichtigen.
Fazit
Die Frage, ob eine Alimentation angemessen ist, lässt sich nach alledem nicht pauschal beantworten und ist in Komplexität und Tragweite der Verfassungsgerichtsbarkeit vorbehalten. Gerade auch angesichts der dadurch entstehenden langen Verfahrensdauern (der Widerspruch eines Beteiligten richtetet sich gegen eine Bezügemitteilung aus dem Jahr 2003) ist das für Betroffene eine wenig zufriedenstellende Feststellung.