15.07.2015

„Muss das Gedudel wirklich sein?!”

Gestaltungsräume kommunaler Praxis zur Straßenmusik in Fußgängerzonen

„Muss das Gedudel wirklich sein?!”

Gestaltungsräume kommunaler Praxis zur Straßenmusik in Fußgängerzonen

Des einen Freud, des andern Leid: die Straßenkünstler. | © nikond700 - Fotolia
Des einen Freud, des andern Leid: die Straßenkünstler. | © nikond700 - Fotolia

Mit frühlingshaft steigenden Temperaturen sind sie jedes Jahr wieder da: die in deutschen Großstädten häufig anzutreffenden Straßenkünstler mit ihrem breiten Spektrum an Darbietungen. Für die einen sind sie willkommene Einladung zum Verweilen – von einem kurzem Shopping-Stopp bis zum Mitschunkeln; für die anderen, insbesondere ortsansässige Berufstätige und Gewerbetreibende, sind sie dagegen häufig lästiges Hindernis – sei es in Gestalt der sich bildenden Auflauf-Traube bis hin zur kaum noch erträglichen, mehr oder minder monotonen Dauerbeschallung während der üblichen Geschäftszeiten.

Die rechtlichen Grundlagen

Die juristische Diskussion dieses Phänomens wurde seit den 1980er Jahren auf der Grundlage des jeweiligen Landesstraßenrechts intensiv geführt und war von einer durchaus schwankenden Rechtsprechung geprägt. Ihren Abschluss fand diese Diskussion mit den auf die Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg ergangenen Grundsatzentscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts von 1986 und 1989. Deren Quintessenz ist Folgende: Verfassungsrechtlich kann sich Straßenkunst (sei es Musik, sei es Malerei oder sonst eine sich als Kunst verstehende Darbietung) zwar regelmäßig – abgesehen vom mechanischen Ab- oder Nachspielen bekannter Melodien – auf die Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) berufen; dies hindert Gesetzgebung und Verwaltung aber nicht, sie wegen ihrer spezifischen Wirkungen im Rahmen der Regelungen des jeweiligen öffentlichen Sachenrechts – z. B. über die Einrichtung und Nutzung von Straßen – mit Rücksicht auf den Zweck der jeweiligen Sache und die legitimen Interessen anderer Nutzungen verhältnismäßigen inhaltlichen und verfahrensmäßigen Beschränkungen zu unterwerfen.

Letztlich entscheidend sind die Regelungen des jeweiligen Landestraßenrechts und die darauf aufbauende konkrete Widmung der betreffenden Straße bzw. Fußgängerzone.


Im Rahmen der Absteckung des regelmäßig erlaubten Gemeingebrauchs von der zulassungspflichten Sondernutzung können entsprechende Darbietungen als Sondernutzungen qualifiziert und damit einem gesonderten Zulassungsverfahren unterworfen werden. Die Zulassung kann immer dann versagt werden, wenn durch die beabsichtigte Nutzung der Gebrauch der anderen Straßennutzer oder legitime Interessen von Anliegern beeinträchtigt sind. Anderes gilt nur, wenn die Widmung selbst eine entsprechende Nutzung als Regelnutzung zulässt, i.S.d. sog. kommunikativen Gemeingebrauchs, der auf entsprechend eingerichteten Straßen neben dem üblichen Zweck der Straße zur Fortbewegung gleichberechtigt möglich sein kann, z. B. auf zum Verweilen eingerichteten Plätzen in Fußgängerzonen.

Im Übrigen können die Kommunen aufgrund entsprechender Ermächtigungen in den Landesstraßengesetzen – in Sachsen § 18 Abs. 1 Satz 3 SächsStrG – bestimmte gesetzlich als Sondernutzung anzusehende Handlungen von der Erlaubnispflicht befreien bzw. ihre Ausübung regeln. Bei all dem sind aber neben den Interessen der Künstler auch die der traditionellen Straßennutzer (Passanten, Bewohner, Gewerbetreibenden, Anlieger) zu beachten.

Große Unterschiede in der kommunalen Praxis

Die hierauf aufbauende derzeitige kommunale Praxis in deutschen Großstädten mit dem dadurch geschaffenen Interessenausgleich zwischen Künstlern und Liebhabern ihrer Darbietungen einerseits, Gewerbetreibenden, Anliegern und uninteressierten Passanten andererseits, ist sehr unterschiedlich: Im Rahmen einer sehr strengen Linie arbeitet z. B. München mit strikten Limitationen bezogen auf das Wo, Wie und Wann. Zudem sind die eingeräumten Auftrittsmöglichkeiten sowohl kollektiv wie bezogen auf den einzelnen Künstler kontingentiert und alle Künstler bedürfen für ihre jeweils an bestimmten Tagen geplanten Auftritte der – im Übrigen: gebührenpflichtigen – Erlaubnis; diese wird ihnen überdies erst – ein Schelm sei genannt, wer böses dabei denkt – nach einem Vorspiel erteilt.

Auf der andere Seite des Spektrums verzichtet die „Boomtown” Leipzig mit stetig steigendem Tourismus und einem passenden Besatz von ihre Chance witternden Straßenkünstlern verfahrensrechtlich im wesentlichen – durch eine sehr interpretationsfähige Abgrenzungsvorschrift – ganz auf die Erlaubnispflicht, beschränkt sich auf das Verbot der Benutzung von Verstärkeranlagen und in begleitend ausgegebenen Merkblättern auf praktische Hinweise. In der Praxis führt dies zu einem regelmäßigen Swap der häufig in den Pausen ihre mitgebrachten Tonträger vertreibenden Profi-Künstler zwischen den nicht sehr weit voneinander entfernten Standplätzen (empfohlen werden 100 m), was bei guter Witterung am Wochenende in der Innenstadt eine teils durchaus kakophonische Klangwolke entstehen lässt, der Passanten sich ausgesetzt sehen, während sie sich einen Weg durch das Gedränge derjenigen bahnen, die verweilen.

Akzente dürfen nicht zu einseitig gesetzt werden

Sicherlich bestehen hier durchaus weite Spielräume für kommunale Gestaltungen. Wie schon aus der zitierten Rechtsprechung deutlich wurde, dürfen die Akzente freilich nicht zu einseitig gesetzt werden. Was zunächst die „verfahrensrechtliche Linie” angeht, kommt es auf die örtlichen Verhältnisse und die insofern absehbaren typischen Konfliktlagen an: Sicherlich muss nicht jede – auch: mittlere oder kleinere – Stadt sich für ihren gesamten öffentlichen Straßenraum eine drakonische Linie zu eigen machen und auf der Erteilung von Sondernutzungserlaubnissen für jegliche künstlerische Aktivität in der verkehrsberuhigten Innenstadt bestehen. Ist freilich in Straßen mit einer Vielzahl von Einzelhändlern und anderen lärmempfindlichen Nutzungen – wie typischerweise in verkehrsberuhigten Bereichen von Großstädten und anderen Touristenmagneten – sowohl mit einem hohen Aufkommen an traditionellen Straßenbenutzern („Passanten” im Wortsinne eben) als auch ihr Glück suchenden Straßenkünstlern zu rechnen, gebietet sich anknüpfend an eine entsprechende Widmung die Qualifizierung von Straßenkunst als Sondernutzung.

Die kommunale Praxis darf künstlerische Aktivitäten dann nur nach dem Durchlaufen eines Erlaubnisverfahren zulassen, muss sich damit der Aufgabe stellen, das Nebeneinander der verschiedenen Nutzungen auch im Einzelnen rechtsverbindlich und effektiv zu steuern. Inhaltlich ist durch entsprechende Beschränkungen sowohl bezogen auf die Anzahl der gewährten Erlaubnisse als auch ihre inhaltliche Ausgestaltung (im Übrigen: in vollzugsfähiger Weise) dafür zu sorgen, dass der jeweilige Straßenraum noch für seinen eigentlichen Primärzweck – die Überwindung räumlicher Distanz und die Zugänglichkeit der durch ihn erschlossenen Anlieger mit ihren jeweiligen Bewohnern und Gewerbetreibenden – im Sinne der regelmäßig straßenrechtlich geforderten Qualität: „Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs” verfügbar bleibt.

Kommunale Steuerungsaufgabe wahrnehmen

Nach unserer Auffassung ist insofern jedenfalls die derzeitige Praxis der Stadt Leipzig verfehlt: Sie verweigert sich der konkreten kommunalen Steuerungsaufgabe, verletzt hierbei und dadurch die legitimen Interessen von Anliegern, ihren Besuchern sowie den dort arbeitenden Menschen sowie von denjenigen, die die verkehrsberuhigten Bereiche der Leipziger Innenstadt – nur – als Passant benutzen wollen.

Abgesehen davon, dass dies der Verwaltung in Zeiten zunehmender Politik- und Staatsverdrossenheit kaum gut zu Gesicht steht, dürfte es für die Kommunen auch aus rechtlichen Gründen trügerisch sein, sich nach dem Motto „Wo kein Kläger, da kein Richter!” zu verhalten. Entsprechend einer Tendenz in der jüngeren verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung bestehen jedenfalls für qualifiziert durch fortwährende Beschallung und/oder Bildung von Zuhörertrauben betroffenen Gewerbetreibenden durchaus Chancen, die Verletzung ihres Rechts auf angemessene Teilnahme an der Nutzung des öffentlichen Straßenraums durch die Zulassung des übermäßigen Gebrauchs durch Straßenkunst im Rahmen einer sog. Feststellungsklage aussprechen zu lassen.

Hinweis der Redaktion: Eine ausführliche Abhandlung zu diesem Thema mit dem Titel „Straßenkunst in Großstädten zwischen kreativer Bereicherung und penetranter Ruhestörung: Kommunale Regelungspraxis und ihre straßenrechtliche Bewertung” finden Sie in den Sächsischen Verwaltungsblättern, Heft 7, S. 153 ff.

Anne Drömann

Anne Drömann

Rechtsreferendarin, Rechtsanwälte Füßer & Kollegen, Leipzig
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