15.07.2015

Beitragserhebungspflicht im Straßenausbau

Rechtsgrundlagen, Folgen für Gemeinden und gesetzliche Alternativen

Beitragserhebungspflicht im Straßenausbau

Rechtsgrundlagen, Folgen für Gemeinden und gesetzliche Alternativen

Die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen: ein Thema, das rechtlich heikel und politisch unbequem ist. | © bobmachee - Fotolia
Die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen: ein Thema, das rechtlich heikel und politisch unbequem ist. | © bobmachee - Fotolia

Straßenausbaubeiträge stoßen seit längerem auf Kritik, weil sie durch die Nutzung der Straße im Rahmen des Gemeingebrauchs als ungerecht empfunden werden und die Beitragspflichtigen bei der Art und Weise des Ausbaus oft nicht mitreden dürfen, aber bei der Abrechnung der Beiträge mit erheblichen Forderungen belastet werden. Bis auf die Bundesländer Baden-Württemberg und Berlin haben alle Bundesländer in ihren kommunalen Abgabengesetzen für die Erneuerung und Verbesserung von Ortsstraßen einen Ausbaubeitrag vorgesehen. Die Gemeinden entscheiden dabei, ob sie durch den Erlass einer Straßenausbaubeitragssatzung für die Erneuerung oder Verbesserung ihrer Ortsstraßen von den Anliegern einen Beitrag erheben.

In Bayern sorgte die Abschaffung der Straßenausbaubeitragssatzung durch die Landeshauptstadt München für Aufsehen und Verunsicherung bei anderen Gemeinden. Der Stadtrat der Landeshauptstadt München war im Dezember 2014 der Auffassung, dass die Straßenausbaubeiträge künftig nicht mehr erhoben werden, weil der Nettoertrag der Ausbaubeiträge nur einem Anteil von 0,0009 % des Gesamthaushaltes betrage und die Landeshauptstadt München seit 2006 keine Neuverschuldung mehr eingegangen sei. Daher fragen sich viele Entscheidungsträger in kleineren Gemeinden, ob sie ihren Bürgern die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen weiter vermitteln müssen oder auch den kommunalpolitisch vielleicht einfacheren Weg durch Abschaffung der Satzung gehen können.

Gesetzliche Pflicht zur Erhebung von Straßenausbaubeiträgen?

Rechtlich ist von Bedeutung, ob die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen eine reine Ermessensentscheidung ist und eine Gemeinde bei einer entsprechenden kommunalpolitischen Willensbildung auf den Erlass einer Straßenausbaubeitragssatzung verzichten oder eine bestehende Satzung aufheben darf. In diesem Fall müssten die Straßenanlieger nicht zur Finanzierung der Sanierung von Ortsstraßen beitragen und die Gemeinde würde die Sanierung der Ortsstraßen aus allgemeinen Haushaltsmitteln decken.


Entscheidend für die Frage, ob eine Gemeinde zur Erhebung von Ausbaubeiträgen für Straßen verpflichtet ist, ist die Ausgestaltung in den haushaltsrechtlichen Vorschriften der Gemeindeordnungen (GO) und in den Kommunalabgabengesetzen (KAG) der Bundesländer. In den Gemeindeordnungen der Länder ist ausnahmslos geregelt, dass die Gemeinden die Abgaben nach den Abgabengesetzen erheben müssen und alle möglichen Einnahmen beschaffen müssen (siehe z. B. Art. 62 Abs. 1 und 2 BayGO).

Vergleicht man die Vorschriften der Kommunalabgabengesetze der 14 Bundesländer, die Straßenausbaubeiträge vorsehen, so fällt auf, dass die Landesgesetzgeber neben der ausdrücklichen Beitragserhebungspflicht (z. B. in Sachsen-Anhalt § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG) auch Soll- oder Kann-Vorschriften aufgenommen haben. Art. 5 Abs. 1 Satz 3 BayKAG regelt beispielsweise: „Für die Verbesserung oder Erneuerung von Ortsstraßen und beschränkt-öffentlichen Wegen sollen solche Beiträge erhoben werden, soweit nicht Erschließungsbeiträge nach dem Baugesetzbuch (BauGB) zu erheben sind”. In Sachsen regelt demgegenüber § 26 Abs. 1 Satz 1 SächsKAG: „Die Gemeinden können, soweit das Baugesetzbuch nicht anzuwenden ist, zur Deckung des Aufwands für die Anschaffung, Herstellung oder den Ausbau von Straßen, Wegen und Plätzen (Verkehrsanlagen) Beiträge für Grundstücke erheben, denen durch die Verkehrsanlage Vorteile zuwachsen.”

In Bundesländern, die eine grundsätzliche Pflicht im Abgabengesetz vorsehen, ist die Frage nach der Beitragserhebungspflicht und der Pflicht zum Erlass einer Satzung schnell beantwortet (siehe für Sachsen-Anhalt z. B. OVG Magdeburg, Beschluss vom 03. 09. 1998, Az. B 2 S 337/98).

Fraglich ist eine Beitragserhebungspflicht allerdings bei den Soll- und Kann-Regelungen. Nach der Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs im Urteil vom 10. 03. 1999, Az. 4 B 98.1349, die auch nochmals im Urteil vom 15. 10. 2009, Az. 6 B 08.1431, bestätigt wurde, sind Sollvorschriften grundsätzlich verbindlich, wodurch sich zunächst eine Pflicht zur Beitragserhebung ergibt. Nach diesen Entscheidungen des obersten Verwaltungsgerichts in Bayern sind aber von der grundsätzlichen Pflicht zum Erlass einer Ausbaubeitragssatzung Ausnahmen möglich, sodass Straßenausbaumaßnahmen in Ausnahmefällen auch aus allgemeinen Deckungsmitteln der Gemeinde finanziert werden dürfen. Für eine Ausnahme müssen besondere Umstände vorliegen. Die besonderen Umstände sieht der Verwaltungsgerichtshof bei einer besonders guten Haushaltslage der Gemeinde, die eine dauernde Leistungsfähigkeit ohne Überschuldung sicherstellt. Folglich dürfen finanzstarke Gemeinden auf den Erlass einer Satzung und die Beitragserhebung bei den Straßenanliegern verzichten.

Dieser Auffassung hat sich auch das Verwaltungsgericht München in einem jüngeren Urteil vom 28. 10. 2014, Az. M 2 K 14.1641, angeschlossen und weiter ausgeführt, dass auch bei einem soliden Haushalt zukünftige Investitionen berücksichtigt werden müssen. Wenn in der betroffenen Gemeinde für die nahe Zukunft andere Investitionen anstehen und hierfür eine Kreditaufnahme notwendig wird, dann muss die Gemeinde für die Erneuerung oder Verbesserung von Ortsstraßen auch Beiträge erheben. In die gleiche Richtung geht auch die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in anderen Bundesländern, die ebenfalls auf die Finanzsituation der jeweiligen Gemeinde abstellt (siehe z. B. ThürOVG, Urteil vom 31. 05. 2005, Az. 4 KO 1499/04, oder HessVGH, Beschluss vom 20. 12. 2011, Az. 5 B 2017/11).

Im Ergebnis machen die Verwaltungsgerichte auch keinen Unterschied zwischen den Soll-Regelungen oder den Kann-Regelungen in den Abgabengesetzen. Auch bei den Kann-Regelungen wird davon ausgegangen, dass die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen immer dann geboten ist, wenn die sonstigen Einnahmen der Gemeinde nicht ausreichen, um die Erfüllung ihrer Aufgaben zu finanzieren (SächsOVG, Urteil vom 23. 03. 2004, Az. 5 B 6/03).

In Anbetracht dieser Rechtsprechung ist daher die Pflicht zur Erhebung von Straßenausbaubeiträgen von der finanziellen Situation der jeweiligen Gemeinde abhängig. Für die betroffenen Beitragspflichtigen ist es jedoch nur schwer nachzuvollziehen, wenn in der Nachbargemeinde, die zufällig ein starkes Gewerbesteueraufkommen vorzuweisen hat, keine Beiträge für den Ausbau der Ortsstraßen erhoben werden, während in der eigenen Gemeinde erhebliche Beiträge gefordert werden.

Drohende Folgen bei einer Beitragspflicht und Nichterlass einer Satzung

Durch die für viele Gemeinden gegebene Beitragserhebungspflicht stellt sich die Frage, welche Folgen eintreten können, wenn eine Gemeinde der grundsätzlich bestehenden Pflicht zur Erhebung von Straßenausbaubeiträgen nicht nachkommt, weil sie keine Satzung erlässt oder eine bestehende Satzung aufhebt. Wie das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 28. 10. 2014 zeigt, muss die Gemeinde mit kommunalaufsichtlichen Maßnahmen rechnen, die letztlich auch in einer Ersatzvornahme durch die Kommunalaufsichtsbehörde enden können, d. h. die Kommunalaufsichtsbehörde erlässt anstelle der Gemeinde die Straßenausbaubeitragssatzung.

Aber nicht nur für die Gemeinde selbst drohen Konsequenzen. Auch für Bürgermeister, Gemeinderatsmitglieder und Mitarbeiter der Gemeinden stehen schwerwiegende Folgen im Raum. So hat das OLG Naumburg im Urteil vom 18. 07. 2007, Az. 2 Ss 188/07, in einem Strafverfahren wegen Untreue (§ 266 StGB) gegen Bürgermeister und Gemeinderatsmitglieder auf Revision der Staatsanwaltschaft einen Freispruch für die Angeklagten aufgehoben, weil es bei Straßenbaumaßnahmen ohne Ausbaubeitragssatzung von einer Untreue zum Nachteil der Gemeinde ausgegangen ist. Bei Betrachtung dieser strafrechtlichen Entscheidung ist aber das KAG in Sachsen-Anhalt zu berücksichtigen, das ausdrücklich eine Beitragserhebungspflicht im Gesetz regelt.

Neben etwaigen strafrechtlichen Konsequenzen müssen Gemeinderatsmitglieder mit einer Haftung gegenüber der Gemeinde rechnen, wenn sie vorsätzlich auf den Erlass einer Straßenausbaubeitragssatzung verzichten und der Gemeinde dadurch ein Schaden entsteht (vgl. z. B. in Bayern Art. 20 Abs. 4 Satz 2 GO).

Gleiches gilt für Bürgermeister und Mitarbeiter der Gemeinde über § 48 BeamtStG. Diesen kommt aber unter Umständen die Haftungserleichterung des § 32 AO, der meistens über die Kommunalabgabengesetze Anwendung findet und im Abgabenrecht eine Haftung nur bei vorsätzlichem Handeln vorsieht, zu Gute. Hauptamtliche Bürgermeister und Mitarbeiter der Gemeinde müssen bei einer Haftung zusätzlich oft auch mit einem Disziplinarverfahren rechnen.

Entschärfung der Rechtslage

Aufgrund dieser bedrohlichen Rechtslage stellt sich für die Landesgesetzgeber die Aufgabe, diese Rechtslage zu entschärfen, weil viele Gemeinden trotz einer Beitragserhebungspflicht aufgrund der drohenden Konflikte mit den Bürgern auf eine Satzung verzichten. In Bayern wird beispielsweise in diesem Monat eine Expertenanhörung zu Art. 5 KAG im Bayerischen Landtag stattfinden, weil einige Abgeordnete die bisherige Rechtslage infrage stellen (siehe Landtagsdrucksache 17/4810 vom 11. 12. 2014). Danach wird in Bayern zu entscheiden sein, wie der Bau von Ortsstraßen künftig durch die Gemeinden finanziert werden kann. Neben der bisherigen Form der Anliegerbeiträge bestünden weitere Alternativen, die man den Gemeinden vor Ort als gesetzliche Option anbieten könnte:

Baden-Württemberg und Berlin zeigen, dass auf Straßenausbaubeiträge im KAG gänzlich verzichtet werden kann. Wie der Bau anderer gemeindlicher Einrichtungen (Schulen, Kindergärten etc.) wird in diesen Bundesländern auch der Ausbau von Ortsstraßen durch den allgemeinen Gemeindehaushalt finanziert. Allerdings muss dann die staatliche Finanzausstattung den Gemeinden auch die Finanzierung der Sanierung von Ortsstraßen garantieren, da andernfalls überfällige Straßensanierungen nicht mehr angegangen werden.

Eine Entlastung der Anlieger würde auch eintreten, wenn staatliche Zuschüsse zum Straßenausbau nicht nur auf den Gemeindeanteil, sondern auch auf den von den Anliegern zu entrichtenden Anteil angerechnet werden. Die Regelung aus Sachsen-Anhalt (§ 6 Abs. 5 Satz 5 KAG SA), wonach der Zuschuss hälftig die Gemeinde und hälftig die Anlieger entlastet, findet derzeit in anderen Bundesländern keine Nachahmung, sodass die staatlichen Zuschüsse dort in der Regel nur die Gemeinde entlasten.

Sechs Bundesländer haben sog. wiederkehrende Beiträge für Verkehrsanlagen gesetzlich geregelt (§ 10 a KAG Rheinland-Pfalz, § 11 a HessKAG, § 8 a KAG Schleswig-Holstein, § 8 a KAG Saarland, § 7 a ThürKAG und § 6 a KAG Sachsen-Anhalt). Die wiederkehrenden Beiträge in diesen Bundesländern, die nach einer jüngsten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 25. 06. 2014 (Az. 1 BvR 2104/10 und 1 BvR 668/10) in Rheinland-Pfalz verfassungsgemäß sind, könnten das Dilemma zwischen der problematischen politischen Vermittlung von Straßenausbaubeiträgen gegenüber den Bürgern und der Rechtslage abmildern, da die Beitragsbelastung auf mehrere Schultern verteilt wird und dadurch zwar öfters, aber wesentlich niedrigere Beiträge erhoben werden.

Auf alle Grundstücke würden die Ausbaukosten auch verteilt werden, wenn der Kommunalpolitik durch den Gesetzgeber auch erlaubt würde, die nicht durch staatliche Zuschüsse gedeckten Kosten für den Straßenausbau über einen Zusatzanteil an der Grundsteuer oder eine Erhöhung des Hebesatzes zu finanzieren.

Es ist also nicht zwingend notwendig, dass sich die Abgabengesetze nur auf Straßenausbaubeiträge festlegen und eine Pflicht zur Erhebung der Beiträge regeln. Vielmehr könnten die Gesetzgeber den Gemeinden die Möglichkeit geben, die für die jeweilige Gemeinde passende Finanzierung auszuwählen.

 

Prof. Dr. Fritz Böckh

Meidert & Kollegen, Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Augsburg
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